JudikaturVwGH

Ra 2023/05/0269 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Baurecht
29. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, über die Revision des H K in E, vertreten durch die bfp Brandstetter Feigl Pfleger Rechtsanwälte GmbH in 3300 Amstetten, Preinsbacherstraße 5, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 18. September 2023, LVwG AV 1713/001 2023, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde St. Martin Karlsbach, vertreten durch Mag. Martina Gaspar, Rechtsanwältin in 3300 Amstetten, Preinsbacher Straße 7; mitbeteiligte Partei: J B in E, vertreten durch Mag. Gernot Steier, Rechtsanwalt in 3040 Neulengbach, Rathausplatz 16; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Revisionsbeantwortung des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Martin Karlsbach wird zurückgewiesen.

Die Marktgemeinde St. Martin Karlsbach hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Antrag der belangten Behörde auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

1 Der Revisionswerber beantragte am 25. Juli 2022 die Erteilung einer Baubewilligung zur Errichtung eines Schafstalles, Umwidmung einer Einstellhalle zu einem Stall, diverse Umbauten sowie die Errichtung eines Vordaches auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG K. Der Mitbeteiligte (Nachbar) erhob rechtzeitig Einwendungen gegen das Projekt.

2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde S vom 2. Dezember 2022, Aktenzeichen B 23/2022, wurde dem Revisionswerber die beantragte Baubewilligung unter Auflagen erteilt. Die Einwendungen des Mitbeteiligten wurden verworfen. Die dagegen erhobene Berufung des Mitbeteiligten wurde im innergemeindlichen Instanzenzug als unbegründet abgewiesen, woraufhin dieser am 27. März 2023 Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhob.

3 Dem Revisionswerber war bereits mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde S vom 9. September 2021 zur Aktenzahl B 8/2021 eine Baubewilligung betreffend einen Schafstall erteilt worden; dieser Bescheid war im Instanzenzug zunächst von der belangten Behörde und danach auch vom Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 3. Dezember 2021 bestätigt worden.

4 Am 4. September 2023 übermittelte die Marktgemeinde S dem Verwaltungsgericht ein bei der Baubehörde erster Instanz eingebrachtes Schreiben des Revisionswerbers vom 16. August 2023. Darin teilte er unter dem Titel „Zurückziehung (Verzicht) Baubewilligung“ mit, dass er die „Bewilligung zum Neubau eines Schafstalles mit der Aktenzahl B 8/2021, Baubewilligungsbescheid vom 09.09.2021, zurückziehen und diesen Stall nicht errichten“ werde, „ebenso werden die Vordächer mit der Aktenzahl B 23/2022, Baubewilligungsbescheid vom 02.12.2022, nicht errichtet.“ Auf diese Baubewilligungen werde verzichtet. Gleichzeitig bat er um Kenntnisnahme und Weiterleitung an das Verwaltungsgericht. Mit dem Schreiben wurden auch Lagepläne übermittelt, aus denen sich die Bauvorhaben, „welche nicht zur Ausführung kommen“, ergeben sollten.

5 Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren daraufhin ein und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.

6 Begründend führte es zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe mit Schreiben vom 16. August 2023 auf die Baubewilligung vom 2. Dezember 2022, Aktenzeichen B 23/2022, verzichtet. Durch einen schriftlichen Verzicht des Bauwerbers auf eine erteilte Baubewilligung sei diese zum Zeitpunkt des Einlangens der Verzichtserklärung bei der Behörde unwiderruflich erloschen (§ 24 Abs. 1 Z 2 NÖ BO 2014). Infolge des Verzichts seien auch der angefochtene Bescheid und folglich die Beschwerde gegenstandslos geworden. Das Beschwerdeverfahren sei einzustellen.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorbringt, das Verwaltungsgericht habe in unvertretbarer Auslegung seines Schreibens vom 25. Juli 2022 eine Erklärung des Revisionswerbers angenommen, die er in dieser Form bzw. in diesem Umfang nie abgegeben habe.

8 Die belangte Behörde erstattete eine (der Revision beipflichtende) Revisionsbeantwortung und beantragte Aufwandersatz. Der Mitbeteiligte erstattete ebenfalls eine Revisionsbeantwortung und beantragte, der Revision keine Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Eine in vertretbarer Weise vorgenommene einzelfallbezogene Auslegung von Parteierklärungen wirft in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. VwGH 18.12.2020, Ra 2019/08/0181, Rn. 11, mwN).

11 Die vom Verwaltungsgericht aus dem Schreiben des Revisionswerbers vom 16. August 2023 gezogenen Schlüsse sind jedoch nicht vertretbar.

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Prozesserklärungen einer Partei ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d.h., es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl. etwa VwGH 28.5.2019, Ra 2019/05/0008, Rn. 21, mwN). Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen. Keinesfalls ist es der Behörde gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen (vgl. VwGH 24.1.2017, Ra 2015/05/0018, Rn. 13, mwN).

13 Das Verwaltungsgericht hätte bei verständiger Würdigung des aktenkundigen Inhaltes des Schreibens vom 16. August 2023 im Zusammenhalt mit den darin genannten Aktenzahlen und unter Berücksichtigung der Behördenakten nicht davon ausgehen dürfen, dass der Revisionswerber auf die mit Bescheid vom 2. Dezember 2022 (Aktenzahl B 23/2022) erteilte Baubewilligung zur Gänze verzichten wollte. Bei Zweifeln hätte es Ermittlungen zum Erklärungsinhalt anstellen müssen (vgl. sinngemäß erneut VwGH 28.5.2019, Ra 2019/05/0008, Rn. 22, unter Hinweis auf § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG).

14 Da das Verwaltungsgericht das verkannte, belastete es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

15 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

16 Die vom Bürgermeister der Marktgemeinde St. Martin Karlsbach erstattete Revisionsbeantwortung war mangels Parteistellung als belangte Behörde im vorliegenden Revisionsverfahren zurückzuweisen (vgl. VwGH 23.5.2023, Ra 2022/06/0031, mwN, dort betreffend eine Revisionsbeantwortung des Gemeinderates bei zwischenzeitiger alleiniger Zuständigkeit des Bürgermeisters).

17 Der Antrag der belangten Behörde auf Zuerkennung von Kostenersatz war abzuweisen, weil gemäß § 47 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 5 VwGG der Rechtsträger, in dessen Namen die belangte Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren tätig geworden ist, Anspruch auf Aufwandersatz nur im Falle einer Abweisung der Revision, nicht aber im Falle der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, hat (vgl. VwGH 4.10.2024, Ra 2022/05/0091, Rn. 22, mwN).

Wien, am 29. April 2025