JudikaturVwGH

Ra 2023/10/0399 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger sowie den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Mag. M F in W, vertreten durch Mag. Ronald Frankl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilerstätte 17/10 11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 23. August 2023, Zl. LVwG 47.36 913/2023 8, betreffend Leistungen nach dem Steiermärkischen Sozialunterstützungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Murau), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. Jänner 2023 wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Weitergewährung von Leistungen nach dem Steiermärkischen Sozialunterstützungsgesetz (StSUG) ab dem 1. Dezember 2022 abgewiesen, weil kein tatsächlicher Aufenthalt des Revisionswerbers an der als Hauptwohnsitz gemeldeten Adresse in der Steiermark bestehe.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht) vom 23. August 2023 wurde dieser Bescheid infolge der dagegen erhobenen Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung behoben. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.

3 In der Begründung des Erkenntnisses wurde vom Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Revisionswerber sei im Zeitraum von der Stellung des verfahrenseinleitenden Antrages bis zur Erlassung des Bescheides durch die belangte Behörde sowie auch schon einen geraumen Zeitraum davor (seit November 2021) dauerhaft an einer näher genannten Adresse in W in Österreich, außerhalb der Steiermark, aufhältig gewesen. Dabei handle es sich um den Wohnsitz seiner Eltern. Dort sei ihm im Übrigen auch der angefochtene Bescheid zugestellt worden, den er persönlich übernommen habe. Laut eigenen Angaben halte er sich an der Adresse nicht freiwillig, sondern bedingt durch diverse Mobbing und Verfolgungshandlungen (gemeint: in der Steiermark) auf. Im verfahrensrelevanten Zeitraum habe zudem ein aufrechtes Mietverhältnis an einer näher genannten Adresse in S in der Steiermark bestanden. An dieser Adresse habe der Revisionswerber laut Melderegister seit 2003 seinen Hauptwohnsitz, an jener in W seit 2020 seinen Nebenwohnsitz gemeldet.

4 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass gemäß Abs. 1 Z 1 des § 3 StSUG, der die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen nach dem StSUG regle, Personen bezugsberechtigt seien, die ihren Hauptwohnsitz und ihren tatsächlichen Aufenthalt in der Steiermark hätten. Der Revisionswerber halte sich bereits seit einem geraumen Zeitraum vor der Antragstellung dauerhaft an der Adresse in W auf. Bereits aus diesem Grund liege eine Anspruchsberechtigung des Revisionswerbers nicht vor. Die belangte Behörde habe den Antrag des Revisionswerbers aufgrund der Regelung des § 3 Abs. 1 Z 1 StSUG inhaltlich abgewiesen, hätte eine solche inhaltliche Entscheidung aber nicht treffen dürfen, weil sie gemäß § 26 Abs. 2 StSUG örtlich unzuständig gewesen sei. Nach dieser Bestimmung richte sich die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Gewährung von Sozialunterstützung nach dem Hauptwohnsitz des Bezugsberechtigten. Bereits aufgrund der Tatsache, dass der Revisionswerber seinen tatsächlichen Aufenthalt nicht an der Adresse in S in der Steiermark habe, könne diese vor dem Hintergrund näher zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht als sein Hauptwohnsitz angesehen werden. Vielmehr wohne der Revisionswerber unbestritten an der Adresse in W und hätte im verfahrensrelevanten Zeitraum auch die Absicht gehabt, seinen bleibenden Aufenthalt an dieser zu nehmen. Die nach eigenen Angabenunfreiwillige Aufgabe seines Wohnsitzes in S in der Steiermark ändere nach den Bestimmungen des Meldegesetzes nichts daran, dass die dortige Adresse nicht mehr die Qualität eines Hauptwohnsitzes aufweise. Bei der Adresse in W handle es sich daher um den Hauptwohnsitz des Revisionswerbers iSd § 1 Abs. 7 Meldegesetz 1991 (MeldeG). Für das Bestehen des Mittelpunkts der Lebensbeziehungen des Revisionswerbers an dieser Adresse spreche vor allem die lange Aufenthaltsdauer. Eine Gesamtbetrachtung lasse nur das Naheverhältnis zu dieser Unterkunft erkennen. Hingegen würden bis auf das aufrechte Mietverhältniskeine Hinweise auf ein Naheverhältnis zum Wohnsitz in der Steiermark vorliegen. Hinweise auf Kriterien iSd § 1 Abs. 8 MeldeG, die für einen anderen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen sprächen, gebe es keine. Die Voraussetzungen für eine bescheidmäßige Absprache über die Zuständigkeit lägen im gegenständlichen Fall (bisher) nicht vor, da weder berechtigte Zweifel an der Unzuständigkeit der Behörde vorlägen, noch auf einer Zuständigkeitsentscheidung durch den Einschreiter beharrt werde. Die Behörde habe gemäß § 6 Abs. 1 AVG Anbringen, zu deren Behandlung sie nicht zuständig sei, ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen. Im Ergebnis sei die inhaltliche Entscheidung der belangten Behörde daher zu beheben gewesen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe auch unter dem Aspekt von Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache bzw. des Sachverhalts nicht erwarten lasse, zumal eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes hinsichtlich des tatsächlichen dauerhaften Aufenthalts des Revisionswerbers aufgrund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse möglich und keine übermäßig komplexe Rechtsfrage zu klären sei. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei auch von keiner der Parteien gestellt worden.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 BVG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. etwa VwGH 8.1.2025, Ra 2024/10/0164; 19.2.2024, Ra 2024/10/0011).

