Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des S B, vertreten durch Mag. a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2022, W220 2249013 1/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, hält sich mit Unterbrechungen seit dem Jahr 1977 zu einem erheblichen Teil rechtmäßig und zumindest seit dem Jahr 2014 durchgehend im Bundesgebiet auf.
2 Der Revisionswerber wurde im Bundesgebiet wiederholt wegen Suchtmitteldelikten strafgerichtlich verurteilt.
3 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19. Oktober 2021 wurde dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung verbunden mit einem auf die Dauer von sechs Jahren befristeten Einreiseverbot gegen ihn erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Serbien festgestellt und eine Frist für seine freiwillige Ausreise festgesetzt.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung beantragte, dass der maßgebliche Sachverhalt in mehreren Punkten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht vollständig geklärt worden sei.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Wesentlichen als unbegründet ab. Lediglich die Dauer des Einreiseverbots setzte es auf fünf Jahre herab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
6 Der Revisionswerber erhob dagegen zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nach Art. 144 Abs. 1 B VG, welcher deren Behandlung mit Beschluss vom 29. Juni 2022, E 1334/2022 5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
7 In der Folge wurde die vorliegende Revision erhoben, die in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit nach § 28 Abs. 3 VwGVG unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter anderem vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt.
8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist in Bezug auf ihr Zulässigkeitsvorbringen zum Abweichen des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für ein Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG zulässig und begründet.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem - hier maßgeblichen - ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA-VG („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 11.12.2023, Ra 2021/17/0197 bis 0198, mwN).
11 Vorliegend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid aus, dass es sich seiner Kenntnis entziehe, wann der Revisionswerber vor dem Jahr 2014 ins Bundesgebiet eingereist sei, und traf keine näheren Feststellungen dazu, wie lange er sich seither durchgehend wieder im Bundesgebiet aufhält. Bereits im Hinblick darauf durfte das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem geklärten Sachverhalt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, zumal es im angefochtenen Erkenntnis ausführt, dass das Datum der Wiedereinreise des Revisionswerbers auf Grund der Aktenlage nicht näher habe festgestellt werden können. Weiters führt das Bundesverwaltungsgericht über den angefochtenen Bescheid hinausgehend auf Grund einer fachärztlichen Bestätigung aus, dass beim Revisionswerber der klinische Verdacht eines Rückfalls einer fortgeschrittenen Darmkrebserkrankung entstanden sei, sodass auch betreffend den aktuellen Gesundheitszustand des Revisionswerbers kein geklärter Sachverhalt vorliegen konnte.
12 Das Bundesverwaltungsgericht durfte somit nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, sondern hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
13 Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze aufzuheben.
14 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Februar 2024