Spruch
W231 2211543-4/25E
ERKENNTNIS
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch die CARITAS Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2022, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I wird als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. stattgegeben und XXXX gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran zuerkannt.
Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthalts-berechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.
III. Die übrigen Spruchpunkte werden ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Vorverfahren:
I.1.1. Der Beschwerdeführer („BF“), ein iranischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Gilani, stellte nach legaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.06.2018 erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.1.2. Im Rahmen der Erstbefragung gab der BF im Wesentlichen an, dass er im Iran Personen unterrichtet habe, die aus dem Islam ausgetreten seien und ihre Religion gewechselt hätten. Er sei von zivilen Personen bedroht worden. Er habe sich auch auf der Universität kritisch gegenüber der Regierung bzw. dem System geäußert. Er sei selbst keine politische Person. Weil er nicht wählen gegangen sei und die Regierung nicht aktiv unterstütze, seien ihm auch keine weiteren Stunden von der Universität gegeben worden. Er habe Angst um sein Leben.
1.1.3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl („BFA“) am 09.08.2018 gab der BF zusammengefasst an, dass er eine Organisation gegründet und dort Bahai unterrichtet habe. Die Religionspolizei habe ihn aufgefordert, diese rauszuschmeißen und nicht mehr zu unterrichten. Die Universität sei auch angegriffen worden und Kollegen hätten dem BF erzählt, dass nach ihm gefragt worden sei. Sein Unterricht sei auch als politisch motiviert angesehen worden.
1.1.4. Mit Bescheid vom 16.11.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
1.1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde.
1.1.6. Das Bundesverwaltungsgericht („BVwG“) führte am 19.08.2019 und am 23.09.2019 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
1.1.7. Mit Erkenntnis des BVwG vom 29.07.2020, Zl. W259 2211543-1/27E wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
1.1.8. Mit Schriftsatz vom 22.12.2020, beim BVwG am 23.12.2020 eingelangt, stellte der BF einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu W259 2211543-1 sowie einen Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht. Zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF am 19.12.2020 von seinem Bruder zwei E-Mails erhalten habe, mit welcher der BF über die Existenz von zwei gerichtlichen Ladungen in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Ladungen seien als Kopien dem Anhang der E-Mails beigefügt. Die Originale würden vom Bruder des BF postalisch versendet werden. Sobald der BF über diese verfüge, werde er diese dem BVwG vorlegen. Die Dokumente würden neue Beweismittel darstellen, die im Hauptinhalt des Spruches ein anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten. Wie durch die vorgelegten Beweismittel bescheinigt, drohe dem BF mit Blick auf die Länderberichte ein unfaires gerichtliches Verfahren sowie die Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen. Zudem würden die gerichtlichen Ladungen beweisen, dass der BF bereits in das Visier der iranischen Behörden geraten sei. Dem BF treffe kein Verschulden daran, dass diese Dokumente erst nach der Entscheidung des Gerichts in seinen Besitz gelangt seien. Da der BF am 19.12.2020 aufgrund der E-Mails des Bruders Kenntnis von den neuen Beweismitteln erlangt habe, ergehe der Antrag auf Wiederaufnahme binnen der zweiwöchigen Präklusionsfrist.
1.1.9. Mit Beschluss des BVwG vom 11.01.2021, Zl. W259 2211543-2/4E, wurde der Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht zurückgewiesen.
1.1.10. Mit Schreiben vom 25.06.2021 wurde dem BF die Übersetzung der vorgelegten Beilagen vom 22.12.2020 zur Kenntnis gebracht und wurde diesem die Möglichkeit gegeben, eine allfällige Stellungnahme abzugeben.
1.1.11. Mit Beschluss des BVwG vom 07.12.2021, Zl W259 2211543-3/7E, wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des BF abgewiesen.
I.2. Gegenständliches Verfahren:
1.2.1. Am 09.09.2021 stellte der BF einen (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er zum Christentum konvertiert sei und zu Ostern 2022 voraussichtlich getauft werde. Aus diesem Grund sei es ihm nicht mehr möglich, in den Iran zurückzukehren. Zu seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr brachte der BF vor, dass ihm als konvertierten Christen im Iran die Todesstrafe drohe.
1.2.2. Am 06.09.2021 langte beim BFA eine Stellungnahme samt Beweismittelvorlage ein.
1.2.3. Am 23.11.2021 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an einer Panikstörung leide. Er stehe in psychiatrischer Behandlung. Im Herkunftsland seien nach wie vor die Onkel und Cousins des BF aufhältig, mit welchen er in Kontakt stehe. Seine Eltern seien bereits verstorben. Im Herkunftsland habe der BF Jus studiert und als Assistent des Professors an der Universität gearbeitet.
Aufgrund einer Panikattacke des BF wurde die Einvernehme unterbrochen und am 20.12.2021 fortgesetzt.
In der fortgesetzten Einvernahme brachte der BF weiters vor, dass er der christlichen Glaubensgemeinschaft angehöre und zu Ostern getauft werde. In Österreich besuche der BF regelmäßig einen Psychiater und einen Psychotherapeuten. Zudem sei der BF Diabetiker und nehme Medikamente ein. Die Eltern des BF seien bereits verstorben, sein Bruder halte sich in der Türkei auf. Der BF habe unregelmäßigen Kontakt zu seinen Freunden im Herkunftsland.
Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der BF an, dass im Herkunftsland sein Leben bedroht sei, da er eine andere Religion angenommen habe. Dies sei sein einziger Fluchtgrund. Er habe bereits im Iran eine christliche Schule besucht und sich mit dem Christentum beschäftigt, er sei lediglich nach Österreich gekommen, um sich taufen zu lassen. Er sei erst am 06.09.2021 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten, da er zuvor nicht gewusst habe, dass er austreten könne. Der BF verfüge über Grundwissen über den Islam, da er als Schüler darüber gelernt habe. Mittlerweile kenne er sich aber nicht mehr gut aus. In Österreich besuche der BF drei verschiedene Seminare zum Christentum sowie den Gottesdienst. Er habe bereits zwei Mal versucht, Personen zu missionieren. Ferner gab der BF an, seit zwei Jahren eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin zu führen.
1.2.4. Am 03.01.2022 langte bei der Behörde eine Stellungnahme zu den im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme eingebrachten Länderberichte ein. Darin wurde erneut auf die gesundheitliche Verfassung des BF hingewiesen und Unterlagen in Zusammenhang mit dem Vorbringen des BF vorgelegt.
1.2.5. Am 15.06.2022 wurde dem BF ein Parteiengehör gewährt und die Beantwortung bestimmter Fragen – insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufenthalt und der Integration des BF in Österreich – aufgetragen. Die Beantwortung der Fragen sowie eine Stellungnahme zu den aktualisierten Länderfeststellungen erfolgte am 06.07.2022.
1.2.6. Mit Bescheid vom 22.11.2022 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
1.2.7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 16.12.2022. Der BF sei zum Christentum konvertiert und habe aus diesem Grund Verfolgung im Herkunftsland zu befürchten. Zudem wurde auf die gesundheitlichen Einschränkungen des BF und seinen langen Aufenthalt in Österreich sowie die damit einhergehenden privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet hingewiesen.
1.2.8. Am 04.05.2023 erstattete der BF erneut im Wege seiner Rechtsvertretung eine Stellungnahme hinsichtlich der aktuellen Länderberichte zum Iran und brachte neue Länderberichte ins Verfahren ein.
1.2.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.05.2023 in Anwesenheit eines beeideten Dolmetschers für die Sprache Farsi, im Beisein des rechtskundigen Vertreters des BF eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Der Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen. Im Rahmen der Verhandlung wurde auch der für die vom BF besuchte Farsigemeinde zuständige Pfarrer als Zeuge zur Glaubensüberzeugung des BF befragt.
1.2.10. Mit Schreiben vom 01.06.2023 und 13.06.2023 brachte der BF weitere Unterlagen zu seinem Gesundheitszustand und seinem Fluchtvorbringen sowie eine diesbezügliche Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht ein.
1.2.11. Weiters legte der BF mit Schreiben vom 27.10.2023 weitere Unterlagen im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren (Teilnahmezertifikat an einem B2-Deutschkurs, Behindertenpass) vor.
