Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Lachmayer und Dr. in Wiesinger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Grieskirchen Wels in 4601 Wels, Dragonerstraße 31, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 3. August 2023, Zl. RV/5101166/2018, betreffend u.a. Körperschaftsteuer 2016 (mitbeteiligte Partei: Ö GmbH in L, vertreten durch die Treuhand Union OÖ Wirtschaftstreuhand Steuerberatung GmbH in 4030 Linz, Denkstraße 49), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es die Körperschaftsteuer 2016 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Strittig ist im Revisionsfall, ob der Tatbestand eines Mantelkaufs gemäß § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988 erfüllt wurde.
2 Nach einer Außenprüfung nahm das Finanzamt das Verfahren der Mitbeteiligten für die Körperschaftsteuer 2016 wieder auf. Begründend verwies es auf das Vorliegen eines Mantelkauftatbestandes und die Nichtabzugsfähigkeit näher genannter Aufwendungen laut Betriebsprüfungsbericht. In diesem wurde unter Tz 1 ausgeführt, dass die SD GmbH am 16. August 2012 55% der Anteile an der Mitbeteiligten von Dr. W um 100.000 € erworben habe. Die Mitbeteiligte habe bis 2012 angelaufene Verluste von 413.414,08 € verzeichnet. Der Kaufpreis habe 100.000 € betragen, wovon bis dato nur 35.000 € bezahlt worden seien. Der restliche Betrag von 65.000 € sei laut einer gesonderten Vereinbarung in jährlichen Raten zu bezahlen. Die Höhe der jährlichen Raten richte sich nach dem jeweiligen Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (EGT) und betrage 25% des jeweiligen EGT. Im Jahr 2014 habe die Mitbeteiligte erstmals ein positives EGT ausgewiesen. Jedoch sei bis dato, trotz positiver Ergebnisse, keine Zahlung des Restbetrags erfolgt. Mit Kaufvertrag vom 19. Dezember 2015 habe WS (100% Gesellschafter Geschäftsführer der SD) die 55% Anteile an der Mitbeteiligten von der SD um 65.000 € erworben. Der Abgabenbehörde liege eine anonyme Anzeige vor. Aus dieser Anzeige gehe hervor, dass die Mitbeteiligte im Jahr 2012 von WS nur zu einem Zweck gekauft worden sei und zwar, um die Verluste zu verwerten. Dieser Anzeige liege ein Mailverkehr betreffend den Verkauf eines GmbH Mantels bei. In diesem Mailverkehr würden dezidiert Überlegungen zum Verkauf des GmbH Mantels angeführt. Dr. W rechne mit einem Preis von rund 100.000 €, wobei er 50.000 € sofort und die restlichen 50.000 € bei positiver Verwertung der steuerlichen Verlustvorträge erhalten wolle. Um die Chance der Anerkennung der Verluste zu erhöhen, wäre Dr. W laut E Mail vom 10. Februar 2012 bereit, für einen gewissen Zeitraum weiterhin als Geschäftsführer der Gesellschaft formell zur Verfügung zu stehen. Für diesen Zeitraum wolle Dr. W, dass ihm gegenüber eine Schad und Klagloserklärung abgegeben werde. Es seien keine Belege für die tatsächliche Geschäftsführertätigkeit des Dr. W vorgelegt worden, er sei nach außen hin nicht in Erscheinung getreten, verfüge über keine entsprechende Infrastruktur und sei bisher in keiner Weise entlohnt worden. Es sei unglaubwürdig, dass er den Kontakt zu SL, für die die Mitbeteiligte Bauherrenmodelle vertreibe, hergestellt haben solle, da er keine Provision dafür erhalten habe. Es liege auch eine Änderung der Tätigkeit (keine Planung oder Bau, sondern reine Vermittlung) vor. Der ermittelte Sachverhalt zeige, dass alle Tatbestandsmerkmale eines Mantelkaufs vorlägen. Auch der kurze Zeitraum der Verwirklichung der Änderungen spreche für das Vorliegen eines Mantelkaufs. Die organisatorischen und wirtschaftlichen Änderungen hätten zeitgleich mit dem Abschluss des Kaufvertrages stattgefunden, zu dem sich auch die Gesellschafterstruktur verändert habe.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin der Mitbeteiligte einen Vorlageantrag stellte.
