JudikaturVwGH

Ra 2022/17/0130 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des B N O in Salzburg, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2022, I412 21665243/3E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der 1982 geborene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, hält sich seit Oktober 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf.

2 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 15. März 2022 wurde dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung verbunden mit einem auf die Dauer von einem Jahr befristeten Einreiseverbot gegen ihn erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt und eine Frist für seine freiwillige Ausreise nicht gewährt.

3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung beantragte, dass der maßgebliche Sachverhalt in mehreren Punkten durch das BFA nicht vollständig geklärt worden sei.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattetin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

6 Die Revision ist bereits in Bezug auf ihr Zulässigkeitsvorbringen zum Abweichen des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für ein Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG zulässig und begründet.

7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem hier maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA VG („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. etwa VwGH 23.2.2024, Ra 2022/17/0161; 14.8.2024, Ra 2022/17/0061, jeweils mwN).

8 Vorliegend stellte das BFA im mit Beschwerde bekämpften Bescheid fest, dass ein Familienleben nicht bestehe, da der Revisionswerber mit seiner im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältigen Freundin nicht verheiratet sei und mit dieser nicht in einem Haushalt lebe. Weiters handle es sich bei seiner Freundin und deren Tochter um nigerianische Staatsangehörige. Die mit Stellungnahme des Revisionswerbers vom 8. Februar 2022 vorgelegten Dokumente bezüglich der psychischen Erkrankung seiner Freundin erwähnte das BFA nur insofern, als es festhielt, dass der Revisionswerber ärztliche Unterlagen zu seiner Freundin vorgelegt habe. Deren ebenfalls mit Stellungnahme des Revisionswerbers vom 8. Februar 2022 vorgelegtes Schreiben, dass der Revisionswerber für sie eine wichtige Unterstützung für ihr psychisches Wohlbefinden und ihre Heilung sei, führte das BFA zwar als „Kopie Schriftsatz Fr. O O (deutsch und englisch)“ in der Liste der vorgelegten Beweismittel an, ging aber in den Feststellungen und in der Beweiswürdigung mit keinem Wort auf die behauptete psychische Erkrankung der Freundin des Revisionswerbers sowie die vorgebrachte Wichtigkeit der Unterstützung ein.

9 In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde wies der Revisionswerber nochmals auf den Gesundheitszustand seiner Freundin und die Wichtigkeit seiner Unterstützung hin; er beantragte die Einvernahme seiner Freundin als Zeugin dazu. Bereits im Hinblick auf dieses Vorbringen und diesen Beweisantrag durfte das Verwaltungsgericht nicht von einem geklärten Sachverhalt gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen, sondern es hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.

10 Darüber hinaus führt das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis ohne irgendeine Bezugnahme auf die behauptete psychische Erkrankung der Freundin des Revisionswerbers sowie die vorgebrachte Wichtigkeit der Unterstützung durch den Revisionswerber aus, dass von einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis angesichts (ausschließlich) des Umstandes, dass der Revisionswerber von der Grundversorgung lebe und selbst angegeben habe, keine finanziellen Mittel zu haben, um „seine Partner“ zu unterstützen, nicht auszugehen sei.

11Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hierdes Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. etwa neuerlich VwGH 14.8.2024, Ra 2022/17/0061, mwN).

12Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze aufzuheben.

13Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

14Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Februar 2025