1.2.12. Mit Beschluss vom 01.02.2024 wurde das Verfahren über die Beschwerde gemäß § 38 AVG iVm § 17 VwGVG bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-222/22 über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.03.2021, Zl. EU 2022/0001-1, vorgelegten Fragen ausgesetzt. In dieser Rechtssache hat der EuGH mit Urteil vom 29.02.2024 entschieden. Zusammengefasst, darf die Zuerkennung von Asyl aufgrund von in einem Folgeantrag geltend gemachten „selbst geschaffenen“ Umständen nicht davon abhängen, dass diese Umstände Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung sind.
1.2.13. Mit Schreiben vom 02.04.2024 hat der BF zum LIB Iran, Version 7, Stellung genommen. Daraus ergebe sich, dass Konvertiten im Iran nach wie vor verfolgt würden. Weiters wurden Unterlagen (Kursbesuchsbestätigung B2, Bestätigung über ehrenamtliche Arbeit, Arztbrief, wonach der BF aufgrund seines hohen Grades der Behinderung – 80% - täglich in vielen Belangen auf Hilfe angewiesen sei; Bestätigung über Diagnose und Therapie der Erkrankungen Diabetes Mellitus Typ II, Arterielle Hypertonie, Dyslipidämie). In der Folge wurde eine weitere Bestätigung über die ehrenamtliche Tätigkeit des BF in einem Pensionistenheim – Seniorenbetreuung durch zB Schachspielen - vorgelegt.
1.2.14. Am 03.04.2024 stellte die erkennende Richterin folgende Anfrage an die Staatendokumentation: „Gibt es, bzw. welche Unterstützung (Sozialleistungen, staatliche/nichtstaatliche Organisationen etc.) gibt es in Iran für Menschen, die einen hohen Grad der Behinderung (konkret 80 %) aufweisen und die aufgrund ihrer Behinderung allenfalls kein eigenes Einkommen erwirtschaften können?“ Diese Anfrage wurde am 24.05.2024 beantwortet.
1.2.15. Dazu nahm der BF Stellung; aus der Anfragebeantwortung gehe hervor, dass die darin genannten gesetzlichen Leistungen nicht zuverlässig und nicht regelmäßig an Betroffene ausbezahlt werden bzw. diesen zur Verfügung stehen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der BF bei einer Rückkehr zu diesen Leistungen Zugang hätte.
1.2.16. Mit Stellungnahme vom 10.10.2024 nahm der BF zum aktuellen LIB Iran, Version 8, Stellung, wies darin erneut auf die erfolgte Taufe und den regelmäßigen Gottesdienstbesuch hin und legte Nachweise zu diversen Integrationsbemühungen vor. Die belangte Behörde hat von der Einbringung einer Stellungnahme abgesehen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Zur Person des BF:
Der BF ist ein volljähriger iranischer Staatsangehöriger. Er trägt den im Erkenntniskopf genannten Namen und ist am dort angeführten Datum geboren; seine Identität steht fest. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Gilani und seine Muttersprache ist Farsi. Er ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF wurde am 12.03.1972 in der Stadt Rasht in der Provinz Gilan geboren und wuchs in der Stadt Rasht auf. Die Eltern des BF sind verstorben. Sein Bruder hält sich mittlerweile in der Türkei auf.
Der BF hat im Iran die Schule mit Matura abgeschlossen und danach 6 Jahre die Universität besucht. Er hat die Universität mit einem Bachelor- und einem Mastertitel abgeschlossen. Zuletzt hat er auf einer Universität gearbeitet. Gemeinsam mit seinem Bruder hat er ein Institut gegründet, in dem gelehrt wurde. Das Institut wurde im Jahr 2014 geschlossen. Er arbeitete auch als Erfinder und Versicherungsagent.
Der BF hat den Iran legal im April 2016 verlassen und hielt sich in Österreich bis April 2018 mit einem Studentenvisum auf.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und hatte darüber hinaus keine Probleme mit österreichischen Behörden. Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft.
In Österreich verfügt der BF über keine familiären Anknüpfungspunkte.
Der BF weist in Österreich keine strafgerichtlichen Verurteilungen auf.
II.2. Zum Gesundheitszustand des BF:
Der BF leidet an einer hochgradigen Parese und Entwicklungsrückstand der rechten oberen Extremität im oberen Rahmensatz bei verkürztem rechtem Arm mit Funktionslosigkeit, weshalb ein Grad der Behinderung von 80% festgestellt wurde. Der BF verfügt über einen entsprechenden Behindertenpass, ausgestellt von der zuständigen österreichischen Behörde. Der BF ist aufgrund seines hohen Grades der Behinderung – 80% - täglich in vielen Belangen auf Hilfe angewiesen.
Der BF leidet weiter an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, ist diesbezüglich in fachärztlicher Behandlung und nimmt täglich Medikamente ein (CANDESARCOMP TBL 16/12,5mg, CIPRALEX FTBL 10mg, JENTADUETO FTBL 2,5/1000mg, ROSUVASTATIN + PH FTBL 10mg, THROMBO ASS FTBL 100mg). Einmal wöchentlich nimmt der BF OLEOVIT D3 TR und als Einzelfallmedikation wurde dem BF TRUXAL FTBL 15mg verschrieben.
Zudem ist der BF an Diabetes Mellitus Typ II, Arterielle Hypertonie und Dyslipidämie erkrankt und nimmt auch dagegen Medikamente ein.
II.3. Der BF reiste im Jahr 2016 legal mit einem Visum in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf. Nach Ablauf des Visums stellte der BF am 22.06.2018 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Erkenntnis des BVwG vom 29.07.2020, Zl. W259 2211543-1/27E, als unbegründet abgewiesen wurde. Eine drohende Verfolgung durch die Religionspolizei im Herkunftsstaat aufgrund des Umstandes, dass der BF zusammen mit seinem Bruder eine Organisation gegründet und dort Bahai unterrichtet habe, konnte der BF nicht glaubhaft machen.
Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und verblieb in Österreich.
II.4. Zu den Fluchtgründen des BF:
Am 09.09.2021 stellte der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag). Diesen begründete er damit, dass er zum Christentum konvertiert sei. Der BF bringt nunmehr vor, dass er sich bereits im Herkunftsland für das Christentum interessiert habe und in Österreich getauft worden sei. Zudem habe er in Österreich an Demonstrationen gegen das iranische Regime teilgenommen.
Der BF hat seinen Herkunftsstaat nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen und hätte nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch keine asylrelevanten Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle der Rückkehr in den Iran Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch den iranischen Staat oder Privatpersonen droht.
Der BF wuchs im Iran als schiitischer Moslem auf. Im Iran wandte sich der BF nicht ernsthaft dem Christentum zu und missionierte nicht. Dem BF wird dies auch nicht von iranischen Behörden oder Privatpersonen unterstellt.
In Österreich wurde der BF im März 2022 zu den Sakramenten der Eingliederung (Initiation) der katholischen Kirche zugelassen und nahm an Angeboten der Gemeinde teil (Bestätigung vom 28.06.2022). Am 13.08.2022 wurde der BF katholisch getauft. Der BF besucht regelmäßig den Gottesdienst. Das Christentum ist allerdings kein wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden.
Der BF nahm vereinzelt an Demonstrationen gegen das iranische Regime im Bundesgebiet teil. Er hatte dabei keine besonders exponierte Position inne. Dass der BF wegen der Teilnahme an Demonstrationen in Österreich gegen das iranische Regime nach dem Tod der Iranierin Mahsa AMINI im Iran vom iranischen Staat verfolgt wird, kann nicht festgestellt werden.
Andere Fluchtgründe wurden vom BF nicht vorgebracht und sind auch während des Verfahrens nicht hervorgekommen.
II.5. Zur Rückkehrsituation des BF:
Für den BF ist aufgrund seines hohen Grades der Behinderung (80%), in Zusammenschau mit seinen weiteren Erkrankungen, die Suche nach einer Erwerbsarbeit und auch die Aufnahme einer Erwerbsarbeit deutlich erschwert. Der BF hat mittlerweile keine Angehörigen im Herkunftsland mehr, die ihn bei einer Rückkehr zumindest anfänglich unterstützen könnten. Das Ausmaß der Unterstützung durch den Herkunftsstaat ist unklar bzw. ist diese Unterstützung nicht gesichert. Vor diesem Hintergrund ist nicht gesichert, dass der BF im Iran bei einer Rückkehr seine grundlegende Existenz sichern könnte.
