Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien in 1030 Wien, Thomas-Klestil-Platz 8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 18. Dezember 2018, Zlen. VGW-141/025/25475/2014 und VGW-141/025/15327/2017, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: B T in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Dezember 2018 wurden dem Mitbeteiligten - im Beschwerdeverfahren - für die Bedarfsmonate Jänner 2014 bis Februar 2015 jeweils monatlich festgesetzte Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und Grundbeträge zur Deckung des Wohnbedarfs zuerkannt; eine Mietbeihilfe für den über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs hinausgehenden Bedarf wurde nicht gewährt. Weiters erklärte das Verwaltungsgericht eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig. 2 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass es sich beim Mitbeteiligten um einen österreichischen Staatsbürger handle. Die Lebensgefährtin des Mitbeteiligten sei nigerianische Staatsangehörige, deren Tochter H. spanische Staatsangehörige und die weitere Tochter V. österreichische Staatsbürgerin. Hinsichtlich des zuletzt genannten Kindes sei mit Beschluss vom 7. April 2014 die Vaterschaft des Mitbeteiligten festgestellt worden. Alle vier Personen seien in Österreich sozialversichert. Darüber hinaus finden sich Feststellungen hinsichtlich der - hier nicht relevanten - Einnahmen und Ausgaben der Bedarfsgemeinschaft. 3 In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht - soweit hier relevant - unter Berufung auf näher bezeichnete Rechtsprechung (VwGH 3.4.2009, 2008/22/0439; 17.11.2011, 2009/21/0378; 25.11.2015, 2013/10/0227, und EuGH 19.10.2004, Zhu und Chen, C-200/02; 7.9.2004, Trojani , C-456/02; 19.9.2013, Brey, C-140/12) davon aus, dass die Bestimmungen des nationalen Rechts im Lichte der Rechtsprechung des EuGH auszulegen seien. Daher sei nicht nur dem Mitbeteiligten und seinem Kind V. Mindestsicherung zu gewähren, sondern auch der Lebensgefährtin des Mitbeteiligten und deren minderjähriger Tochter H., sofern die minderjährige H. im Sinne der zitierten Rechtsprechung angemessen krankenversichert gewesen und ihr Unterhalt von ihrer Mutter gewährt worden sei. Im vorliegenden Fall seien sowohl die Lebensgefährtin des Mitbeteiligten als auch deren minderjährige Tochter in Österreich sozialversichert und es hätte sich kein Anhaltspunkt ergeben, dass die Lebensgefährtin nicht für den Unterhalt ihrer minderjährigen Tochter sorge. Somit hätten auch diese beiden Personen Anspruch auf Leistungen der Mindestsicherung.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision der belangten Behörde, die das Verwaltungsgericht samt den Akten des Verfahrens vorgelegt hat.
5 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs.1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes widerspreche dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 25.11.2015, 2013/10/0227, wonach sich ein Kind im Kleinkindalter auf die unionsrechtlichen Rechte auf Freizügigkeit und Aufenthalt berufen könne, wenn es angemessen krankenversichert sei und ihm Unterhalt von einem Elternteil gewährt werde, der Staatsangehöriger eines Drittstaates sei und dessen Mittel ausreichten, um eine Belastung der öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedsstaats durch den Minderjährigen zu verhindern, wobei es in einem solchen Fall auch dem Elternteil, der für diesen Staatsangehörigen tatsächlich sorge, erlaubt sei, sich mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten. Im vorliegenden Fall ergebe jedoch die Aktenlage, dass die Mutter der minderjährigen H. über keinerlei Einkommen verfüge, wobei auch Unterhaltszahlungen des Vaters an die Minderjährige nicht hätten festgestellt werden können. Wenn das Verwaltungsgericht davon ausgehe, dass der minderjährigen EU-Bürgerin H. von ihrer Mutter Unterhalt gewährt werde, könne es sich nur um Naturalunterhalt handeln. Dass dies jedoch genüge, um von der Gewährung von ausreichenden Mitteln sprechen zu können, könne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht entnommen werden. Diese Rechtsansicht widerspreche auch der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 9.8.2016, Ro 2015/10/0050, wonach eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen sei, sowie der bereits zitierten Entscheidung vom 25.11.2015.
