Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofrätinnen Mag. a Merl und Mag. Liebhart Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bürgermeisters der Marktgemeinde Völs, vertreten durch Univ. Doz. Dr. Thomas Walzel von Wiesentreu, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Museumstraße 28/4. Stock, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 10. Jänner 2024, LVwG 2023/32/2697 4, betreffend einen baupolizeilichen Beseitigungsauftrag (mitbeteiligte Parteien: 1. DI A D und 2. R D, beide in W, 3. H P und 4. Ing. G P, beide in V, alle vertreten durch Dr. Klaus Perktold, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Museumstraße 1/I; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag auf Aufwandersatz wird abgewiesen.
1 Mit Eingabe vom 17. Jänner 2017 beantragten unter anderem die mitbeteiligten Parteien die Erteilung einer nachträglichen baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Stützmauer aus Betonsteinen sowie die Instandsetzung derselben.
2 Mit Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom 18. Mai 2017 wurde das Bauansuchen vom 17. Jänner 2017 gemäß § 27 Abs. 4 lit. f Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) abgewiesen (Spruchpunkt I.). Mit Spruchpunkt II. wurde den mitbeteiligten Parteien gemäß § 39 Abs. 1 TBO 2011 der Auftrag zur Beseitigung der Stützmauer an der Südseite ihrer Grundstücke sowie die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Bauplatzes innerhalb einer bestimmten Frist unter Vorschreibung von Auflagen aufgetragen.
3 Aufgrund einer Beschwerde der mitbeteiligten Parteien behob das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) mit Beschluss vom 18. Dezember 2017 Spruchpunkt II. des oben angeführten Bescheides betreffend den Beseitigungs- und Wiederherstellungsauftrag und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an den Amtsrevisionswerber zur Erlassung eines neuen Bescheides zurück. Dies begründete das LVwG zusammengefasst damit, dass der Auftrag zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes sowie die Leistungsfrist durch den Revisionswerber nicht ausreichend bestimmt seien. Ein baupolizeilicher Auftrag müsse so bestimmt sein, dass er Gegenstand eines Vollstreckungsverfahrens sein könne.
4 Nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens trug der Amtsrevisionswerber mit Bescheid vom 22. September 2023 den mitbeteiligten Parteien gemäß § 46 Abs. 7 Tiroler Bauordnung 2022 (TBO 2022) auf, „die gemäß dem einem integrierenden Bestandteil des Bescheides darstellenden ‚Bestandsplan Stützmauer‘ des Dipl. Ing. H[...] W[...], Ingenieurkonsulent für Vermessungswesen, vom 10.10.2018, GZ A, zwischen den Vermessungspunkten 7101 und 7089 im südlichen Bereich der Grundstücke Nr B, C und im nördlichen Bereich der Grundstücke D, E und F gelegene Stützmauer bis längstens 31.12.2023 zu beseitigen.“ Im Zusammenhang mit der Erteilung des baupolizeilichen Beseitigungsauftrages wurden insgesamt 15 Auflagen vorgeschrieben.
5 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das LVwG der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien insofern Folge, als der angefochtene Bescheid des Amtsrevisionswerbers gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit neuerlich an diesen zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen wurde. Eine Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
Begründend führte das LVwG zusammengefasst aus, fallbezogen sei § 46 Abs. 1 letzter Satz TBO 2022 anzuwenden, weil die Stützmauer eine Höhe von mehr als zwei Meter aufweise und daher bewilligungspflichtig sei. Demnach sei die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlichenfalls (Hervorhebung im Original) aufzutragen. Dies sei mit dem gegenständlichen Bescheid völlig unzureichend erfolgt, obwohl bereits im Zurückweisungsbeschluss vom 18. Dezember 2017 ausdrücklich auf die diesbezügliche Notwendigkeit hingewiesen worden sei. Auch in der Bescheidbegründung fänden sich keine Anhaltspunkte, inwieweit sich der Amtsrevisionswerber mit dieser Thematik überhaupt befasst habe. Da aufgrund der Funktion der gegenständlichen Stützmauer und deren Lage an einem steilen Hang der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes auch bei laienhafter Betrachtung Bedeutung zukomme, sei „der angefochtene Bescheid aufzuheben und zurückzuverweisen“. Auflagen seien pflichtbegründende Nebenbestimmungen eines an sich begünstigenden Verwaltungsaktes; bei einem baupolizeilichen Auftrag wie hier handle es sich nicht um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Darüber hinaus sei Auflagenpunkt 15 des angefochtenen Bescheides, wonach die betroffenen Grundstücke durch entsprechende Pflanzungsmaßnahmen zu rekultivieren seien, in Anbetracht der Hanglage völlig unzureichend ausgestaltet. Mit dieser Auflage werde aufgezeigt, dass der Revisionswerber sich mit der schwierigen Frage, wie die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erfolgen solle, nicht auseinandergesetzt habe, obwohl die Notwendigkeit dazu bereits im Zurückweisungsbeschluss vom 18. Dezember 2017 angesprochen worden sei.
