Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger, Dr. in Sabetzer und Dr. Kronegger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des A A in W, vertreten durch Dr. Gerhard Deinhofer und Dr. Friedrich Petri, Rechtsanwälte in 1030 Wien, Marxergasse 34, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juli 2024, W123 2251856 3/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Bangladeschs, stellte am 27. August 2021 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) u.a. damit begründete, dass er von einem Imam sexuell missbraucht worden sei und ihm deshalb in seinem Heimatland Verfolgung drohe. Weiters bejahte er die Frage, ob er homosexuell sei.
2Das BFA wies diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Jänner 2022 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2022 als unbegründet ab.
4 Diese Entscheidung hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. März 2023, E 3193/2022 18, wegen Verletzung des Revisionswerbers in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf.
5 Mit Erkenntnis vom 21. Juni 2023 wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers abermals als unbegründet ab.
6Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14.12.2023, Ra 2023/19/0271, zurück.
7 Am 1. Februar 2024 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung brachte er vor, sein Partner habe im November 2023 Asyl gewährt bekommen. In der dortigen Verhandlung sei von Zeugen bestätigt worden, dass dieser mit dem Revisionswerber in einer Beziehung lebe. Zudem habe der Revisionswerber zwischenzeitig erfahren, dass gegen ihn in Bangladesch ein Haftbefehl „wegen Vergewaltigung und Homosexualität“ vorliege. Der „Kläger der Anklage“ sei der (namentlich genannte) Mann, der ihn in Bangladesch vergewaltigt habe. Durch die Verfahrenszahl des Dokuments, das dem Revisionswerber vorliege, könne das Verfahren online überprüft werden. Unter einem legte der Revisionswerber u.a. Fotos des Haftbefehls sowie ein Schreiben des geltend gemachten Partners als Beweismittel vor.
8Mit Bescheid vom 2. Juli 2024 wies das BFA den Folgeantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
9 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
10 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe seit der rechtskräftigen Entscheidung über seinen ersten Asylantrag kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen dartun können, welches einen glaubhaften Kern aufweise. Unter Hinweis auf die (im angefochtenen Erkenntnis wörtlich wiedergegebene) Beweiswürdigung des BFA schloss sich das BVwG „diesen umfassenden und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Erwägungen“ des BFA an. Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde habe sich das BFA näher mit dem vorgelegten Haftbefehl auseinandergesetzt und aufgrund zahlreicher Unstimmigkeiten etwa der nicht schlüssigen Erklärungen des Revisionswerbers über dessen Erlangung sowie seiner Verletzung der Mitwirkungsverpflichtung dargelegt, aufgrund welcher Umstände es nicht davon ausgehe, dass nach dem Revisionswerber in Bangladesch gesucht werde. Zum geltend gemachten Partner des Revisionswerbers habe das BFA u.a. aufgrund zahlreicher Widersprüche sowie Ungereimtheiten in den Erklärungen des Revisionswerbers zum gemeinsamen Chatverlauf zutreffend erkannt, dass eine „homosexuelle Beziehung“ des Revisionswerbers nicht glaubhaft sei. Die Beschwerde zeige vor diesem Hintergrund nicht auf, dass das BFA zu einer „amtswegigen Zeugeneinvernahme“ verpflichtet gewesen wäre. Zwar treffe es zu, dass der Partner auch im Erstverfahren nicht einvernommen worden sei. Dabei sei aber zu berücksichtigen, dass der diesbezügliche Antrag ausschließlich der Verfahrensverzögerung gedient habe und auch die u.a. die unterbliebene Zeugeneinvernahme aufgreifende Revision zurückgewiesen worden sei. Das Vorliegen einer Beziehung mit der genannten Person sei schon im Erstverfahren als nicht glaubhaft eingestuft worden. Zudem sei in der Beschwerde kein Antrag auf Zeugeneinvernahme gestellt worden. Der Umstand, dass „dem (bloß) vorgeblichen Partner“ des Revisionswerbers Asyl gewährt worden sei, könne daher keine entscheidungsrelevante Neuerung darstellen.
11 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, da dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen sei. In der Beschwerde seien innerhalb des Verfahrensgegenstandes keine neuen Sachverhaltselemente vorgebracht worden, die einer weiteren Erörterung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bedurft hätten. Auch insofern sei von einem geklärten Sachverhalt auszugehen gewesen. Eine mündliche Verhandlung habe sohin im konkreten Fall ungeachtet des diesbezüglichen Parteiantrags entfallen können.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit insbesondere vorbringt, dass nach Rechtskraft der Abweisung des Erstantrages des Revisionswerbers dessen sexuelle Orientierung im Asylverfahren seines Partners von Zeugen bestätigt worden sei. Der Revisionswerber habe im Verfahren betreffend seinen Folgeantrag eine schriftliche Stellungnahme seines Partners vorgelegt. Bereits daraus ergebe sich die Relevanz einer zeugenschaftlichen Einvernahme des Partners. Zudem begründe der nach Rechtskraft der Abweisung des Erstantrages in seinem Heimatland erlassene Haftbefehl gegen den Revisionswerber einen neuen Sachverhalt, der für die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers von größter Relevanz sei. So habe der Revisionswerber in seinem Folgeantrag u.a. vorgebracht: „Die Einwohner meiner Ortschaft glauben, dass ich jemanden vergewaltigt habe.“ Durch das Vorliegen eines Haftbefehls gegen den Revisionswerber könne dies nachgewiesen werden. Ebenso sei dadurch bewiesen, dass der Revisionswerber staatlicher Verfolgung ausgesetzt sei. Das neue Vorbringen weise einen glaubhaften Kern auf, da es mit dem bisher vom Revisionswerber vorgebrachten Sachverhalt, wonach er von einem Imam mehrfach vergewaltigt worden sei, welcher ihn in weiterer Folge durch falsche Anschuldigung der behördlichen Verfolgung ausgesetzt habe, übereinstimme.