4 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2016 in Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses teilweise Folge. Es stellte fest, dass bei der Mitbeteiligten im Jahr 2009 Verluste aus einem nichtverwirklichten Immobilienprojekt entstanden seien. Im Jahr 2007 sei die Mitbeteiligte von Dr. W und MW gegründet worden. Diese Gesellschaft sei im Jahr 2008 von Dr. W zur Gänze übernommen und umbenannt worden. Die Mitbeteiligte sei seit 2009 im Geschäftszweig ökologisch orientierter Wohnbau tätig (davor sei sie im Ankauf, Entwicklung und Verwertung von Immobilien, Abwicklung von Bauträgergeschäften tätig gewesen). 2010 sei die Mitbeteiligte in den Status der Liquidation versetzt worden, Dr. W sei als Liquidator eingesetzt worden. Die Gesellschaft sei zu diesem Zeitpunkt weitgehend vermögenslos und inaktiv gewesen. 2012 sei der Liquidationsbeschluss wieder aufgehoben und Dr. W wieder als Geschäftsführer eingesetzt worden. Grund für die Inaktivität der Gesellschaft ab 2009 bis zum Verkauf der Anteile sei ein Innehalten nach einem gescheiterten Projekt gewesen. Dr. W sei bis zum Verkauf von 55% der Anteile im Jahr 2012 Alleineigentümer der Gesellschaft gewesen. 45% der Anteile gehörten ihm bis heute. Der Kaufpreis für die abgetretene Beteiligung habe 100.000 € betragen; 35.000 € seien sofort entrichtet worden, der restliche Betrag von 65.000 € sei laut einer gesonderten Vereinbarung in jährlichen Raten zu bezahlen und orientiere sich am EGT (25%). Im Jahr 2014 habe die Mitbeteiligte erstmals ein positives EGT ausgewiesen. Jedoch sei bis dato, trotz positiver Ergebnisse, keine Zahlung des Restbetrags erfolgt. Die Verbindlichkeit sei bis heute aufrecht.
5 Dr. W habe ab dem Zeitpunkt des Anteilsverkaufs weder ein Gehalt als Geschäftsführer bezogen, noch Ausschüttungen in seiner Eigenschaft als Gesellschafter erhalten, oder Provisionsabrechnungen an die Mitbeteiligte gestellt. Die anderen Geschäftsführer hätten ebenfalls keine Geschäftsführerbezüge oder Ausschüttungen erhalten, allerdings hätten sie Provisionsabrechnungen gestellt. Laut Firmenbuch sei Dr. W bis 2012 Geschäftsführer mit Alleinvertretungsbefugnis gewesen, von 2012 bis 2018 Geschäftsführer kollektivvertretungsbefugt mit WS. 2018 sei er aus gesundheitlichen Gründen als Geschäftsführer ausgeschieden. Hauptberuflich sei Dr. W im gesamten Zeitraum Zahnarzt gewesen. Auf der Homepage der Mitbeteiligten sei er nicht als handelnde Person angeführt worden. Er verfüge über kein Büro und keine sonstige Infrastruktur am Firmenstandort. WS sei ab dem Kauf alleinvertretungsbefugt gewesen. Laut Firmenbuch sei der Geschäftszweig der Mitbeteiligten seit 2009 unverändert der ökologisch orientierte Wohnbau. Im Sommer 2014 sei mit dem Vertrieb von Beteiligungen an Immobilienprojekten begonnen worden.
6 Rechtlich führte das Bundesfinanzgericht aus, der Mantelkauftatbestand sei nur dann gegeben, wenn sämtliche Strukturänderungen kumulativ erfüllt seien. Das Fehlen auch nur eines der Merkmale verhindere die Anwendung des § 8 Abs. 4 Z 2 KStG 1988. Die wirtschaftliche Identität gehe nur dann verloren, wenn es zu einer wesentlichen Änderung aller Parameter komme, wobei davon auszugehen sei, dass sich jedes der Merkmale wesentlich ändern müsse. Da allerdings das Gesamtbild der Verhältnisse ausschlaggebend sei, könne eine schwächere Ausprägung eines Merkmales durch besonders starke Ausprägungen der anderen Änderungen kompensiert werden. Hinsichtlich der organisatorischen Strukturänderung sei davon auszugehen, dass Dr. W in den Jahren ab 2012 nur mehr sehr eingeschränkt bzw. formal als Geschäftsführer tätig gewesen sei. Es liege daher eine wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur vor.
