Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Y K, vertreten durch Dr. in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2022, L525 2184277 1/35E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 11. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 14. September 2016 wurde der Antrag ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurückgewiesen, weil nach Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III Verordnung Ungarn für dessen Prüfung zuständig sei.
3 Der dagegen gerichteten Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2016 gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen.
4 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21. Dezember 2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen. Unter einem wurde dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Pakistan festgestellt und eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt.
5 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde.
6 Mit Erkenntnis („Teilerkenntnis“) des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 2022 wurde die Beschwerde insoweit abgewiesen, als sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz richtete; im Übrigen also hinsichtlich der Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise blieb die Beschwerde vorerst unerledigt.
7 Die gegen das genannte Erkenntnis („Teilerkenntnis“) vom 12. Juli 2022 gerichtete Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Jänner 2023, Ra 2022/01/0241, zurückgewiesen, weil keine Rechtfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgeworfen wurde.
8 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 19. September 2022 wurde die soweit im Sinn des Vorgesagten vorerst unerledigt gebliebene Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21. Dezember 2017 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig erklärt.
9 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
10 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 28. November 2022, E 2761/2022 7, die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
11 Daraufhin erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Die Revision wendet sich in der Zulässigkeitsbegründung gegen das Ergebnis der vom Bundesverwaltungsgericht an Hand der Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA VG vorgenommenen Interessenabwägung. Diesbezüglich wird bemängelt, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Revisionswerber im Bundesgebiet eine Partnerin habe, die ein Kind von ihm erwarte, diese daher im Falle seiner Aufenthaltsbeendigung alleinerziehend und das Kindeswohl gefährdet wäre. Weiters hätte das Bundesverwaltungsgericht wegen nicht unbeträchtlicher Bankeinlagen des Revisionswerbers und zweier Einstellungszusagen von der Selbsterhaltungsfähigkeit sowie daran anknüpfend von einem überdurchschnittlichen Sozialleben des Revisionswerbers ausgehen müssen.
16 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 3.1.2023, Ra 2022/17/0198, mwN).
17 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. nochmals VwGH 3.1.2023, Ra 2022/17/0198, mwN).
18 Anders als vom Revisionswerber behauptet, führte das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine auf die im Revisionsfall maßgeblichen Umstände hinreichend Bezug nehmende Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK durch. Diese Abwägung berücksichtigte neben den in der Zulässigkeitsbegründung angeführten persönlichen Verhältnissen des Revisionswerbers weitere Aspekte, wie seine nur wenig fortgeschrittenen Deutschkenntnisse, dass der Revisionswerber bislang noch nicht legal erwerbstätig gewesen sei, seine vorhandenen Bindungen zum Herkunftsstaat sowie den Umstand, dass er sich der Unsicherheit seines Aufenthalts bewusst sein musste, als er seine integrationsbegründenden Bindungen wie insbesondere die genannte Partnerschaft einging.
19 Was das Kindeswohl betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Interessenabwägung betont ( vgl. VwGH 13.6.2022, Ra 2021/17/0201 bis 0204, mwN) . Dies gilt auch dann, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um ein Kind, sondern um einen Elternteil handelt (vgl. VwGH 3.12.2021, Ra 2021/18/0299), sowie auch dann, wenn das Kind noch nicht geboren ist (vgl. VwGH 27.6.2019, Ra 2019/14/0232).
20 Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das gilt sinngemäß auch für die mit der Interessenabwägung im Zusammenhang stehende Frage der Verhältnismäßigkeit einer Abschiebung. Wie auch bei anderen einzelfallbezogenen Beurteilungen liegt eine grundsätzliche Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B VG nur dann vor, wenn diese Einschätzung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise, also krass fehlerhaft, vorgenommen wurde (vgl. VwGH 26.7.2022, Ra 2022/21/0093, mwN).
21 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung weist die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung des Schutzes des Kindeswohls keinen im Revisionsverfahren aufzugreifenden Mangel auf. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte fallbezogen vielfältige Aspekte des Kindeswohls wie zunächst, dass keine Trennung des Kindes von der Mutter erfolge und das noch ungeborene Kind keine Bindungen zu seinem Vater aufweise. Es berücksichtigte auch, dass kein gemeinsamer Haushalt des Revisionswerbers mit der Kindesmutter bestehe und dessen Begründung in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten sei, sodass der Aufbau einer näheren Bindung des Kindes zu seinem Vater auch künftig zeitverzögert zu erwarten sei. Ferner ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die finanzielle Versorgung des Kindes trotz der Aufenthaltsbeendigung des Revisionswerbers gesichert sein werde. Denn die Kindesmutter sei von diesem finanziell unabhängig und seine finanziellen Beiträge seien schon bislang von untergeordnetem Umfang gewesen. Auch die faktische Betreuung des Kindes erscheine ohne den Revisionswerber gesichert, weil die Kindesmutter auf die Unterstützung naher Verwandter zurückgreifen könne und an ihrem Wohnort staatliche Unterstützungsleistungen der Kinderbetreuung gewährt würden. Mit Blick auf diese Erwägungen erscheint die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls anhand der in § 138 ABGB niedergelegten Gesichtspunkte jedenfalls nicht unvertretbar im Sinn der vorzitierten Rechtsprechung, zumal auch das Kindeswohl lediglich einen Aspekt einer anzustellenden Gesamtbetrachtung darstellt (vgl. VwGH 9.3.2022, Ra 2022/14/0044).
22 Die Frage, ob eine (weitere) Beweisaufnahme im Rahmen der Ermittlungen notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG läge in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 29.9.2022, Ra 2022/17/0052, mwN).
23 Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. erneut VwGH 29.9.2022, Ra 2022/17/0052, mwN).
24 Die Revision rügt in diesem Zusammenhang zunächst, das Bundesverwaltungsgericht hätte wegen Bankeinlagen des Revisionswerbers und wegen zweier Einstellungszusagen nach einer telefonischen Erkundigung bei den potentiellen Arbeitgebern, die zu Unrecht unterblieben sei von der Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers und daran anknüpfend von einem nicht nur durchschnittlichen Sozialleben in Österreich ausgehen müssen. Vor dem Hintergrund der vorzitierten Rechtsprechung wird damit freilich kein im Revisionsverfahren aufzugreifender Mangel aufgezeigt. Denn nach den Ausführungen des angefochtenen Erkenntnisses weist der durch das Bundesverwaltungsgericht eingeholte Versicherungsdatenauszug keine Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers aus. Zudem ist trotz der ins Treffen geführten Bankeinlagen nicht hinreichend gesichert davon auszugehen, dass der Revisionswerber in Hinkunft nicht von öffentlichen Unterstützungsleistungen abhängig sein wird. Ferner verweist das Bundesverwaltungsgericht zutreffend darauf, dass den Einstellungszusagen nicht die für einen Arbeits oder Vorvertrag notwendigen Festlegungen zu entnehmen sind. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht auch festgestellt, dass der Revisionswerber Leistungen der Grundversorgung bezieht, wogegen sich die Revision nicht wendet. Mit dem oben dargestellten Vorbringen wird somit ein im Revisionsverfahren aufzugreifender Mangel nicht aufgezeigt.
25 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 19. April 2023