Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 22. November 2019, LVwG 2019/30/1903 2, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: T H, zu Handen Österreichisches Rotes Kreuz in 1041 Wien, Wiedner Hauptstraße 32), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
1.1. Die Mitbeteiligte, eine syrische Staatsangehörige, brachte (vertreten durch das Österreichische Rote Kreuz) am 8. April 2019 per E Mail einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG bei der Österreichischen Botschaft Athen (im Folgenden: Botschaft) ein. Zusammenführender sollte ihr am 1. September 2001 geborener Sohn A A (im Folgenden: Zusammenführender), ebenso syrischer Staatsangehöriger, sein, dem mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 8. Jänner 2019, zugestellt am 11. Jänner 2019, der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 zuerkannt worden war.
1.2. Die Botschaft trug der Mitbeteiligten am 26. April 2019 die Verbesserung des Antrags durch Nachholung der persönlichen Antragstellung unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen binnen drei Wochen auf. Die Mitbeteiligte sprach am 9. Mai 2019 persönlich bei der Botschaft vor, legte aber die notwendigen Unterlagen nicht vor, woraufhin ihr eine weitere dreiwöchige Frist eingeräumt wurde. Am 21. Mai 2019 reichte sie schließlich persönlich den Antrag mitsamt den Unterlagen bei der Botschaft ein, die ihn an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (im Folgenden: Revisionswerberin) weiterleitete.
1.3. Die Revisionswerberin führte in der Folge einige Ermittlungen zum gegenständlichen Antrag durch. So nahm sie etwa Registerabfragen (im Melde- und Fremdenregister) in Bezug auf den Zusammenführenden vor. Weiters führte sie eingehende Ermittlungen zur Frage der Rechtzeitigkeit der Antragstellung durch, indem sie mehrere Schreiben an die Botschaft richtete und um diesbezügliche Auskünfte ersuchte. Die Botschaft kam den Ersuchen jeweils nach.
2.1. Mit Bescheid vom 19. August 2019 sprach die Revisionswerberin aus, dass der Antrag vom 8. April bzw. 21. Mai 2019 gemäß § 19 Abs. 1 iVm §§ 3 und 4 NAG „abgewiesen“ werde. Dem Zusammenführenden sei so die wesentliche Begründung mit 11. Jänner 2019 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Die Mitbeteiligte habe im Hinblick darauf am 8. April 2019 per E Mail und in Verbesserung am 21. Mai 2019 persönlich bei der Botschaft die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 46 NAG beantragt. Nach der Rechtsprechung habe eine solche Antragstellung innerhalb einer dreimonatigen Frist ab der Zuerkennung der Asyleigenschaft zu erfolgen. Werde dabei der Antrag zunächst schriftlich gestellt, so müsse eine Terminerteilung durch die Botschaft derart erfolgen, dass eine persönliche Antragstellung (noch) innerhalb der Dreimonatsfrist stattfinden könne. Sei ein Termin innerhalb dieser Frist aufgrund der späten Antragstellung nicht (mehr) möglich und liege somit die Fristüberschreitung nicht in der Sphäre der Botschaft, so sei von einer verspäteten Einbringung auszugehen. Ein solcher Fall liege hier vor, da die Antragstellung erst drei Tage vor dem Fristablauf am 11. April 2019 erfolgt sei. Der gegenständliche Antrag sei daher „abzuweisen“ gewesen.
2.2. Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.
3.1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. November 2019 hob das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) den Bescheid vom 19. August 2019 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Revisionswerberin zurück.
3.2. Das Verwaltungsgericht ging soweit hier von Bedeutung von dem bereits oben (Pkt. 1.) wiedergegebenen Sachverhalt aus.