7 Eine Änderung der wirtschaftlichen Struktur setze grundsätzlich einen Wechsel oder eine wesentliche Erweiterung des Unternehmensgegenstandes voraus. Laut Firmenbuch sei der Unternehmensgegenstand seit 2009 unverändert der ökologisch orientierte Wohnbau. Sei der Schwerpunkt bis 2012 auf Ankauf, Entwicklung und Verkauf von Immobilien und danach ab Sommer 2014 auf Vermittlung von Immobilienprojekten gelegen, habe sich die Branche bzw. der Unternehmensgegenstand nicht wesentlich geändert. In derartigen Fällen könne von wesentlicher Änderung der wirtschaftlichen Struktur nur gesprochen werden, wenn sich zusätzlich erhebliche Veränderungen im Bereich des Betriebsvermögens ergäben; als Richtgröße könne auch hier eine Veränderung von zumindest 75% angesehen werden. Die Gesellschaft habe im Jahr 2012 kein Vermögen, keine Umsätze und keine Angestellten gehabt. In den Folgejahren seien Umsätze und Gewinne erwirtschaftet und ein Vermögen aufgebaut worden. Allerdings erstreckten sich diese Vermögenserhöhungen über einen längeren Zeitraum (in den Jahren 2012 und 2013 seien noch Verluste erwirtschaftet worden, erst im Jahr 2014 ein Gewinn). Höhere Provisionserträge seien ab 2014 insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 erwirtschaftet worden. Auch das Anlagevermögen sei erst ab 2014 stark angestiegen. Zu diesem Zeitpunkt sei mit dem Vertrieb von Beteiligungen an Immobilienprojekten (SL) begonnen worden. Dies stehe aber mit dem Verkaufsvorgang im Jahre 2012 in keinem Zusammenhang. Vielmehr habe die Mitbeteiligte zwei Jahre nach dem strittigen Verkaufsvorgang ein neues, lukratives Geschäftsfeld für sich entdeckt. Es sei für das Bundesfinanzgericht nicht ersichtlich, dass diese Änderung zum Zeitpunkt des Kaufes bereits vorhersehbar oder geplant gewesen seien. Entscheidend sei ein planmäßiger Zusammenhang zwischen den einzelnen Änderungen; ein solcher liege im Revisionsfall nicht vor. Es sei im Jahr 2014 eine sich bietende Gelegenheit genutzt und damit ein wirtschaftlicher Erfolg erreicht worden. Eine wesentliche Veränderung der wirtschaftlichen Struktur liege daher nicht vor.
8 Eine Änderung der Gesellschafterstruktur habe durch die Kaufvorgänge im Jahr 2012 unstrittig nur zu 55% stattgefunden. Es sei keine wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur vorgenommen worden; die Grenze erachte das Bundesfinanzgericht bei ca. 75%.
9 Das Gesetz fordere eine Beurteilung des Gesamtbildes der Verhältnisse, was gewissermaßen zu einem beweglichen System führe, bei dem aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls der Mantelkauf zu prüfen sei. Es liege zwar eine wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur vor, aber keine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Struktur und keine wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur. Dies gelte auch für die tatsächlichen Verhältnisse. Es liege daher nach dem Gesamtbild der Verhältnisse kein Mantelkauf vor, die Verluste seien abzugsfähig.
