Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2024, W289 2256463 2/10E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: S H), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Gegen den 1978 geborenen Mitbeteiligten, einen marokkanischen Staatsangehörigen, der bereits mehrmals erfolglos gebliebene Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatte, wurden zuletzt im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 9. Juni 2022 unter anderem eine Rückkehrentscheidung und wegen seiner Straffälligkeit ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Zuletzt wurde ein weiterer Asylfolgeantrag des Mitbeteiligten im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des BVwG vom 10. November 2023 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
2 Am 21. März 2024 wurde der Mitbeteiligte festgenommen, um ihn am 23. März 2024 auf dem Luftweg nach Marokko abzuschieben. Nach einer amtsärztlichen Untersuchung am selben Tag wurden im Anhalteprotokoll sowohl die Haftfähigkeit als auch der Umstand festgehalten, dass „bei weiterer Anhaltung“ eine psychiatrische Behandlung erforderlich sei.
3Nachdem der Mitbeteiligte die geplante Abschiebung durch seine Weigerung, am Flughafen das Transportfahrzeug zu verlassen, vereitelt hatte und wieder in das Polizeianhaltezentrum zurückgebracht worden war, verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit dem sofort in Vollzug gesetzten Mandatsbescheid vom 23. März 2023 über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung. Im Rahmen der fortgesetzten Schubhaft trat der Mitbeteiligte am 26. März 2024 in einen Hungerstreik.
4 In der mit der Vorlage einer gegen den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung mit Schriftsatz vom 27. März 2024 erhobenen Beschwerde erstatteten Stellungnahme vom 28. März 2024 wies das BFA unter anderem darauf hin, dass am selben Tag „eine Heilbehandlung“ für den Mitbeteiligten wegen seines Hungerstreiks „genehmigt“ worden sei.
5Der dem BVwG vorgelegte „Gesundheitsakt“ enthält unter anderem ein Gutachten zu einer (über Ersuchen des BVwG) am 28. März 2024 durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung, in dem die Haftunfähigkeit des Mitbeteiligten festgestellt und dies mit seinem Zustand nach zwei Tagen Hungerstreik, dem Gewichtsverlust von einem Kilogramm bei einem schon zuvor reduzierten Ernährungszustand und seinem schlechten Allgemeinzustand begründet wurde. Ein weiteres amtsärztliches Gutachten vom selben Tag, in dem als Betreff „Maßnahme gem. § 76/6 FPG“ und „Überstellung in JA zur Heilbehandlung“ angeführt wurde, enthielt den Hinweis, dass aufgrund des „reduzierten Gesundheitszustandes“ des Mitbeteiligten infolge seines Hungerstreiks die Schubhaft nicht weiter vollzogen werden könne; eine sachgemäße Behandlung im Polizeianhaltezentrum sei nicht mehr gegeben und eine Überstellung zur Heilbehandlung in die Sonderkrankenanstalt einer näher genannten Justizanstalt angezeigt. Die Voraussetzungen gemäß § 78 Abs. 6 FPG sowie ein entsprechender schriftlicher Antrag des BFA lägen vor, wobei die Übernahme in die Sonderkrankenanstalt zur Heilbehandlung zugesagt und sämtliche Unterlagen betreffend den Mitbeteiligten bereits vorab übermittelt worden seien. Dessen Überstellung sei für den 2. April 2024 vorgesehen.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. März 2024 gab das BVwG der Schubhaftbeschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 iVm § 76 Abs. 2 Z 2 BFA VG statt, erklärte den angefochtenen Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung des Mitbeteiligten seit 23. März 2024 für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.), stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFAVG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen (Spruchpunkt A.II.) und traf gemäß § 35 VwGVG dem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen (Spruchpunkte A.III. und A.IV.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
7 In den Entscheidungsgründen stellte das BVwG unter anderem fest, dass der Mitbeteiligte nach einem Suizidversuch an COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) und Asthma leide und sich in einem Stadium nach Tuberkulose befinde. Hinsichtlich Spruchpunkt A.I. begründete das BVwG die Beschwerdestattgabe im Wesentlichen damit, dass das BFA im Schubhaftbescheid (lediglich) festgestellt habe, der Mitbeteiligte leide an keinen schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Erkrankungen, die einer Überstellung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Dem Verwaltungsakt sei keine Befragung des Mitbeteiligten zum Gesundheitszustand vor der Inschubhaftnahme zu entnehmen, obwohl der Mitbeteiligte in der (auch im Verfahrensgang des Bescheides vom 23. März 2024 wiedergegebenen) Einvernahme im Rahmen des zuletzt durchgeführten Asylverfahrens auf eine Verschlechterung seiner gesundheitlichen Verfassung hingewiesen und mehrere Befunde vorgelegt habe. Da die Erkrankungen des Mitbeteiligten insbesondere bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft nicht berücksichtigt worden seien, liege so das BVwG unter Berufung auf näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein wesentlicher Begründungsmangel vor, der den Bescheid und die darauf gegründete Anhaltung rechtswidrig mache.
