Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den am 26. Juni 2019 mündlich verkündeten und mit 20. Februar 2020 schriftlich ausgefertigten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, W131 2163034 1/31E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: A B in X ), zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 28. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte er vor, aufgrund seiner Tätigkeit als Soldat von den Taliban bedroht worden zu sein.
2 Mit Bescheid vom 31. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Weiters legte es die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde.
4 Im Anschluss an die Verhandlung über die Beschwerde des Mitbeteiligten am 26. Juni 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit mündlich verkündetem Erkenntnis hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, behob mit mündlich verkündetem Beschluss aber in allen übrigen Spruchpunkten den Bescheid und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für unzulässig.
5 Den angefochtenen Beschluss begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht einmal ansatzweise ermittelt habe, ob der Mitbeteiligte aufgrund seiner dauerhaften Drogenkonsumation in Afghanistan einem realen Risiko einer Art. 3 EMRK Verletzung ausgesetzt sei. Es habe den Mitbeteiligten trotz regelmäßigen Suchtmittelkonsums als gesund attestiert. Zur Beurteilung des Gesundheitszustandes des Mitbeteiligten hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl „sachverständige Beweismittel“ aufnehmen müssen.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorrang der Sachentscheidung abgewichen. Entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts habe man den Mitbeteiligten zu seinem Gesundheitszustand und Drogenkonsum befragt. Eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes müsse sich erst in der Zeit nach Beschwerdeerhebung ergeben haben. Es liege kein Ermittlungsmangel vor, der eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen würde, wenn Ermittlungen erst infolge der seit Beschwerdeerhebung verstrichenen Zeit erforderlich werden würden. Auch die Einholung eines Gutachtens rechtfertige im Allgemeinen nicht die Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, weil die Einholung eines Gutachtens durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit liege.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision erweist sich angesichts ihres Vorbringens zur Unzulässigkeit der vorgenommenen Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG als zulässig.
9 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Rahmen zu beschränken ist.
10 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
11 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. zum Ganzen VwGH 30.3.2020, Ra 2019/14/0580, mwN).
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt ausgesprochen, dass sich zwar im Rahmen der Verhandlung herausstellen kann, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreichen, der eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt. Eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtensbeziehungsweise Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens kann im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0172; 12.4.2018, Ra 2017/04/0061, mwN). Die Anordnung der Ergänzung oder Einholung eines Sachverständigengutachtens ist vom Verwaltungsgericht vorzunehmen, weil dies im Interesse der Raschheit liegt (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/01/0287, mwN).
13 Im vorliegenden Fall ergibt sich nicht, dass vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung die Voraussetzungen einer Kassation des angefochtenen Bescheides nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorlagen.
14 Im Revisionsfall begründete das Bundesverwaltungsgericht die mit dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG damit, dass die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde selbst trotz protokollierten regelmäßigen Drogenkonsums des Mitbeteiligten nicht einmal ansatzweise gehörig unter Beiziehung von entsprechenden Medizinern ermittelt habe, „ob der Mitbeteiligte wegen des Drogenkonsums und damit dieser Suchterkrankung bei einer Verbringung nach Afghanistan wegen seines persönlichen Leistungskalküls als der diesbezüglich evidenten persönlichen Eigenschaft in eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Lage versetzt werde“.
15 Die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Krankheit des Mitbeteiligten aufgrund seines Drogenkonsums und ein daraus resultierender tatsächlich fehlender Zugang zu einer Behandlung im Herkunftsstaat oder Einschränkungen bei der Erwerbsfähigkeit könnte die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unter den zu prüfenden Voraussetzungen begründen (vgl. dazu auch VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0172, mwN). Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Mitbeteiligten vor Bescheiderlassung im Rahmen seiner Einvernahme im Jahr 2016 zu seinem Drogenkonsum befragt und gab es der Mitbeteiligte an, regelmäßig Drogen (Marihuana) zu konsumieren. Befragt zu seinem Gesundheitszustand machte er Angaben zu Zahnschmerzen, die sich nach Entfernung von Zähnen gebessert hätten. Davon ausgehend lässt das Verwaltungsgericht jegliche Begründung vermissen, aufgrund welcher Anhaltpunkte vor dem Hintergrund der damals getätigten Aussagen des Mitbeteiligten die Einholung eines medizinischen Gutachtens indiziert gewesen wäre.
16 Zu Recht verweist die Revision darauf, dass seit Bescheiderlassung und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nahezu zwei Jahre vergangen sind und eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes damit möglich wäre.
17 Wenn das Verwaltungsgericht im Zuge der Verhandlung einen anderen durch den fortgesetzten Drogenkonsum verursachten gesundheitlichen Zustand wahrnimmt, wäre das Bundesverwaltungsgericht im Lichte der obengenannten Rechtsprechung somit verpflichtet gewesen, auf die bisherigen Ermittlungsergebnisse des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aufzubauen und allenfalls notwendige, ergänzende Ermittlungen fallbezogen etwa die Einholung eines medizinischen Gutachtens selbst durchzuführen.
18 Im vorliegenden Fall können daher weder krasse bzw. gravierende Ermittlungslücken im Zusammenhang mit dem behördlichen Verfahren erkannt noch konstatiert werden, dass eine Ergänzung des bereits festgestellten Sachverhalts durch das Bundesamt anstelle des Bundesverwaltungsgerichts im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Damit rechtfertigt die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Begründung keine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG.
19 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
Wien, am 26. Juni 2020
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