Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 27. Juni 2024 mündlich verkündete und mit 9. Juli 2024 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W600 2294137 1/44E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: B A, derzeit unbekannten Aufenthalts), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Mitbeteiligte, ein tunesischer Staatsangehöriger, hatte im Juli 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit dem unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25. März 2024 abgewiesen wurde, wobei unter einem eine Rückkehrentscheidung und wegen strafbarer Handlungen des Mitbeteiligten ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot gegen ihn erlassen wurde. Am Tag nach seiner Festnahme am 28. Mai 2024 stellte der Mitbeteiligte einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
2Nachdem mit Bescheid des BFA vom 29. Mai 2024 über den Mitbeteiligten nach dessen Einvernahme die Schubhaft verhängt worden war, wurde er am 10. Juni 2024 infolge eines Suizidversuchs wieder aus der Schubhaft entlassen und gemäß dem UbG in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses gebracht. Im Anschluss an seine Entlassung aus dem Krankenhaus wurde der Mitbeteiligte am 11. Juni 2024 aufgrund eines noch am Vortag erlassenen Festnahmeauftrags neuerlich festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum eingeliefert, wo er amtsärztlich untersucht wurde. Dabei wurde eine Anpassungsstörung diagnostiziert, die Medikation für den Mitbeteiligten festgehalten, insbesondere die Reduktion eines näher bezeichneten Medikaments vermerkt und die Haftfähigkeit des Mitbeteiligten festgestellt. Im Anhalteprotokoll wurde ferner handschriftlich angemerkt, dass der Mitbeteiligte laut der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses keine medizinische Betreuung mehr benötige und deshalb entlassen worden sei.
3Mit dem sofort in Vollzug gesetzten Mandatsbescheid vom 11. Juni 2024 verhängte das BFA über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.
4 Dagegen erhob der Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 21. Juni 2024 eine Schubhaftbeschwerde, der das BVwG mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2024 verkündeten und mit 9. Juli 2024 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 iVm § 22a Abs. 1 BFA VG insofern stattgab, als es den Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung des Mitbeteiligten ab 11. Juni 2024, 18:35 Uhr, für rechtswidrig erklärte (Spruchpunkt A.I.). Im Übrigen stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFAVG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen (Spruchpunkt A.II.) und wies die vom Mitbeteiligten und dem BFA gestellten Anträge auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG ab (Spruchpunkte A.III. und A.IV.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
5 In den Entscheidungsgründen stellte das BVwG soweit hier relevantfest, dass der Mitbeteiligte im Zeitpunkt der Inschubhaftnahme am 11. Juni 2024 an einer davor amtsärztlich diagnostizierten psychischen Erkrankung, nämlich einer medikamentös behandelten Anpassungsstörung, gelitten habe. Die Beschwerdestattgabe mit Spruchpunkt A.I. begründete das BVwG im Wesentlichen damit, dass es das BFA jedoch unterlassen habe, im angefochtenen Bescheid Feststellungen zum Gesundheitszustand des Mitbeteiligten zu treffen und seine psychische Erkrankung im Rahmen der notwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Unter Hinweis auf das Erkenntnis VwGH 27.4.2023, Ro 2020/21/0005, ging das BVwG davon aus, dass es sich dabei um einen nicht sanierbaren, wesentlichen Begründungsmangel handle, der den Schubhaftbescheid mit einer vom BVwG aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belaste.
6 Gegen „Spruchpunkte A.I., A.III. und A.IV.“ dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des BFA, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als nicht zulässig erweist.
7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 In dieser Hinsicht bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, der Vorwurf des BVwG, dass Feststellungen und eine rechtliche Auseinandersetzung des BFA mit dem Gesundheitszustand des Mitbeteiligten fehlen würden, sei aktenwidrig, weil sich das BFA mit den vorgebrachten Depressionen befasst habe und im Mandatsverfahren davon ausgehen habe dürfen, dass der Mitbeteiligte aufgrund des Inhalts des Verwaltungsakts im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten habe und subjektiv haftfähig gewesen sei.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass unzureichend begründete Schubhaftbescheide rechtswidrig und demzufolgenach Maßgabe der erhobenen Schubhaftbeschwerde für rechtswidrig zu erklären sind. Nicht jeder Begründungsmangel bewirkt jedoch Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, sondern nur ein wesentlicher Mangel. Das ist ein solcher, der zur Folge hat, dass die behördliche Entscheidung in ihrer konkreten Gestalt die konkret verhängte Schubhaft nicht zu tragen vermag (vgl. etwa VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0044, Rn. 22, mwN).