7 Die Revision ist zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.
8 § 5 des Wiener Mindestsicherungsgesetzes - WMG, LGBl. Nr. 38/2010 in der für den maßgeblichen Leistungszeitraum geltenden Fassung LGBl. Nr. 29/2013, lautet auszugsweise:
"Personenkreis
§ 5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.
(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:
1. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, denen dieser Status nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005) zuerkannt wurde;
2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;
..."
9 § 51 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, lautet:
"4. Hauptstück
Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr
als drei Monate
§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder
c) - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von
dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und
- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder
d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht."
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass § 5 Abs. 2 Z 2 WMG durch die Wendung "deren Familienangehörige" die Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern auf jene Personen ausdehnt, denen ein Aufenthaltsrecht nach der Unionsbürgerrichtlinie zukommt, das seine Grundlage in der Stellung als Familienangehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat (vgl. VwGH 24.10.2017, Ra 2016/10/0031, unter Hinweis auf VwGH 25.11.2015, 2013/10/0227 und 28.10.2015, Ro 2014/10/0083).
12 Verleihen nämlich Art. 21 AEUV und die Unionsbürgerrichtlinie dem minderjährigen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der die in Art. 7 Abs. 1 lit. b) dieser Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat, erlauben dieselben Vorschriften es somit dem Elternteil, der für diesen Staatsangehörigen tatsächlich sorgt, sich mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten (vgl. EuGH 13.9.2016, Marin , C- 165/14, Rn. 52, mwN; vgl. auch EuGH 10.5.2017, Chavez-Vilchez , C- 133/15, Rn. 46 bis 57).
13 Infolgedessen hatte das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob hinsichtlich der Lebensgefährtin des Mitbeteiligten ein aus der Unionsbürgerrichtlinie - als Familienangehörige ihres Kindes mit spanischer Staatsangehörigkeit - abgeleitetes Aufenthaltsrecht besteht. Ein solches Aufenthaltsrecht setzt voraus, dass das Kind, von dem sie ihr Aufenthaltsrecht ableiten will, die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dieser Richtlinie erfüllt.
14 Bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b) der Unionsbürgerrichtlinie in Anspruch nehmen zu können, ist eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen, wobei die beantragten Sozialleistungen nicht zu berücksichtigen sind (vgl. dazu VwGH 9.8.2016, Ro 2015/10/0050, und wiederum VwGH vom 24.10.2017, Ra 2016/10/0031, jeweils unter Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung des EuGH).
15 Soweit das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung lediglich auf das Vorliegen einer angemessenen Krankenversicherung und auf eine - nicht näher ermittelte - Unterhaltsgewährung der Lebensgefährtin des Mitbeteiligten an deren Kind H. abstellt, verkennt es, dass gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b) der Unionsbürgerrichtlinie bzw. § 51 Abs. 1 Z 2 NAG neben einem umfassenden Krankenversicherungsschutz auch ausreichende Existenzmittel des Unionsbürgers für sich und seine Familienangehörigen vorliegen müssen. Eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation der minderjährigen Tochter der Lebensgefährtin des Mitbeteiligten - also der Unionsbürgerin, von deren Aufenthaltsrecht sich ihr Aufenthaltsrecht ableiten soll - hat das Verwaltungsgericht allerdings nicht vorgenommen und dementsprechend - in Verkennung der Rechtslage - auch keine Feststellungen in dieser Richtung getroffen.
16 Auf das Vorbringen in der Revisionsbeantwortung, wonach der Lebensgefährtin des Mitbeteiligten schon aufgrund ihrer Obsorge für das die österreichische Staatsangehörigkeit besitzende Kind V. ein von diesem Kind aus Art. 20 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitze, war nicht einzugehen, weil sich das Verwaltungsgericht mit diesem Aspekt nicht auseinandergesetzt und dementsprechend keine hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen hat (vgl. auch dazu EuGH 10.5.2017, Chavez-Vilchez , Rn. 60 ff, sowie EuGH 13.9.2016, Marin , C-165/14, Rn. 69 ff). 17 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am 22. Oktober 2019
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