Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Pichler als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des M D, vertreten durch die Gabler Nausch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juli 2024, W291 2285766 2/13E, betreffend Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein senegalesischer Staatsangehöriger, stellte am 17. Oktober 2015 nach seiner Einreise in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde im Beschwerdeweg vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nachdem es der Beschwerde mit (richtig:) Teilerkenntnis vom 19. Oktober 2018 die aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte mit Erkenntnis vom 22. Jänner 2019 vollinhaltlich abgewiesen. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Senegal zulässig sei.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Dezember 2018 bestätigt durch das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. Juni 2019wurde der Revisionswerber wegen sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag der Tatvorwurf zugrunde, der Revisionswerber habe eine näher genannte schlafende Frau unter Ausnutzung dieses Zustandes dadurch missbraucht, dass er zwei Mal mit ihr vaginalen Geschlechtsverkehr vollzogen habe.
3Mit Bescheid vom 11. November 2019 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt werde, es erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers „nach Guinea“ zulässig sei. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung erkannte das BFA gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte ihm somit nach § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Überdies verhängte es gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 19. Dezember 2019 abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Senegal für zulässig erklärt wurde.
5Ein dann vom Revisionswerber am 9. November 2021 gestellter Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG wurde mit Bescheid des BFA vom 15. Dezember 2022 abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 25. Mai 2023 stattgegeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben und ausgesprochen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet geduldet sei.
6 Am 30. Jänner 2024 wurde der Revisionswerber, für den in der Zwischenzeit ein Heimreisezertifikat erlangt worden war, aufgrund eines auf § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG gestützten Festnahmeauftrages festgenommen und am 2. Februar 2024 auf dem Luftweg nach Senegal abgeschoben.
7Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 3. Juli 2024 wies das BVwG die vom Revisionswerber gegen die Abschiebung erhobene Maßnahmenbeschwerde als unbegründet ab und traf diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8 Begründend hielt das BVwG soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interessefest, der Revisionswerber sei seiner Verpflichtung zur Ausreise aufgrund der gegen ihn bestehenden rechtskräftigen Rückkehrentscheidung nicht nachgekommen, weshalb die Voraussetzungen für die Abschiebung nach § 46 Abs. 1 Z 2 FPG erfüllt seien.
9Die Rückkehrentscheidung habe auch nicht ihre Wirksamkeit verloren, zumal sich die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK nicht so maßgeblich zu Gunsten des Revisionswerbers geändert hätten, dass seine privaten Interessen am Verbleib in Österreich nunmehr die entgegenstehenden öffentlichen Interessen überwögen. Im Unterschied zum Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung mitsamt zehnjährigem Einreiseverbot im Jahr 2019 habe der Revisionswerber zwar seit Juni 2023 eine österreichische Lebensgefährtin, mit der er auch ein gemeinsames Kind erwarte. Aufgrund des erst kurzen Zusammenlebens des Revisionswerbers mit seiner Lebensgefährtin in einem gemeinsamen Haushalt seit September 2023 sei die Intensität des Familienlebens jedoch nicht sehr ausgeprägt. Im Rahmen der Interessenabwägung sei auch ein ungeborenes Kind zu berücksichtigen. Allerdings sei der Revisionswerber die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin im Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit seines Aufenthaltes eingegangen. Der Revisionswerber sei abgesehen von einer bereits bei Erlassung der Rückkehrentscheidung berücksichtigten dreimonatigen geringfügigen Beschäftigung keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er habe sich zwar Deutschkenntnisse angeeignet und verfüge über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag. Das stelle aber (gegenüber dem Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung) keine maßgebliche Sachverhaltsänderung dar, durch welche sein privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet wesentlich schwerer wiegen würde als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen.
10 Den individuellen Interessen des Revisionswerbers stehe angesichts seiner massiven Straffälligkeit ein erhöhtes öffentliches Interesse an seiner Außerlandesbringung gegenüber. Die Rückkehrentscheidung habe somit im Ergebnis ihre Wirkung nicht verloren.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
12 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
14 In dieser Hinsicht macht der Revisionswerber geltend, das BVwG habe seine familiäre Situation nicht ausreichend berücksichtigt. Er habe eine enge Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin, mit der er seit Mitte September 2023 in einem Haushalt lebe und mittlerweile ein gemeinsames Kind habe.