10 Vorweg sind die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Bestimmungen des StSUG auszugsweise darzustellen:

§3

Persönliche Voraussetzungen

(1) Bezugsberechtigt sind Personen, die

1. ihren Hauptwohnsitz und ihren tatsächlichen Aufenthalt in der Steiermark haben und

2. [...]

§26

Behörden

(1) Für die Entscheidung über die Gewährung von Sozialunterstützung und die Anordnung von Beratungs und Betreuungsleistungen ist die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig.

(2) Die örtliche Zuständigkeit nach Abs. 1 richtet sich nach dem Hauptwohnsitz der Bezugsberechtigten.

[...]“

11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Verwaltungsgericht weiche von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung ab. Der Revisionswerber habe zu den Gegebenheiten seiner Wohnsitzsituation substantiiertes Vorbringen in der Beschwerde erstattet, in welcher er einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt habe. Das Verwaltungsgericht habe somit betreffend die Frage, ob der Revisionswerber seinen Hauptwohnsitz in S in der Steiermark begründet und somit die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z 1 StSUG erfüllt habe, nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehen dürfen.

12 Mit diesem Vorbringen übersieht der Revisionswerber, dass das Verwaltungsgericht nicht wie die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z 1 StSUG abgewiesen, sondern den Bescheid der belangten Behörde wegen örtlicher Unzuständigkeit nach § 26 Abs. 2 StSUG behoben hat. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z 1 StSUG hat es daher gerade nicht geprüft, weshalb in diesem Zusammenhang keine Verhandlung durchzuführen war. Soweit jedoch § 26 Abs. 2 StSUG ebenfalls an den Hauptwohnsitz anknüpft, verabsäumt der Revisionswerber mit dem Zulässigkeitsvorbringen zur Verletzung der Verhandlungspflicht konkret darzulegen, weshalb das Verwaltungsgerichtentgegen seiner auf § 24 Abs. 4 VwGVG gestützten Begründung eine Verhandlung hätte durchführen müssen, obwohl es vom Vorbringen des Revisionswerbers in seiner Beschwerde ausging und die Unbeachtlichkeit der unfreiwilligen Hauptwohnsitzaufgabe auf hg. Rechtsprechung stützen konnte (vgl. VwGH 26.1.2012, 2011/01/0206).

