JudikaturVwGH

Ra 2025/08/0031 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
20. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision der A G, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit Partnerschaft in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Februar 2025, W198 2297155 1/7E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Schloßhofer Straße), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1Mit Bescheid der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) vom 26. Juni 2024 wurde ausgesprochen, dass die Revisionswerberin gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum von 42 Tagen ab dem 6. Juni 2024 ihren Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe, weil sie das Zustandekommen einer vom AMS zugewiesenen Beschäftigung vereitelt habe. Nachsicht werde nicht erteilt.

2 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Sie brachte vor, an Alkoholsucht zu leiden und am Tag des Vorauswahlverfahrens sowie in den darauffolgenden Tagen nicht in der Lage gewesen zu sein, sich zu melden oder bei der Vorauswahl zu erscheinen. Sie habe bereits drei Therapien absolviert und am 9. Juli 2024 eine Bewilligung für eine Langzeittherapie bekommen.

3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 23. Juli 2024 wies das AMS die Beschwerde als unbegründet ab. Die von der Revisionswerberin angegebene „Alkoholproblematik“ sei dem AMS bekannt, eine Krankmeldung liege für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum aber nicht vor. Die Revisionswerberin habe dem AMS auch nach Kenntnisnahme des Vermittlungsvorschlags nicht bekannt gegeben, dass ihr auf Grund ihrer Suchterkrankung eine Teilnahme am Tag der Vorauswahl nicht möglich sei. Der Revisionswerberin hätte bewusst gewesen sein müssen, welche Auswirkungen die vermehrte Alkoholeinnahme auf sie habe und sie hätte Vorkehrungen treffen müssen, um den Termin einzuhalten.

4 Die Revisionswerberin stellte einen Vorlageantrag, in dem sie einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stellte. In einem ergänzenden Schriftsatz zum Vorlageantrag führte sie aus, sie habe nicht vorab bekannt geben können, ob ihr eine Teilnahme am Tag des Vorauswahlverfahrens möglich sei, weil bei ihr „psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“, nämlich Abhängigkeits und Entzugssyndrom (F10.2 und F10.3), sowie Zyklothymia (F34.0) und episodisch paroxysmale Angst (F41.0) diagnostiziert worden seien. Diese Erkrankungen könne sie nicht nach Belieben steuern oder planen und ihr könne daher auch kein vorsätzliches Handeln vorgeworfen werden.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

6 Das Bundesverwaltungsgericht stellte soweit für das Revisionsverfahren relevant fest, der Revisionswerberin sei am 24. Mai 2024 ein Vermittlungsvorschlag als Service Center Mitarbeiterin vom AMS übermittelt worden, aus dem hervorgegangen sei, dass die Bewerbung im Rahmen einer am 5. Juni 2024 stattfindenden Vorauswahl persönlich zu erfolgen habe. Die Revisionswerberin sei zu dieser Vorauswahl nicht erschienen, weil sie alkoholabhängig sei und auf Grund von Alkoholkonsum nicht in der Lage gewesen sei, an der Vorauswahl teilzunehmen.

7 Die Beschäftigung als Service-Center Mitarbeiterin sei der Revisionswerberin objektiv zumutbar gewesen. Sie sei daher verpflichtet gewesen, sich in geeigneter Weise auf den zugewiesenen Vermittlungsvorschlag zu bewerben. Durch ihr Verhalten habe sie das Zustandekommen einer vom AMS angebotenen, kollektivvertragskonformen Beschäftigung vereitelt. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen lägen nicht vor.

8 In dem mit „Beweiswürdigung“ überschriebenen Abschnitt führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das Alkoholproblem der Revisionswerberin sei dem AMS bekannt. Es werde nicht verkannt, dass es sich bei Alkoholabhängigkeit um eine Erkrankung handle, allerdings liege für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum keine Krankmeldung der Revisionswerberin vor. Der Umstand, dass die Revisionswerberin Alkoholikerin sei, könne sie nicht davon befreien, Anstrengungen zu unternehmen, um ihre Arbeitslosigkeit zu beenden. Sie unterliege diesbezüglich derselben Verpflichtung, sich für zugewiesene Vermittlungsvorschläge zu bewerben, wie alle anderen arbeitsuchenden Personen. Der Termin für die Vorauswahl sei der Revisionswerberin mehr als eine Woche im Vorhinein bekannt gegeben worden, weshalb sie Vorkehrungen hätte treffen müssen, um diesen Termin einzuhalten. Aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. März 2000, 99/08/0159, ergebe sich, dass sich eine alkoholkranke Person während eines Dienstverhältnisses vom Alkohol fernzuhalten habe. Dies müsse ebenso für das Bewerbungsverfahren gelten. Zudem erkläre sich die Revisionswerberin trotz ihrer Alkoholabhängigkeit für arbeitsfähig und beziehe seit Jahren Notstandshilfe. Eine generelle Termin oder Arbeitsunfähigkeit habe sie nicht vorgebracht, weshalb sie verpflichtet gewesen sei, zu der Vorauswahl zu erscheinen.

