JudikaturVwGH

Ra 2018/06/0166 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 2020

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Liebhart Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Schreiber BA, über die Revision des Gemeinderates der Gemeinde P, vertreten durch Mag. Dr. Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3/1. Stock, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 16. Mai 2018, LVwG 50.4 3083/2017 11, betreffend Feststellung des rechtmäßigen Bestandes (mitbeteiligte Partei: Ing. A H in G, vertreten durch Dr. Günter Folk, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 6/1. Stock; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Eingabe vom 3. März 2016 begehrten J.G. und H.G. (im Folgenden: Bauwerber) beim Bürgermeister der Gemeinde P. die Feststellung des rechtmäßigen Bestandes gemäß § 40 Abs. 2 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) betreffend ein Stallgebäude auf ihrem näher bezeichneten, im Freiland liegenden Grundstück der KG M.

2 Der Mitbeteiligte ist Eigentümer des nördlich des Baugrundstückes liegenden und von diesem durch eine Verkehrsfläche getrennten Grundstückes.

3 In der von der Baubehörde erster Instanz durchgeführten Bauverhandlung vom 16. Juni 2016 und vom 1. September 2016, an welcher neben den Bauwerbern unter anderem der Mitbeteiligte teilgenommen hat, führte der bautechnische Sachverständige Ing. H. unter Hinweis auf den von den Bauwerbern angegebenen Errichtungszeitraum betreffend das gegenständliche Gebäude von 1975 bis 1977 bzw. bis 1982 aus, dass das Gebäude ursprünglich mit Bescheid vom 20. Juni 1973 baubewilligt worden sei. Mit Bescheid vom 24. Juli 1978 sei für den Bereich des Erdgeschoßes eine vorübergehende Benützungsbewilligung erteilt worden, die aber durch den Ablauf der in diesem Bescheid für die Fertigstellung des Gebäudes festgelegten Frist bis 31. Oktober 1981 erloschen sei. Die Gebäudeabmessungen seien in der Breite um 35 cm und in der Länge um 20 cm nur gering verändert worden. Die Dachform sei ebenfalls nur geringfügig verändert worden.

4 Mit dem im innergemeindlichen Instanzenzug ergangenen Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 28. Juni 2017 wurde gemäß § 40 Abs. 2 und 3 Stmk. BauG der rechtmäßige Bestand des in Rede stehenden Wirtschaftsgebäudes festgestellt.

5 In seiner dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte im Wesentlichen vor, entgegen der Ansicht der revisionswerbenden Partei, welche davon ausgegangen sei, dass das gegenständliche Wirtschaftsgebäude in den Jahren 1975 bis 1982 errichtet worden sei, seien nach dem 1. Jänner 1985 erhebliche Veränderungen (wird näher ausgeführt) an diesem Gebäude durchgeführt worden, für welche größtenteils keine Baubewilligungen vorlägen. Folglich sei eine bescheidmäßige Feststellung des rechtmäßigen Bestandes des gegenständlichen Gebäudes, an welchem mehrfach nach dem 1. Jänner 1985 unbewilligte bauliche Veränderungen erfolgt seien, unter gänzlicher Ignorierung dieser durchgeführten Veränderungen rechtswidrig. Hinsichtlich der erfolgten Veränderungen bedürfe es einer nachträglichen Baubewilligung oder Baufreistellung, wobei hierfür die gesetzlich geforderten Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Weiters zog der Mitbeteiligte die Bewilligungsfähigkeit der vom Feststellungsbescheid ebenfalls erfassten Güllegrube in Zweifel.

6 Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht) den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Partei zurück (Spruckpunkt I.); gleichzeitig wies es den Kostenersatzantrag des Mitbeteiligten als unzulässig zurück (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass gegen diesen Beschluss eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt III.).

7 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, dass es sich bei den festgestellten Abweichungen in Größe und Bauweise um keine geringfügigen Änderungen handle, sodass für das Wirtschaftsgebäude und die Güllegrube kein Baukonsens bestehe. Voraussetzung für die Feststellung der Rechtmäßigkeit im Sinn des § 40 Abs. 2 Stmk. BauG sei, dass die Errichtung der in Rede stehenden baulichen Anlagen zwischen dem 1. Jänner 1969 und dem 31. Dezember 1984 erfolgt sei und dass diesfalls die baulichen Anlagen im Zeitpunkt ihrer Errichtung bewilligungsfähig gewesen wären. Die revisionswerbende Partei hätte daher festzustellen gehabt, ob das Wirtschaftsgebäude und die Güllegrube bis zum 31. Dezember 1984 errichtet worden seien, in welcher Form diese damals errichtet worden seien und ob die Bausubstanz im Wesentlichen erhalten geblieben sei. Schließlich hätte die revisionswerbende Partei feststellen müssen, welche baubewilligungs- oder anzeigepflichtigen Veränderungen nach dem 31. Dezember 1984 durchgeführt worden seien, weil diese nicht Gegenstand des vorliegenden Feststellungsverfahrens sein könnten. Die revisionswerbende Partei habe aber sämtliche Ermittlungen zum Errichtungszeitpunkt und zur damaligen Ausführung der in Rede stehenden baulichen Anlagen unterlassen und sich damit begnügt, die Angaben der Bauwerber zum Errichtungszeitpunkt zugrunde zu legen. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes setze eine profunde Kenntnis der örtlichen Situation und des bisherigen baubehördlichen Tätigwerdens voraus, wobei angemerkt werde, dass nicht sämtliche verfahrensrechtlich relevanten Unterlagen im vorgelegten Akt vorhanden seien. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass es dem Verwaltungsgericht möglich sein werde, den maßgeblichen Sachverhalt rascher als die revisionswerbende Partei festzustellen, weil die Ermittlung des Errichtungszeitraumes etwa durch Einvernahme von Zeugen, durch Begutachtung der örtlichen Situation durch den mit der Sache bereits betrauten amtlichen Sachverständigen oder durch Heranziehung früherer behördlicher Akten durch die revisionswerbende Partei vor Ort rascher und kosteneffizienter erfolgen könne.