13 Wohl im Hinblick auf die Begründung des Verwaltungsgerichtes zur örtlichen Unzuständigkeit der belangten Behörde wird zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht, das Verwaltungsgericht weiche von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. VwGH 23.6.2010, 2009/03/0039) zur Frage der Aufrechterhaltung des Hauptwohnsitzes bei Ortsabwesenheit ab. Der Revisionswerber sei unfreiwillig von seinem Hauptwohnsitz in der Steiermark abwesend gewesen, jedoch mit der klaren Absicht, sich sofort wieder dort aufzuhalten, sobald die aktuell entgegenstehenden Hindernisse behoben seien. Es handle sich somit nur um eine vorübergehende Ortsabwesenheit. Das Verwaltungsgericht hätte zum Aspekt des Lebensmittelpunktes des Revisionswerbers Ermittlungen anstellen müssen.

14Die Aufrechterhaltung eines Hauptwohnsitzes bei (vorübergehender) Ortsabwesenheit hängt davon ab, ob der Lebensmittelpunkt am (behaupteten) Hauptwohnsitz auch während dieser Zeit erhalten bleibt. Ob Letzteres der Fall ist, lässt sich nur aus einer kombinierten Betrachtung von objektiven und subjektiven Kriterien beurteilen. In subjektiver Hinsicht erfordert die Aufrechterhaltung des Lebensmittelpunktes am bisherigen Hauptwohnsitz die Beibehaltung des „animus domiciliandi“, also der Absicht, den Lebensmittelpunkt weiterhin an diesem Ort zu haben. Wird ein solcher Wille aufgegeben, vermag auch das Fortbestehen von Lebensbeziehungen zum bisherigen Wohnort einen dortigen Hauptwohnsitz nicht aufrecht zu erhalten. Umgekehrt reicht der bloße Wille, seinen Lebensmittelpunkt an einem Ort zu erhalten, oder die Absicht, (irgendwann) dorthin zurückzukehren, zur Beibehaltung eines Hauptwohnsitzes nicht aus, wenn objektive Anknüpfungspunkte für einen solchen nicht (mehr) gegeben sind. In objektiver Hinsicht setzt das Fortbestehen eines Hauptwohnsitzes nämlich voraus, dass zu diesem Ort Beziehungen aufrechterhalten werden, die bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände den Schluss rechtfertigen, eine Person habe an diesem Ort weiterhin ihren Lebensmittelpunkt (vgl. VwGH 18.6.2024, Ra 2023/10/0016). Dass Letzteres beim Revisionswerber (im Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde) der Fall gewesen wäre, wird in der Revision nicht behauptet. Mit dem pauschalen lediglich eine Revisionsbegründung darstellenden Vorbringen, das Verwaltungsgericht hätte Ermittlungen zum Lebensmittelpunkt des Revisionswerbers anstellen müssen, wird zudem weder eine konkrete Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, noch die Relevanz eines (nicht als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ausgeführten) Verfahrensmangels aufgezeigt (vgl. dazu unten).

15 Zur Zulässigkeit der Revision wird außerdem vorgebracht, das Verwaltungsgericht weiche von hg. Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit einer ersatzlosen Behebung des erstinstanzlichen Bescheides ab. Bei einer solchen handle es sich um eine Entscheidung „in der Sache selbst“, die erst getroffen werden könne, wenn der maßgebende Sachverhalt feststehe oder vom Verwaltungsgericht festgestellt worden sei. Diese Voraussetzungen seien im Hinblick auf die Frage, wo der Revisionswerber seinen Hauptwohnsitz begründet habe, jedoch nicht vorgelegen, da der Sachverhalt vom Verwaltungsgericht nicht ausreichend ermittelt bzw. festgestellt worden sei.

16 Damit macht der Revisionswerber Feststellungsmängel geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Zulässigkeit der Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird (vgl. VwGH 4.6.2024, Ra 2024/10/0072; 12.4.2024, Ra 2024/10/0041). Die Entscheidungswesentlichkeit setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasstjene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 8.8.2024, Ra 2022/10/0136).

17 Eine solche Relevanzdarstellung im Hinblick auf konkret zu erwartende Ergebnisse weiterer Ermittlungen ist dem Zulässigkeitsvorbringen der Revision jedoch nicht zu entnehmen.

18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. April 2025