JudikaturVwGH

Ra 2025/09/0032 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
27. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Doblinger sowie den Hofrat Mag. Feiel und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die außerordentliche Revision des A B, in C, vertreten durch Mag. Dr. Martin Dercsaly, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. März 2025, W136 23074221/5Z, betreffend Aussetzung des Verfahrens gemäß §§ 38 AVG, 17 VwGVG i.A. vorläufige Dienstenthebung gemäß § 40 Abs. 1 Heeresdisziplinargesetz 2014 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Kommandant der Heerestruppenschule), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber ist Soldat und gehört dem Bundesheer aufgrund eines öffentlich rechtlichen Dienstverhältnisses zum Bund an.

2Mit dem ihm unstrittig am 22. Jänner 2025 zugestellten Bescheid seines Disziplinarvorgesetzten (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) wurde ihm gegenüber gemäß § 40 Abs. 1 Z 2 Heeresdisziplinargesetz 2014 (HDG 2014) die vorläufige Dienstenthebung verfügt.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

4Mit dem angefochtenen Beschluss vom 31. März 2025 setzte das Verwaltungsgericht das Verfahren „bis zur Vorlage einer Beschwerde gegen die Entscheidung der Bundesdisziplinarbehörde über die (endgültige) Dienstenthebung bzw. mangels einer solchen Beschwerde bis zum Eintritt der Rechtskraft einer solchen Entscheidung gemäß §§ 38 AVG, 17 VwGVG“ aus. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.

5 Das Verwaltungsgericht begründete seinen Beschluss zusammengefasst dahingehend, dass mit der Zustellung der Entscheidung über die Suspendierung die vorläufige Suspendierung eines Beamten ende. Sei zu diesem Zeitpunkt das Disziplinarverfahren noch anhängig, und stehe nicht fest, ob die durch die Suspendierung ausgelöste Kürzung der Bezüge aufrecht bleibe, habe der Beamte weiterhin ein rechtliches Interesse an der Aufhebung der mit dem Bescheid bewirkten Bezugskürzung.

6Um beurteilen zu können, ob der Revisionswerber weiterhin ein rechtliches Interesse an der Aufhebung des die vorläufige Dienstenthebung verfügenden Bescheides habe, müsse daher feststehen, ob gegen ihn durch die Bundesdisziplinarbehörde oder das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig eine (endgültige) Dienstenthebung verhängt werde. Von der Anhängigkeit eines Verfahrens über die (endgültige) Dienstenthebung bei der Bundesdisziplinarbehörde sei auszugehen, sei die vorläufige Dienstenthebung dieser doch gemäß § 40 Abs. 3 HDG 2014 unverzüglich mitzuteilen. Erst nach Vorlage einer Beschwerde gegen die Entscheidung der Bundesdisziplinarbehörde über die (endgültige) Dienstenthebung an das Bundesverwaltungsgericht bzw. Kenntnis des Bundesverwaltungsgerichts über die Rechtskraft einer solchen Entscheidung könne das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses endgültig beurteilt werden, weshalb das Beschwerdeverfahren entsprechend auszusetzen gewesen sei.

7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende außerordentliche Revision. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

8 Die Zulässigkeit der Revision wird unter anderem im Wesentlichen damit begründet, dass der Revisionswerber unabhängig vom Ausgang des anhängigen Disziplinarverfahrens und ungeachtet ihres interimistischen Charakters ein rechtliches Interesse an der gesonderten Überprüfung der gegen ihn verhängten Disziplinarmaßnahme habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist aus den angesprochenen Gründen zulässig. Sie ist auch begründet.

10Die maßgeblichen Bestimmungen des Heeresdisziplinargesetzes 2014 (HDG 2014), BGBl. I Nr. 2/2014, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 77/2024, lauten (auszugsweise):

„Dienstenthebung

Voraussetzungen, Zuständigkeit und Dauer

§ 40. (1) Der Disziplinarvorgesetzte hat die vorläufige Dienstenthebung eines Soldaten, der dem Bundesheer auf Grund eines Dienstverhältnisses angehört, zu verfügen, sofern

1. über diesen Soldaten die Untersuchungshaft verhängt wurde oder

2. das Ansehen des Amtes oder wesentliche Interessen des Dienstes, insbesondere die Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung, wegen der Art einer diesem Soldaten zur Last gelegten Pflichtverletzung durch seine Belassung im Dienst gefährdet würden.

(2) ...

(3) Jede vorläufige Dienstenthebung ist von dem Organ, das diese Maßnahme verfügt hat, unverzüglich der Bundesdisziplinarbehörde mitzuteilen. Fallen die für die vorläufige Dienstenthebung maßgebenden Umstände vor dieser Mitteilung weg, so hat dieses Organ die vorläufige Dienstenthebung unverzüglich aufzuheben. Die Bundesdisziplinarbehörde hat mit Beschluss die Dienstenthebung zu verfügen oder nicht zu verfügen. Die vorläufige Dienstenthebung endet jedenfalls mit dem Tag, an dem dieser Beschluss dem Betroffenen zugestellt wird.

(4) Ist bei der Bundesdisziplinarbehörde oder beim Bundesverwaltungsgericht bereits ein Verfahren anhängig, so ist gegen den Beschuldigten wegen der diesem Verfahren zugrunde liegenden Pflichtverletzung eine vorläufige Dienstenthebung nicht zulässig. In diesem Fall hat bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 jedenfalls die Bundesdisziplinarbehörde unmittelbar die Dienstenthebung zu verfügen.

