Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des O T, vertreten durch Dr. Stefan Dorner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria Theresien Straße 17 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 2021, W176 2236184 1/10E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 25. Februar 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass in Syrien eine gefährliche Lage bestehe und alle Männer in den Militärdienst müssten. Er habe eine Familie mit Kindern und wolle nicht kämpfen oder andere Menschen erschießen.
2 Mit Bescheid vom 15. September 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
Die Nichtzuerkennung des Asylstatus begründete das BFA damit, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem asylrelevanten Grund glaubhaft zu machen. Insbesondere hätten sich seinem Vorbringen keine konkreten Hinweise auf Verfolgungshandlungen entnehmen lassen.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Das BFA erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (und des EuGH) ab, weil der Revisionswerber bei seiner Rückkehr nach Syrien vom dortigen Regime zwangsrekrutiert sowie von den kurdischen Verteidigungskräften einberufen werden würde. Das BVwG habe dies jedoch verneint, ohne sich damit auseinanderzusetzen, dass nach den aktuellen Länderberichten Reservisten bis zu einem Alter von 42 Jahren, fallweise sogar bis zu einem Alter von 55 Jahren, eingezogen werden könnten und die Einberufung auch Reservisten ohne besondere Qualifikation betreffe. Die Beweiswürdigung und die darauf aufbauende rechtliche Beurteilung im angefochtenen Erkenntnis würden sich daher als nicht nachvollziehbar und damit als unschlüssig erweisen. Zudem habe der EuGH bereits ausgesprochen, dass die Militärdienstverweigerung vom syrischen Staat mit „starker Vermutung“ in aller Regel als oppositioneller Akt angesehen und in Anknüpfung an die (unterstellte) politische Überzeugung verfolgt werde.
7 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. VwGH 18.1.2024, Ra 2023/19/0270, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen (vgl. VwGH 31.10.2023, Ro 2023/19/0002, mwN). Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen wie etwa der Anwendung von Folter jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein.
Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (vgl. nochmals VwGH Ro 2023/19/0002, mwN).
8 Im vorliegenden Fall zeigt die Revision nicht auf und ist auch nicht ersichtlich, dass der Revisionswerber in Bezug auf eine ihm drohende Einziehung zum Wehrdienst im Verfahren vor dem BFA oder im Beschwerdeverfahren ein entsprechend begründetes Vorbringen erstattet hätte, das einen kausalen Zusammenhang zu einem Konventionsgrund im oben beschriebenen Sinn erkennen lässt.
Soweit sich die Revision hier auf näher bezeichnete Rechtsprechung des EuGH beruft, ist dem zu entgegnen, dass der EuGH im angesprochenen Syrien betreffenden Urteil vom 19. November 2020, C 238/19, zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen ausgesprochen hat, dass eine Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlungen und dem Konventionsgrund der politischen Gesinnung nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden kann, weil Strafverfolgung oder Bestrafung wegen einer Wehrdienstverweigerung erfolgen. Allerdings spreche eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie genannten Voraussetzungen (also eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Bürgerkrieg, wenn der Militärdienst unter anderem Kriegsverbrechen umfassen würde) mit einem Konventionsgrund in Zusammenhang stehe. Es sei Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen (vgl. dazu zuletzt VwGH 15.4.2024, Ra 2024/14/0139, mwN).
Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat je nach den individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung stellt im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. nochmals VwGH Ra 2024/14/0139, mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung nämlich im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 22.2.2023, Ra 2022/14/0270, mwN).
9 Die vorliegende Revision vermag eine vom Verwaltungsgerichtshof nach diesem Maßstab aufzugreifende Unvertretbarkeit nicht aufzuzeigen. Das BVwG verschaffte sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und befasste sich mit dessen individueller Situation in Bezug auf den Herkunftsstaat. Anhand der dazu getroffenen Feststellungen hat es das Vorliegen einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des Revisionswerbers durch das syrische Regime in einer den konkreten Einzelfall betreffenden Beurteilung in vertretbarer Weise verneint (siehe zuletzt etwa auch VwGH 11.6.2024, Ra 2023/18/0398, mwN).
10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 22. August 2024