Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofrätinnen Mag. a Merl und Mag. Liebhart Mutzl als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Projekt Radegunder Straße 40 der I GmbH Co KG in G, vertreten durch die HOHENBERG Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 21. Mai 2024, LVwG 50.10 848/2024 11, betreffend Zurückverweisung in einer baurechtlichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz; mitbeteiligte Partei: Ing. D W, vertreten durch Mag. Rainer Frank, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 6/1. Stock; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Landeshauptstadt Graz hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Aus den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses ergibt sich folgender Sachverhalt:
Am 20. Dezember 2018 beantragte die R. Bauträger GmbH die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung eines 4 geschoßigen Wohnhauses mit 10 Wohneinheiten, einer Tiefgarage mit 18 PKW Abstellplätzen und zwei nicht überdachten PKW Abstellplätzen im Freien, eines überdachten Müllplatzes sowie Geländeveränderungen auf näher genannten Grundstücken der KG A.
Die Mitbeteiligte ist Eigentümerin eines an den Bauplatz angrenzenden Grundstückes. Sie erhob Einwendungen gegen das Bauvorhaben.
Mit Bescheid vom 22. Jänner 2021 erteilte die belangte Behörde der R. Bauträger GmbH die beantragte Baugenehmigung.
Aufgrund einer Beschwerde der Mitbeteiligten hob das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) mit Erkenntnis vom 21. April 2022 den Bescheid der belangten Behörde vom 22. Jänner 2021 wegen Unzuständigkeit auf.
Mit Schreiben vom 9. Februar 2023 suchte die nunmehrige Revisionswerberin um „Übernahme des laufenden Bauverfahrens als neue Grundeigentümern und Bauwerberin“ an, gab unter einem eine Änderung des Bauansuchens dahingehend bekannt, dass die Anzahl der Wohneinheiten von 10 auf 13 Wohnungen erweitert werde, und stellte die Grundstücksnummer des vom Bauvorhaben betroffenen Grundstückes aufgrund einer Grundstückszusammenlegung richtig. Gleichzeitig wurden der belangten Behörde neue Projektunterlagen, unter anderem die Baubeschreibung vom 9. Februar 2023, der Einreichplan vom 2. Jänner 2023 sowie das Entwässerungskonzept vom 31. Jänner 2023 übermittelt.
Die belangte Behörde holte zwischen Juli und Oktober 2023 Stellungnahmen von Amtssachverständigen in schalltechnischer, lufttechnischer und städtebaulicher Hinsicht sowie in Bezug auf die Anforderungen an den „anpassbaren Wohnbau“ ein. Ein bautechnischer Amtssachverständiger wurde mit Gutachtensauftrag vom 20. Oktober 2023 ebenfalls eingebunden; eine Stellungnahme dieses Amtssachverständigen langte bei der belangten Behörde jedoch nicht ein. Den betroffenen Nachbarn als Parteien des Bauverfahrens brachte die belangte Behörde die Antragsänderungen jedoch nicht zur Kenntnis.
Sodann erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 15. Dezember 2023 mit folgendem Spruchpunkt I.:
„Der P GmbH Co KG wird die Bewilligung zur plan und beschreibungsgemäßen
• Errichtung einer Wohnanlage mit 10 Wohneinheiten und
• einer Tiefgarage mit 18 PKW Abstellplätzen sowie
• für die Durchführung von Geländeveränderungen
in [...], mit nachstehenden Auflagen erteilt: ...“
2 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das LVwG der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten statt, behob den Bescheid vom 15. Dezember 2023 und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück. Eine Revision wurde für unzulässig erklärt.
