Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Reinbacher sowie den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Mag. A B in S, vertreten durch Mag. Dr. Birgitta Braunsberger Lechner und Mag. Thomas Loos, Rechtsanwälte in 4400 Steyr, Leopold Werndl Straße 16, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 22. April 2024, RV/5100085/2024, betreffend Familienbeihilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Österreich, Dienststelle Gmunden Vöcklabruck), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit amtlichen Vordrucken „Beih 100“, jeweils eingebracht am 27. Mai 2022 beantragte der Revisionswerber für seinen im Jahr 1999 geborenen Sohn S und seine im Jahr 2001 geborene Tochter T, beide Studierende in L, Deutschland, die Gewährung der Familienbeihilfe ab Mai 2021.
2 Diesen Antrag wies die Abgabenbehörde nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens mit Bescheid vom 11. Oktober 2022 mit der Begründung ab, der Revisionswerber habe die angeforderten Unterlagen nicht nachgereicht und sei seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.
3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde unter Beilage diverser Unterlagen. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 31. August 2023 wurde der angefochtene Bescheid insoweit abgeändert, als die Abweisung des Antrags auf Familienbeihilfe auf den Zeitraum Mai 2021 bis Juli 2022 eingeschränkt wurde.
4 Mit Schreiben vom 29. September 2023 begehrte der Revisionswerber die Vorlage seiner Bescheidbeschwerde zur Entscheidung an das Verwaltungsgericht.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesfinanzgericht den Bescheid „im Umfang der Beschwerdevorentscheidung vom 31.08.2023“ ab und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an der Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei.
6 Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens kam das Bundesfinanzgericht zur Feststellung, der Revisionswerber habe ab dem 31. Mai 2021 Familienbeihilfe für seine beiden Kinder S und T, welche jeweils in Deutschland studierten, beantragt. Beide Kinder seien in Tschechien geboren und hätten die österreichische und die tschechische Staatsbürgerschaft. Der Familienwohnsitz habe sich in Tschechien befunden. Die Ehefrau des Revisionswerbers, welche die Mutter beider Kinder sei, sei in Tschechien beschäftigt gewesen. In Tschechien hätten weder der Revisionswerber noch seine Ehefrau Familienleistungen beantragt, weil sie nach deren Ansicht die dortige nationale Einkommensgrenze überschritten hätten.
7 Der Revisionswerber sei von 31. Mai 2021 bis 4. Dezember 2023 im Haushalt seines Vaters in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen. Vor und nach dieser Zeit habe der Revisionswerber über einen Nebenwohnsitz an dieser Adresse verfügt. Der Revisionswerber habe dort seinen kranken Vater, welcher im Dezember 2022 verstorben sei, gepflegt.
8Der Revisionswerber habe im Zeitraum 1. April 2021 bis 31. Dezember 2022 aufgrund eines entsprechenden Antrags und der Pflege seines Vaters über eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b (iVm §§ 44 Abs. 1 Z 18, 76b Abs. 5a, 77 Abs. 8) ASVG bei der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt verfügt und dafür kein darüber hinaus gehendes Entgelt und keine Art von Bezahlung für diese Tätigkeit erhalten. Er habe lediglich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, welche pro Jahr weniger als 6.000 € betragen hätten, erzielt. Im Zeitraum 10. Juni 2022 bis 30. Juni 2022 sei der Revisionswerber als Angestellter tätig gewesen. Ab 21. Juli 2022 bis zum 18. August 2023 habe der Revisionswerber Arbeitslosengeld oder Krankengeld bezogen.
9 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht zum revisionsgegenständlichen Zeitraum von Mai 2021 bis Juli 2022 aus, für die Anwendbarkeit des österreichischen Rechts sei zu beurteilen, ob die vom Revisionswerber in Österreich ausgeübte Tätigkeit als Pfleger seines Vaters als „Beschäftigung“ oder gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung Nr. 883/2004 zu qualifizieren sei. Nach dem maßgeblichen innerstaatlichen Recht Österreichs sei eine sozialversicherungspflichtige (und somit jedenfalls eigens entlohnte) Tätigkeit Voraussetzung für eine „Erwerbstätigkeit“ bzw. in der Folge eine davon abgeleitete gleichgestellte Situation.
10Die Selbstversicherung nach § 18b ASVG gehöre zu den freiwilligen Versicherungsverhältnissen, deren Begründung von einer Willenserklärung (Beitrittserklärung) daran Interessierter abhänge. Freiwillige Versicherungsverhältnisse stellten abgesehen von Fällen der Höherversicherung grundsätzlich ein Auffangbecken für solche Fälle dar, die aus verschiedenen Gründen nicht oder nicht mehr in die Pflichtversicherung einbezogen seien.
11Dem Revisionswerber erwüchsen bei einer Selbstversicherung nach § 18b ASVG abgesehen von der Pensionsversicherung keinerlei Ansprüche. Die damit verbundene Pflegetätigkeit löse keine Pflichtversicherung nach österreichischem Sozialversicherungsrecht aus und führe zu keiner Geldleistung aufgrund oder infolge einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit, wie es ansonsten alle Arten einer Beschäftigung gleichgestellten Tatbestände täten. Die Versicherung nach § 18b ASVG sei unabhängig von einer Pflichtversicherung möglich. Es sei im vorliegenden Fall weder zu einer selbständigen Tätigkeit, noch zu einer Dienstnehmereigenschaft des Revisionswerbers gekommen. Vor allem sei keine eigens entlohnte bzw. bezahlte Tätigkeit vorgelegen.