9 In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgerichtnach Zitierung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Tatbestand der Vereitelung im Sinn des § 10 Abs. 1 AlVGaus, die Revisionswerberin habe eine Vereitelungshandlung gesetzt, weil sie nicht zu der Vorauswahl erschienen sei und dadurch ihren Unwillen, die angebotene Beschäftigung anzutreten, deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Sie habe mit bedingtem Vorsatz im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehandelt, weil ihr hätte bewusst sein müssen, dass ihr Nichterscheinen das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zur Folge habe. Die Revisionswerberin habe durch ihr Verhalten das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses in Kauf genommen, womit die Erfüllung des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 AlVG sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht zu bejahen sei.

10Nach Darstellung der Rechtsprechung zu den Nachsichtsgründen gemäß § 10 Abs. 3 AlVG kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass weder der festgestellte Sachverhalt noch der vorgelegte Verwaltungsakt Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Gründe bieten würden.

11Das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass der maßgebliche Sachverhalt durch die Aktenlage hinreichend geklärt und auch keine komplexe Rechtsfrage zu lösen gewesen sei. In der Beschwerde seien keine noch zu klärenden Tatsachenfragen in konkreter und substantiierter Weise aufgeworfen worden. Dem Absehen von der Verhandlung stünden auch Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC nicht entgegen.

12Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

14Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem das AMS eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

15 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Abweichens von der Rechtsprechung Verwaltungsgerichtshofesvor, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt, obwohl die Revisionswerberin „civil rights“ im Sinn des Art. 6 EMRK geltend gemacht habe und der Annahme des AMS, sie habe den Vorauswahltermin vorsätzlich nicht wahrgenommen, in ihrem ergänzenden Schriftsatz zum Vorlageantrag entgegengetreten sei. Es lägen abgesehen von den Eingaben der Revisionswerberin keine Beweisergebnisse zur Frage der Zurechenbarkeit der Vereitelungshandlung bzw. zum Vorsatz der Revisionswerberin vor. Das Bundesverwaltungsgericht habe Vorsatz angenommen, ohne dazu die Revisionswerberin zu hören, Beweisergebnisse aufzunehmen und auf dieser Grundlage Feststellungen zu treffen.

16 Die Revision ist aus den dargelegten Gründen zulässig und auch berechtigt.

17Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert eine arbeitslose Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen bzw. unter näher umschriebenen Voraussetzungen acht Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

18Gemäß § 38 AlVG ist diese Bestimmung auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

19 Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns der arbeitslosen Person und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann von der Arbeitslosen abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmensomit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass die Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass sie den Erfolg ihrer (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung der Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht. Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten einer Vermittelten als Vereitelung im Sinn des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten der Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob die Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. etwa VwGH 30.8.2022, Ra 2021/08/0075, mwN). Erforderlich ist somit, dass das Nichtzustandekommen der Beschäftigung in einem darauf gerichteten oder dieses zumindest in Kauf nehmenden Verhalten der vermittelten Person seinen Grund hat (vgl. VwGH 17.2.2022, Ra 2020/08/0190, mwN).

20Eine arbeitslose Person ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 Abs. 1 AlVG dann nicht verhalten, sich zu bewerben, wenn und solange sie infolge Krankheit arbeitsunfähig ist. Darunter ist zu verstehen, dass einer arbeitslosen Person auf Grund einer akuten Erkrankungsomit eines vorübergehenden, die Arbeitsfähigkeit im Sinn des § 8 Abs. 1 AlVG nicht ausschließenden Leidenszustandeseine Bewerbung (aktuell) nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist. Trotz Fehlens einer Erkrankung, die bei objektiver Betrachtung die Teilnahme an einem Vorstellungsgespräch unmöglich oder unzumutbar macht, könnte ein (bedingt) vorsätzliches Handeln allerdings auch dann nicht angenommen werden, wenn die vermittelte Person darlegt, dass sie sich aus nachvollziehbaren Gründen für nicht in der Lage erachtet hat, auf Grund einer (akuten) Erkrankung zu einem Vorstellungsgespräch zu erscheinen (vgl. zum Ganzen erneut VwGH 17.2.2022, Ra 2020/08/0190, mwN).

21Im Revisionsfall ist die Frage strittig, ob das Nichterscheinen der Revisionswerberin zur Vorauswahl für die zugewiesene Stelle als qualifiziertes Verschulden in Form von (zumindest bedingtem) Vorsatz und damit als Vereitelung im Sinn des § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG gewertet werden kann.