10 Die Revision ließ das Bundesfinanzgericht zu, weil zur Frage der wesentlichen wirtschaftlichen Strukturänderung keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiere.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision des Finanzamtes, die vorbringt, das Bundesfinanzgericht habe das Vorliegen einer wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Struktur alleine auf Grund des im Firmenbuch unverändert angegebenen Unternehmensgegenstandes des ökologischen Wohnbaues verneint. Demgegenüber sei im angefochtenen Erkenntnis ausdrücklich festgestellt worden, dass sich der tatsächliche Unternehmensgegenstand von Ankauf, Entwicklung und Verkauf von Immobilien zur Vermittlung von Immobilienprojekten geändert habe. Aus den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes sei auch ersichtlich, dass hierbei der Anteilserwerb im Jahr 2012 als Zäsur erscheine. Das revisionswerbende Finanzamt sei dagegen der Ansicht, dass die wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Struktur auf Basis des tatsächlich verfolgten Unternehmensgegenstandes zu beurteilen sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits ausgesprochen, dass der tatsächliche Unternehmensgegenstand vor und nach dem Erwerb der Unternehmensanteile der Beurteilung der Änderung der wirtschaftlichen Struktur zur Grunde zu legen sei. Im Revisionsfall sei der tatsächliche Unternehmensgegenstand vor und nach dem Anteilserwerb zwar derselben Branche zuzurechnen. Nach der Verkehrsauffassung bestehe aber ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Ankauf, der Entwicklung und dem Verkauf von Immobilien und der Vermittlung von Immobilienprojekten, sodass nach Ansicht des Finanzamtes von einem anderen Unternehmensgegenstand iSd § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988 auszugehen sei. Darüber hinaus sei die mitbeteiligte Partei 2010 in den Status der Liquidation versetzt und Dr. W als Liquidator eingesetzt worden. Eine Liquidation einer GmbH setze nach § 89 GmbHG deren Auflösung voraus. Damit ändere sich aber der tatsächliche Gesellschaftszweck der aufgelösten Gesellschaft. Dieser sei nun nicht mehr der ursprüngliche (satzungsgemäße) Gesellschaftszweck, sondern der Zweck der Abwicklung der Gesellschaft, dh Umsetzung des Gesellschaftsvermögens in Geld, Gläubigerbefriedigung und Verteilung der restlichen Vermögensmassen. Damit sei aber durch den Anteilserwerb im Jahr 2012 eine wesentliche Änderung des Unternehmensgegenstandes eingetreten. Denn dieser Anteilserwerb ziele darauf ab, die Gesellschaft wiederum aus dem Stadium der Abwicklung zu einer werbenden Gesellschaft zu wandeln. Ob der Wechsel des Gesellschaftszwecks vom Abwicklungszweck zu einem werbenden Zweck einen eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Struktur darstellenden Wechsel des Unternehmensgegenstandes darstelle, stelle eine Rechtsfrage dar, zu der bisher keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes vorliege. Zudem habe das Bundesfinanzgericht die mangelnde Änderung der wirtschaftlichen Struktur damit begründet, dass das Anlagevermögen erst ab 2014 und insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 stark angestiegen sei und der Vertriebsbeginn von Beteiligungen an Immobilienprojekten (SL) erst zu diesem Zeitpunkt begonnen habe. Damit stehe die Vermögenserhöhung nach Ansicht des Gerichtes in keinem Zusammenhang mit dem Verkaufsvorgang im Jahr 2012. Nach Ansicht des Finanzamtes beruhe die Würdigung des Gerichtes auf aktenwidrigen Sachverhaltsannahmen. Aus dem dem Bundesfinanzgericht am 14. März 2022 übermittelten „Leistungsbericht 16/17“ der mitbeteiligten Partei gehe eindeutig hervor, dass die Kooperation mit SL seit 2012 existiere und zudem die mitbeteiligte Partei ihrem Selbstverständnis nach im Jahr 2012 gegründet worden sei. Nach Ansicht des Finanzamtes sei somit aktenkundig, dass die Änderung der Tätigkeit im Jahr 2012 nicht nur geplant, sondern bereits damals umgesetzt worden sei.
12 Eine weitere Rechtsfrage stelle sich hinsichtlich der Änderung der Gesellschafterstruktur. Hier sei das Bundesfinanzgericht von keiner wesentlichen Änderung ausgegangen, weil lediglich 55% der Anteile an der mitbeteiligten Partei erworben worden seien und der bisherige Alleingesellschafter im Ausmaß von 45% Anteilseigner geblieben sei. Das erkennende Gericht sei dabei von einer starren 75% Grenze hinsichtlich des für eine wesentliche Änderung erforderlichen Gesellschafterwechsels ausgegangen. Dabei sei das Gericht nach Ansicht des revisionswerbenden Finanzamtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, der schon ausgesprochen habe, dass eine Änderung der Gesellschafterstruktur im Ausmaß von mindestens 75% allenfalls als Richtwert dienen könne. Ob eine Änderung der Gesellschafterstruktur als wesentlich iSd § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988 anzusehen sei, sei demnach immer nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen. Ob die Umstände des Einzelfalles auch bei einer Änderung der Gesellschafterstruktur im Ausmaß von lediglich 55% dem Erwerber eine Rechtsposition eingeräumt hätten, die in wirtschaftlicher Betrachtungsweise jener entspreche, die der Gesellschafter bei einer 75% Änderung der Gesellschaftsstruktur inne gehabt habe, also die es ihm ermöglicht hätte, wesentliche Änderungen der wirtschaftlichen und organisatorischen Struktur der mitbeteiligten Partei herbeizuführen, sei vom Bundesfinanzgericht nicht weiter untersucht worden. Der Erwerber habe sich als Geschäftsführer mit Alleinvertretungsbefugnis bestellen lassen, bei gleichzeitiger wesentlicher Einschränkung der Stellung des nunmehrigen Minderheitsgesellschafters durch eine bloße gemeinsame Zeichnungsbefugnis mit dem alleingeschäftsführenden Erwerber. Daher nimmt WS eine beherrschende Stellung in der Gesellschaft ein, so dass sich die Gesellschaftsstruktur wesentlich geändert habe.