Ergänzend führte das LVwG nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Aufteilung der Kosten zwischen den damaligen Grundeigentümern betreffend die Errichtung der Stützmauer im Jahr 1979 aus, der Amtsrevisionswerber werde im fortzusetzenden Verfahren im Rahmen der freien Beweiswürdigung die Kostenaufstellung allenfalls unter Einbeziehung der Eigentümer der betroffenen Grundstücke miteinzubeziehen haben, da diese als Beweismittel hinsichtlich der Lage der Mauer und der Eigentumsverhältnisse an der Mauer in einem allfälligen Vollstreckungsverfahren dienen könne.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
7 Die mitbeteiligten Parteien beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision kostenpflichtig zurück-, in eventu abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass dem Amtsrevisionswerber bereits mit Beschluss des LVwG vom 18. Dezember 2017 aufgetragen worden war, den Auftrag zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes durch „die exakte Feststellung des ursprünglichen Geländes und die [...] Definition der einzelnen Maßnahmen“ zur Wiederherstellung desselben näher zu konkretisieren. An diese rechtliche Beurteilung ist auch der Amtsrevisionswerber gemäß § 28 Abs. 3 letzter Satz VwGVG gebunden (vgl. etwa VwGH 2.1.2023, Ra 2021/08/0147, Rn. 13, mwN); das angefochtene Erkenntnis steht mit dieser Rechtslage und der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Einklang. Dass fallbezogen diese Bindungswirkung aufgrund einer wesentlichen Änderung der Sach und Rechtslage nicht vorliege, wurde nicht vorgebracht und ist auch nicht zu erkennen. Mit dem Zulässigkeitsvorbringen, ob zugleich mit dem Beseitigungsauftrag jedenfalls auch Feststellungen zum früheren Gelände zu treffen und zwingend auch die Wiederherstellung des ursprünglichen Geländes aufzutragen seien, wird somit keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt.
9 Darüber hinaus bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision vor, das LVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insoweit abgewichen, als es die Grundsätze der Verpflichtung zur Beachtung der Amtswegigkeit und der Entscheidung in der Sache selbst missachtet habe (Hinweis auf VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066). § 28 Abs. 2 VwGVG verpflichte das Verwaltungsgericht auch dann, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sei (Hinweis auf VwGH 8.3.2021, Ra 2020/01/0278), in der Sache selbst zu entscheiden.
10 Aufgrund dieses Vorbringens erweist sich die Revision als zulässig.
11 § 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 138/2017 , lautet auszugsweise:
„ Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
...“
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte (vgl. dazu etwa VwGH 19.6.2020, Ra 2019/06/0060 , Rn. 10, mwN).
Sind wie im Revisionsfall (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa VwGH 6.2.2023, Ra 2021/06/0209 0216, Rn. 16, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof hob ferner bereits hervor, dass das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen hat, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit (ausnahmsweise) als nicht gegeben annimmt. Dabei ist u.a. darzulegen, inwiefern allenfalls erforderliche Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen wären (vgl. VwGH 17.6.2019, Ra 2018/22/0058, Pkt. 5.2., mwN).
13 Der angefochtene Beschluss geht in keiner Weise darauf ein, aus welchem Grund der Auftrag zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands nicht durch das LVwG selbst konkretisiert werden könnte, etwa durch eine ergänzende Beauftragung des bereits im vorigen Verfahrensgang beigezogenen hochbautechnischen Amtssachverständigen Ing. S. Dieser machte in der Verhandlung vor dem LVwG am 18. Dezember 2017 bereits detaillierte, wenn auch keine abschließenden Ausführungen zu den Anforderungen an die Herstellung des ursprünglichen Geländeverlaufes. Vor dem Hintergrund, dass das Verfahren betreffend den Beseitigungs- und Wiederherstellungsauftrag bereits mehr als sechseinhalb Jahre anhängig ist, wäre eine nachvollziehbare Begründung, inwiefern die durch die Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht verursachte neuerliche Verfahrensverlängerung im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sei und damit ein (ausnahmsweises) Abweichen von der meritorischen Entscheidungszuständigkeit rechtfertigen könnte, von besonderer Bedeutung.
14 Der angefochtene Beschluss ist sohin mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
15 Der Antrag auf Aufwandersatz war schon deshalb abzuweisen, weil gemäß § 47 Abs. 4 VwGG in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 2 B VG dem Amtsrevisionswerber kein Anspruch auf Aufwandersatz zusteht.
Wien, am 27. Juni 2024