JudikaturVwGH

Ro 2024/07/0002 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
28. Mai 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Mag. Haunold und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kreil, über die Revision des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien, vertreten durch Univ. Prof. Dr. Michael Enzinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 13, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. Dezember 2022, VGW 101/060/775/20228, betreffend Vergütung nach § 16 Abs. 4 RAO (mitbeteiligte Partei: Dr. G T, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Bescheid vom 14. Dezember 2018 wurde der Mitbeteiligte zum Verfahrenshelfer eines konkret bezeichneten Angeklagten in einem näher genannten Strafverfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien bestellt.

2Mit Schriftsatz vom 29. März 2021 begehrte der Mitbeteiligte die Zuerkennung einer Sondervergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO in der Höhe von € 81.011,34 (darin enthalten € 13.501,89 an USt) für seine im Zeitraum von 2. Dezember 2019 bis 1. Dezember 2020 in dem betreffenden Strafverfahren zur Verteidigung des Angeklagten erbrachten und näher verzeichneten Leistungen.

3 Mit Bescheid vom 2. November 2021 gab der Revisionswerber diesem Antrag im Ausmaß von € 25.127,82 (darin enthalten € 4.187,97 an USt) statt. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.

4Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 16 Abs. 4 RAO teilweise statt und sprach aus, diesem werde aufgrund seines Antrags vom 29. März 2021 eine angemessene Vergütung in der Höhe von € 42.246,78 (darin enthalten € 7.041,13 an USt) zuerkannt. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig.

5 In seiner Entscheidungsbegründung legte das Verwaltungsgericht dar, der Mitbeteiligte sei in einem näher genannten Strafverfahren zum Verfahrenshelfer eines konkret bezeichneten Angeklagten bestellt worden. In diesem Strafverfahren seien im Zeitraum von 2. Dezember 2019 bis 1. Dezember 2020 insgesamt 19 Verhandlungstage angefallen, an einem weiteren Tag ein bloßes Zuwarten. An den ersten zehn Verhandlungstagen seien insgesamt 38 Verhandlungsstunden verrichtet worden. An den weiteren Verhandlungstagen sei eine näher dargestellte Anzahl von halben Stunden Verhandlungszeiten bzw. Pausen und Wartezeiten angefallen, für die der Mitbeteiligte konkrete Kostenansprüche geltend gemacht habe. Sowohl für die Verrichtung der Hauptverhandlung als auch für das Zuwarten seien zusätzlich 50 % Einheitssatz und 50 % Erschwerniszuschlag geltend gemacht worden. Die besonderen Herausforderungen des in Rede stehenden Strafverfahrens seien darin gelegen, dass die Verfahrensakten sehr umfangreich gewesen und anspruchsvolle vereinsrechtliche, förderrechtliche, mietrechtliche und insolvenzrechtliche Sachverhalte zu behandeln gewesen seien.

6 Das Strafverfahren habe mit einem rechtskräftigen Freispruch für den Angeklagten geendet.

7 Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung wies das Verwaltungsgericht unter anderem darauf hin, dass bei Zeiten des Zuwartens nach § 10 Abs. 4 Allgemeine Honorar Kriterien (AHK) die erste halbe Stunde nicht zu berücksichtigen sei, da die Bestimmung zwischen Zeiten des Zuwartens und Beratungszeiten bzw. dem Erscheinen zu einer nicht stattfindenden Verhandlung unterscheide.

8Gemäß § 11 AHK könnten die Bestimmungen über den Einheitssatz gemäß § 23 RATG sinngemäß herangezogen werden, weshalb ein Einheitssatz von 50 % zur Anwendung gebracht werde.

9Zum Erfolgszuschlag ging das Verwaltungsgericht davon aus, es sei vom Verwaltungsgerichtshof bislang keine ausdrückliche Aussage dazu getroffen worden, ob ein Erfolgszuschlag bei der Berechnung von Sondervergütungsansprüchen nach § 16 Abs. 4 RAO zu berücksichtigen sei. Für das Verwaltungsgericht sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Zuerkennung eines Erfolgszuschlags nach § 12 AHK im Zusammenhang mit einer Vertretung durch einen Verfahrenshilfeverteidiger gemäß § 12 RAO unangemessen oder dem Wesen der Verfahrenshilfe zuwiderlaufend anzusehen wäre. Vielmehr sei die Zuerkennung eines in den AHK vorgesehenen Erfolgszuschlags nach den Standesrichtlinien der Rechtsanwälte als angemessen anzusehen. Da das gegenständliche Strafverfahren mit einem rechtskräftigen Freispruch beendet worden sei, sei ein Erfolgszuschlag von 50 % als angemessen zu betrachten.

10 Weiters habe der Mitbeteiligte mit seinem Antrag vom 29. März 2021 einen auf § 4 AHG gestützten Erschwerniszuschlag in der Höhe von 50 % geltend gemacht. Unter Berücksichtigung vom Mitbeteiligten geltend gemachter Umstände (erheblicher Aktenumfang, langes Beweisverfahren, permanentes Übersetzen aus oder in die arabische Sprache, anspruchsvolle und komplexe vereinsrechtliche, förderrechtliche, mietrechtliche sowie insolvenzrechtliche Sachverhalte) des zugrunde liegenden Strafverfahrens erachte das Verwaltungsgericht einen Erschwerniszuschlag gemäß § 2 Abs. 2 AHK in der Höhe von 15 % als angemessen, um den entstandenen Mehraufwand abzugelten.

11 Schließlich nahm das Verwaltungsgericht einen pauschalen Abschlag von 25 %, der vom Mitbeteiligten zur Kenntnis genommen worden sei, vor.

12 Zusammengefasst stellte das Verwaltungsgericht folgende Rechnung an:

13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht.