13 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision ist zulässig und begründet.
15„Sache“ des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens war (vorrangig) die Frage, ob das BFA den Folgeantrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hatte.
16 Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.
17Es entspricht im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, an den eine positive Entscheidungsprognose im obigen Sinne anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrags mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 5.7.2023, Ra 2021/18/0270, mwN).
18 Ein Folgeantrag auf internationalen Schutz darf nach der mittlerweile ständigen und im Gefolge einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. EuGH 9.9.2021, C18/20) ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht allein deshalb wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass eine Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) vorgenommen worden wäre, ob neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist (vgl. VwGH 23.9.2024, Ra 2024/18/0266, mit Hinwies auf grundlegende Ausführungen dazu in VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006).
19 Der Revisionswerber brachte zur Begründung seines Folgeantrages einerseits vor, dass gegen ihn ein Haftbefehl vorliege, da der Imam, der ihn vergewaltigt habe, nunmehr Anzeige gegen ihn erhoben habe. Andererseits sei zwischenzeitig die Beziehung mit seinem bereits im ersten Verfahren genannten Partner in dessen Asylverfahren von Zeugen bestätigt worden. Zudem lege er eine schriftliche Stellungnahme des Partners vor, woraus sich die sexuelle Orientierung des Revisionswerbers ergebe. Dieses Vorbringen verband der Revisionswerber mit der Behauptung, dass er als Homosexueller in Bangladesch verfolgt werde.
20 Dem hält das BVwG unter Hinweis auf die Erwägungen des BFA entgegen, dass die geltend gemachten Sachverhaltsänderungen insbesondere aufgrund von Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten in den Angaben des Revisionswerbers keinen glaubhaften Kern aufwiesen.
21 Diese Erwägungen erweisen sich jedenfalls in Bezug auf die behauptete homosexuelle Orientierung, für die es im Asylverfahren des geltend gemachten Partners neue Erkenntnisse gegeben habe, sowie hinsichtlich des dazu zum Beleg der sexuellen Orientierung des Revisionswerbers vorgelegten Schreibens des Partners als nicht mangelfrei begründet.
22 Das BFA sprach diesem Schreiben in seinem Bescheid ohne sich näher damit auseinanderzusetzen den Beweiswert ab, „da ein solches Schreiben auch aus Freundschaft und Gefälligkeit aufgesetzt“ worden sein könnte. Das angefochtene Erkenntnis befasst sich abgesehen von der Wiedergabe dieser Ausführungen des BFA mit diesem Schreiben ebenfalls nicht, obwohl die Beschwerde (vgl. S. 9 der Beschwerde) zutreffend die unzureichende Beweiswürdigung gerügt hatte. Schon deshalb hätte das BVwG das Schreiben näher behandeln und in Kontext mit dem weiteren Vorbringen des Revisionswerbers setzen müssen, gerade auch, da es selbst zugesteht, dass der mögliche Partner (aufgrund des Vorwurfs der Verfahrensverzögerung) im Erstverfahren ebenfalls nicht einvernommen worden sei. Das Argument des BVwG, in der Beschwerde sei kein Antrag auf Zeugeneinvernahme gestellt worden, greift daher zu kurz.
23 Eine nähere Auseinandersetzung mit den behaupteten neuen Tatsachen (der Thematisierung der sexuellen Orientierung des Revisionswerbers im Asylverfahren des Partners sowie dem dazu vorgelegten Schreiben des Partners) erfolgte weder im Bescheid des BFA noch im angefochtenen Erkenntnis. Das BFA befasste sich in seinen (vom BVwG übernommenen) Erwägungen stattdessen mit Widersprüchlichkeiten zwischen den Angaben des Revisionswerbers im gegenständlichen Verfahren und jenen des möglichen Partners in dessen Verfahren zum Bestand bzw. der Dauer der Beziehung, jedoch nicht mit dem aufgeworfenen Aspekt, dass Zeugen in der Verhandlung des Partners, die sexuelle Orientierung des Revisionswerbers bzw. die Beziehung bestätigt hätten. Für eine nachvollziehbare Würdigung, dass der behaupteten Sachverhaltsänderung kein glaubhafter Kern innewohne, fehlt es daher überhaupt schon an den erforderlichen Feststellungen zu den geltend gemachten neuen Tatsachen.
24Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das übrige Vorbringen in der Revision einzugehen war.
25Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.
26Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. März 2025