II.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zum Iran (Version 8, 26.06.2024):
Politische Lage (letzte Änderung 2024-06-26)
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (FAZ 24.3.2023). Sie kombiniert republikanisch-demokratische Elemente mit einem theokratischen System, wobei die theokratischen Aspekte die republikanischen Prinzipien größtenteils überschatten und untergraben (BS 19.3.2024). Das Kernkonzept der Verfassung ist die "Rechtsgelehrtenherrschaft" (velayat-e faqih). Nach schiitischem Glauben gibt es einen verborgenen Zwölften Imam, den als Erlöser am Jüngsten Gericht von Gott gesandten Muhammad al-Mahdi (BPB 10.1.2020). Gemäß diesem Prinzip soll ein schiitischer Theologe praktisch in Stellvertretung des seit dem Jahr 874 in Verborgenheit weilenden Mahdi agieren und die Geschicke des Gemeinwesens lenken (BAMF 5.2022). Darauf aufbauend schuf Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen steht und somit die republikanischen Verfassungselemente des Präsidenten und des Parlaments neutralisiert: das Amt des "Herrschenden Rechtsgelehrten" (vali-ye faqih), dessen Inhaber auch "Revolutionsführer" (rahbar) genannt wird. Der Revolutionsführer übt quasi stellvertretend für den Zwölften Imam bis zu dessen Rückkehr die Macht aus (BPB 10.1.2020).
Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.3.2024), ist höchste Autorität des Landes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt den Leiter des Justizwesens sowie des staatlichen Rundfunks und die Mitglieder des Schlichtungsrats (FH 2024). Ihm unterstehen auch die Islamischen Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inkl. der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. In der Hand religiöser Stiftungen und der "Garden" liegen mächtige Wirtschaftsunternehmen, die von der infolge der US-Sanktionen wachsenden Schattenwirtschaft profitieren (ÖB Teheran 11.2021). Die ultimative Macht liegt trotz der in der Islamischen Republik Iran abgehaltenen Wahlen in den Händen des Obersten Führers und den nicht gewählten Institutionen unter seiner Kontrolle. Diese Institutionen, einschließlich der Sicherheitskräfte und der Justiz, spielen eine wichtige Rolle bei der Unterdrückung von abweichenden Meinungen und anderen Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten. Nach den Anti-Regierungs-Protesten unter dem Motto "Frau, Leben, Freiheit", die durch den Tod von Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der Sittenpolizei im Jahr 2022 ausgelöst worden waren, haben die iranischen Behörden mit ausgedehnten Maßnahmen durchgegriffen (FH 2024). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Die Revolutionsgarden, die direkt Revolutionsführer Khamenei unterstehen, bleiben selbst ein militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor (AA 30.11.2022).
Entscheidende Gremien sind der vom Volk direkt gewählte Expertenrat sowie der Wächterrat (ÖB Teheran 11.2021). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 14.3.2024). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 11.2021). Er sollte die Arbeit des Revolutionsführers kontrollieren. In der Praxis scheint er die Entscheidungen des Revolutionsführers jedoch nicht herauszufordern (FH 2024). Der Expertenrat wird zwar direkt von der Bevölkerung gewählt, jedoch müssen die Kandidaten zunächst vom Wächterrat bestätigt werden (BS 19.3.2024). Sechs der zwölf Mitglieder des Wächterrats sind vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (ÖB Teheran 11.2021), er überwacht die Übereinstimmung der vom Parlament verabschiedeten Gesetze mit dem islamischen Recht (Scharia) (BS 19.3.2024), ist jedoch noch wesentlich mächtiger (ÖB Teheran 11.2021). Er entscheidet, wer bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen antreten darf (BS 19.3.2024). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2020).
Der Präsident ist nach dem Revolutionsführer der zweithöchste Amtsträger im Staat. Er bildet ein Regierungskabinett, das vom Parlament bestätigt werden muss (FH 2024). Das iranische Regierungssystem ist damit ein semipräsidiales und an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021), der jeweils für zwei hintereinanderfolgende Amtszeiten zur Wahl antreten darf (FH 2024). Der Präsident ist für das tagespolitische Geschäft zuständig und hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik des Landes (BBC 8.10.2022). Seine Macht ist allerdings vergleichsweise beschränkt, vor allem in Sicherheitsfragen (BBC 8.10.2022; vgl. BPB 10.1.2020). Die Befugnisse des gewählten Präsidenten werden durch den Revolutionsführer und andere nicht gewählte Behörden eingeschränkt (FH 2024), wie auch durch das Parlament (BBC 8.10.2022).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Das Parlament ist die gesetzgebende Institution Irans. Allerdings muss bei Gesetzesvorhaben die Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition beachtet werden. Gesetzesvorschläge kommen von den Ministern oder den Abgeordneten (DW 16.6.2021). Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz kann vom Wächterrat so lange an das Parlament zurückverwiesen werden, bis es seinen Vorstellungen entspricht (DW 16.6.2021; vgl. FH 2024). Der Wächterrat weist oftmals Gesetze zurück, die er als "unislamisch" ansieht (FH 2024). Die Bewerber um einen Parlamentssitz erhalten ihre Unterstützung nicht von Parteien, sondern von klerikalen und wirtschaftlichen Interessengruppen (DW 16.6.2021; vgl. FP 7.3.2024).
Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (AA 14.3.2024), die der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ebrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen gewonnen hat (Standard 19.6.2021). Der Wettbewerb um die Wählerstimmen war stark manipuliert. Der Wächterrat hatte im Vorfeld die meisten der 600 Präsidentschaftskandidaten - darunter auch 40 Frauen - abgelehnt. Drei der genehmigten Kandidaten zogen ihre Kandidatur wenige Tage vor der Wahl zurück. Die Behörden übten auf die Medien Druck aus, um kritische Berichterstattung über Raisi oder den Wahlvorgang zu verhindern (FH 2024). Nachdem Raisi am 19.5.2024 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam (Standard 20.5.2024), wurden für den 28.6.2024 Neuwahlen angesetzt (Zeit Online 20.5.2024). Der Wächterrat hat unter 80 Bewerbern sechs Kandidaten zur Wahl zugelassen (Tagesschau 9.6.2024). Ausgeschlossen wurden vor allem Bewerber, die als moderat oder reformorientiert gelten (BAMF 10.6.2024), auch wenn mit Massoud Pezeshkian ein Kandidat antreten durfte, der den Reformisten zugerechnet wird (IRINTL 12.6.2024; vgl. Guardian 11.6.2024). Laut Medienberichten hat die iranische Presseaufsichtsbehörde im Vorfeld der vorgezogenen Präsidentschaftswahlen Richtlinien für die Berichterstattung und Veröffentlichung von Medieninhalten zur Wahl erlassen. Es wurde angekündigt, dass sämtliche Inhalte, die darauf abzielen würden, die Wahlbeteiligung negativ zu beeinflussen, sowie jegliche Form der Organisation von Protestversammlungen als kriminell eingestuft würden. Die Richtlinien würden insbesondere auch für soziale Medien gelten (BAMF 10.6.2024).
Am 1.3.2024 fanden zuletzt Parlamentswahlen statt, wobei der Wettbewerb im Wesentlichen zwischen Hardlinern und unauffälligen Konservativen stattfand, die alle ihre Loyalität zu den revolutionären Idealen bekundeten, während einflussreiche Gemäßigte und Konservative der Wahl fernblieben und Reformisten die Wahl als nicht frei und unfair bezeichneten (REU 4.3.2024; vgl. FP 7.3.2024). Der dafür zuständige Wächterrat hatte im Vorfeld massenhaft Kandidaten disqualifiziert (Standard 4.3.2024; vgl. IRINTL 23.1.2024) und die Namen der schlussendlich antretenden Kandidaten wurden weniger als zwei Wochen vor der Wahl bekannt gegeben. Der Wahlkampf dauerte nur zehn Tage, sodass die Wähler wenig Zeit hatten, um die Kandidaten kennenzulernen (NYT 28.2.2024). Aktivisten wie auch Oppositionsgruppen haben im Vorfeld zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen (REU 4.3.2024; vgl. NYT 28.2.2024), was auch zu Verhaftungen geführt hat (Standard 4.3.2024). Die Wahlbeteiligung lag landesweit bei 41 %, was die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Parlamentswahl seit 1979 darstellt (2020 lag die Wahlbeteiligung bei 42,5 %, 2016 bei rund 62 %) (REU 4.3.2024). Die Wahlbeteiligung wird sowohl von Anhängern als auch Kritikern der Regierung als Gradmesser für die Legitimität des Regimes angesehen (NYT 28.2.2024).