Begründend führte das LVwG soweit entscheidungsrelevant zusammengefasst aus, laut Spruch werde der Revisionswerberin die Baubewilligung für die Errichtung von 10 Wohneinheiten, einer Tiefgarage mit 18 PKW Anstellplätzen sowie für die Durchführung von Geländeveränderungen erteilt, ohne dass die Projektänderung vom Februar 2023 bezüglich der nunmehr geplanten 13 Wohneinheiten berücksichtigt worden wäre. Auch in den Auflagen werde teilweise auf Unterlagen aus dem Jahr 2018 und teilweise auf die geänderten Projektunterlagen aus dem Jahr 2023 Bezug genommen; die geänderten Projektunterlagen 2023 seien mit einem Genehmigungsvermerk versehen und damit zu einem integrierenden Bestandteil des Bescheides gemacht worden. Aus der Zusammenschau des angefochtenen Bescheides mit den mit Genehmigungsvermerk versehenen Projektunterlagen ergebe sich ein widersprüchlicher Inhalt der angefochtenen Baubewilligung, der durch Auslegung nicht gelöst werden könne.
Aufgrund des nicht eindeutig abgrenzbaren Verfahrensgegenstands stehe der maßgebliche Sachverhalt iSd § 28 Abs. 2 VwGVG nicht fest. Auch durch Auslegung könne nicht eruiert werden, was überhaupt Gegenstand der Bewilligung sei und welchem Bewilligungsgegenstand die durch die Behörde getätigten Ermittlungen zuordenbar seien. Darüber hinaus könnten auch andere Nachbarn vom geänderten Projekt betroffen sein, die bisher noch keine Einwände vorgebracht hätten.
Es sei nicht zu erkennen, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das LVwG rascher oder kostengünstiger erfolgen könnte als durch die mit der Angelegenheit vertraute belangte Behörde, die auch auf die Sachbearbeiter und Amtssachverständigen zurückgreifen könne, die mit dem Verfahren und den betreffenden Ermittlungen bereits betraut gewesen seien.
3 Die Revisionswerberin beantragt, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, und bringt in der Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen des angefochtenen Beschlusses von näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung von Bescheiden vor. Das irrtümliche Rezipieren der Zahl von Wohneinheiten aus einem Einreichprojekt und falsche Verweise auf Einreichunterlagen bzw. Ermittlungsergebnisse stellten eine lässliche Fehlleistung dar, die gemäß § 62 Abs. 4 AVG berichtigbar sei.
4 Die Mitbeteiligte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Die Revision ist zulässig und begründet.
6 Die Revisionswerberin bringt in den Revisionsgründen zusammengefasst vor, bei den Widersprüchlichkeiten handle es sich um verbesserungsfähige Schreibfehler gemäß § 62 Abs. 4 AVG, weil insbesondere die Parteien den Spruchinhalt zutreffend erkannt hätten; dieser sei daher gemäß seinem wahren Gehalt berichtigend auszulegen. Die „Insuffizienzen“ des behördlichen Verfahrens (unterbliebenes Parteiengehör, unterbliebene Überprüfung des Entwässerungskonzeptes durch Amtssachverständige) seien nicht so „hochgradig“, dass sie „im Interesse der Raschheit“ gemäß § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG eine Zurückverweisung rechtfertigten.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht an die Verwaltungsbehörde kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Auch die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. etwa VwGH 22.6.2020, Ra 2018/06/0166, Rn. 14, mwN).
Sind wie im Revisionsfall (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa VwGH 27.6.2024, Ra 2024/06/0030, Rn. 12, mwN).
Die Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG setzt einen fehlerhaften Verwaltungsakt mit der Maßgabe voraus, dass eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit sowie deren Offenkundigkeit gegeben ist. Die Berichtigung ist auf jene Fälle der Fehlerhaftigkeit eingeschränkt, in denen die Unrichtigkeit eine offenkundige ist, wobei es allerdings ausreichend ist, wenn die Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, die Unrichtigkeit des Bescheides hätten erkennen können und die Unrichtigkeit ferner von der Behörde bei entsprechender Aufmerksamkeit bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können. Bei der Beurteilung einer Unrichtigkeit als offenkundig im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG kommt es letztlich auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile (z.B. der Begründung) bzw. auf den Akteninhalt an. Handelt es sich um offenbar auf Versehen beruhende Unrichtigkeiten, die nach § 62 Abs. 4 AVG jederzeit hätten berichtigt werden können, ist die Entscheidung auch vor einer Berichtigung bereits in der entsprechenden richtigen Fassung zu lesen (vgl. VwGH 7.1.2025, Ra 2024/06/0106, Rn. 7, mwN).