12In einer Gesamtbetrachtung in Zusammenschau mit dem Erwägungsgrund 11 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 liege nicht nur keine Erwerbstätigkeit im Sinn der einschlägigen Normen, sondern auch keine einer solchen gleichgestellte Tätigkeit vor, die eine Zuständigkeit Österreichs begründen könne. Vielmehr handle es sich bei der freiwilligen Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG um einen Anwendungsfall von Art 14 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 („Freiwillige Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung“).
13Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Rechtsfrage, ob eine Selbstversicherung nach § 18b ASVG in Verbindung mit der zugrundliegenden unentgeltlichen Pflegetätigkeit eine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation im Sinn des Art. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sei, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle.
14Gegen dieses Erkenntnis wendet sich der Revisionswerber mit der gegenständlichen Revision. Das Bundesfinanzgericht hat diese samt den Verwaltungsakten nach Durchführung des in § 30a VwGG vorgesehenen Verfahrens vorgelegt. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenersatzpflichtige Abweisung der Revision beantragte.
15Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, dass die vom Bundesfinanzgericht vertretene Rechtsauffassung, wonach die Selbstversicherung nach § 18b ASVG iVm einer zugrundeliegenden unentgeltlichen Pflegetätigkeit keine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation im Sinn des Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sei, zumindest allgemein zutreffend sei. Der Revisionswerber gehe keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, eine Selbstversicherung begründe eine solche nicht. Die Anknüpfung der genannten Verordnung an eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung führe im Fall des Revisionswerbers jedoch zu einer primärrechtswidrigen Verletzung der Personenfreizügigkeit. Dem Revisionswerber würde die Familienbeihilfe zustehen, wenn seine Kinder in Österreich studierten, nicht aber, wenn sie dies wie im Revisionsfall in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union täten. Die Primärrechtswidrigkeit liege nahe, weil die bloße Inanspruchnahme der Freizügigkeiten zu einer unmittelbaren finanziellen Benachteiligung gegenüber dem reinen Inlandssachverhalt führe.
16 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
17Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
18Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
19 Der Revisionswerber tritt dem angefochtenen Erkenntnis zusammengefasst nur insoweit entgegen, als er trotz nach dem Revisionsvorbringen korrekter Anwendung der Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung 883/2004) durch das Bundesfinanzgericht ein primärrechtswidriges Ergebnis dieser Anwendung verortet. Somit wird in der Revision die Beurteilung des Art. 14 der Verordnung 883/2004 und die Nichtanwendbarkeit dieser Verordnung im angefochtenen Erkenntnis nicht in Zweifel gestellt.
20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Rechtsfrage auch bei sich aus dem Unionsrecht ergebenden Bedenken eine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG zukommen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt aber auch dann nicht vor, wenn sie durch ein Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) gelöst ist (vgl. VwGH 5.9.2024, Ro 2023/16/0015, mwN).
21Der EuGH hat aber bereits klargestellt, dass die Verordnung 987/2009 und die Verordnung 883/2004 nicht bestimmen, welche Personen Anspruch auf Familienleistungen haben, auch wenn sie die Regeln festlegen, nach denen diese Personen bestimmt werden können. Welche Personen Anspruch auf Familienleistungen haben, bestimmt sich nämlich, wie aus Art. 67 der Verordnung 883/2004 klar hervorgeht, nach dem nationalen Recht (vgl. VwGH 24.6.2021, Ro 2018/16/0040 mVa EuGH 22.10.2015, C 378/14, Tomislaw Trapkowski , Rn 43 und 44).
22Der EuGH hat darüber hinaus auch ausgesprochen, dass, da Art. 48 AEUV eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorsieht, die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt werden, sodass jeder Mitgliedstaat dafür zuständig bleibt, im Einklang mit dem Unionsrecht in seinen Rechtsvorschriften festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen eines Systems der sozialen Sicherheit gewährt werden (vgl. EuGH 30.6.2011, C 388/09, Joao Filipe da Silva Martins , Rn 71).
23 In diesem Rahmen kann das Primärrecht der Union einem Versicherten nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit, insbesondere in Bezug auf Leistungen bei Krankheit, neutral ist. Somit kann die Anwendung einer nationalen Regelung, die in Bezug auf Leistungen der sozialen Sicherheit weniger günstig ist, infolge eines Wechsels des Wohnsitzmitgliedstaats grundsätzlich mit den Anforderungen des Primärrechts der Union auf dem Gebiet der Personenfreizügigkeit vereinbar sein (vgl. EuGH 30.6.2011, C 388/09, Joao Filipe da Silva Martins , Rn 72).
24 Der Revisionswerber legt auch nicht dar, warum er selbst bei Anwendung der österreichischen Bestimmungen einen Anspruch auf Familienbeihilfe geltend machen könnte. Das pauschale und ohne weitere Begründung erstattete Vorbringen, wonach ein solcher bestünde, wenn seine Kinder ihren Studien in Österreich anstatt in Deutschland betrieben, genügt dafür nicht, zumal der Revisionswerber selbst für diesen fiktiven Sachverhalt nicht behauptet, Unterhaltsleistungen an seine ausgehend von den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts im Familienhaushalt in Tschechien lebenden Kinder zu erbringen.
25 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 4 VwGG zurückzuweisen.
26Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. März 2025