Am 1.3.2024 wurde auch der Expertenrat neu gewählt (Standard 4.3.2024; vgl. REU 4.3.2024). Die Wahlen wurden vom Regime dafür genützt, den Expertenrat zu verjüngen (Standard 4.3.2024). Die 88 Mitglieder des auf acht Jahre gewählten Gremiums bestimmen den religiösen Führer, eine Aufgabe, von der angenommen wird, dass sie der Expertenrat in Anbetracht des gesundheitlichen Zustands des 84-jährigen Ayatollahs Khamenei in dieser Amtszeit auch wahrnehmen wird müssen. Durch die Auswahl der zur Wahl stehenden Kandidaten wurde sichergestellt, welche politische Richtung gewinnt. Es wurden nur Kandidaten im Sinne Khameneis und seines islamistischen geistlichen Erbes zugelassen, von denen erwartet wird, dass sie im Fall seines Ablebens "keine Schwierigkeiten machen" und nicht auf reformerische Ideen kommen (Standard 4.3.2024; vgl. Tagesschau 11.2.2024).
Präsident, Parlament und Expertenrat werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 30.11.2022; vgl. FH 2024). In kaum einem anderen Land des Nahen Ostens kam es jedoch zu derart umkämpften Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die bestehenden programmatischen Differenzen zwischen prinzipientreuem Klerus und neokonservativen Technokraten, wirtschaftsliberalen Pragmatikern und klerikalen oder gar säkularen Reformern spiegelten einen Pluralismus in Iran wider, der allerdings phasenweise aufs Schärfste bedroht war (BPB 31.1.2020b). Die Wahlen in Iran waren einst hart umkämpft, mit Kandidaten aller großen politischen Parteien auf dem Stimmzettel. Die Ergebnisse waren unvorhersehbar und die Wahlbeteiligung war hoch. In den letzten Jahren hatten die Wähler jedoch nur noch die Möglichkeit, zwischen konservativen Kandidaten zu wählen (NYT 28.2.2024). Der Tod von Mahsa Amini im September 2022, der weitverbreitete Proteste auslöste, fand bereits im Kontext einer Wende zur schärferen Durchsetzung von "islamischen Werten" statt, die nach der ebenso streng regulierten Wahl von Ebrahim Raisi zum iranischen Präsidenten im Juni 2021 eingeleitet wurde. Dies wird auch damit in Verbindung gebracht, dass das Regime beim Ableben des inzwischen 84-jährigen Khamenei mit einem Übergangsszenario konfrontiert werden wird, bei dem die Entscheidungsträger nichts dem Zufall überlassen wollen (Standard 4.3.2024). In dieser Hinsicht befindet sich die Islamische Republik Iran laut einer Expertin in einer "kritischen Übergangsphase" (Zamirirad/SWP 19.4.2023).
Frauen haben das aktive Wahlrecht, werden bei der politischen Teilhabe allerdings mit bedeutsamen rechtlichen, religiösen und kulturellen Hindernissen konfrontiert. Nach Interpretation des Wächterrats verwehrt die iranische Verfassung es Frauen, die Ämter des Revolutionsführers oder Präsidenten, Funktionen im Experten-, Wächter- und Schlichtungsrat sowie manche Richterposten anzutreten (USDOS 23.4.2024). Frauen sind in der Politik, einschließlich der Regierung, deutlich unterrepräsentiert (FH 2024). Bei den Parlamentswahlen 2024 waren 1.713 der insgesamt 15.200 Kandidaten Frauen. Gegenüber den Parlamentswahlen im Jahr 2020 hat sich ihre Anzahl damit mehr als verdoppelt (NYT 28.2.2024).
Unter 40-Jährige, die etwa drei Viertel der iranischen Bevölkerung ausmachen, waren bislang größtenteils von jeglicher politischen Partizipation ausgeschlossen. Politische Ämter werden überwiegend von Männern der ersten Generation der Elite der Islamischen Republik - den heute über 70-jährigen Gründungsvätern - und der zweiten Generation - den heute über 60-jährigen Veteranen des Iran-Irak-Kriegs sowie Vertretern der Revolutionsgarden - regiert (BPB 31.1.2020b).
Der Tod der 22-jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022, nachdem sie zuvor von der sogenannten Sittenpolizei aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs in Gewahrsam genommen wurde, löste Proteste aus, die in ihrem Ausmaß, ihrer Reichweite und ihrer Langlebigkeit sowie in der gewaltsamen Reaktion des Staates beispiellos waren (UNHRC 19.3.2024; vgl. BPB 16.2.2023). Die Proteste, die insbesondere von Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen - getragen wurden, zeichneten sich durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen waren sowohl Stärke als auch Schwäche der Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielten: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022; vgl. USIP 6.9.2023b).
Bis zum Sommer 2023 sind die Straßenproteste schließlich abgeflaut (USIP 6.9.2023a) - wobei es rund um den Jahrestag von Aminis Tod im September 2023 zu Demonstrationen kam, denen die Sicherheitsbehörden in manchen Fällen gewaltsam begegneten (FH 2024). Die Islamische Republik blieb weiterhin funktionsfähig und im Zuge der Proteste konnte nicht beobachtet werden, dass eine Einheit des hochkompetitiven iranischen Sicherheitsapparats geschwächelt oder sich illoyal verhalten hätte (Posch/Chatham 5.5.2023). Abgesehen von gezielten Zugeständnissen an bestimmte Gruppen hat die Regierung nicht mit grundlegenden Reformen auf die Proteste reagiert (FES 3.2024). Die Regierung ist darauf bedacht, ihre Anhängerschaft zu halten, versucht aber auch, Menschen am Rande der Gesellschaft zu Anhängern der Islamischen Republik zu machen. So haben die staatlichen Medien jüngst beispielsweise neue Fernsehsendungen produziert und eine größere Anzahl von Gästen eingeladen, um heikle politische Themen zu diskutieren. Die Regierung möchte aufgeschlossen und sympathisch erscheinen, um ein gewisses Maß an Legitimität aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Die Regierungsvertreter sind sich allerdings darüber im Klaren, dass die Legitimität des Regimes erodiert ist, insbesondere seit der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Demonstrationen, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 ausgelöst worden waren (USIP 17.11.2023). Mit Stand April 2024 sind die Proteste abgeklungen, aber die dort artikulierten Missstände bleiben weiterhin bestehen (CRS 22.4.2024).
Sicherheitslage (letzte Änderung 2024-06-26)
Verglichen mit Nachbarstaaten wie dem Irak, Libanon, Syrien und Afghanistan hat Iran eine sehr starke Zentralregierung mit einem komplexen Institutionengefüge. Das Gewaltmonopol liegt bei staatlichen und halbstaatlichen Institutionen, die das Regime ausmachen. Irans territoriale Integrität wird immer wieder durch angebliche Drohnenangriffe und größere Explosionen infrage gestellt. Gelegentlich flammen Grenzstreitigkeiten (z. B. mit Afghanistan im Juli 2022) und Streitigkeiten bezüglich passierender Schiffe in der Straße von Hormuz mit dem Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf (BS 19.3.2024).
Iran sieht sich mit terroristischen Bedrohungen durch verschiedene Oppositionsgruppen konfrontiert, einerseits durch separatistische Aufstandsbewegungen in seinen Grenzregionen, wo arabische, belutschische und kurdische ethnische Minderheiten leben, und andererseits durch transnationale Gruppierungen wie den Islamischen Staat (IS). Zu den separatistischen Gruppierungen zählen beispielsweise das Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA) und die Ahvaz National Resistance in Khuzestan und Jaysh al-Adl (JAA) in Sistan und Belutschistan. In den kurdischen Gebieten agieren verschiedene Gruppierungen, darunter die Partiya Jiyana Azad a Kurdistane [Partei für ein freies Leben in Kurdistan] (PJAK), die einen bewaffneten Aufstand gegen die iranischen Sicherheitskräfte führen und manchmal auch Anschläge verüben. Nach 1980 haben auch die Mujaheddin-e Khalq (MEK), die für einen Sturz des Regimes eintreten, Gewalt gegen iranische Zivilisten und Beamte ausgeübt (ISPI 26.2.2024).