22 Die Revisionswerberin brachte schon in ihrer Beschwerde vom 14. Juli 2024 vor, dass sie auf Grund ihrer Alkoholkrankheit mehrfach in Behandlung gewesen sei und ihr am 9. Juli 2024 eine Langzeittherapie bewilligt worden sei. Im ergänzenden Schriftsatz zum Vorlageantrag präzisierte sie dieses Vorbringen dahingehend, dass sie die bei ihr diagnostizierten Verhaltensstörungen durch Alkohol nicht „regulieren, planen oder steuern“ könne, weshalb es ihr entgegen den Ausführungen des AMS auch nicht möglich gewesen sei, ihr Nichterscheinen vorab zu melden oder die Auswirkungen vermehrter Alkoholeinnahme im Vorhinein abzuschätzen und ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Darüber hinaus liegt im Verwaltungsakt ein von der Revisionswerberin dem AMS übermittelter Patientenbrief ein, wonach die Revisionswerberin in der Zeit vom 17. Juli bis 31. August 2023 zur Behandlung ihrer Alkoholabhängigkeit stationär aufgenommen gewesen sei. Aus diesem Patientenbrief gehen auch die gestellten Diagnosen (u.a. „F10.2: Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom“ und „F10.3: Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Entzugssyndrom“) hervor. Zudem ist dem Verwaltungsakt auch ein „individueller Zwischenbericht“ der Wiener Berufsbörse vom 7. Dezember 2023 zu entnehmen, wonach die Revisionswerberin rückfällig geworden sei und einen erneuten stationären Aufenthalt in der Entzugsanstalt anstrebe.

23Das Bundesverwaltungsgericht stützte den Verlust des Anspruchs der Revisionswerberin auf Notstandshilfe darauf, dass diese den Tatbestand der Vereitelung im Sinn des § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt habe. Die diesbezüglichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts erschöpfen sich im Wesentlichen in einer Wiedergabe der Ausführungen des AMS in der Beschwerdevorentscheidung vom 23. Juli 2024, ohne auf das oben dargestellte und mit entsprechenden Unterlagen untermauerte Vorbringen der Revisionswerberin, wonach sie an einer nicht beherrschbaren Sucht mit konkret diagnostiziertem Krankheitswert leide, näher einzugehen. So führte das Bundesverwaltungsgericht zur Frage der subjektiven Vorwerfbarkeit lediglich aus, der Revisionswerberin hätte bewusst sein müssen, dass ihr Fernbleiben von dem ihr im Vorhinein bekannt gegebenen Vorauswahltermin zu einem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses führe. Eine solche Folge habe sie durch ihr Verhalten zumindest in Kauf genommen, womit ein bedingter Vorsatz zu bejahen sei. Der Revisionswerberin, die denselben Verpflichtungen hinsichtlich der Beendigung ihrer Arbeitslosigkeit unterliege wie alle anderen arbeitsuchenden Personen, sei anzulasten, sich nicht krank gemeldet und keine Vorkehrungen im Vorhinein getroffen zu haben, um den Vorauswahltermin einzuhalten.

24 Diese Ausführungen erweisen sich insbesondere im Hinblick auf das in Rn. 22 wiedergegebene Vorbringen und die dort angeführten Unterlagen, auf die im angefochtenen Erkenntnis nicht Bezug genommen wird als nicht ausreichend:

25 Abgesehen von der Feststellung, dass die Revisionswerberin „alkoholabhängig“ sei und auf Grund von „Alkoholkonsum“ nicht in der Lage gewesen sei, zum Vorauswahltermin zu erscheinen, traf das Bundesverwaltungsgericht keinerlei Feststellungen zur Krankheitsgeschichte der Revisionswerberin, ihrer körperlichen und psychischen Verfassung am Tag des Vorauswahltermins oder den konkreten Gründen ihres Nichterscheinens. Derartige Feststellungen waren jedoch zur Beurteilung der Frage, ob der Revisionswerberin zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen sei, mit Blick auf ihr Vorbringen zur Unbeherrschbarkeit ihrer Alkoholabhängigkeit erforderlich.

26 Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall auch maßgeblich von jenem, den das Bundesverwaltungsgericht in dem mit „Beweiswürdigung“ überschriebenen Abschnitt ins Treffen führt: Im zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. März 2000, 99/08/0159, unterlag das Vorbringen, das „Alkoholproblem“ sei als eine „nicht beherrschbare Sucht, als Krankheit“ einzustufen, dem Neuerungsverbot. Zudem lag die Vereitelungshandlung im genannten Fall nicht im Fernbleiben von einem Vorauswahltermin oder Vorstellungsgespräch, sondern in der Art, wie der dortige Beschwerdeführer sein Alkoholproblem im Vorstellungsgespräch zur Sprache brachte. Dass sich eine alkoholkranke Person, wie im genannten Erkenntnis ebenfalls festgehalten wurde, während eines Dienstverhältnisses und somit auch während eines Bewerbungsverfahrens vom Alkohol fernzuhalten habe, trifft zwar zu, beantwortet aber nicht die Frage, ob der Revisionswerberin das Nichterscheinen zum Vorauswahltermin im Sinn eines bedingten Vorsatzes subjektiv vorwerfbar war.