...

Bezugskürzung

§ 41. (1) Jede durch Beschluss der Bundesdisziplinarbehörde verfügte Dienstenthebung hat die Kürzung der jeweiligen Dienstbezüge auf zwei Drittel für die Dauer der Enthebung zur Folge. Die Bundesdisziplinarbehörde kann diese Kürzung

1. auf Antrag des Enthobenen oder des Disziplinaranwaltes oder

2. von Amts wegen

vermindern oder aufheben, soweit dies unbedingt erforderlich ist zur Aufrechterhaltung des notwendigen Lebensunterhaltes des Enthobenen und seiner Familienangehörigen, für die er sorgepflichtig ist.

...

Verfahren

§ 42. (1) Auf das Verfahren über die vorläufige Dienstenthebung sind die Bestimmungen über das abgekürzte Verfahren im Kommandantenverfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass

1. dieses Verfahren auch ohne Vorliegen der hiefür normierten Voraussetzungen zulässig ist und

2. im Falle des § 40 Abs. 1 Z 2 die Gefährdung des Ansehens des Amtes oder wesentlicher Interessen des Dienstes zu begründen ist.

...“

11Nach dem, gemäß § 17 VwGVG in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anzuwendenden, § 38 AVG ist das Verwaltungsgericht grundsätzlich berechtigt, Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, selbst zu beurteilen und diese Beurteilung seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

12Ein solcher gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 38 AVG ergangener Aussetzungsbeschluss ist keine bloß verfahrensleitende Entscheidung im Sinn des § 25a Abs. 3 VwGG. Er unterliegt daher auch nicht dem Revisionsausschluss nach dem ersten Satz dieser Bestimmung (vgl. etwa VwGH 30.9.2021, Ra 2021/09/0174, mwN).

13Im gegebenen Fall kann einerseits die vom Disziplinarvorgesetzten auszusprechende vorläufige Dienstenthebung vom Beamten direkt beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden, andererseits ist die vorläufige Dienstenthebung auch unverzüglich der Bundesdisziplinarbehörde mitzuteilen, die eine Dienstenthebung zu verfügen oder nicht zu verfügen hat. Eine Überprüfung der Zulässigkeit der vorläufigen Dienstenthebung bis zu ihrer Beendigung findet durch die Entscheidung der Bundesdisziplinarbehörde nicht statt. Diese Rechtsschutzlücke schließt die Rechtsmittelmöglichkeit gegen die vorläufige Dienstenthebung (vgl. ausführlich VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0251, insbes. Rn. 71 ff, zu den insoweit vergleichbaren Bestimmungen des BDG 1979, fiel doch auch im Heeresdisziplinarrecht mit der Novelle BGBl. I Nr. 181/2013 der davor gegebene Rechtsmittelausschluss betreffend vorläufige Dienstenthebungen weg [siehe dazu auch ErläutRV 2200 BlgNR 24. GP 13]).

14 Das Verwaltungsgericht begründete seine Aussetzungsentscheidung damit, dass erst nach Vorliegen einer Entscheidung der Bundesdisziplinarbehörde über die (endgültige) Dienstenthebung das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses hinsichtlich der vorläufigen Dienstenthebung „endgültig“ beurteilt werden könne.

15Diese Begründung ist verfehlt, weil bereits vor einer Entscheidung der Bundesdisziplinarbehörde das Rechtsschutzinteresse des Beamten an einer Entscheidung über seine gegen eine vorläufige Dienstenthebung erhobene Beschwerde besteht, kommt doch dem Beamten das Recht zu, dass diese im Heeresdisziplinargesetz 2014 vorgesehene Maßnahme gegen ihn nur bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen erlassen wird. Dies ungeachtet des vorläufigen Charakters dieser Dienstenthebung und dass es nach endgültiger Beendigung des Disziplinarverfahrens zu einem Wegfall der Beschwer kommen mag (siehe dazu etwa VwGH 9.10.2024, Ra 2024/09/0054, Rn. 14).

16 Der vom Verwaltungsgericht eingenommene Standpunkt würde hingegen dazu führen, dass dem Rechtsmittelwerber eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Enthebung während ihrer Wirksamkeit verwehrt würde. Dies liefe darauf hinaus, dass die durch die unmittelbare Anfechtbarkeit der vorläufigen Dienstenthebung eingeräumte Rechtsschutzmöglichkeit ins Leere liefe oder auf eine Kontrolle im Nachhinein beschränkt würde.

17Der durch eine Entscheidung in einem anderen Verfahren allenfalls eintretende Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses in diesem Verfahren ist in diesem Verfahren keine Vorfrage, die als Hauptfrage im anderen Verfahren entschieden wird, und eine Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG rechtfertigen könnte. Die hier zu entscheidende Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung stellt nämlich keine Vorfrage im Sinn des § 38 AVG dar, die bei der Entscheidung über die von der Bundesdisziplinarbehörde zu verfügende Dienstenthebung zu klären wäre.

18 Das Verwaltungsgericht hätte sein Verfahren daher nicht bis zu einer Entscheidung der Bundesdisziplinarbehörde über eine Dienstenthebung aussetzen dürfen, sondern es hätte über die Beschwerde gegen die vorläufige Dienstenthebung zu entscheiden gehabt.

19Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte belastete es seinen Beschluss mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

20Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. August 2025