Der IS hat sich seit 2017 zu vier Anschlägen in Iran bekannt. Die Anschläge richteten sich vor allem gegen sogenannte "high-profile"-Ziele, also Ziele mit hoher Symbolwirkung (BBC 5.1.2024). Unter anderem werden dem IS zwei Anschläge auf den Shah-Cheragh-Schrein in Shiraz [Provinz Fars] im Oktober 2022 und August 2023 zugeschrieben, bei denen insgesamt 14 Menschen starben, wobei sich der IS selbst nur zu ersterem der beiden Anschläge bekannte (BBC 5.1.2024; vgl. AJ 13.8.2023, Guardian 13.8.2023). Bei einem Anschlag in der Stadt Kerman [Provinz Kerman] am 3.1.2024 starben fast 100 Menschen und über 200 wurden verletzt. Der Anschlag ereignete sich während einer Gedenkfeier anlässlich des Todestags von Qassem Soleimani (IRINTL 3.1.2024; vgl. Soufan 4.1.2024), dem 2020 durch einen US-Drohnenangriff getöteten Befehlshaber der für Auslandsoperationen der Revolutionsgarden zuständigen Quds-Kräfte (BBC 4.1.2024; vgl. AP 4.1.2024), der einer der Architekten der iranischen Politik in der Region war (BBC 4.1.2024; vgl. Soufan 4.1.2024). Der IS bekannte sich zu dem Anschlag, wobei von einem US-amerikanischen Nachrichtendienst abgefangene Gespräche gemäß der Nachrichtenagentur Reuters bestätigen, dass der Ableger des IS in Afghanistan, der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP), für den Anschlag verantwortlich war (REU 5.1.2024; vgl. FAZ 12.1.2024). Der ISKP hat seine Strategie nach der Machtübernahme der Taliban 2021 teils geändert und seine Operationsgebiete sowie Rekrutierungsbestrebungen "internationalisiert" (Conversation 11.1.2024; vgl. FAZ 12.1.2024). Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem IS in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 12.6.2024; vgl. TWI 31.10.2022).
Teheran fürchtet Unruhen unter den ethnischen und religiösen Minderheiten in den Randgebieten Irans. Fast alle Kurden im Nordwesten und Belutschen im Südosten des Landes sind Sunniten, ebenso eine substanzielle Minderheit der Araber im Südwesten. Diese Volksgruppen gelten der schiitischen Islamischen Republik als Sicherheitsrisiko, unterliegen vielfältigen Diskriminierungen und stehen oft in Opposition zum Regime. Sie scheinen eine besonders große Gefahr zu sein, weil ihre Siedlungsgebiete an den Außengrenzen Irans liegen. Daher sorgt sich die iranische Führung, Nachbarn könnten im Konfliktfall versuchen, die Minderheiten gegen den Staat zu mobilisieren (SWP 9.3.2024) und bezichtigt ausländische Mächte, v. a. Israel, die USA und manche Golfstaaten, separatistische oppositionelle Gruppierungen in Iran zu unterstützen, die das Land destabilisieren sollen (ISPI 26.2.2024).
Die belutschische separatistische Gruppierung Jaysh al-Adl [JAA, auch JUA] hat ihre Anschläge im Südosten Irans seit Dezember 2023 intensiviert (Standard 4.4.2024, ISW 30.4.2024, ISW 12.2.2024), wobei insbesondere Sicherheitskräfte, aber auch andere Vertreter staatlicher Institutionen ins Visier genommen werden, darunter etwa Richter und andere Justizbeamte (Zenith 26.1.2024). Beispielsweise im April 2024 führte die Gruppierung einen Großangriff bzw. komplexen Angriff auf Stützpunkte der Revolutionsgarden in Sistan und Belutschistan durch, bei denen insgesamt mehr als 20 Personen ums Leben kamen (ISW 4.4.2024, Tagesschau 4.4.2024). Aufgrund der militanten Aktivitäten an der Südostgrenze Irans haben die iranischen Sicherheitsbehörden nun auch Drohnen zur Ausschaltung von JAA-Kämpfern eingesetzt (ISW 30.4.2024; vgl. RFE/RL 18.1.2022). Mitte Jänner 2024 führten die Revolutionsgarden außerdem einen Raketenangriff auf eine angebliche Stellung der JAA auf pakistanischem Staatsgebiet durch (IRINTL 17.1.2024; vgl. BBC 18.1.2024), woraufhin die pakistanischen Streitkräfte mehrere Ziele in der Ortschaft Saravan in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan angriffen, bei denen es sich nach pakistanischen Angaben um "terroristische Verstecke" handelte (IRINTL 18.1.2024; vgl. BBC 18.1.2024). Die JAA operiert vor allem von Pakistan aus (IRINTL 17.1.2024; vgl. AnA 18.1.2024), und Iran war auch früher schon in bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Gruppe entlang der Grenze verwickelt (IRINTL 17.1.2024). Aufgrund der Konflikte zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen (AA 12.6.2024; vgl. MBZ 9.2023, Arabiya 17.1.2024) ist die Bewegungsfreiheit in Sistan und Belutschistan eingeschränkt, und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 12.6.2024).
In Sistan und Belutschistan, wo 2023 länger Proteste stattfanden als in anderen Landesteilen (RFE/RL 18.1.2022), wurde zuletzt auch von gezielten Tötungen durch unbekannte Täter berichtet, welche die belutschische NGO Haalvash privaten, im Auftrag des Regimes tätigen Milizen zuschrieb (Haalvash 4.6.2024). Die belutschische NGO Baloch Campaign, die laut einem Experten bezüglich der Lage in Sistan und Belutschistan eine verlässliche Quelle ist (EXBEL 13.6.2024), berichtete von 150 Tötungen von Zivilisten durch bewaffnete Männer im Jahr 2023 (BALCAM 12.6.2024). Während Sistan und Belutschistan für seine Stammesstrukturen berüchtigt ist, lässt die große Zahl von Morden durch bewaffnete Einzelpersonen und Gruppen laut dem Experten die ernsthafte Vermutung zu, dass der Staat und seine Milizen hinter diesen Angriffen stecken, um Angst in der Gesellschaft zu schüren. Die Islamische Republik hat seit 1979 Stämme in den Kurden- und Belutschengebieten bewaffnet, in dem Wissen, dass die Waffen von den Stammesangehörigen häufig auch zur Beilegung von Stammesfehden und persönlichen Streitigkeiten eingesetzt werden (EXBEL 13.6.2024).
Die Grenze [zu Afghanistan und Pakistan] ist durchlässig, größtenteils gebirgig und eine wichtige Schmuggelroute für Drogen und andere Waren, die das organisierte Verbrechen anzieht (DFAT 24.7.2023; vgl. BAMF 10.7.2023, AlMon 14.4.2024). Die Grenzzone zu Afghanistan, das östliche Kerman sowie Sistan und Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändler- und extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein (EDA 18.4.2024). Weiters sind die Beziehungen zwischen der iranischen Regierung und der Taliban-Regierung in Afghanistan teils angespannt (DFAT 24.7.2023). Seit die Taliban im August 2021 die Kontrolle übernommen haben, liefern sich iranische Soldaten und Taliban-Sicherheitskräfte entlang der gemeinsamen Grenze immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen (DFAT 24.7.2023; vgl. Caspian 1.5.2024, IRINTL 25.4.2024).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt (AA 12.6.2024). Die Sicherheitskräfte sind in den Provinzen Kurdistan, Kermanshah und West-Aserbaidschan in großer Zahl präsent (MBZ 9.2023). In dieser von Kurden bewohnten Region an der Grenze zum Irak und der Türkei (Izady/Gulf 2000 o.D.) kam es zu einigen bewaffneten Zusammenstößen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Mitgliedern kurdischer Parteien, die Stützpunkte im Nordirak haben, manchmal auch mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten (MBZ 9.2023).
Iran und regionale Konflikte
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken (EDA 18.4.2024).
Seit 2010 hat Israel angeblich mindestens zwei Dutzend Operationen - darunter Attentate, Drohnenangriffe und Cyberangriffe - gegen Iran durchgeführt (USIP 30.1.2023). Die meisten Ziele standen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Atomprogramm Teherans, das Israel als existenzielle Bedrohung betrachtet (USIP 30.1.2023; vgl. TIS 29.12.2023). Israel hat seit langem militärische und nukleare Einrichtungen im Iran ins Visier genommen und iranische Nuklearwissenschaftler und Kommandeure sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes getötet (NYT 16.2.2024). Im Dezember vermeldete der iranische Ölminister einen Cyberangriff, den er Israel und den USA zuschrieb (FR24 18.12.2023; vgl. NZZ 2.1.2024). Im Februar 2024 unterbrach ein Sabotageakt an zwei wichtigen Gaspipelines die Gasversorgung von zwei iranischen Provinzen. Zwei westliche Behördenvertreter und ein mit den Revolutionsgarden verbundener Militärstratege machten Israel für den Vorfall verantwortlich, wobei das Anvisieren von Infrastruktur in diesem Ausmaß eine Neuentwicklung darstellt (NYT 16.2.2024).