8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist in Anbetracht der Frage der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die revisionswerbende Partei zulässig.

10 § 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

... “

11 Die revisionswerbende Partei führt im Wesentlichen aus, die Feststellung des Verwaltungsgerichtes, die revisionswerbende Partei habe jegliche Ermittlungstätigkeit hinsichtlich des Errichtungszeitpunktes unterlassen, widerspreche dem Akteninhalt und den vorliegenden Beweisen und Dokumenten und den Ausführungen im Bescheid der revisionswerbenden Partei. Einzig der Einbau von sechs Fenstern im Obergeschoß und die Ausführung des Obergeschoßes hätten möglicherweise einer genaueren Erörterung hinsichtlich des Durchführungszeitpunktes bedurft. Daraus abzuleiten, dass jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen worden sei, sei mehr als überschießend. Erst in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht habe der Mitbeteiligte detailliert vorgebracht, dass am gesamten Gebäude massive Veränderungen nach dem 31. Dezember 1984 durchgeführt worden seien. Eine solche erst durch das Beschwerdevorbringen hervortretende unzulängliche Ermittlung des Sachverhaltes durch die revisionswerbende Partei sei jedoch nicht unter § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu subsumieren.

12 Zudem verkenne das Verwaltungsgericht den Norminhalt des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG, wenn es darauf abstelle, dass der Sachverhalt vom Verwaltungsgericht nicht schneller als von der revisionswerbenden Partei ermittelt werden könnte. Vielmehr sei im Interesse der Raschheit zu prüfen, ob sich durch eine Zurückverweisung eine Verfahrensbeschleunigung erzielen ließe. Davon gehe aber das Verwaltungsgericht selbst nicht aus, sondern sehe den Zeitfaktor in etwa gleich an. Damit liege aber eine Entscheidung in der Sache durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb eine profunde Kenntnis der örtlichen Situation jetzt für die Frage der Errichtung eines Objektes vor 40 Jahren von Relevanz sein sollte. Auch vermöge nicht zu überzeugen, dass eine Kenntnisnahme des bisherigen baubehördlichen Tätigwerdens durch die revisionswerbende Partei besser bewerkstelligt werden könne, ergebe sich dies doch aus den Verwaltungsakten. Die Beischaffung eines Verwaltungsaktes rechtfertige aber ebenso wenig die Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht. Die vom Verwaltungsgericht bemängelten Feststellungen könnten nur durch die weitere Einvernahme von Zeugen und die Erstattung eines Gutachtens, welches versuche, anhand der verwendeten Materialien festzustellen, wann die jeweiligen Bestandteile der baulichen Anlage errichtet worden seien, getroffen werden. Diese seien im Interesse der Raschheit schneller durch das Verwaltungsgericht beizuschaffen, zumal die Zeugen vom Verwaltungsgericht in einer mündlichen Verhandlung neuerlich einzuvernehmen sein würden. Die Beauftragung eines Gutachtens werde durch das Verwaltungsgericht ebenfalls schneller und zudem kostengünstiger von statten gehen, könne dieses doch im Gegensatz zur revisionswerbenden Partei auf den Amtssachverständigenpool des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung zugreifen, wohingegen die revisionswerbende Partei einen nichtamtlichen Sachverständigen beauftragen müsste.

Mit diesem Vorbringen zeigt die revisionswerbende Partei eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses auf.

13 Zunächst kann zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, verwiesen werden.

14 Demnach ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht an die Verwaltungsbehörde kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Auch die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. etwa VwGH 30.10.2018, Ra 2016/05/0073, mwN).

15 Aus der dargestellten hg. Judikatur ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht im Revisionsfall die von ihm als notwendig erachteten ergänzenden Ermittlungen selbst durchzuführen und, gegebenenfalls nach Abhaltung einer mündlichen Verhandlung, in der Sache selbst zu entscheiden hat: Krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken, wie die Unterlassung jeglicher erforderlicher Ermittlungstätigkeit, das Setzen völlig ungeeigneter Ermittlungsschritte oder eine bloß ansatzweise Ermittlung zeigt die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht auf.

16 Dass im von der revisionswerbenden Partei vorgelegten Verwaltungsakt nicht aufliegende Unterlagen beizuschaffen sind, vermag die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht zu rechtfertigen. Gleiches gilt in Bezug auf die vom Mitbeteiligten aufgestellte Behauptung, wonach an dem gegenständlichen Gebäude auch noch nach dem 31. Dezember 1984 bauliche Änderungen vorgenommen worden seien, welche erstmals in der Beschwerde an das Verwaltungsgericht konkretisiert wurde und von diesem auf seine Richtigkeit zu überprüfen ist. Auch die dadurch allenfalls bewirkte Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens oder der Einvernahme von Zeugen rechtfertigt nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG.

17 Sind wie im Revisionsfall (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. VwGH 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, mwN).

Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 22. Juni 2020

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