11Ob ein im Sinn des Gesagten wesentlicher Begründungsmangel vorliegt, ist stets eine Frage des Einzelfalls, daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. erneut VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0044, nunmehr Rn. 23, mwN).
12 Vorliegend führte das BFA in der Begründung des Bescheids vom 11. Juni 2024 aus, dass der Mitbeteiligte in den vorangegangenen Verfahren zwar angegeben habe, an Depressionen zu leiden und deshalb Medikamente einzunehmen, jedoch habe er im mittlerweile abgeschlossenen Verfahren über den (ersten) Antrag auf internationalen Schutz trotz Aufforderung diesbezüglich keine Beweismittel vorgelegt. Deshalb könnten dazu keine Feststellungen getroffen werden. Jedenfalls liege wie die amtsärztliche Untersuchung ergeben habe keine die Haftfähigkeit ausschließende gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung vor, wobei die Entlassung des Mitbeteiligten aus der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses damit begründet worden sei, dass eine medizinische Betreuung nicht mehr notwendig sei. Der Mitbeteiligte habe in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.
13 In Anbetracht dieser Ausführungen, in deren Rahmen das BFA ausdrücklich keine Feststellungen zur gesundheitlichen Verfassung des Mitbeteiligten traf und sowohl die im Zuge der von ihr erwähnten amtsärztlichen Untersuchung getroffene Diagnose als auch die im Anhalteprotokoll festgehaltene Medikation für den Mitbeteiligten außer Acht ließ, um sich lediglich auf die Haftfähigkeit des Mitbeteiligten zurückzuziehen, hat das BVwG in vertretbarer Weise angenommen, dass für die Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderliche Feststellungen über das Bestehen einer psychischen Erkrankung des Mitbeteiligten und deren Auswirkungen auf dessen Situation bei einer Anhaltung in Schubhaft im Polizeianhaltezentrum unterblieben sind. Daran ändert auch die Berufung in der Bescheidbegründung auf den im Anhalteprotokoll genannten Grund für die Entlassung aus dem Krankenhaus, nämlich dass der Mitbeteiligte keiner medizinischen Betreuung mehr bedürfe, nichts. Diesen Hinweis hat das BVwG angesichts der Diagnose laut Anhalteprotokoll und der dort angeführten Medikation nämlich jedenfalls vertretbar dahingehend interpretiert, dass lediglich eine weitere stationäre psychiatrische Behandlung des Mitbeteiligten in einem Krankenhaus nicht mehr erforderlich sei. Die in der Amtsrevision geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt somit nicht vor.
14 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das BFA lediglich insoweit auf die gesundheitliche Verfassung des Mitbeteiligten Bezug genommen, als es die Haftfähigkeit für gegeben erachtete und auf die jederzeitige Möglichkeit einer medizinischen Betreuung verwies.
15Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weist eine Bescheidbegründung, die sich mit dem Gesundheitszustand des Angehaltenen nur im Lichte der Haftfähigkeit, nicht jedoch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung befasst, einen wesentlichen, im Beschwerdeverfahren nicht sanierbaren und vom BVwG aufzugreifenden Begründungsmangel auf (vgl. etwa das schon vom BVwG als Beleg zitierte Erkenntnis VwGH 27.4.2023, Ro 2020/21/0005, Rn. 9/10, mwN).
16 Angesichts dessen, dass der Mitbeteiligte wegen eines Suizidversuchs in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses gebracht und bei ihm auch bei der amtsärztlichen Untersuchung vor der Schubhaftverhängung am 11. Juni 2024 eine medikamentös zu behandelnde psychische Erkrankung festgestellt wurde, ist nicht zu sehen (und die Revision vermag dies auch nicht konkret aufzuzeigen), dass das BVwG von der dargestellten Rechtsprechung, auf die sich das BVwG auch bezog, abgewichen wäre. Vielmehr bemängelte es zu Recht, dass sich das BFA vor dem dargestellten Hintergrund mit dem davor amtsärztlich diagnostizierten Gesundheitszustand des Mitbeteiligten nur unter dem Gesichtspunkt der Haftfähigkeit und nicht auch unter dem Aspekt der allfälligen Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft auseinandergesetzt hat.
17 Die Revision war daher nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 29. Jänner 2025