27 Das Bundesverwaltungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, sich mit dem Vorbringen der Revisionswerberin zur fehlenden Vorsätzlichkeit ihres Handelns auseinanderzusetzen und insbesondere auch nachvollziehbar zu begründen, weshalb der Revisionswerberin nicht nur sei es auch grobe Fahrlässigkeit, sondern zumindest bedingter Vorsatz in Bezug auf das Nichtzustandekommen der Beschäftigung vorzuwerfen sei.

28 Eine solche Annahme hätte das Bundesverwaltungsgericht wie die Revision zutreffend aufzeigt nicht treffen dürfen, ohne sich in einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Revisionswerberin zu verschaffen und die Umstände ihres Nichterscheinens zur Vorauswahl zu erörtern. Die Auswirkungen ihrer Alkoholabhängigkeit wurden schon in der Beschwerde und im ergänzenden Schriftsatz zum Vorlageantrag so konkret geltend gemacht, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht mit dem Hinweis, es seien keine noch zu klärenden Tatsachenfragen in konkreter und substantiierter Weise aufgeworfen worden, darüber hinweggehen hätte dürfen. Vielmehr hätte das Bundesverwaltungsgericht weitere Erhebungen durchführen müssen bzw. sich in der mündlichen Verhandlung selbst ein Bild von der Revisionswerberin machen und sie zu ihrer vom Bundesverwaltungsgericht auch festgestellten Alkoholabhängigkeit näher befragen müssen.

29Dass die Revisionswerberin laut ihrem eigenen Vorbringen außerhalb ihrer im Vorfeld nicht planbaren und nicht vorhersehbaren Suchtperioden im Sinn des § 8 AlVG arbeitsfähig und arbeitswillig ist, kann die erforderliche Auseinandersetzung mit der Frage des qualifizierten Verschuldens schon deshalb nicht ersetzen, weil nach der in Rn. 20 zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein vorübergehender, die Arbeitsfähigkeit im Sinn des § 8 Abs. 1 AlVG nicht ausschließender Leidenszustand auch für die im Rahmen des § 10 Abs. 1 AlVG vorzunehmende Prüfung, ob der arbeitslosen Person ein (bedingt) vorsätzliches Handeln überhaupt vorgeworfen werden kann, von Relevanz sein und einen solchen Vorsatz ausschließen kann.

30Sollten jedoch Zweifel entstehen, ob die Revisionswerberin überhaupt arbeitsfähig im Sinn des § 8 AlVG war, weil sie etwa generell nicht in der Lage war, eine geregelte Arbeitszeit einzuhalten, ein Vorstellungsgespräch zu führen und in den Arbeitsalltag einzusteigen (vgl. zu einem solchen Vorbringen VwGH 17.2.2022, Ra 2020/08/0190), so wäre diese Frage von Amts wegen zu prüfen (vgl. etwa VwGH 11.2.2021, Ra 2019/08/0172, mwN). Im Fall ihrer Verneinung käme ein Anspruchsverlust wegen des Nichterscheinens zur Vorauswahl von vornherein nicht in Betracht. Voraussetzung für ein Vorgehen gemäß § 10 AlVG ist nämlich, dass die arbeitslose Person überhaupt verfügbar nach § 7 AlVG somit insbesondere arbeitsfähigist. Eine Sanktion nach § 10 AlVG darf also vom AMS nicht verhängt werden, wenn (schon) die Verfügbarkeit nicht gegeben ist. Kommt das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren, dessen Sache ein Anspruchsverlust nach § 10 AlVG ist, zum Schluss, dass die Sanktion mangels Verfügbarkeit zu Unrecht verhängt wurde, muss es den bei ihm angefochtenen, den Anspruchsverlust nach § 10 AlVG aussprechenden Bescheid daher (schon aus diesem Grund) ersatzlos beheben (vgl. nochmals VwGH 17.2.2022, Ra 2020/08/0190, mwN). Es wäre aber in einem weiteren, vom AMS einzuleitenden Verfahren die Einstellung des Leistungsbezugs mangels Arbeitsfähigkeit zu prüfen.

31Das angefochtene Erkenntnis war aus den oben genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

32Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. August 2025