14 In einem vom Verwaltungsgericht Wien geführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

15In der Zulässigkeitsbegründung seiner Revision behauptet der Revisionswerber zunächst ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 19.12.2022, Ro 2022/03/0059), wonach die Zuerkennung eines Erfolgszuschlags nach § 12 AHK nicht mit der Sonderpauschalvergütung nach § 16 Abs. 4 RAO vereinbar sei.

16 Schon aufgrund dieses Vorbringens erweist sich die vorliegende Revision als zulässig; sie ist auch berechtigt.

17Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass es mit § 16 Abs. 4 RAO nicht vereinbar ist, die Sondervergütung für eine überdurchschnittliche Belastung eines Verfahrenshelfers unbeschadet seiner Verpflichtung zur bestmöglichen Vertretung oder Verteidigung des Verfahrensbefohlenenvom Erfolg seiner Tätigkeit abhängig zu machen. Dies würde zu einer sachlich nicht begründbaren Schlechterstellung von Verfahrenshelfern mit wenig erfolgversprechenden Fällen gegenüber solchen mit erfolgreichen Fällen führen, obwohl die Verfahrenshelfer in allen diesen Konstellationen von den überdurchschnittlichen Belastungen der Vertretung in gleicher Weise betroffen sein können. Die Gewährung eines Erfolgszuschlags nach § 12 AHK ist mit dem Konzept des § 16 Abs. 4 RAO und dem damit verfolgten Zweck einer angemessenen Vergütung für überdurchschnittliche Belastungen von Verfahrenshelfern nicht vereinbar (vgl. VwGH 19.12.2022, Ro 2022/03/0059, Rn. 28).

18In Abweichung von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, bei der Bemessung des Sondervergütungsanspruchs des Mitbeteiligten nach § 16 Abs. 4 RAO sei auch ein Erfolgszuschlag von 50 % als angemessen zu betrachten. Bereits damit hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

19 Weiters beanstandet die vorliegende Revision, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine „Aufrundung“ mit „Zuschlag“ unter Hinweis darauf vorgenommen, dass ein Betrag kleiner als € 0,01 nicht ausbezahlt werden könne und berücksichtigt werden müsse, dass im Zuge der „Rundung“ der zuzusprechende Betrag nicht verringert werden dürfe.

20 Insoweit ist zwar unklar, weshalb das Verwaltungsgericht zunächst ausgehend von einem Betrag von € 35.205,6375 einen aufgerundeten Betrag von € 36.272,65 angibt. Allerdings hat das Verwaltungsgericht in der Folge offenkundig nicht diesen Betrag als Grundlage für die Berechnung des zustehenden Gesamtbetrags von € 42.246,78 herangezogen. Vielmehr hat es auf den von ihm angenommenen Vergütungsbetrag von netto € 35.205,6375 einen Betrag von € 7.041,13 an USt aufgeschlagen und daraus den im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses genannten Gesamtbetrag von € 42.246,78 errechnet. Die Behauptung des Revisionswerbers, es sei ein Aufrundungsbetrag in Höhe von € 1.067,0125 zugesprochen worden, erweist sich somit vor dem Hintergrund des angefochtenen Erkenntnisses als unzutreffend.

21 Nicht nachvollziehbar ist jedoch, weshalb das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Erkenntnis ausgehend von einem Betrag von € 35.205,6375 unter Aufschlag von 20 % USt auch unter Zugrundlegung der als notwendig angenommenen Rundung auf ganze Centbeträge einen Gesamtbetrag von € 42.246,78 zugesprochen hat. Insoweit erweist sich das angefochtene Erkenntnis auch als mit einem wesentlichen Begründungsmangel und folglich mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

22Soweit die vorliegende Revision hinsichtlich des vom Verwaltungsgericht als angemessen angesehenen Erschwerniszuschlags die mit 1. Juli 2021 erfolgte Aufhebung des § 4 AHK ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung, inwieweit anwaltliche Leistungen gemäß § 16 Abs. 4 RAO zu vergüten sind, zeitraumbezogen und daher anhand der im Zeitpunkt ihrer Erbringung hier im Zeitraum von 2. Dezember 2019 bis 1. Dezember 2020 in Geltung stehenden Bestimmungen der AHK zu erfolgen hat. Im Übrigen enthält § 2 Abs. 2 AHK eine wortund inhaltsgleiche Nachfolgeregelung (VwGH 19.6.2024, Ra 2023/03/0004, Rn. 21, mwN).

23 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind höhere Honoraransätze (als sonst vorgesehen) nach § 4 AHK angemessen, wenn die erbrachten Leistungen nach Art oder Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigen. Fallbezogen ging das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass auf Grundlage der vom Mitbeteiligten geltend gemachten Umstände (erheblicher Aktenumfang, langes Beweisverfahren, permanentes Übersetzen aus oder in die arabische Sprache, anspruchsvolle und komplexe vereinsrechtliche, förderrechtliche, mietrechtliche sowie insolvenzrechtliche Sachverhalte) besondere Leistungen erforderlich gewesen seien, die über jenes Ausmaß hinausgegangen seien, das ein Verteidiger in einem entsprechenden „typischen“ Strafverfahren zu erbringen habe.

24 Diesen Überlegungen des Verwaltungsgerichtes, die an eine Mehrzahl von Besonderheiten des betreffenden Verfahrens anknüpfen, hält die vorliegende Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Im Ergebnis erweist sich die Bejahung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Erschwerniszuschlages durch das Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund der ins Treffen geführten konkreten Umstände des in Rede stehenden Verfahrens als nicht zu beanstanden.

25Dessen ungeachtet war das angefochtene Erkenntnis aus den angeführten Gründen wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 28. Mai 2025