Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Mag. a Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart Mutzl und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des N B, vertreten durch die Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 14. August 2024, LVwG 318 6/2024 R6, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde St. Anton im Montafon; mitbeteiligte Partei: J T, vertreten durch Dr. Manfred Puchner, Rechtsanwalt in Feldkirch; weitere Partei: Vorarlberger Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde St. Anton im Montafon hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg (Verwaltungsgericht) wurde der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 30. November 2023, mit welchem dem Mitbeteiligten gemäß §§ 28 Abs. 2 und 29 Baugesetz (BauG.) die Baubewilligung für die Errichtung eines Lagergebäudes auf näher bezeichneten Liegenschaften in St. A im M unter der Vorschreibung von Auflagen erteilt worden war, gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, das Baugrundstück werde aus dem Grundstück X, im Eigentum des Mitbeteiligten, und dem Grundstück Y, im Eigentum von R T und K T, welche der Bauführung zugestimmt hätten, gebildet. Das Bauvorhaben liege laut Flächenwidmungsplan auf einer als „Baufläche Wohngebiet“ ausgewiesenen Fläche. Das näher bezeichnete Grundstück des Revisionswerbers (im Folgenden: Grundstück A) grenze nördlich unmittelbar an das Grundstück X. Der Revisionswerber habe im behördlichen Verfahren rechtzeitig zulässige Einwendungen erhoben.
3 Die Grundstücke X und A befänden sich im Grundsteuerkataster. Die Grenze zwischen diesen Grundstücken sei vermessen, durch Koordinaten und Grenzzeichen in der Natur festgelegt und in einem Plan dargestellt worden. Das Grenzbegehungsprotokoll vom 16. Oktober 1970 sei von den damaligen Grundstückseigentümern I B (betreffend das Grundstück A) und C G (betreffend das Grundstück X) unterfertigt worden. Die einvernehmlich festgelegte Grenze sei im Plan des Vermessungstechnikers ausgewiesen worden. Gemäß dem Grenzbegehungsprotokoll hätten die gefertigten Grundbesitzer erklärt, dass sie hinsichtlich des in der Natur ersichtlichen Grenzverlaufes einig seien und eine Grenzänderung nicht stattgefunden habe. In diesem Zusammenhang sei es unerheblich, dass im Jahr 1973 eine Mauer „zwischen“ dem Grundstück X und dem Grundstück A errichtet worden sei, weil durch diese nachträglich errichtete Mauer die im Jahr „1971“ zwischen den damaligen Grundstückseigentümern einvernehmlich festgelegte Grundstücksgrenze „im rechtlichen Sinn“ nicht verändert worden sei. Da die Mauer auf dem Grundstück X liege, sei das Grundstück A des Revisionswerbers deutlich höher als das Baugrundstück und das Gebäude rage weniger als 1,80 m über das Grundstück A. Der Mindestabstand zur Nachbargrenze von einem Meter gemäß § 6 Abs. 3 lit. a BauG. werde eingehalten. Der Revisionswerber werde daher durch das Bauvorhaben nicht in seinen subjektiv öffentlichen Rechten verletzt.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis kostenpflichtig wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
5 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
6Der Revisionswerber bringt in der Zulässigkeitsbegründung (mit Hinweis auf VwGH 15.12.2009, 2007/05/0057; und 10.9.2008, 2007/05/0206) unter anderem vor, das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es sich trotz entsprechenden Vorbringens des Revisionswerbers im Zusammenhang mit der Errichtung einer Gartenmauer im Jahr 1973 zur Frage des Eigentumserwerbs am überbauten Grundstück nicht mit den allgemeinen Regeln der §§ 415 ff ABGB auseinandergesetzt habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision ist angesichts dieses Vorbringens zulässig.
8 Die maßgebliche Bestimmung des § 6 BauG., LGBl. Nr. 52/2001 in der Fassung LGBl. Nr. 54/2015, lautet auszugsweise:
„ § 6 Mindestabstände
(1) Der Mindestabstand zur Nachbargrenze beträgt für:
a) ein Gebäude 3 m;
b) ein sonstiges Bauwerk 2 m.
...