8 Das LVwG begründet seine zurückverweisende Entscheidung mit Widersprüchen sowohl innerhalb des Bescheides als auch zwischen dem Bescheid und den vidierten Planunterlagen hinsichtlich der Anzahl der geplanten Wohneinheiten (10 oder 13 Wohneinheiten) und Planunterlagen unterschiedlichen Datums, die durch Auslegung nicht geklärt werden könnten, und schließt daraus, der Verfahrensgegenstand des behördlichen Verfahrens stehe nicht fest und es könne nicht eruiert werden, was überhaupt Gegenstand der Bewilligung sei.
Dabei wird übersehen, dass bei einem antragsbedürftiges Verfahren wie dem Baubewilligungsverfahren die „Sache“, über die eine Behörde im Bauverfahren zu entscheiden hat, durch das Ansuchen/die Anzeige bestimmt wird (vgl. die bei Hauer , Der Nachbar im Baurecht 6 89 ff, zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Gegenstand des Verfahrens war fallbezogen somit der zuletzt mit Schreiben vom 9. Februar 2023 geänderte Antrag der Revisionswerberin auf Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung eines 4 geschoßigen Wohnhauses mit 13 Wohneinheiten, einer Tiefgarage mit 18 PKW Abstellplätzen und zwei nicht überdachten PKW Abstellplätzen im Freien, eines überdachten Müllplatzes sowie Geländeveränderungen auf Basis der Einreichunterlagen aus dem Jänner/Februar 2023.
Aufgrund der Nennung der Revisionswerberin sowohl im Spruch als auch in der Zustellverfügung des Bescheides, die Bezugnahme in der Auflage Nr. 25. auf die von der Revisionswerberin vorgelegte geotechnische Stellungnahme vom 16. Jänner 2023 und in Auflage Nr. 27. auf das Brandschutzgutachten vom 24. Februar 2024, der Hinweis in der Begründung auf die Einbindung von Amtssachverständigen zum Änderungsprojekt sowie der Vidierung der geänderten Einreichunterlagen ist offenkundig, dass die belangte Behörde dem Antrag entsprechend über das Bauvorhaben in Form des Änderungsansuchens vom Februar 2023 absprach. Der Gegenstand der Bewilligung ist somit klar; die vom LVwG angeführten Unrichtigkeiten sind gemäß § 62 Abs. 4 AVG in der entsprechenden richtigen Fassung zu lesen.
9 Die belangte Behörde holte zur Antragsänderung Stellungnahmen von Amtssachverständigen in schalltechnischer, lufttechnischer und städtebaulicher Hinsicht sowie in Bezug auf die Anforderungen an den „anpassbaren Wohnbau“ ein und beauftragte einen bautechnischer Amtssachverständiger mit der Erstattung eines Gutachtens. Angesichts dessen kann nicht gesagt werden, die Behörde hätte jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt, bloß ansatzweise ermittelt oder (etwa schwierige) Ermittlungen bewusst unterlassen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund das LVwG nicht selbst das mit Gutachtensauftrag vom 20. Oktober 2023 angeforderte Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen, das den Feststellungen im angefochtenen Beschluss zufolge nicht eingelangt sei, hätte urgieren können. Der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge fehlt dem Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 52 AVG der für die Führung eines Ermittlungsverfahrens notwendige Zugang zu (Amts )Sachverständigen grundsätzlich nicht (vgl. etwa VwGH 6.2.2023, Ra 2021/06/0209 bis 0216, Rn. 17, mwN).
10 Der angefochtene Beschluss ist sohin mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
11 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. Februar 2025