JudikaturBVwG

I422 2312808-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
20. Mai 2025

Spruch

I422 2312808-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die „BBU GmbH“, Leopold-Moses-Gasse 4/4. Stock, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2025, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgegenstand:

Verfahrensgegenstand ist die fristgerecht erhobene Beschwerde eines türkischen Staatsangehörigen (in Folge: Beschwerdeführer) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA/ belangte Behörde) vom 30.04.2025, Zl.: XXXX . Mit seiner Entscheidung wies die belangte Behörde einen Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AsylG zurück. Zudem erteilte sie ihm keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt V.). Des Weiteren gewährte sie ihm keine Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt VI.).

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.05.2025 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Er stellte erstmals am 04.04.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er in Bezug auf seine Person keine Verfolgung behauptete. Mit Bescheid vom 13.04.2023, Zl. XXXX wurde der erste Antrag auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen, es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig ist. Zudem wurde einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt und ihm keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt. Die Entscheidung erwuchs am 12.05.2023 unangefochten in Rechtskraft.

Am 07.04.2025 wurden der Beschwerdeführer bei seiner Einreise aus Slowenien kommend von der Polizei kontrolliert, er festgenommen und am 08.04.2025 über ihn die Schubhaft angeordnet. Im Stande der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer am 10.04.2025 den verfahrensgegenständlichen Folgentrag auf internationalen Schutz, den er mit einer Furcht vor einer ungerechtfertigten Strafverfolgung begründete. Mit Bescheid vom 30.04.2025, Zl. XXXX wies die belangte Behörde einen Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei gemäß § 68 Abs. 1 AsylG zurück. Zudem erteilte sie ihm keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig ist. Des Weiteren wurde keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt.

Im gegenständlichen Fall liegt ein geänderter Sachverhalt in Bezug auf sein bisheriges Fluchtvorbringen vor, dem nicht von vornherein der glaubhafte Kern abgesprochen werden kann.

2. Beweiswürdigung:

Der umseits unter Punkt I. angeführte Verfahrensgegenstand ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Erstbefragung vom 10.04.2025 sowie seinen Angaben bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 23.04.2025, den von den belangten Behörde beigezogenen Unterlagen und Dokumenten, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz.

Ergänzend wurden Auskünfte aus dem Informationsverbundsystem zentrales Fremdenregister (IZR) eingeholt.

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seine Volljährigkeit und seine Identität stehen aufgrund der vor den österreichischen Behörden in Vorlage gebrachten Kopie seines türkischen Reisepasses Nr. U30043[...] und dessen entsprechenden Hinterlegung im Verwaltungsakt und im IZR fest.

Die Feststellungen zu seinem erstmaligen Antrag auf internationalen Schutz ergibt sich aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes. Daraus erschließt sich, dass der Beschwerdeführer im Administrativverfahren seines ersten Antrags keine Probleme in der Türkei geltend machte und er angab, bei einer Rückkehr nichts zu befürchten zu habe und dass er seinen Wunsch darlegte, wieder in die Türkei zurückkehren zu wollen. Die inhaltliche Erledigung des Bescheids und dessen unangefochtenes Erwachsen in Rechtskraft ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes mit der Zusammenschau eines aktuellen Auszugs des IZR.

Die Feststellungen zu seinem verfahrensgegenständlichen Folgeantrag basieren ebenfalls auf der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde. Den Ausführungen des Beschwerdeführers beim BFA lässt sich entnehmen, dass dieser seinen Antrag mit einer Verhaftung, einer unrechtmäßigen Verurteilung und der Verbüßung einer dreimonatigen Haftstrafe begründete. Nach seiner Haftentlassung sei ein neuerliches Verfahren eingeleitet worden und befürchte er nunmehr im Fall seiner Rückkehr abermals eine Inhaftierung. Die Entscheidung des BFA leitet sich aus dem verfahrensgegenständlichen Bescheid ab.

Zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung ist die belangte Behörde angesichts der Angaben des Beschwerdeführers – nämlich aufgrund von vagen und widersprüchlichen Angaben und in Ermangelung der Vorlage von entsprechender türkischer Gerichtsunterlagen – sowie aufgrund seines Verhaltens – insbesondere seinem Wunsch nach einer freiwilligen Rückkehr in die Türkei, der von ihm verschuldeten Vereitelung seiner freiwilligen Ausreise und seinem Untertauchen – zunächst völlig zu Recht davon ausgegangen, dass seinem Fluchtvorbringen keine Glaubhaftigkeit beigemessen werden konnte. Angesichts des mit Beschwerdeschriftsatz erstmals in Vorlage gebrachten Konvoluts türkischsprachiger Gerichtsunterlagen vermag seinem Vorbringen jedoch nicht mehr von vornherein der glaubhafte Kern abgesprochen werden und ist von einem geänderten Sachverhalt auszugehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet.

Identität der Sache bzw. „entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn gegenüber der Vorentscheidung eine unveränderte materielle Rechtslage vorliegt oder weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt sich geändert hat und das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckungsgleich ist (vgl. VwGH 11.03.2024, Ra 2022/08/0065; 13.02.2024, Ra 2024/02/0025; 19.01.2022, Ra 2020/20/0100).

In jenem Fall, in dem die belangte Behörde den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist insoweit „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 23.09.2020, Ra 2020/14/0175).

Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist auch vom Verwaltungsgericht von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne deren sachliche Richtigkeit nochmals zu überprüfen.

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11, K17).

Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme. Eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“, dem Relevanz zukommt, aufweisen. Wenn die behaupteten neuen Tatsachen zu einem anderen Verfahrensergebnis führen können, bedarf es einer Auseinandersetzung der gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse betreffend deren Glaubhaftigkeit (vgl. VwGH 05.07.2023, Ra 2021/18/0270; 19.10.2021, Ro 2019/14/0006).

Als Vergleichsbescheid ist dabei der Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226).

Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (vgl. VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391).

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, war die belangte Behörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung angesichts der Angaben des Beschwerdeführers – nämlich aufgrund von vagen und widersprüchlichen Angaben und in Ermangelung der Vorlage von entsprechender türkischer Gerichtsunterlagen – sowie aufgrund seines Verhaltens – insbesondere seinem Wunsch nach einer freiwilligen Rückkehr in die Türkei, der von ihm verschuldeten Vereitelung seiner freiwilligen Ausreise und seinem Untertauchen – zunächst völlig zu Recht davon ausgegangen, dass seinem Fluchtvorbringen keine Glaubhaftigkeit beigemessen werden konnte. Angesichts des in der Beschwerdeverhandlung erstmals in Vorlage gebrachten Konvoluts türkischsprachiger Gerichtsunterlagen und seiner erstmals getätigten Behauptung als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe diskriminiert worden sei und er auch ein Unterstützer der HDP sei Geldspenden für sie geleistet und in der Vergangenheit auch an deren Kundgebungen teilgenommen zu haben, vermag seinem Vorbringen nunmehr jedoch nicht mehr von vornherein der glaubhafte Kern abgesprochen werden und ist davon auszugehen, dass ein geänderter Sachverhalt zum bereits rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren vorliegt.

Da bei einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz verwehrt ist und es lediglich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung überprüfen darf, war der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid im Ergebnis stattzugeben und dieser – auch hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte – ersatzlos zu beheben.

Für das von der belangten Behörde in weiterer Folge erneut entstehende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der belangten Behörde neuerlich, nämlich meritorisch, somit in der Sache, abzusprechen ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

Im fortgesetzten Verfahren hat sich die belangte Behörde somit inhaltlich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers – nämlich der Behauptung einer ungerechtfertigten Strafverfolgung in der Türkei zu unterliegen, als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe diskriminiert worden zu sein und auch ein Unterstützer der HDP im Fokus der türkischen Behörden zu stehen – sowie dem von ihm vorgelegten Beweismittel auseinanderzusetzen.

Im Ergebnis war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4. Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Die Verhandlung kann nach Abs. 2 entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Z 1) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2).

Da der angefochtene Bescheid aufzuheben war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im gegenständlichen Fall wurde sich eingehend mit der Frage des Vorliegens einer bereits entschiedenen Sache auseinandergesetzt (vgl. VwGH 05.07.2023, Ra 2021/18/0270; 19.10.2021, Ro 2019/14/0006). Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.