JudikaturVfGH

E507/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2025
Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein im Jahr 1995 geborener georgischer Staatsangehöriger. Er stellte am 19. Juli 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz und bringt als Fluchtgrund vor, dass er homosexuell sei und es ihm nicht möglich sei, in Georgien mit dieser sexuellen Orientierung zu leben. Er sei deshalb in der Schule gemobbt, geschlagen und erniedrigt worden. Zuletzt habe ihn sein Stiefvater wegen seiner sexuellen Orientierung entführt und körperlich misshandelt. Die Polizei habe trotz wiederholter Anzeigen nichts unternommen, um den Beschwerdeführer zu schützen.

2. Mit Bescheid vom 29. November 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Georgien fest (Spruchpunkt V.) und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründet seine Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Bedrohung geltend gemacht habe. In Georgien drohe ihm auch keine Gefährdung seiner durch Art2 und 3 EMRK geschützten Rechtspositionen. Einer Rückkehrentscheidung stehe auch Art8 EMRK nicht entgegen.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gemäß Art130 B VG an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser Beschwerde wurde unter anderem das Verlangen gemäß §20 Abs2 letzter Satz AsylG 2005 gestellt, im Rahmen der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht von einer Richterin und Dolmetscherin einvernommen zu werden. Es falle dem Beschwerdeführer leichter, vor Frauen über seine sexuelle Identität sowie über die damit verbundenen Erfahrungen und vorgebrachten Befürchtungen zu sprechen.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde durch einen männlichen Einzelrichter mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 3. Februar 2025, ZL518 2305173 1/9Z, ab. Die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung erfolgte – auf rechtzeitigen Antrag des Beschwerdeführers – am 21. März 2025.

Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft mache, weil er nur Verfolgungshandlungen durch Privatpersonen geltend mache. Eine fehlende Schutzfähigkeit bzw -willigkeit der georgischen Behörden sei nicht ersichtlich.

Auch gehe das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Georgien gefährdet wäre, in eine Art2 bzw 3 EMRK relevante Bedrohungslage zu geraten. Einer Rückkehrentscheidung stünde Art8 EMRK angesichts der kaum vorhandenen Integrationsbemühungen und der nach eigenen Angaben des Beschwerdeführers nicht vorhandenen privaten Kontakte in Österreich nicht entgegen.

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, unter anderem im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses wurde fristgerecht beantragt.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Gerichts- und Verwaltungsakt vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §20 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100, idF BGBl I 68/2013 lautet auszugsweise wie folgt:

"Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung

§20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.

(2) Für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt Abs1 nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.

(4) […]"

2. §5 der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes für das Geschäftsverteilungsjahr vom 1. Februar 2025 bis 31. Jänner 2026 (GV 2025) lautet auszugsweise wie folgt:

"§5. Unzuständigkeit

(1) Eine Richterin oder ein Richter ist im Sinne dieser Geschäftsverteilung unzuständig, wenn

1. […]

4. sie oder er wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß §20 AsylG 2005 für die betreffende Rechtssache nicht zuständig ist;

5. […]

(2) Ist eine Richterin oder ein Richter in einer Rechtssache wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß §20 AsylG 2005 unzuständig und wird aus diesem Grund diese Rechtssache erneut zugewiesen, so verliert sie oder er damit gleichzeitig auch die Zuständigkeit für alle Rechtssachen, die zu dieser Rechtssache annex sind oder zu denen diese Rechtssache annex ist.

(3) Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit der Richter:innen richtet sich nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes."

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Der Beschwerdeführer behauptet unter anderem, in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, weil das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung durch einen Richter männlichen Geschlechtes getroffen habe, obgleich §20 Abs2 AsylG 2005 im vorliegenden Fall anzuwenden sei und er die Einvernahme und Entscheidung durch eine Richterin verlangt habe.

2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes unter anderem dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001, 16.717/2002 und 20.260/2018).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, normiert §20 AsylG 2005 in Abs1 das Gebot der Einvernahme durch Organwalter desselben Geschlechts vor der Verwaltungsbehörde und in Abs2 das Gebot der Verhandlung (und demzufolge auch Entscheidung) vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Richter desselben Geschlechts. Davon kann nur abgegangen werden, wenn die Partei ausdrücklich anderes verlangt (vgl VfSlg 20.260/2018 und bereits VfGH 25.11.2013, U1121/2012 ua). Dabei begründen sowohl Behauptungen eines bereits erfolgten als auch eines drohenden Eingriffes die Pflicht zur Einvernahme bzw zur Verhandlung und Entscheidung durch Organwalter gemäß §20 AsylG 2005, und zwar ohne dass dabei eine nähere Prüfung der Glaubwürdigkeit oder eines Zusammenhanges mit dem konkreten Fluchtvorbringen zu erfolgen hat (vgl VfSlg 20.260/2018; VfGH 2.12.2020, E1414/2020; 29.11.2021, E2865/2021; VwGH 13.2.2020, Ro 2019/01/0007).

3.2. Der Beschwerdeführer brachte in seiner Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vor, wegen seiner Homosexualität diskriminiert, geschlagen, verfolgt, bedroht, beschimpft und erniedrigt worden zu sein. Er hat damit (erfolgte und drohende) Eingriffe in sein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Sinne des §20 Abs2 AsylG 2005 behauptet (vgl VfGH 4.10.2022, E881/2022; 4.10.2023, E2724/2023; vgl auch VwGH 14.10.2021, Ra 2021/19/0027). In der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht verlangte der Beschwerdeführer die Verhandlung und Entscheidung durch eine Richterin.

Indem das Bundesverwaltungsgericht über die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. November 2024 durch einen Richter verhandelt und entschieden hat, obgleich §20 Abs2 AsylG 2005 im vorliegenden Fall anzuwenden ist und der Beschwerdeführer ein Abgehen von der sich daraus ergebenden Zuständigkeit eines Richters zugunsten einer Richterin ausdrücklich verlangt hat, hat es den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (VfSlg 19.671/2012, 20.260/2018; VfGH 4.10.2023, E2724/2023).

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher schon deshalb aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §35 Abs1 VfGG iVm §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

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