Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätinnen Dr. inSembacher und Mag. Dr. Kusznier als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 2025, W169 2292096-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: S I), zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte stellte am 22. Mai 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen brachte er vor, er sei Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya und in Bangladesch geboren, seine Eltern seien jedoch aus Myanmar geflohen. Er habe keinen Aufenthaltstitel für Bangladesch und sei aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit geschlagen worden. Der Mitbeteiligte gab zunächst an, Staatsangehöriger von Myanmar zu sein, sodann über keine Staatsangehörigkeit zu verfügen.
2Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Amtsrevisionswerber bzw. BFA) vom 19. März 2024 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen, kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Bangladesch zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
3 Begründend wurde soweit für das Revisionsverfahren relevant ausgeführt, die Feststellung, dass der Mitbeteiligte Staatsangehöriger von Bangladesch sei, gründe auf den plausiblen Angaben des Mitbeteiligten sowie dem die Glaubhaftigkeit entbehrenden Fluchtvorbringen bezüglich der Ausreise aus Bangladesch und der behaupteten Ausreise der Eltern aus Myanmar. Die widersprüchlichen Angaben des Mitbeteiligten im Rahmen der polizeilichen Erstbefragung, dass seine Eltern und somit auch er Staatsangehörige Myanmars seien, seien nicht überzeugend und als versuchte Identitätsverschleierung zu sehen, mit dem Ziel, ein erhöhtes Schutzbedürfnis zu konstruieren.
4Mit dem angefochtenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) wurde der Bescheid des BFA über die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, aus den von der Behörde getroffenen Ermittlungen könne auf die Staats- und Volksgruppenangehörigkeit des Mitbeteiligten nicht geschlossen werden. Den beweiswürdigenden Erwägungen der Behörde, mit deren Schlüssigkeit sich das BVwG im Rahmen der Beweiswürdigung im Detail auseinandersetzte, mangle es an einer nachvollziehbaren Logik. Der Mitbeteiligte habe sich durchgehend als Staatsangehöriger von Myanmar bzw. „allenfalls als staatenlos“ bezeichnet. Es sei nicht verständlich, woraus das BFA schließe, dass der Mitbeteiligte kein Rohingya und kein Staatsangehöriger von Myanmar bzw. umgekehrt ein Staatsangehöriger von Bangladesch und ethnischer Bengale sei. Es wäre Aufgabe der Behörde gewesen, auf die Beantwortung aller zum vorgelegten Familienbuch gestellten Fragen hinzuwirken, zumal auch der Behörde bewusst sein habe müssen, dass die Konfrontation des Revisionswerbers mit gleich mehreren Fragen auf einmal wenig zielführend sei. Die belangte Behörde habe auch keine länderkundlichen Ermittlungsschritte zum vom Mitbeteiligten vorgelegten Familienbuch und dem nicht näher beschriebenen „rosafarbenen Zettel“ unternommen. Angaben von Dolmetschern seien kein geeignetes Beweismittel für den Nachweis einer Staats- oder Volksgruppenzugehörigkeit, vielmehr hätte die Behörde stattdessen einen spezialisierten Sachverständigen beizuziehen gehabt. Das BFA habe im angefochtenen Bescheid „durch eine gänzlich untaugliche Beweiswürdigung“ die vom Mitbeteiligten angegebene Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit verneint, obwohl sie diese Angabe selbst zuvor noch mit hoher Wahrscheinlichkeit als wahr erachtet habe.
6Dagegen erhob das BFA die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, dass kein eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigender Ermittlungsmangel vorgelegen sei, sodass das BVwG von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei.
7 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.
9Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Rahmen zu beschränken ist.
10Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
11Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. zum Ganzen VwGH 20.9.2024, Ra 2024/14/0219, mwN).
