JudikaturVwGH

Ro 2023/01/0007 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des Bürgermeisters der Stadt Wien gegen das am 29. März 2023 mündlich verkündete und mit 21. April 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW 101/032/1689/2023 12, betreffend eine Angelegenheit nach dem Personenstandsgesetz 2013 (mitbeteiligte Partei: M K in W, vertreten durch Mag. a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien (in der Folge: Amtsrevisionswerber) vom 23. Dezember 2022 wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Streichung des Geschlechtseintrags im Zentralen Personenstandsregister (ZPR) abgewiesen.

2Infolge der dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 41 Abs. 1 Personenstandsgesetz 2013 (PStG 2013) verfügt, dass der Geschlechtseintrag der mitbeteiligten Partei im ZPR gestrichen werde; eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG wurde für zulässig erklärt.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, im ZPR sei das Geschlecht der mitbeteiligten Partei zuletzt mit „männlich“ beurkundet gewesen. Die mitbeteiligte Partei habe sich ab dem Alter von ca. 20 Jahren mit einer Geschlechtsidentität abseits der Kategorien „männlich“ und „weiblich“ identifiziert. Sie empfinde ein Gefühl der Fremdheit zum eigenen Körper; in psychiatrischer Hinsicht liege eine‚ „Störung der Geschlechtsidentität/Transsexualismus (F64.0)“ vor. Aus diesen Gründen habe die mitbeteiligte Partei mit einer Hormontherapie begonnen, die noch andauere und bislang zu teils irreversiblen (z.B. Brustwachstum) und teils reversiblen (z.B. Körperbehaarung oder Körperfettverteilung) körperlichen Veränderungen geführt habe. Es sei nicht zu erwarten, dass sich an der Geschlechtsidentität der mitbeteiligten Partei noch etwas ändern werde.

4In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 20.258/2018) und näher zitierter Rechtsprechung des EGMR bestehe kein Zweifel daran, dass § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 im Lichte des Art. 8 EMRK so auszulegen sei, dass diese Bestimmung einen offenen, weder als „männlich“ noch als „weiblich“ definierten Geschlechtseintrag zulasse, wenn dadurch Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich oder transidenten Menschen erst ermöglicht werde, ihre individuelle Geschlechtsidentität adäquat zum Ausdruck zu bringen. Es bestehe ein Rechtsanspruch, die Geschlechtsidentität entsprechend personenstandrechtlich abzubilden. Im Hinblick auf das Vorbringen der mitbeteiligten Partei, wonach ein offener Geschlechtseintrag abseits der Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ am ehesten ihrer geschlechtlichen Identität entspreche, bestehe kein Zweifel, dass mit der beantragten Streichung des bestehenden männlichen Geschlechtseintrags, welche im Ergebnis dazu führe, dass dieser offen bleibe, den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 EMRK entsprochen werde.

5Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vorliege, unter welchen sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 die Streichung des Geschlechtseintrags ermögliche.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision. In dem vom Verwaltungsgericht durchgeführten Vorverfahren erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hatin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7Die Revision ist zulässig und aus den im hg. Erkenntnis vom 5. Dezember 2024, Ro 2023/01/0008, ausgeführten Entscheidungsgründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, auch begründet.

8Nach dieser Rechtsprechung besteht nach dem PStG 2013 eine Verpflichtung der Personenstandsbehörde zur Eintragung der allgemeinen Personenstandsdaten und somit auch des Geschlechts einer Person in das ZPR und schließt diese Verpflichtung eine (ersatzlose) Streichung des Geschlechts bzw. das Unterlassen einer diesbezüglichen Eintragung aus; die gegenständliche Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom 23. Dezember 2022 wäre daher vom Verwaltungsgericht abzuweisen gewesen.

9Das Verwaltungsgericht hat somit das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodass es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 19. Dezember 2024