Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision 1. des M M und 2. der L M, beide vertreten durch Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. April 2025, 1. W272 2200505 2/7E und 2. W272 2200503 3/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Erstrevisionswerber ist mit der Zweitrevisionswerberin verheiratet. Beide sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der Volksgruppe der Tschetschenen an und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.
Beide stellten im Jahr 2015 erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), der jeweils mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 12. März 2019 in Bestätigung der entsprechenden Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19. Juni 2018 rechtskräftig abgewiesen wurde. Unter einem wurde gegen die revisionswerbenden Parteien eine Rückkehrentscheidung erlassen.
2 Die revisionswerbenden Parteien brachten in der Folge am 14. Juni 2022 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 ein.
3 Mit Bescheid vom 10. Jänner 2025 wies das BFA die Anträge auf internationalen Schutz jeweils ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Die dagegen jeweils erhobene Beschwerde wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 22. April 2025 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 In seiner Begründung führte das BVwG soweit hier maßgeblich aus, dass der Erstrevisionswerber nicht mehr im wehrdienstpflichtigen Alter sei, den Grundwehrdienst nicht abgeleistet habe, über kein Militärbuch und keine militärische Ausbildung verfüge und auch kein Reservist sei, weshalb ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung drohe. Die revisionswerbenden Parteien hätten sich auch nie politisch oder journalistisch engagiert.
Im Rahmen seiner Interessenabwägung gelangte das BVwG zum Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung schwerer als die Interessen der revisionswerbenden Parteien an einem Verbleib in Österreich wiege. Der Erstrevisionswerber halte sich zwar bereits rund neun Jahre im Bundesgebiet auf und weise einen erkennbaren Integrationswillen auf, die Missachtung melderechtlicher Vorschriften sowie die zweifache Asylantragstellung relativieren jedoch die Länge seiner Aufenthaltsdauer.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe sich nur mangelhaft mit den vorgelegten Länderberichten zur Rekrutierung russischer Streitkräfte auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang macht die Revision auch Ermittlungs-, Feststellungs- und Begründungsmängel geltend.
8 Es wird dabei zunächst pauschal ein Abweichen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht vorgebracht. Dabei verabsäumt es die Revision jedoch, in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Eine Zulässigkeitsbegründung, die bloß pauschale Behauptungen, jedoch keine konkrete Rechtsfrage und auch keine Bezugnahme auf Judikatur enthält, entspricht diesen Anforderungen nicht (vgl. VwGH 26.2.2025, Ra 2025/19/0029, mwN).
9 Soweit die Revision eine unzureichende Auseinandersetzung mit einzelnen Passagen aus den Länderberichten rügt und damit Mängel in Bezug auf die Feststellungen als gegeben erachtet, wendet sie sich der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. erneut VwGH 26.2.2025, Ra 2025/19/0029, mwN).
Die Revision zeigt mit ihren Ausführungen jedoch nicht auf, dass die Beweiswürdigung des BVwG mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wäre. Die Revision enthält vielmehr eigene beweiswürdigende Erwägungen, die sie an die Stelle jener des BVwG setzen möchte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es allerdings nicht darauf an, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 26.6.2024, Ra 2024/19/0089, mwN).
10 Im Übrigen muss, wenn wie gegenständlich Verfahrensmängel ins Treffen geführt werden, auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass – auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst – jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 29.5.2024, Ra 2024/19/0106, mwN).
Auch diesen Anforderungen wird die vorliegende Revision nicht gerecht.
11 Weiters bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung nicht berücksichtigt, dass sich der Erstrevisionswerber nahezu seit zehn Jahren durchgehend im Bundesgebiet befinde. Ausgehend von näher dargelegten Integrationsbemühungen könne nicht gesagt werden, dass der Erstrevisionswerber die in Österreich verbrachte Zeit nicht genutzt habe, um sich zu integrieren.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein relevanter Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. VwGH 18.9.2024, Ra 2024/19/0393, mwN).
13 Es trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese zu mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalten entwickelte Judikatur wurde vom Verwaltungsgerichtshof bei stärkerem Integrationserfolg auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 23.2.2021, Ra 2020/19/0406, mwN).
14 Die Revision blendet bei ihren Ausführungen aber gänzlich aus, dass dem Erstrevisionswerber vom BVwG in diesem Sinn maßgebliches Fehlverhalten (mehrfaches unberechtigtes Stellen von Anträgen auf internationalen Schutz, zum Teil unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet sowie Missachtung melderechtlicher Vorschriften) zum Vorwurf gemacht wurde. Dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, das vom Erstrevisionswerber gesetzte Fehlverhalten führe dazu, dass ungeachtet der langen Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet die Erlassung einer Rückkehrentscheidung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK nicht unzulässig sei, mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wäre, wird in der Revision nicht dargetan (zur Relativierung der Länge der Aufenthaltsdauer vgl. VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0461; VwGH 20.12.2021, Ra 2021/20/0437, jeweils mit Verweisen auf VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, samt näheren Hinweisen zu Konstellationen, in denen trotz eines zehnjährigen Aufenthalts die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht als unverhältnismäßig angesehen wurde).
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 25. Juli 2025