Rechtlich folgerte es im Wesentlichen, die Revisionswerberin habe den Antrag zu Unrecht unter Berufung auf § 19 Abs. 1 NAG „abgewiesen“. Die Mitbeteiligte habe den Antrag innerhalb der verlängerten Verbesserungsfrist am 21. Mai 2019 persönlich bei der Botschaft eingebracht. Die gemäß § 19 Abs. 1 NAG vorgeschriebene persönliche Antragstellung sei daher jedenfalls rechtzeitig erfolgt, eine „Abweisung“ könne nicht auf diese Bestimmung gestützt werden.
In der Folge führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe die „für eine korrekte Sachentscheidung notwendigen Verfahrensschritte und erforderlichen (...) Ermittlungen“ gänzlich unterlassen. Die fehlenden weiteren Erhebungen und Feststellungen könnten im behördlichen Verfahren auch wesentlich rascher und kostengünstiger vorgenommen werden, als dies dem Verwaltungsgericht möglich wäre. Es lägen daher die Voraussetzungen gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor. Der bekämpfte Bescheid sei folglich aufzuheben und die Angelegenheit „zur Durchführung des gebotenen weiteren Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides“ an die Revisionswerberin zurückzuverweisen.
3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4.1. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende Amtsrevision, in der (insbesondere) releviert wird, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wäre ein Vorgehen gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG fallbezogen nicht in Betracht gekommen.
4.2. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision ist zulässig und nach Maßgabe der nachfolgenden Erwägungen berechtigt.
6.1. Gemäß § 19 Abs. 1 NAG sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts durch den Antragsteller bzw. soweit dieser nicht selbst handlungsfähig ist durch seinen gesetzlichen Vertreter persönlich bei der Behörde zu stellen.
6.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs begründet § 19 Abs. 1 NAG ein Formalerfordernis, dessen Missachtung nicht zur sofortigen Zurückweisung führen darf, sondern einer Verbesserung nach § 13 Abs. 3 AVG zugänglich ist, die in einer persönlichen Bestätigung der Antragstellung besteht (vgl. etwa VwGH 26.6.2013, 2013/22/0148, mwN).
Wie der Verwaltungsgerichtshof weiters in ständiger Judikatur vertritt, liegt wenn aus dem Inhalt eines Bescheids, mit dem der Antrag abgewiesen wurde, zweifelsfrei hervorgeht, dass die Behörde (in Wahrheit) die Zulässigkeit einer meritorischen Entscheidung verneint hat in der an Stelle der Zurückweisung erfolgten Abweisung bloß ein Vergreifen im Ausdruck mit dem Ergebnis, dass mit dem Bescheid keine meritorische Entscheidung in Form einer Abweisung vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 11.7.2014, 2012/17/0176, mwN).
7. Vorliegend ging die Revisionswerberin im Bescheid vom 19. August 2019 ob zu Recht, kann hier dahinstehen von einer verspäteten und daher unwirksamen persönlichen Antragstellung der Mitbeteiligten aus und sprach deshalb aus, dass der Antrag gemäß § 19 Abs. 1 NAG „abgewiesen“ werde.
Nach der oben aufgezeigten Rechtsprechung begründet § 19 Abs. 1 NAG jedoch ein bloßes Formalerfordernis, bei dessen Missachtung trotz Verbesserungsverfahrens der Antrag nicht in der Sache zu behandeln, sondern aus formalen Gründen zurückzuweisen ist. Indem die Revisionswerberin aussprach, dass der Antrag „abgewiesen“ werde, hat sie sich daher im Ausdruck vergriffen, dies mit dem Ergebnis, dass von einer Zurückweisung aus formalen Gründen und nicht von einer (meritorischen) Abweisung des Antrags in der Hauptsache auszugehen ist.
8.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist, wenn die belangte Behörde in erster Instanz einen Antrag zurückgewiesen hat, Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Das Verwaltungsgericht ist in einem solchen Fall ausschließlich befugt, darüber zu entscheiden, ob die von der belangten Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist. Dies allein bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens (vgl. etwa VwGH 23.6.2015, Ra 2015/22/0040, mwN).