13 Die Tatbestandsmerkmale des § 8 Abs. 4 Z 2 lit c KStG 1988 dürften nicht isoliert betrachtet werden, sondern immer nur in Verbindung mit dem „Gesamtbild der Verhältnisse“. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssten nicht alle Merkmale der Strukturänderungen gleich stark ausgeprägt sein, um eine Änderung in der wirtschaftlichen Identität herbeizuführen. Liege eine schwächer ausgeprägte Änderung etwa der organisatorischen Struktur vor, könne auch eine starke Ausprägung der anderen Merkmale zur Anwendung der Mantelkaufbestimmung führen. Aufgrund der Übernahme der Mehrheitsanteile durch die SD, deren Eigentümer der alleinvertretungsbefugter Gesellschafter Geschäftsführer der Mitbeteiligten, WS, gewesen sei, und dem gänzlichen Wechsel des tatsächlichen Unternehmensgegenstandes sei die Identität der mitbeteiligten Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nicht mehr gegeben.
14 Die mitbeteiligte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision ist zulässig und begründet.
17 Der gesetzliche Mantelkauftatbestand bringt die Rechtsfolge des Untergangs des Verlustvortragsrechts mit einer gesamthaften wesentlichen Änderung der Strukturen der Körperschaft innerhalb eines überschaubar kurzen Zeitraums in Verbindung. Voraussetzung für die Versagung des Verlustabzuges ist, dass es zwischen dem Zeitpunkt des Entstehens eines Verlustes und dem Zeitpunkt des Verlustabzuges zu einem Verlust der wirtschaftlichen Identität der Körperschaft gekommen ist. Die wirtschaftliche Identität geht verloren, wenn wesentliche Änderungen der wirtschaftlichen und der organisatorischen Struktur mit wesentlichen Änderungen der Gesellschafterstruktur einhergehen. Treten die Änderungen nicht in einem Jahr ein, so wird nur bei Vorliegen eines inneren Zusammenhangs zwischen den Etappen der Änderung von einem Mantelkauf auszugehen sein (vgl. VwGH 20.10.2021, Ro 2021/13/0007; 15.12.2021, Ro 2019/13/0008, mwN).
18 Nicht alle Merkmale der Strukturänderungen müssen gleich stark ausgeprägt sein, um eine Änderung in der wirtschaftlichen Identität der Mitbeteiligten herbeizuführen. Liegt etwa eine schwächer ausgeprägte Änderung der organisatorischen Struktur vor, kann auch eine starke Ausprägung der anderen Merkmale zur Anwendung der Mantelkaufbestimmung führen. Das vollkommene Fehlen eines der Tatbestandsmerkmale kann allerdings nicht durch eine starke Ausprägung der anderen Merkmale kompensiert werden (vgl. erneut VwGH 15.12.2021, Ro 2019/13/0008, mwN). Es kommt auf das Gesamtbild der Verhältnisse an.
19 Nicht in Streit steht, dass sich im Revisionsfall die organisatorische Struktur der Mitbeteiligten wesentlich geändert hat. In Streit stehen die wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Struktur und der Gesellschafterstruktur.
