Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Reinbacher sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der A K S in L (Ungarn), vertreten durch Dr. Hans Rainer Handl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franziskanerplatz 1/10, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 14. Februar 2022, Zl. LVwG S 47/003 2019, betreffend die Zurückweisung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Glückspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1Über die Revisionswerberin als handelsrechtliche Geschäftsführerin und somit als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ wurden mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg (BH) vom 17. Jänner 2018 für neun Verwaltungsübertretungen in der Zeit vom 4. bis zum 14. Juli 2017 gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG neun Geldstrafen in der Höhe von jeweils 5.000 € verhängt und ihr die Verfahrenskosten in der Höhe von 4.500 € vorgeschrieben. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass die F Kft. gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die verhängten Geldstrafen und die vorgeschriebenen Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand hafte.
2 Mit Erkenntnis vom 7. November 2019 gab das Landesverwaltungsgericht der Beschwerde der Revisionswerberin insoweit Folge, als es Spruchpunkt 9. des angefochtenen Straferkenntnisses aufhob und das Strafverfahren einstellte. Zu den Spruchpunkten 1. bis 8. wies das Landesverwaltungsgericht die Beschwerde ab. Unter einem setzte es die verwaltungsbehördlichen Verfahrenskosten mit 4.000 € fest. Für das Beschwerdeverfahren war ein Kostenbeitrag in Höhe von 8.000 € zu entrichten.
3 Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
4 Mit Schreiben vom 29. Oktober 2021, welches bei der BH (nach den vorgelegten Verwaltungsakten) am 2. November 2021 eingelangte und nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens am 17. Dezember 2021 samt Verbesserungsschriftsatz vom 5. Dezember 2021 an das zuständige Landesverwaltungsgericht weitergeleitet wurde, begehrte die Revisionswerberin die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie brachte vor, sie habe vom Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts vom 7. November 2019 durch das ungarische Gericht, welches für die Vollstreckung zuständig sei, erfahren. Ein österreichischer Bekannter (VP) habe ihr zugesagt gehabt, die Sache vor dem Landesverwaltungsgericht für sie zu erledigen. Die Revisionswerberin habe sowohl in Österreich als auch in Ungarn Anzeige wegen Betrugs erstattet, da sie die Tat nicht begangen habe und offensichtlich Opfer eines Betrugs geworden sei. Während der Ermittlungen sei ihr mitgeteilt worden, dass eine Person namens MH der Täter gewesen sei. Er habe diese Taten mit falschen bzw. gefälschten Dokumenten begangen. Informationen dazu habe sie im September 2021 erhalten.
5 Auf Anraten von VP habe sie eine Gesellschaft, die F Kft., gegründet. Sie habe ihren Anteil am Unternehmen 2017 verkauft und ihre Position als Geschäftsführerin sei gekündigt worden. 2019 habe sie zu ihrem Erstaunen den Bescheid der BH erhalten, in dem sie zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei, weil sie als Geschäftsführerin des Unternehmens illegales Glückspiel organisiert habe. Ihr Name und ihre Geschäftsinformationen seien offensichtlich missbraucht und damit ein Verbrechen begangen worden. Auf Vorschlag ihres Anwalts habe sie Anzeige erstattet. Als Ergebnis der Untersuchung sei festgestellt worden, dass tatsächlich eine Straftat zu ihrem Nachteil begangen worden sei. Sie lege die Information der Staatsanwaltschaft als neues Beweismittel vor. Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts beruhe daher auf einer fehlerhaften Tatsachenfeststellung aufgrund neuer Beweismittel.
6Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht den Antrag auf Wiederaufnahme des beim Landesverwaltungsgericht durch Entscheidung vom 7. November 2019 abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens gemäß §§ 32 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit 31 VwGVG als verspätet eingebracht zurück. Eine ordentliche Revision gegen diesen Beschluss erklärte es für nicht zulässig.
7In der Begründung führte das Landesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, die Revisionswerberin sei mit dem Erkenntnis vom 7. November 2019 für acht Verwaltungsübertretungen nach dem GSpG bestraft worden. Über sie seien acht Geldstrafen iHv jeweils 5.000 € verhängt worden; gleichzeitig seien ihr Verfahrenskostenbeiträge für das verwaltungsbehördliche Verfahren iHv 4.000 € und für das Beschwerdeverfahren in der Höhe von 8.000 € vorgeschrieben worden. Dieses Erkenntnis sei der Revisionswerberin an ihrer ungarischen Adresse zugestellt worden und in Rechtskraft erwachsen. Trotz Mahnung habe die Revisionswerberin den Strafbetrag nicht rechtzeitig bezahlt, so dass gegen sie ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet worden sei.