8 Im Hinblick auf den negativen Fortsetzungsausspruch mit Spruchpunkt A.II. verwies das BVwG auf die Haftunfähigkeit des Mitbeteiligten wegen seines aktuellen Gesundheitszustandes, weshalb die weitere Anhaltung in Schubhaft nicht verhältnismäßig sei. Daran ändere auch die für 2. April 2024 geplante Überstellung des Mitbeteiligten zur Heilbehandlung in eine Justizanstalt nichts, würde doch dadurch die rechtswidrige Anhaltung in Schubhaft nur in unzulässiger Weise fortgesetzt werden.
9 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete vorliegende außerordentliche Amtsrevision des BFA erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als nicht zulässig.
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revision zusammengefasst geltend, der Vorwurf des BVwG, dass sich das BFA mit dem Vorbringen des Mitbeteiligten zu seinem Gesundheitszustand nicht befasst habe, sei aktenwidrig. Die diesbezügliche Annahme des BFA, dass der Mitbeteiligte an keiner schwerwiegenden Erkrankung leide, sei auf den Inhalt des Verwaltungsaktes gestützt worden, aus dem sich diese Tatsache mehrfach ergebe. Dazu verweist die Revision auf beweiswürdigende Ausführungen des BVwG in dem im letzten Asylfolgeverfahren ergangenen Erkenntnis vom 10. November 2023. Weiters wird in der Amtsrevision ergänzend auf die Feststellung der Haftfähigkeit des Mitbeteiligten im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung nach seiner Festnahme am 21. März 2024 sowie ferner darauf verwiesen, dass am 22. März 2024 auch die Flugtauglichkeit des Mitbeteiligten festgestellt worden sei. Es liege daher entgegen der Meinung des BVwG kein wesentlicher Begründungsmangel vor.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass unzureichend begründete Schubhaftbescheide rechtswidrig und demzufolgenach Maßgabe der erhobenen Schubhaftbeschwerde für rechtswidrig zu erklären sind. Nicht jeder Begründungsmangel bewirkt jedoch Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, sondern nur ein wesentlicher Mangel. Das ist ein solcher, der zur Folge hat, dass die behördliche Entscheidung in ihrer konkreten Gestalt die konkret verhängte Schubhaft nicht zu tragen vermag (vgl. etwa VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0044, Rn. 22, mwN).
14Ob ein im Sinn des Gesagten wesentlicher Begründungsmangel vorliegt, ist stets eine Frage des Einzelfalls, daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. erneut VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0044, nunmehr Rn. 23, mwN).
15In der Begründung des Bescheides vom 23. März 2024 beschränkte sich das BFA auf die Feststellung, dass der Mitbeteiligte an keinen einer Überstellung in den Herkunftsstaat entgegenstehenden schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Erkrankungen leide. Soweit in der Revision dazu auf die Ausführungen im Erkenntnis des BVwG vom 10. November 2023 sowie auf die am 21./22. März 2024 getroffene Feststellung der Haftfähigkeit und der Flugtauglichkeit hingewiesen wird, geht dieses Revisionsvorbringen an der Sache vorbei: Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann nämlich eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiert, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Unzulässigkeit von Schubhaft führen (vgl. etwa VwGH 30.3.2023, Ra 2020/21/0046, Rn. 9/10, mwN).