20 Das Tatbestandselement der Änderung der wirtschaftlichen Struktur betrifft die wirtschaftliche Tätigkeit der Körperschaft. Um einen Mantelkauf annehmen zu können, muss sich diese in wesentlichem Umfang ändern. Eine Änderung der wirtschaftlichen Struktur setzt grundsätzlich einen Wechsel oder eine wesentliche Erweiterung des Unternehmensgegenstandes voraus. Eine Änderung im Sinne des § 8 Abs. 4 Z 2 KStG 1988 liegt demnach dann vor, wenn die aus Vermögen und Tätigkeit gebildete wirtschaftliche Einheit verloren geht. Erforderlich ist entweder eine hinreichend große Erhöhung des Vermögens oder eine wesentliche Änderung des Unternehmensgegenstandes oder eine kombinierte Änderung beider Parameter. Die Änderung der wirtschaftlichen Struktur kann aber auch dann eintreten, wenn sich nur eines der genannten Strukturmerkmale (Vermögen oder Tätigkeit) wesentlich ändert. Das bloße Schrumpfen oder Einstellen einer Tätigkeit begründet für sich genommen noch keine schädliche wirtschaftliche Strukturänderung (vgl. erneut VwGH 15.12.2021, Ro 2019/13/0008, mwN).
21 Im Revisionsfall hatte die Mitbeteiligte nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts vor dem Jahr 2012 also vor Übernahme von 55% der Anteile an der Mitbeteiligten durch die SD als tatsächlichen Geschäftsgegenstand den Ankauf, die Entwicklung und Verwertung von Immobilien. Nach dem Erwerb der Geschäftsanteile durch SD lag nach den Feststellungen der faktische Geschäftsgegenstand in der Vermittlung von Immobilienprojekten. Der satzungsmäßige Unternehmensgegenstand war seit 2012 der ökologische Wohnbau. Das Finanzamt bringt dazu in seiner Revision (wie schon in der mündlichen Verhandlung) vor, dass dem im Rahmen der Vorprüfung erstellten inneren Betriebsvergleich zu entnehmen sei, dass in den Jahren 2008 bis 2012 keinerlei Vermittlungsumsätze erzielt worden seien. Die Erlöse bis 2009 seien durch den Verkauf einer Wohnanlage erzielt worden. In den Jahren 2013 bis 2016 seien hingegen fast ausschließlich Provisionserlöse erzielt worden.
22 Das Bundesfinanzgericht verneinte die Änderung der Tätigkeit im Wesentlichen deshalb, weil der satzungsmäßige Zweck der Gesellschaft sich nicht verändert habe und nur innerhalb derselben Branche ein anderer Schwerpunkt gesetzt worden sei.
23 Der satzungsmäßige Unternehmensgegenstand ist für die Beurteilung der wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Struktur grundsätzlich unbeachtlich, es kommt vielmehr auf eine Änderung des tatsächlichen Unternehmensgegenstands an (vgl. VwGH 26.7.2006, 2004/14/0151; siehe auch Ressler/Rohm , WU KStG 3 , § 8 Rz 254, mwN). Wie die Amtsrevision zu Recht vorbringt, bedeutet der Umstand, dass die Mitbeteiligte in derselben Branche tätig blieb, nicht, dass sich die Tätigkeit des Unternehmens nicht im Sinne einer wesentlichen wirtschaftlichen Strukturänderung gemäß § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988 geändert haben kann. Die Mitbeteiligte war nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts vor dem Anteilskauf in der Immobilienentwicklung tätig und hat Immobilienprojekte erworben, entwickelt und verkauft. Dies entspricht auch den Angaben der Mitbeteiligten im Verfahren. Danach war sie nach den (dislozierten) Feststellungen des Bundesfinanzgerichts weitgehend in der Vermittlung von Immobilienprojekten tätig. Zumindest vor dem Hintergrund dieser Feststellungen kann der Verwaltungsgerichtshof dem Bundesfinanzgericht nicht zustimmen, dass sich lediglich der Schwerpunkt der Tätigkeit verlagert habe. Zwischen dem Ankauf und der Entwicklung von Immobilien und einer reinen Vermittlungstätigkeit besteht ein wesentlicher Unterschied, schon in Bezug auf das Risiko oder den erforderlichen Einsatz von Mitteln; auch die Art der Tätigkeit ist eine andere (Bauträger versus Immobilienmakler).