8 Aufgrund ihres Vorbringens und der vorgelegten Anzeigen an die Landespolizeidirektion Niederösterreich sowie an die Staatsanwaltschaft Sopron jeweils vom 30. November 2020 und des Schreibens der Staatsanwaltschaft Leoben vom 8. Juli 2021, in dem festgehalten worden sei, dass das verfahrensgegenständliche Wettlokal von MH ohne Wissen der Antragstellerin vermutlich unter Verwendung einer von ihr erschlichenen Vollmachtgegründet und betrieben worden sei, habe die Revisionswerberin bereits seit dem 30. November 2020, zumindest aber seit der Mitteilung der Staatsanwaltschaft Leoben vom 8. Juli 2021 von dem im Wiederaufnahmeantrag geschilderten Datenmissbrauch sowie Betrug Kenntnis gehabt. Sie habe selbst ausgeführt, dass sie bereits im September 2021 Informationen darüber erhalten habe, dass MH die Taten mit falschen oder gefälschten Dokumenten begangen habe. Somit habe sie nach ihren eigenen Angaben spätestens im September 2021 Kenntnis von diesen neuen Tatsachen und Beweismitteln gehabt. Die Revisionswerberin habe die subjektive Frist von zwei Wochen für die Einbringung ihres Wiederaufnahmeantrags nicht eingehalten, wodurch sie ihren Wiederaufnahmeantrag beim Landesverwaltungsgericht verspätet eingebracht habe. Die zweiwöchige Frist nach § 32 Abs. 2 VwGVG beginne mit dem Zeitpunkt, an dem die Antragstellerin vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt habe.
9 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision legte das Landesverwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
11Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13In der Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, es sei in der Judikatur keine präzise Definition der „anderen gerichtlichen strafbaren Handlung“ im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG zu erblicken. Die bloß unbelegte Vermutung, „das Erkenntnis wird sicher durch eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt worden sein“, werde ebenso wenig wie eine Denunziation als Voraussetzung für die Wiederaufnahme ausreichen, wie ein abgeschlossenes Verfahren über eine „andere“ gerichtlich strafbare Handlung notwendig sein wird. Diese Beurteilung gelte gleichermaßen für eine „neue Tatsache“ im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG. Diese Rechtsfragen seien zu klären, da davon die Beurteilung abhänge, ob die zweiwöchige Frist ausgelöst worden sei.
14Gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichts abgeschlossenen Verfahrens u.a. dann stattzugeben, wenn das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtliche strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist (Z 1) oder neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten (Z 2).
15Der Verwaltungsgerichtshof hat zur „gerichtlich strafbaren Handlung“ im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG bereits erkannt, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann. Zu § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat der Verwaltungsgerichtshof judiziert, dass dessen Anwendung nicht voraussetzt, dass eine „gerichtlich strafbare Handlung“ durch gerichtliches Urteil festgestellt worden ist. Die Frage, ob eine „gerichtlich strafbare Handlung“ vorliegt, ist von der zur Wiederaufnahme des Verfahrens berufenen Behörde, allenfalls als Vorfrage, zu beurteilen. Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat absoluten Charakter. Es kommt daher nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich ein anderslautender Bescheid ergangen wäre, bzw. ob die Behörde im neuen (wieder aufgenommenen) Verfahren zu einer anderslautenden Entscheidung gelangen wird. Die Begehung der Straftat muss von der das Verfahren wiederaufnehmenden Behörde als erwiesen angenommen werden. Ein bloßer Verdacht, dass eine gerichtlich strafbare Handlung vorliege, reicht für die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht aus. Vielmehr muss feststehen, dass die objektive und subjektive Tatseite der gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt sind (vgl. zu alldem VwGH 14.9.2021, Ra 2019/07/0063, mwN).
16Gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen.
17Zu beachten ist, dass die in § 32 Abs. 2 VwGVG vorgesehene subjektive Frist bereits mit der Kenntnis des Antragstellers von dem Sachverhalt, der den Wiederaufnahmegrund bilden soll, beginnt. Entscheidend ist die Kenntnis von einem Sachverhalt, nicht aber die rechtliche Wertung dieses Sachverhalts. Für den Fristenlauf ist daher nicht maßgebend, ob dem Antragsteller die mögliche Qualifizierung eines Sachverhalts als Wiederaufnahmegrund bewusst ist (vgl. VwGH 20.9.2018, Ra 2018/09/0050).
18Im revisionsgegenständlichen Fall kann dahingestellt bleiben, ob das Erkenntnis durch eine „andere gerichtlich strafbare Handlung“ herbeigeführt wurde, kommt es für den Fristenlauf nach § 32 Abs. 2 VwGVG doch darauf an, wann die Revisionswerberin Kenntnis von dem Sachverhalt, der den Wiederaufnahmegrund bilden soll, erlangt hat. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat die Revisionswerberin spätestens durch das Schreiben der Staatsanwaltschaft Leoben vom 8. Juli 2021 Kenntnis von dem im Wiederaufnahmeantrag geschilderten Sachverhalt erlangt. Zudem hat sie selbst in ihrem Wiederaufnahmeantrag vorgebracht, im September 2021 Informationen über die Taten des MH erhalten zu haben. Warum das Verwaltungsgericht daher nicht zum Ergebnis hätte gelangen dürfen, dass der Wiederaufnahmeantrag vom 29. Oktober 2021 somit jedenfalls nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist gestellt worden sei, macht die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht einsichtig.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
20 Damit erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag der Revisionswerberin, der Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 28. November 2024