8.2. Gelangt dabei das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die von der belangten Behörde ausgesprochene Zurückweisung inhaltlich rechtswidrig ist, so hat es den betreffenden Bescheid (ersatzlos) zu beheben. Auf diese Weise wird der Weg für die (erstmalige) Entscheidung der belangten Behörde in der Hauptsache frei gemacht (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115, mwN; siehe dazu etwa auch VwGH 29.3.2023, Ra 2022/01/0297, Rn. 19 ff, mwN).
Indes käme eine Aufhebung des Zurückweisungsbescheids und eine Zurückverweisung der Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nur dann in Betracht, wenn weitere sachverhaltsbezogene Ermittlungen zur Klärung der Zulässigkeit des Antrags erforderlich wären (vgl. etwa VwGH 18.11.2021, Ra 2021/22/0105, Rn. 8, mwN). Ein Ausspruch gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn bloß Feststellungen in Bezug auf die Hauptsache fehlen, über die die belangte Behörde noch nicht entschieden hat und die daher noch nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein kann (vgl. etwa VwGH 30.1.2019, Ra 2018/12/0057, Rn. 13; VwGH 26.2.2015, Ra 2014/22/0152, 0153, mwN; siehe auch Leeb in Hengstschläger/Leeb , AVG ErgBd [2017] § 28 VwGVG, Rz 39).
9.1. Vorliegend hat wie bereits oben dargelegt wurde die Revisionswerberin mit Bescheid vom 19. August 2019 den Antrag der Mitbeteiligten wegen Nichterfüllung des Formalerfordernisses gemäß § 19 Abs. 1 NAG (im Ergebnis) zurückgewiesen. Im Hinblick darauf durfte nach der oben dargestellten Rechtsprechung das mit Beschwerde angerufene Verwaltungsgericht lediglich über die Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung absprechen.
Das Verwaltungsgericht hob jedoch mit dem angefochtenen Beschluss den Bescheid vom 19. August 2019 ausdrücklich gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf. Wie aus der Begründung hervorgeht, traf es diese Entscheidung nicht etwa, um eine Verfahrensergänzung und einen neuerlichen Abspruch durch die Revisionswerberin in Bezug auf die Erfüllung des Formalerfordernisses gemäß § 19 Abs. 1 NAG herbeizuführen, hob es doch hervor, dass die persönliche Antragstellung (ohnehin) rechtzeitig erfolgt sei und der Antrag daher mit Bescheid vom 19. August 2019 zu Unrecht „abgewiesen“ (gemeint: zurückgewiesen) worden sei. Vielmehr ging es von einer grundsätzlich bestehenden Zuständigkeit zur meritorischen Prüfung des gegenständlichen Antrags aus, kam allerdings zum Ergebnis, dass die Revisionswerberin die „für eine korrekte Sachentscheidung notwendigen Verfahrensschritte und erforderlichen (...) Ermittlungen“ gänzlich unterlassen habe und dass die Erfüllung der materiellen Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG erst nach Vornahme weiterer Verfahrensschritte bzw. Ermittlungen, mit denen es unter einem die Revisionswerberin beauftragte, beurteilt werden könne.
9.2. Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht freilich nicht über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung abgesprochen, was allein den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildete. Demnach hätte es ausgehend von seiner Rechtsauffassung nur eine (ersatzlose) Behebung des den Antrag zurückweisenden Bescheids vom 19. August 2019 vornehmen dürfen. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht den Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgrund des Unterbleibens der für eine Entscheidung in der Hauptsache notwendigen Verfahrensschritte und Ermittlungen aufgehoben und die Angelegenheit insofern an die Revisionswerberin zurückverwiesen. Es hat dadurch jedoch seine auf den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens (Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags) beschränkte Entscheidungsbefugnis überschritten.
10. Folglich hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Die Entscheidung war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 14. November 2023