16Im Beschluss VwGH 29.1.2025, Ra 2024/21/0164, auf dessen Begründung (insbesondere Rn. 15) gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen wird, wurde unter Hinweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dargelegt, dass eine Bescheidbegründung, die sich mit dem Gesundheitszustand des Angehaltenen nur im Lichte der Haftfähigkeit, nicht jedoch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung befasst, einen wesentlichen, im Beschwerdeverfahren nicht sanierbaren und vom BVwG aufzugreifenden Begründungsmangel aufweist.
17 Das in der Revision ins Treffen geführte Erkenntnis des BVwG vom 10. November 2023 enthält ausführliche Feststellungen über die gesundheitliche Verfassung des Mitbeteiligten, wie sie großteils auch im angefochtenen Erkenntnis des BVwG enthalten sind, im Bescheid des BFA vom 23. März 2024 jedoch gänzlich fehlen, obwohl bei Wiedergabe des Verfahrensgangs in diesem Bescheid sogar Äußerungen des Mitbeteiligten über ernsthafte gesundheitliche Probleme zitiert wurden. Dass der Gesundheitszustand des Mitbeteiligten im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht außer Acht gelassen werden konnte, sondern darauf unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft konkret einzugehen gewesen wäre, zeigt auch das Anhalteprotokoll vom 21. März 2024, in dem dezidiert auf das Erfordernis einer psychiatrischen Behandlung im Falle einer weiteren Anhaltung hingewiesen wurde.
18 Vor diesem Hintergrund geht der in der Revision erhobene Vorwurf der Aktenwidrigkeit ins Leere. Vielmehr hat das BVwG in vertretbarer Weise angenommen, dass erforderliche konkrete (positive) Feststellungen über den gesundheitlichen Zustand des Mitbeteiligten im Schubhaftbescheid fehlen und eine diesbezügliche Auseinandersetzung des BFA im Zuge der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Unrecht unterblieben ist.
19 Darüber hinaus wendet sich die Revision gegen den negativen Fortsetzungsausspruch, der mit Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses getroffen wurde. Der Umstand, dass eine sachgemäße Behandlung im Polizeianhaltezentrum aus amtsärztlicher Sicht im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr gewährleistet gewesen sei, werde so die Revisionzwar nicht bestritten. Das BVwG habe jedoch nicht berücksichtigt, dass das BFA von dem in § 78 Abs. 7 FPG vorgesehenen gesetzlichen Mechanismus Gebrauch gemacht und am 28. März 2024 im Stande der Schubhaft die Bewachung des Mitbeteiligten im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Wien angeordnet habe. Damit habe das BFA bereits für eine hinreichende medizinische Betreuung, die vom BVwG im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen gewesen wäre, gesorgt.
20Dem ist entgegen zu halten, dass von einer Bewachung des Mitbeteiligten gemäß § 78 Abs. 7 FPG im AKH Wien weder in der Stellungnahme des BFA vom 28. März 2024 anlässlich der Beschwerdevorlage noch in dem amtsärztlichen Gutachten vom 28. März 2024, das eine Überstellung des Mitbeteiligten zur Heilbehandlung in eine Justizanstalt gemäß § 78 Abs. 6 FPG betraf und worauf sich das BFA in der genannten Stellungnahme offenbar bezog, die Rede war. Insofern stellt das erstmals in der Revision erhobene Vorbringen in Bezug auf eine (angebliche) Vorgangsweise gemäß § 78 Abs. 7 FPG aufgrund des § 41 VwGG eine unbeachtliche Neuerung dar.
21Das zuletzt erwähnte Gutachten vom 28. März 2024 enthielt lediglich die Information, dass eine Überstellung des Mitbeteiligten zur Heilbehandlung in eine Justizanstalt gemäß § 78 Abs. 6 FPG (erst) für den 2. April 2024 geplant gewesen sei. Demnach ist das BVwG vertretbar davon ausgegangen, dass die weitere Anhaltung bis zu diesem Zeitpunkt im Polizeianhaltezentrum hätte erfolgen sollen, was auf Basis der amtsärztlichen Einschätzungen (vgl. Rn. 5) zu Recht für unzulässig angesehen wurde. Auch hinsichtlich Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses vermag die Revision somit eine grundsätzliche Rechtsfrage nicht aufzuzeigen.
22 Die Revision war daher zur Gänze mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 29. Jänner 2025