24 Selbst wenn man nur von der Verlagerung des Schwerpunkts ausgehen würde, was allenfalls dann der Fall sein könnte, wenn die Mitbeteiligte ab 2012 weiterhin nachhaltig Immobilienentwicklungsprojekte verfolgt und damit Betriebseinnahmen generiert hätte, ist aber zu beachten, dass die Mitbeteiligte im Jahr 2010 Liquidation angemeldet hatte, über keine Angestellten mehr verfügte, keine Umsatzerlöse erzielte und vor dem Verkauf der Anteile nahezu kein Vermögen hatte. Eine erhebliche Erhöhung des Vermögens fand ab dem Jahr 2014 statt. Die Amtsrevision verweist in dem Zusammenhang zu Recht darauf, dass die Annahme des Bundesfinanzgerichts, die Zusammenarbeit mit SL habe sich erst im Jahr 2014 ergeben, aktenwidrig ist, weil das Finanzamt in seiner Stellungnahme vom 14. März 2022 bereits darauf hingewiesen hatte, dass im Leistungsbericht 16/17 der Mitbeteiligten ein Interview mit einem Vertreter der SL abgedruckt gewesen sei, in dem dieser angegeben habe, dass die Kooperation mit der Mitbeteiligten seit fünf Jahren bestehe, er zwei spätere Geschäftsführer der Mitbeteiligten 2012 kennengelernt und kurz darauf die erste Arbeitssitzung mit der Mitbeteiligten stattgefunden habe. Vor diesem Hintergrund ist nicht erklärlich, wieso das Bundesfinanzgericht davon ausgegangen ist, dass sich die Geschäftsidee erst im Jahr 2014 ergeben bzw. die Mitbeteiligte erst zwei Jahre nach dem strittigen Verkaufsvorgang ein neues, lukratives Geschäftsfeld für sich entdeckt haben soll.
25 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist mit dem Element der Änderung der Gesellschafterstruktur die Übertragung von Gesellschaftsanteilen angesprochen. Dabei kommt es auf die Übertragung des (wirtschaftlichen) Eigentums an den Gesellschaftsanteilen an (vgl. VwGH 13.9.2017, Ro 2015/13/0007, mwN).
26 Zur wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur wird in der Literatur vertreten, dass eine solche jedenfalls bei einer Veränderung (über) 75% des stimmberechtigten Kapitals vorliegt (vgl. etwa Kirchmayr in Achatz/Kirchmayr , KStG, § 8 Tz 559 ff; Wiesner/Schneider/Spanbauer/Kohler , KStG, § 8 Anm. 52). Auch die Verwaltungspraxis geht von einer solchen Grenze aus (vgl. KStR 2013 Rz 997). Dass eine wesentliche Veränderung der Gesellschafterstruktur nur dann gegeben wäre, wenn eine Änderung von 100% erfolgt, ist aus dem Gesetzeswortlaut nicht abzuleiten, der von einer wesentlichen Änderung spricht und nicht einer vollständigen Änderung oder dem Wechsel aller Anteile oder der Vereinigung aller Anteile in einer Hand.
27 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die 75%-Grenze allenfalls einen Richtwert darstellen kann und es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, ob eine wesentliche Strukturänderung eingetreten ist (vgl. VwGH 18.12.2008, 2007/15/0090). In dieser Entscheidung, bei der der alte Gesellschafter weiterhin über einen (treuhändig gehaltenen) Anteil von 30% verfügte, wurde die für wesentliche Entscheidungen im Sinne des § 50 GmbHG vorgesehene Schwelle von 75% für den Neugesellschafter nicht erreicht. Auf einen derartigen gesellschaftsrechtlichen Einfluss kommt es somit nicht an. Entscheidend ist vielmehr, welche gesellschaftsrechtlichen und/oder faktischen Einflussmöglichkeiten der bzw. die neuen Gesellschafter haben, wobei der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis schon zu erkennen gegeben hat, dass es (auch) auf die Einflussmöglichkeiten zur Änderung der organisatorischen und wirtschaftlichen Struktur ankommt. Dies ergibt sich daraus, dass erst dadurch der Zusammenhang zu den anderen erforderlichen Strukturänderungen hergestellt werden kann. Auch in der Literatur wird vertreten, dass die Einflussmöglichkeit auf die Änderung der organisatorischen und wirtschaftlichen Struktur wesentlich ist ( Ressler/Röhm in WU KStG 3 , § 8 Rz 257a; Kirchmayr in Achatz/Kirchmayr , KStG, § 8 Tz 561).
28 Eine Änderung der organisatorischen Struktur ist im Allgemeinen - wenn der Gesellschaftsvertrag nicht Abweichendes vorsieht - mit einer einfachen Mehrheit möglich, wobei dies im Revisionsfall auch erfolgt ist, indem WS als alleinvertretungsbefugter Geschäftsführer bestellt wurde und Dr. W nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts nur mehr als formaler Geschäftsführer mit gemeinsamer Vertretungsberechtigung verblieb.