Iran hat eine lange Geschichte der Unterstützung von terroristischen [und anti-israelischen] Organisationen wie der Hisbollah, der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad (JPOST 27.2.2023). Das Regime unterstützt auch verschiedene "Widerstands"-Milizen im Irak (TWI 20.12.2023), in Syrien, im Jemen und auch Bahrain (CFR 11.12.2023). Die Hilfen umfassen umfangreiche finanzielle und logistische Unterstützung (TWI 20.12.2023). Im Zentrum des iranischen Netzwerks steht die libanesische Hisbollah. Sie half Iran auch bei der Unterstützung des Regimes von Bashar al-Assad im Bürgerkrieg in Syrien, wo sie andere Milizen zur Verteidigung des Regimes heranzog (CFR 11.12.2023). Die geografische Ausdehnung von Irans Allianznetz ist derzeit so groß wie nie zuvor seit der Islamischen Revolution 1979. Die mit Iran verbündeten Milizen agieren laut dem Experten Walter Posch selbstständig. Doch bei allen Aktionen gibt es Spuren, die zurück nach Iran führen (NZZ 2.1.2024).
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 haben die Spannungen in der Region zugenommen (IRINTL 11.1.2024; vgl. BBC 16.1.2024). Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass die sich zuspitzende Rivalität zwischen Iran und Israel die regionale Sicherheit prägen und die Politik im Nahen Osten auf absehbare Zeit bestimmen wird (FA 14.5.2024). Israel und Iran haben einen jahrelangen Schattenkrieg geführt, bei dem sie gegenseitig Einrichtungen angriffen, ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen. Diese Angriffe haben sich während des aktuellen Krieges im Gazastreifen, der durch den Angriff der Hamas auf nahe gelegene israelische Gemeinden im vergangenen Oktober ausgelöst wurde, erheblich verschärft (BBC 19.4.2024). Während Iran seit Langem bewaffnete Gruppen beliefert, die Israel angreifen, und sie auch anderweitig unterstützt, hat es nie einen direkten Angriff der eigenen Streitkräfte von iranischem Territorium aus gegen Israel für sich beansprucht (und anscheinend auch tatsächlich nicht unternommen) (CRS 22.4.2024). Nach einem israelischen Angriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Damaskus am 1.4.2024 feuerte Iran jedoch erstmals rund 300 Raketen und Drohnen direkt von iranischem Staatsgebiet auf Israel ab (BBC 19.4.2024). Da die Geschosse eine Distanz von über 1.000 Meilen [rd. 1.600 km] zurücklegen mussten, war Israel rechtzeitig vorgewarnt (CNN 14.4.2024) und konnte den Angriff mit Unterstützung von Verbündeten wie den USA, Großbritanniens, Frankreichs und auch Jordaniens abwehren (BBC 19.4.2024). Die iranische Operation wurde als "hochgradig choreografiert" bezeichnet und war laut einer Analystin "offenbar darauf ausgelegt, die Zahl der Opfer zu minimieren und gleichzeitig das Spektakel zu maximieren" (CNN 14.4.2024). Israel antwortete mit einem Raketenangriff auf eine große Luftwaffenbasis im Zentrum Irans (FA 14.5.2024), in Isfahan (BBC 19.4.2024). Dieser Schlag scheint diese Runde der gegenseitigen Angriffe beendet zu haben, bestätigte aber auch, dass die Regeln, die den Schattenkrieg zwischen Iran und Israel jahrelang bestimmten, nicht mehr gelten. Es wird angenommen, dass ein Angriff der einen Seite nun eine direkte Antwort der anderen Seite nach sich ziehen wird, was das Gespenst eines größeren Krieges beschwört (FA 14.5.2024).
Verbotene Organisationen (letzte Änderung 2024-06-12)
In Iran sind die meisten zivilgesellschaftlichen und politischen Organisationen seit langem verboten, wobei neben jenen Gruppen, die das Regime stürzen wollen (bekannt unter dem Begriff Barandazi), auch die legalen reformistischen politischen Parteien, welche die Islamische Republik grundsätzlich unterstützen (Eslahtalab genannt), starken Einschränkungen unterliegen (Clingendael 27.10.2023).
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 30.11.2022). Die Mehrheit der im Zeitraum 2010-2023 aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation hingerichteten Personen gehörte einer ethnischen Minderheit an (IHRNGO 5.3.2024).
In den iranischen Oppositionsgruppen spiegeln sich unterschiedliche politische Missstände, ethnische Spannungen und ideologische Strömungen wider. Die sichtbarsten Gegner des Regimes sitzen teilweise oder ganz außerhalb Irans. Ihre Ziele sind entweder ein Regimewechsel oder die Selbstbestimmung einer ethnischen Gruppe innerhalb Irans. Die Regierung hat Mitglieder der nachstehend erwähnten Gruppierungen verfolgt und strafrechtlich belangt. Einige Gruppierungen haben Verbindungen zu benachbarten Regierungen in der Region, andere operieren von Europa aus (USIP 2.7.2020).
Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei(en), die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die Partiya Jiyana Azad a Kurdistane [Partei für ein freies Leben in Kurdistan] (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans - PKK, zusammenarbeitet, die aus Belutschistan stammende Jundallah (AA 30.11.2022), ihre Absplitterung Jaish al-Adl (Armee der Gerechtigkeit [JAA, JUA]) und das Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA) in der Provinz Khuzestan. Die Mujahadeen-e Khalq (MEK) tritt vom Exil aus für einen Regimewechsel ein. Sie hat sich ab 2003 von der Gewalt losgesagt (USIP 2.7.2020).
Die iranischen Geheimdienste überwachen die Aktivitäten von Gruppierungen wie der MEK, Angehörige der separatistischen Befreiungsbewegung für die Ahwaz-Region sowie iranisch-kurdische Bewegungen auch im westlichen Ausland (BMP 7.10.2022). In einzelnen Fällen kam es auch zu Entführungen und Tötungen von Dissidenten im Ausland (USIP 5.4.2023).
Rechtsschutz / Justizwesen (letzte Änderung 2024-06-26)
Das Recht ist in allen Rechtsbereichen umfassend kodifiziert, so etwa das Zivilrecht, das Familien- und Erbrecht oder das Strafrecht. Die iranischen Gerichte müssen auf der Grundlage dieser Gesetze Recht sprechen. Die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz ist somit formal gewahrt (LTO 26.10.2022). Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit ist zwar durch die Verfassung geschützt, aber mit einem Vorbehalt versehen. In Artikel 167 der Verfassung, einem der umstrittensten Artikel, heißt es, dass die Richter verpflichtet sind, sich zu bemühen, jeden Fall auf der Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden (Islamic Law Blog 22.11.2015). Im Falle des Fehlens, der Unzulänglichkeit, der Kürze oder der Widersprüchlichkeit der Gesetze müssen die Richter den Fall jedoch auf der Grundlage der maßgeblichen islamischen Quellen und der authentischen Fatwas (fatāwā) entscheiden, um zu verhindern, dass ein Fall unentschieden bleibt (Islamic Law Blog 22.11.2015; vgl. USDOS 23.4.2024).
Art. 57 der Verfassung verleiht dem Revolutionsführer weitreichende Aufsichtsbefugnisse über das Justizwesen (BS 19.3.2024). Er ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative (Art. 157 Verf.) (FH 2024; vgl. AA 30.11.2022), der wiederum für die Ernennung und Entlassung der Gerichtsleiter (Soltani/Shooshinasab 8.2022) und von Richtern zuständig ist (BS 19.3.2024). Die ebenfalls in der Verfassung festgeschriebene Unabhängigkeit der Gerichte (AA 30.11.2022) und das Gebot der Gewaltenteilung sind in der Praxis somit stark eingeschränkt (AA 30.11.2022; vgl. BS 19.3.2024).