(3) Abweichend von Abs. 1 und 2 genügt ein Mindestabstand von 1 m für:
a) Bauwerke und Teile von Bauwerken bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück;
...“
9 Der Revisionswerber führt aus, er habe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgebracht, dass sich sein Rechtsvorgänger mit dem Rechtsvorgänger des Mitbeteiligten geeinigt habe, auf Kosten des Rechtsvorgängers des Revisionswerbers eine Stützmauer zu errichten, die ausschließlich in dessen Eigentum stehen solle. Seit der Errichtung der Stützmauer im Jahr 1973 bilde sie zugleich die Eigentumsgrenze. Nach dem Ableben des I B Anfang der 1980er Jahre habe zudem dessen Alleinerbin M B diese Mauer ausschließlich genutzt und sich im guten Glauben befunden, dass sie hier Eigentum nutze. Das Verwaltungsgericht sei auf dieses Vorbringen nicht eingegangen. Weiters habe das Verwaltungsgericht die in der Beschwerdeschrift beantragten Zeugen zum Beweis, dass die Grundgrenze im Fußpunkt der Mauer verlaufe, nicht einvernommen. Die Eigentumsgrenze sei maßgeblich für die Berechnung des Bauabstandes. Unter der Annahme, dass die Grenze am Fußpunkt der Mauer verlaufe, sei der Sachverständige im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu dem Ergebnis gelangt, dass das Gebäude die Grenze zum Grundstück A um 2,73 m überragte.
10 Gemäß § 6 Abs. 3 lit. a BauG. genügt ein Mindestabstand von einem Meter zur Nachbargrenze für Bauwerke und Teile von Bauwerken, bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück.
11 In den Erläuterungen zur Novelle LGBl. Nr. 54/2015 hält der Vorarlberger Landesgesetzgeber zu § 6 Abs. 3 BauG. auszugsweise fest (vgl. Beilage 54/2015 30. LT, Teil B, S 5, abgedruckt bei Tschofen in Lampert/Tschofen , Vlbg BauG [2018] § 6 Rz 36):
„... Erstens reicht künftig für Bauwerke und Teile von Bauwerken bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück ein Mindestabstand von 1 m zur Nachbargrenze aus (§ 6 Abs. 3 lit. a). ... Für die Ermittlung der privilegierten Höhe bis zu 1,80 m ist vom Niveau des Nachbargrundstücks an der Grenze auszugehen. ...“
12 Bei der Ermittlung der Höhe eines Bauwerks über dem Nachbargrundstück gemäß § 6 Abs. 3 lit. a BauG. ist demnach wie der Vorarlberger Landesgesetzgeber in den Erläuterungen ausdrücklich festhält vom Niveau des Nachbargrundstücks an der Grenze auszugehen.
13 Fallbezogen ist daher nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Geländeverlauf für die Berechnung des Mindestabstandes zur Nachbargrenze, insbesondere für eine Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 3 lit. a BauG., maßgeblich, ob die Nachbargrenze am (tiefergelegenen) Fußpunkt der Stützmauer verläuft, oder sich diese am (höhergelegenen) Baugrundstück befindet.
14Vor diesem Hintergrund geht es fallbezogen um die Beurteilung der Eigentumsverhältnisse des von der Grenzmauer überbauten Grundstückteiles, wofür die allgemeinen Regeln der §§ 415 ff ABGB einschlägig sind (vgl. VwGH 10.9.2008, 2007/05/0206; 15.12.2009, 2007/05/0057; sowie 20.4.2022, Ra 2022/06/0010 bis 0012, jeweils mwN).
15Darüber hinaus wäre zu prüfen gewesen, ob das Eigentum an der von der Grenzmauer überbauten Teilfläche des Grundstückes durch qualifizierten Besitz während der gesetzlich bestimmten Frist nach den allgemeinen Regeln des §§ 1460 ff ABGB ersessen wurde (vgl. etwa OGH 7.12.2001, 7 Ob226/01 p, mwN); ausgenommen von einer Ersitzung sind nach § 50 VermG lediglich jene Teile von Grundstücken, die bereits im Grenzkataster enthalten sind (RISJustiz RS0011696), was auf den vorliegenden Fall nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht zutrifft.
16Das Verwaltungsgericht setzte sich jedoch trotz eines entsprechenden Vorbringens des Revisionswerbers nicht mit der Frage auseinander, wer vor dem Hintergrund der allgemeinen Regeln der §§ 415 ff ABGB oder jenen der §§ 1460 ff ABGB Eigentümer des von der Mauer überbauten Grundstücksteiles ist. Die Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis: „In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass im Jahr 1973 eine Mauer errichtet wurde [...], da durch diese nachträglich errichtete Mauer die im Jahr 1971 zwischen den damaligen Grundstückseigentümern einvernehmlich festgelegte Grundstücksgrenze im rechtlichen Sinn nicht verändert wurde.“ lassen die entscheidungswesentliche Frage eines allfälligen zwischenzeitig erfolgten außerbücherlichen Erwerbs des im Jahr 1973 überbauten Grundes durch den Revisionswerber unberücksichtigt.
17Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei es sich erübrigt, auf das weitere Revisionsvorbringen näher einzugehen.
18Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGHAufwandersatzverordnung 2014. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die Umsatzsteuer, die in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung schon enthalten ist (vgl. etwa VwGH 27.5.2025, Ra 2024/08/0065).
Wien, am 26. August 2025