29 Eine Änderung des Unternehmensgegenstandes im Gesellschaftsvertrag erfordert die Einstimmigkeit (§ 50 Abs. 3 GmbHG). Da eine Änderung der Gesellschaftsstruktur in Höhe von 100% für die Erfüllung des Mantelkauftatbestands nicht erforderlich ist, kann es darauf für die Bestimmung der Wesentlichkeit nicht ankommen. Dafür spricht auch, dass eine Änderung der wirtschaftlichen Struktur nicht nur bei einer Änderung des Geschäftsgegenstandes vorliegen kann, sondern auch bei einer wesentlichen Vermögensveränderung. Zudem kann sich eine Tätigkeit auch innerhalb eines (allgemeineren) Unternehmensgegenstandes ändern. Letztlich kommt es, wie bereits dargelegt, auf die faktische Änderung des Unternehmensgegenstandes an und nicht auf den satzungsmäßig vorgesehenen. Ein entsprechender Einfluss auf die wirtschaftliche Struktur der Körperschaft kann etwa dann möglich sein, wenn der oder die neuen Gesellschafter den einzig alleinvertretungsbefugten Geschäftsführer bestellen können und dieser entsprechende Änderungen umsetzen kann.
30 Von Bedeutung war in dem 2007/15/0090 betreffenden Beschwerdefall auch, dass die wirtschaftlichen und organisatorischen Strukturen der damaligen Beschwerdeführerin nach den Vorstellungen der neuen Gesellschafter im Einverständnis mit dem Altgesellschafter geändert worden waren. Zudem war relevant, inwieweit es sich nur als hypothetisch erweisen würde, dass der Altgesellschafter gemeinsam mit einem anderen Gesellschafter den Neuerwerber der Anteile in wesentlichen Fragen überstimmen würde.
31 Es ist somit im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände zu prüfen, welche Stellung der Neuerwerber der Anteile im Hinblick auf die Entscheidungsbefugnisse erlangt hat. Im Revisionsfall ist in die Betrachtung miteinzubeziehen, dass die Änderung der Gesellschafterstruktur mit 55% etwas schwächer ausgeprägt ist, allerdings mehr als die Hälfte der Anteile veräußert wurden, was nicht als unwesentlich einzustufen ist. Der neue Gesellschafter konnte über den von ihm bestellten alleinvertretungsbefugten Geschäftsführer die wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft bestimmen. Das Finanzamt hat in der Revision zudem vorgebracht, dass im Zuge der Anteilsübertragung im Einvernehmen zwischen Neugesellschafter und Altgesellschafter eine Änderung des Gesellschaftsvertrages stattgefunden hat. Dazu gibt es keine Feststellungen des Bundesfinanzgerichts. Angesichts der Umstände des Verkaufs (E Mail Anfang 2012, in dem vorgeschlagen wird, formal als Geschäftsführer erhalten zu bleiben, um den Mantelkauftatbestand nicht zu verwirklichen, jahrelange Nichtbezahlung eines Kaufpreisteiles trotz Erfüllung der Voraussetzungen) müsste in die Betrachtung auch miteinbezogen werden, ob es als wahrscheinlich erscheint, dass Dr. W wesentlichen Entscheidungen, die der Neugesellschafter für die Mitbeteiligte treffen möchte und für die er die Zustimmung von Dr. W benötigen würde, nicht zustimmen würde.
32 Ob von einer Änderung der wirtschaftlichen Identität der Mitbeteiligten ausgegangen werden kann, ist somit nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall abzustellen. (Formal) schwächer ausgeprägte Merkmale können durch andere stärker ausgeprägte Merkmale kompensiert werden.
33 Das Bundesfinanzgericht ist von einer 75% Grenze ausgegangen, die für die Annahme einer wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur erforderlich sei. Es hat sich entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mit den konkreten Umständen des Einzelfalls auseinandergesetzt und nicht die konkreten Einflussmöglichkeiten des Neugesellschafters in die Betrachtung miteinbezogen. Es hat ebenso bei der Beurteilung der Änderung der wirtschaftlichen Struktur nicht alle Umstände berücksichtigt.
34 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 24. Juni 2025