Während die Gerichte innerhalb des herrschenden Establishments ein gewisses Maß an Autonomie genießen, wird das Justizsystem regelmäßig als Instrument eingesetzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 2024). Der Sicherheitsapparat (AA 30.11.2022) - insbesondere die Revolutionsgarden und ihr Nachrichtendienst (BS 19.3.2024) - nehmen v. a. in politischen Fällen massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung (AA 30.11.2022; vgl. BS 19.3.2024). Das Justizwesen ist geprägt von Korruption (AA 30.11.2022; vgl. USIP 1.8.2015). Es wird von Fällen berichtet, in denen Richter bestochen wurden, um Gerichtsprozesse zu beeinflussen (IrWire 28.4.2021).
Die Behörden verletzen routinemäßig grundlegende Verfahrensstandards, insbesondere in politisch heiklen Fällen (FH 2024) und vor Revolutionsgerichten (HRW 11.1.2024a). Aktivisten werden ohne Haftbefehl verhaftet, auf unbestimmte Zeit ohne förmliche Anklage festgehalten und ihnen wird der Zugang zu einem Rechtsbeistand oder jeglicher Kontakt zur Außenwelt verweigert (FH 2024; vgl. AI 27.3.2023). Insbesondere in der Untersuchungsphase von Verfahren schränken die Behörden das Recht von Verhafteten auf Zugang zu einem Rechtsbeistand regelmäßig ein (HRW 11.1.2024a). Viele werden später in Prozessen, die manchmal nur ein paar Minuten dauern, aufgrund vager Sicherheitsvorwürfe verurteilt (FH 2024), wobei zu den Prozessen "Geständnisse" als Beweise zugelassen werden, die unter Folter erpresst worden sind (HRW 11.1.2024a; vgl. AI 27.3.2023).
Rechtsschutz ist nur eingeschränkt gegeben (AA 30.11.2022). Es gibt Fälle von Rechtsanwälten, welche Dissidenten vertraten und daraufhin inhaftiert und mit einem Berufsverbot belegt worden sind, oder dazu gezwungen wurden, das Land zu verlassen, um einer Strafverfolgung zu entgehen (FH 2024; vgl. AA 30.11.2022). Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert (AA 30.11.2022). Eine Rechtsanwältin, die in der Vergangenheit Angeklagte in politischen Fällen vor Revolutionsgerichten vertreten hat, berichtete unter anderem von permanenter Überwachung, sobald derartige Fälle übernommen werden. Auch drohen manchen Rechtsanwälten derzeit sehr lange Haftstrafen (MRAI 19.6.2023). Der Anwalt Amirsalar Davoudi, der u. a. politische Gefangene vertrat und öffentlich Missstände im Justizsystem anprangerte, wurde 2019 beispielsweise zu 30 Jahren Haft verurteilt (IHRNGO 1.12.2022), was auf andere Anwälte äußerst abschreckend wirkt (MRAI 19.6.2023).
In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 30.11.2022). Um eine Anwaltslizenz zu erhalten, mussten Anwärter bislang unter anderem eine Prüfung bei der IBA ablegen (MBZ 9.2023; vgl. Soltani/Shooshinasab 8.2022). Im August 2023 verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz, das die Kontrolle zur Erteilung von Anwaltslizenzen an das Ministerium für Industrie, Bergbau und Handel übertrug (MBZ 9.2023).
Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 30.11.2022).
Während es an allen iranischen Gerichten bestimmte Probleme gibt, sind die Revolutionsgerichte besonders dafür berüchtigt, selbst die grundlegendsten Rechte nicht einzuhalten (MRAI 19.6.2023). Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten finden oft hinter verschlossenen Türen unter dem Vorsitz von Geistlichen statt, ohne dass Standardgarantien eines Strafverfahrens, wie etwa die Gewährung von Zeit und Zugang zu Anwälten zur Vorbereitung einer Verteidigung, gewährleistet sind (Conversation 13.1.2023). Laut Menschenrechtsgruppen und internationalen Beobachtern werden vor Revolutionsgerichten, die im Allgemeinen die Fälle politischer Gefangener anhören, routinemäßig grob unfaire Gerichtsprozesse ohne ordnungsgemäße Verfahren abgehalten; es werden vorab festgelegte Urteile verkündet und Hinrichtungen für politische Zwecke befürwortet. Diese unlauteren Praktiken treten Berichten zufolge in allen Phasen der Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten auf (USDOS 23.4.2024). Die Revolutionsgerichte haben sich bei der Verurteilung von Personen im Zusammenhang mit den Protesten seit September 2022 auf unter Folter oder durch andere Zwangsmittel erzwungene Geständnisse als Beweismittel gestützt, unter anderem auch bei Todesurteilen (UNHRC 7.2.2023).
Anwälte benötigen vor Revolutionsgerichten in der Regel schon alleine dafür eine Erlaubnis der Richter, um den Gerichtssaal betreten zu können. Anwälten von Personen, die in der Vergangenheit wegen mohārebeh angeklagt waren, wurde manchmal die Teilnahme am Prozess verweigert. In anderen sicherheitsrelevanten Fällen durften sie teilnehmen, aber ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung wurde eingeschränkt (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Eine Novelle der Strafprozessordnung im Jahr 2015 höhlte die ohnehin begrenzten Beschuldigtenrechte bei Prozessen wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit weiter aus. Den Beschuldigten und ihren Anwälten wurde mit der Novelle beispielsweise das Recht auf eine Kopie der Gerichtsakten verweigert (MRAI 19.6.2023) und Angeklagte dürfen zumindest im Anfangsstadium des Verfahrens (AA 30.11.2022) - dem Untersuchungsstadium (MRAI 19.6.2023) - nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen und damit mutmaßlich systemfreundlichen Anwälten auswählen (AA 30.11.2022; vgl. MRAI 19.6.2023). In dieser bedeutsamen Prozessphase werden oftmals sensible Informationen aufgedeckt, diese Einschränkung der Auswahl gibt Anlass zur Sorge über die Fairness und Transparenz der Prozesse (MRAI 19.6.2023).
Die Revolutionsgerichte sehen meist davon ab, das Urteil an die Angeklagten zu übermitteln. In der Regel laden sie den Anwalt des Angeklagten vor Gericht und verlesen das Urteil. Solche Urteile sind folglich auf der elektronischen Datenbank Adliran nicht zugänglich. Rechtsanwälte dürfen Urteile lediglich direkt bei Gericht lesen und sich dort Notizen machen (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Sicherheitsbehörden (letzte Änderung 2024-06-26)
In Iran gibt es eine Vielzahl verschiedener Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Das Strafverfolgungskommando (FARAJA) [farmandehiye entezamiye jomhuriye eslamiye iran], das dem Innenministerium untersteht, stellt die uniformierte Polizei des Landes und ist dem Präsidenten verantwortlich, so wie auch das Informations- oder Geheimdienstministerium [vezarat -e etela’at - VAJA, wobei auch das englischsprachige Akronym MOIS weit verbreitet ist]. Gemeinsam mit dem Korps der Islamischen Revolutionsgarden [sepah-e pasdaran-e enqhelab-e islami - englischsprachiges Akronym: IRGC], das direkt dem Obersten Führer untersteht, sind FARAJA und VAJA/MOIS für die innere Sicherheit und die Strafverfolgung im Land zuständig. Die Basij, eine aus Freiwilligen bestehende paramilitärische Gruppierung, agieren zum Teil unter den Revolutionsgarden als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug (CIA 7.5.2024).
Die Militärkräfte unterteilen sich in das Korps der Revolutionsgarden und die reguläre Armee (Artesh) (CIA 7.5.2024). Die Artesh ist ein Vermächtnis der Sicherheitsbehörden aus der Schah-Zeit. Sie existiert neben den Revolutionsgarden, die 1979 von Khomeini als regimetreue Truppe gegründet wurden (CRS 26.1.2024) und konzentriert sich in erster Linie auf die Verteidigung der iranischen Grenzen und Hoheitsgewässer gegen Bedrohungen von außen. Die Revolutionsgarden haben dem gegenüber einen umfassenderen Auftrag, nämlich die iranische Revolution gegen jegliche Bedrohung von außen oder innen zu verteidigen (CIA 7.5.2024). Die Revolutionsgarden sind im iranischen Sicherheitsapparat die mächtigste Kraft (BS 19.3.2024), aber auch vom Regime anerkannte Bürgerwehren üben Gewalt aus, wenn es z. B. um die Niederschlagung von Straßenprotesten geht (BS 19.3.2024; vgl. IrWire 25.9.2022). Der Oberste Führer - und nicht der Präsident - ist der oberste Befehlshaber über alle Streitkräfte. Er kann Krieg oder Frieden erklären und Militäroperationen genehmigen (DIA 2019). Iran hat eine starke Zentralregierung mit einem komplexen institutionellen Gefüge. Das Gewaltmonopol liegt bei den staatlichen und halbstaatlichen Einheiten, die das Regime bilden (BS 19.3.2024).