12Das BVwG stützte im gegenständlichen Fall die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG getroffene Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass das BFA seine Feststellung, der Mitbeteiligte sei Staatsangehöriger von Bangladesch, in Anbetracht früher erfolgter Ermittlungen und der vom Mitbeteiligten getätigten Aussagen mangelhaft begründet habe. Damit bezieht sich das BVwG erkennbar auf die im Bescheid vom 19. März 2024 zu diesem Thema enthaltene Beweiswürdigung. Es trifft zu, dass sich die diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen der Behörde insofern als unschlüssig darstellen, als nicht nachvollziehbar ist, wie die belangte Behörde (offenbar primär) aufgrund des vom Mitbeteiligten gesprochenen Dialekts und des mangelnden Detailwissens zur Ausreise der Eltern des Mitbeteiligten aus Myanmar zur Auffassung gelangt ist, dass es sich beim Mitbeteiligten um einen Staatsangehörigen von Bangladesch und ethnischen Bengalen handelt, zumal die belangte Behöre im Zuge des Verfahrens zunächst selbst davon ausging, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Staatsangehörigen Myanmars handle.
13Diese der Beweiswürdigung der belangten Behörde anhaftenden Mängel berechtigten das Bundesverwaltungsgericht aber nicht zu einer Vorgangsweise nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung nämlich bereits wiederholt betont, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (vgl. VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007, mwN).
14 Im vorliegenden Fall wurde der Mitbeteiligte mehrfach sowohl in den Sprachen Rohingya und Bengali einvernommen und zu seiner Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit befragt. Ebenso wurden Ermittlungen in Hinblick auf allenfalls vorhandene Identitätsdokumente durchgeführt. Es gab im vorliegenden Fall somit keinen Grund, allein aufgrund der mangelhaften Beweiswürdigung darauf zu schließen, dass dem vorangegangenen behördlichen Verfahren im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes solche krassen Ermittlungsmängel anhafteten, die die Zurückverweisung gerechtfertigt hätten.
15Vorliegend wäre es daher Sache des BVwG gewesen, die für notwendig erachtete (ergänzende) Vernehmung des Mitbeteiligten dazu sowie die allfällige Einholung länderkundlicher Berichte zu dem vom Mitbeteiligten vorgelegten Dokument selbst nachzuholen, allenfalls ein entsprechendes Sachverständigengutachten zum Sprachgebrauch des Mitbeteiligten einzuholen und hierbei (allfällige) Ergänzungen des Sachverhaltes selbst vorzunehmen. Die bloße Unterlassung einer mündlichen Vernehmung des Mitbeteiligten durch das BFA zu den vorgelegten Dokumenten sowie der Einholung länderkundlicher Berichte oder eines allenfalls erforderlichen Sachverständigengutachtens zum Sprachgebrauch berechtigte das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls nicht zur Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an das BFA (vgl. etwa VwGH 20.9.2024, Ra 2024/14/0219; VwGH 15.3.2021, Ra 2020/20/0376 zur Notwendigkeit der Ergänzung von Länderberichten; VwGH 26.6.2020, Ra 2020/14/0155 zur Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens; jeweils mwN).
16Soweit das Verwaltungsgericht die Auffassung vertritt, dass eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BVwG nicht im Sinn des Gesetzes sei, ist dem zu entgegnen, dass einem solchen Verständnis die Anordnung des § 28 VwGVG mit seiner grundsätzlichen Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache entgegensteht. Auch aus dem Hinweis betreffend die Verkürzung des Rechtsweges ist für den angefochtenen Beschluss nichts zu gewinnen, hat doch der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass es der Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht, einen neuerlichen Instanzenzug durch kassierende Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes zu vermeiden (vgl. erneut VwGH 20.9.2024, Ra 2024/14/0219, mwN).
17Das BVwG hat auch nicht dargelegt bzw. ist in keiner Weise zu sehen, dass die (allfällige) Vervollständigung der Tatsachengrundlage durch das BVwG selbst fallbezogen mit besonderen - ausnahmsweise eine Zurückverweisung rechtfertigenden - Schwierigkeiten verbunden (gewesen) wäre (vgl. erneut VwGH 20.9.2024, Ra 2024/14/0219, mwN). Eine derartige erhebliche Verzögerung kann auch im Falle einer Abtretung an eine andere Gerichtsabteilung verglichen mit einem neuerlichen Instanzenzug nicht erkannt werden.
18Nach dem Gesagten lagen die Voraussetzungen für eine Aufhebung des vor dem BVwG bekämpften Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an den Amtsrevisionswerber durch das BVwG gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor.
19Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am 4. Dezember 2025
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