JudikaturVwGH

Ra 2022/16/0004 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
20. Juni 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der Präsidentin des Handelsgerichts Wien gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2021, Zl. W176 2246242 1/2E, betreffend Gerichtsgebühren (mitbeteiligte Partei: I GmbH in W, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Parkring 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren dem Antrag der Mitbeteiligten vom 17. August 2021 auf Rückzahlung der vom Handelsgericht Wien am 2. Juni 2021 (zusätzlich) eingezogenen Pauschalgebühr gemäß TP 1 Gerichtsgebührengesetz (GGG) iHv 1.461 € Folge. Weiters sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

2 In der Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die Mitbeteiligte habe am 11. September 2019 beim Handelsgericht Wien eine Klage mit einem Streitwert von 80.299,08 € s. A. eingebracht. Darauf basierend sei eine Pauschalgebühr gemäß TP 1 GGG iHv 2.919 € eingezogen worden. In der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2020 habe der Klagevertreter die Ausdehnung des Klagebegehrens auf insgesamt 190.699,08 € s. A. zu Protokoll gegeben. Dafür habe das Handelsgericht Wien eine restliche Pauschalgebühr iHv 1.461 € eingezogen.

3 Mit Beschluss vom 28. April 2021 habe das Handelsgericht Wien die Klagsänderung vom 9. Oktober 2020 (in Form der Ausdehnung um weitere 110.400 €) für unzulässig erklärt.

4 Am 2. Juni 2021 habe die Mitbeteiligte einen Antrag auf Rückzahlung der (zusätzlich) eingezogenen Pauschalgebühr gemäß TP 1 GGG iHv 1.461 € eingebracht.

5 Mit Bescheid vom 26. August 2021 habe die Präsidentin des Handelsgerichts Wien (und nunmehrige Revisionswerberin) diesen Antrag mit der Begründung abgewiesen, die Erweiterung des Klagebegehrens sei in der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2020 zu Protokoll gegeben worden. Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Klagsausdehnung mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 28. April 2021 sei für die Entstehung der Gebührenpflicht durch Protokollierung in der mündlichen Verhandlung nicht entscheidend.

6 Die Mitbeteiligte habe gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben und vorgebracht, die Justizverwaltungsbehörde sei bei der Bemessung der Pauschalgebühr an die Entscheidung des Zivilgerichts gebunden. Im gegenständlichen Fall habe das Handelsgericht Wien die Klagsausdehnung nicht zugelassen, weshalb es zu einer solchen gar nicht gekommen sei. Werde die Klagsausdehnung rechtskräftig zurückgewiesen, könne die einzige Folge sein, dass für eine solche auch keine Pauschalgebühr anfalle.

7 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Bindungswirkung, auf welche die Mitbeteiligte in der Beschwerde hingewiesen habe, nur für den Fall der Zulassung einer Klagsausdehnung, nicht aber für den Fall der Verweigerung einer solchen gelten solle. Die Mitbeteiligte zeige zutreffend auf, dass eine solche einseitige Bindung nur in Konstellationen, in denen sie zur Bejahung einer Gebührenpflicht führe, den Rückgriff auf die Entscheidungen der Zivilgerichte letztlich entbehrlich machen würde. Durch die rechtskräftige Verweigerung der zu Protokoll gegebenen Klagsausdehnung verliere die Einziehung der restlichen Pauschalgebühr ihre rechtliche Grundlage, weshalb dieser Betrag zurückzuzahlen sei.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die dem Verwaltungsgerichtshof vom Bundesverwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

9 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); die Mitbeteiligte erstattete mit Schriftsatz vom 16. März 2022 eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 In der Revision wird zu deren Zulässigkeit vorgebracht, die Frage, ob die Entscheidung des Zivilgerichts, mit der eine Klagsänderung im Sinne einer Klagsausdehnung für unzulässig erklärt werde, die Kostenbeamten bzw. die Justizverwaltungsbehörden derart binde, dass ein zusätzlicher Gebührenanspruch des Bundes gemäß § 2 Z 1 lit. b GGG iVm § 18 Abs. 2 Z 2 GGG nicht bestehe, sei vom Verwaltungsgerichtshof noch nicht behandelt worden.

12 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

13 § 2 Z 1 lit. b Gerichtsgebührengesetz (GGG) in der Stammfassung BGBl. Nr. 501/1984 lautet:

„§ 2. Der Anspruch des Bundes auf die Gebühr wird, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, begründet:

1. hinsichtlich der Pauschalgebühren

[...]

b) für das zivilgerichtliche Verfahren, wenn das Klagebegehren erweitert wird, mit dem Zeitpunkt der Überreichung des Schriftsatzes; wird das Klagebegehren erweitert, ohne daß vorher die Klagserweiterung mit einem Schriftsatz dem Gericht mitgeteilt worden ist, so entsteht eine allfällige zusätzliche Pauschalgebühr mit dem Beginn der Protokollierung;“

14 § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 GGG in der Stammfassung BGBl. Nr. 501/1984 lautet:

„(1) Die Bemessungsgrundlage bleibt für das ganze Verfahren gleich.

(2) Hievon treten folgende Ausnahmen ein:

[...]

2. Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleiches eine Leistung, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen.“

15 Das Gerichtsgebührengesetz knüpft bewusst an formale äußere Tatbestände an, um eine möglichst einfache Handhabung des Gesetzes durch die Vorschreibungsbehörde zu gewährleisten. Eine ausdehnende oder einschränkende Auslegung des Gesetzes, die sich vom Wortlaut insoweit entfernt, als sie über das Fehlen eines Elements des im Gesetz umschriebenen formalen Tatbestands, an den die Gebührenpflicht oder die Ausnahme geknüpft ist, hinwegsieht, würde diesem Prinzip nicht gerecht werden (vgl. etwa VwGH 12.9.2017, Ra 2017/16/0087).

16 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Z 1 lit. b GGG wird der Anspruch des Bundes auf die Pauschalgebühr nach TP 1 GGG bei einer (streitwerterhöhenden) Erweiterung des Klagebegehrens mit dem Zeitpunkt der Überreichung des Schriftsatzes, ohne vorherige Mitteilung in einem Schriftsatz mit dem Beginn der Protokollierung begründet.

17 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist für die Entstehung der Gebührenpflicht nach § 2 Z 1 lit. b GGG somit nicht entscheidend, ob die Klagsausdehnung tatsächlich wirksam wird (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/16/0210; 29.4.2013, 2011/16/0118).

18 Damit kommt im revisionsgegenständlichen Fall dem Umstand, dass die Klagsänderung in Form der Ausdehnung des Klagebegehrens vom Handelsgericht Wien mit Beschluss vom 28. April 2021 für unzulässig erklärt wurde, für den Gebührenanspruch des Bundes keine Bedeutung zu.

19 Da der Klagevertreter unstrittig in der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2020 die Erweiterung des Klagebegehrens zu Protokoll gegeben hat, ist gemäß § 2 Z 1 lit. b GGG die Gebührenpflicht (mangels Mitteilung in einem vorausgegangenen Schriftsatz) mit dem Beginn der Protokollierung entstanden.

20 Soweit in der Revision vorgebracht wird, die Justizverwaltungsbehörden seien an die Entscheidung der Zivilgerichte gebunden, sodass die Pauschalgebühr zu Unrecht vorgeschrieben worden sei, ist dem entgegen zu halten, dass es wie bereits dargelegt für die Entstehung der Gebührenpflicht nach § 2 Z 1 lit. b GGG gerade nicht darauf ankommt, dass eine wirksame Klagsausdehnung vorliegt.

21 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 20. Juni 2022

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