15Voraussetzung für eine Abschiebung ist gemäß § 46 Abs. 1 FPG das Vorliegen (u.a.) einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung. Es ist Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Rückkehrentscheidung ihre Wirksamkeit verliert, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK iVm § 9 Abs. 2 BFAVG maßgeblich zu Gunsten des Fremden geändert haben. Eine Rückkehrentscheidung wird somit wirkungslos, wenn eine Neubeurteilung zum Ergebnis führt, dass die privaten Interessen des Fremden am Verbleib in Österreich nunmehr die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an seiner Außerlandesbringung überwiegen; wenn sich die Situation also so darstellt, dass ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen wäre und die Rückkehrentscheidung damit gemäß § 60 Abs. 3 FPG gegenstandslos würde. Ist dies der Fall, fehlt die für eine Abschiebung fallbezogen erforderliche Voraussetzung des Vorliegens einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung. Überdies unterliegt eine Abschiebung dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebot nach § 13 Abs. 2 FPG. Danach ist unter anderem Art. 8 EMRK in jedem Stadium einer fremdenpolizeilichen Amtshandlung besonders zu beachten, was sich im Übrigen auch aus § 14 BFA-VG ergibt (siehe etwa VwGH 13.12.2023, Ra 2023/21/0148, Rn. 10, mit Hinweis auf VwGH 26.7.2022, Ra 2022/21/0093, Rn. 9/10, mwN).
16 In der Revision wird nicht aufgezeigt, dass im Zeitpunkt der Abschiebung am 2. Februar 2024 gegenüber dem Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung am 19. Dezember 2019 eine solche Verdichtung der individuellen Interessen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich vorgelegen hätte, dass die Abschiebung aus diesem Grund als rechtswidrig oder unverhältnismäßig angesehen hätte werden müssen.
17 Zwar lag die der Abschiebung zu Grunde liegende Rückkehrentscheidung bereits mehr als vier Jahre zurück und war der Revisionswerber in der Zwischenzeit eine Lebensgemeinschaft zu einer österreichischen Staatsbürgerin, die zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG auch ein Kind von ihm erwartete, eingegangen. In der vorliegenden Konstellation lag aber insbesondere unter Berücksichtigung der angesichts ihrer hohen Sozialschädlichkeit als besonders gravierend anzusehenden Straftat des Revisionswerbers, der wegen sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person zu einer unbedingten dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, eine maßgebliche Änderung der Beurteilungsgrundlagen nicht derart auf der Hand, dass eine Neubeurteilung zum Ergebnis hätte führen müssen, dass die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich nunmehr die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an seiner Außerlandesbringung überwögen.
18Dabei durfte das BVwG auch ins Kalkül ziehen, dass die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Lebensgefährtin zum Entscheidungszeitpunkt erst seit rund einem Jahr andauerte, der Revisionswerber mit ihr erst einige Monate im selben Haushalt lebte, er sich zudem zum Zeitpunkt des Eingehens der Beziehung seines unsicheren Aufenthaltsstatus hätte bewusst sein müssen und dass ansonsten keine wesentlichen integrationsverstärkenden Umstände eingetreten sind. Im Übrigen war auch der vom Revisionswerber unternommene Versuch, seinen Aufenthalt durch einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu legalisieren, letztendlich erfolglos. So wurde sein diesbezüglicher Antrag im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des BVwG vom 19. Dezember 2024 rechtskräftig abgewiesen.
19Angesichts der gravierenden strafrechtlichen Delinquenz des Revisionswerbers durfte das BVwG fallgegenständlich auch vertretbar von einem eindeutigen Fall ausgehen, der es erlaubt, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzusehen (vgl. idZ etwa VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0222, mwN).
20 Die Revision war daher nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 22. Oktober 2025
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