Die Informationen zur Truppenstärke der iranischen Streitkräfte variieren. Rund 400.000 Soldaten dienen in den regulären Streitkräften und rund 150.000-190.000 in den Revolutionsgarden, davon 5.000-15.000 bei den Quds-Kräften (CIA 7.5.2024; vgl. IRJ 1.2.2021). Die Basij haben mit Stand 2023 geschätzte 90.000 aktive paramilitärische Kräfte (CIA 7.5.2024), wobei Schätzungen über die Zahl der Basij-Mitglieder insgesamt weit auseinandergehen und bis zu mehreren Millionen reichen (ÖB Teheran 11.2021).
Behandlung der Zivilbevölkerung
In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS 23.2.2018). Die kurdische Region ist das am stärksten militarisierte Gebiet Irans. Die Regierung überwacht die Bevölkerung dort durch ein Netzwerk von Kontrollpunkten (DIS 7.2.2020).
Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen (USDOS 23.4.2024). Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021). Bei der brutalen Durchsetzung von Regeln wie der Kopftuchpflicht für Frauen, die im September 2022 Auslöser der Proteste war, stehen laut dem Iran-Experten Walter Posch nicht unbedingt die regulären Polizeieinheiten im Fokus, sondern "überambitionierte Freiwillige", die sich normalerweise aus den Basij-Milizen rekrutieren. Sie nennen sich die "Hezbollahis" [Anm.: nicht gleichzusetzen mit der libanesischen Hisbollah], also "Parteigänger Gottes" und vertreten dabei das islamische Prinzip des "Gebieten des Guten, Verbieten des Schlechten" (al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿani-l-munkar). Die Polizei hat wenig Anreiz, Frauen vor Willkür zu schützen und sich mit den politisch bestens vernetzten Hezbollahis anzulegen (Zenith 21.9.2022).
Folter und unmenschliche Behandlung (letzte Änderung 2024-06-26)
Die iranische Verfassung verbietet die Verletzung der Würde und des Ansehens von Personen, die festgenommen, inhaftiert, eingesperrt oder verbannt werden (UNHRC 19.3.2024), und das Erzwingen von Geständnissen durch Härte oder Folter ist durch die Verfassung verboten. Diese Geständnisse gelten vor Gericht als unzulässig. Artikel 171 des islamischen Strafgesetzbuchs (IStGB) sieht jedoch vor, dass ein Geständnis allein als Grundlage für eine Verurteilung verwendet werden kann, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (UNHRC 9.2.2024), und die Verfassung enthält kein absolutes Verbot von Folter oder Misshandlung, da sie die Definition von Folter auf Handlungen einschränkt, die "zum Zweck der Erzwingung eines Geständnisses oder der Erlangung von Informationen" erfolgen. Darüber hinaus verbietet die iranische Gesetzgebung zwar bestimmte Arten von missbräuchlichem Verhalten bei Verhören, enthält jedoch keine ausdrückliche Definition des Straftatbestands der Folter und verhindert somit eine angemessene Ahndung entsprechender Vergehen (UNHRC 19.3.2024).
Psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, sind durchaus üblich (AA 30.11.2022; vgl. USDOS 23.4.2024). Folter wurde besonders gegen Personen eingesetzt, denen Vergehen gegen die nationale Sicherheit, politische Vergehen oder Drogenvergehen vorgeworfen werden (UNHRC 9.2.2024). Folter wird in politischen Fällen nicht nur geduldet, sondern mitunter angeordnet (AA 30.11.2022). Laut Amnesty International wird Folter in Iran systematisch eingesetzt (AI 24.4.2024).
Ziel der Folter sind einerseits Geständnisse, auf die das iranische Justizsystem stark angewiesen ist (IrWire 17.2.2023; vgl. AA 30.11.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 2024). Andererseits dient die systematische und weitverbreitete Anwendung von Folter der Abschreckung. Das dritte Motiv für die Folter, das mit zuvor genanntem verbunden ist und ausschließlich für politische Gefangene gilt, ist die öffentliche Zurschaustellung von gebrochenen Persönlichkeiten. Die Folterung von politischen Gegnern mit dem Ziel, falsche Geständnisse zu erlangen und diese öffentlich zu verbreiten, ist eine Botschaft an die Gesellschaft, dass die Regierung jeden Widerstand niederschlagen kann (IrWire 17.2.2023; vgl. AA 30.11.2022). Das Staatsfernsehen ist dafür bekannt, dass es Geständnisse von politischen Gefangenen ausstrahlt, die unter Zwang bzw. Folter oder anderen Misshandlungen erpresst wurden (FH 2024; vgl. AI 18.1.2024).
Zahlreiche Berichte legen nahe, dass Mahsa Jina Amini, deren Tod weitverbreitete Proteste auslöste, vor ihrem Tod in Gewahrsam der Sittenpolizei geschlagen worden war, darunter auch auf den Kopf (UNGA 6.10.2023). Die Sicherheitskräfte unterdrückten die im September 2022 nach Aminis Tod im ganzen Land ausgebrochenen Proteste u. a. mit rechtswidriger Tötung, Folter, sexuellen Übergriffen und dem gewaltsamen Verschwindenlassen von Demonstranten, darunter auch Frauen und Kinder (HRW 11.1.2024a; vgl. AI 12.2023). Folter und Misshandlungen begannen häufig unmittelbar nach der Festnahme und setzten sich während der Verbringung in Haftanstalten sowie in Polizeistationen, Haftanstalten des Geheimdienstministeriums (MOIS) oder der Revolutionsgarden und Gefängnissen fort. Die meisten Verstöße ereigneten sich in der ersten Zeit der Inhaftierung, insbesondere während der Verhöre. Die schlimmste Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und anderer Formen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, wurde in inoffiziellen Haftanstalten der Revolutionsgarden und des MOIS verübt (UNHRC 19.3.2024).
Im Rahmen der Protestniederschlagung starben laut Menschenrechtsorganisationen mindestens 37 Protestteilnehmer an den Folgen von Folter, 23 Demonstranten starben kurz nach ihrer Entlassung (UNHRC 19.3.2024). Laut einer Untersuchung von IranWire [Anm.: regimekritische Nachrichtenorganisation] lassen sich die Todesursachen von Gefangenen oder vor Kurzem aus der Haft Entlassenen, darunter auch Protestteilnehmern, in folgende Hauptkategorien unterteilen: 1. verweigerte medizinische Behandlung; 2. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller körperlicher Verletzungen; 3. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller mentaler und emotionaler Schäden. Die Ursache für den Tod von Gefangenen kurz nach der Entlassung ist in den meisten Fällen Selbstmord, der auf die Haftbedingungen oder die Angst vor einer Rückkehr in diese Bedingungen zurückzuführen ist (IrWire 17.2.2023).
Folter wird sowohl seitens der Polizei, im parallelen System der Basij/Pasdaran als auch in Gefängnissen angewandt (ÖB Teheran 11.2021). Fälle von Folter wie auch Todesfälle aufgrund von Gewaltanwendung wurden überdies in verschiedenen Prozessstadien verzeichnet, beispielsweise während Voruntersuchungen und in Haftzentren (UNHRC 13.1.2022). Menschenrechtsorganisationen verwiesen regelmäßig auf mehrere Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert wurden, insbesondere auf die Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden. Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 23.4.2024).
Straflosigkeit ist nach wie vor ein weitverbreitetes Problem bei allen Sicherheitskräften (USDOS 23.4.2024).
Gerichte verhängen weiterhin körperliche Strafen, wie zum Beispiel Auspeitschungen. Blendung, Steinigung und Amputation. Diese gelten als legale Strafmaßnahmen. 2023 wurde jedoch von keinen Fällen berichtet, in denen diese Strafen verhängt wurden (USDOS 23.4.2024). Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021).
Allgemeine Menschenrechtslage (letzte Änderung 2024-06-19)
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15.11.1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene "Hohe Rat für Menschenrechte" untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten "Pariser Prinzipien" (AA 30.11.2022).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 2020). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, welche die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 IStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des IStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 30.11.2022).
Religionsfreiheit (letzte Änderung 2024-06-26)
In Iran leben schätzungsweise rund 88,4 Millionen Menschen (CIA 22.5.2024), von denen nach offiziellen Angaben ungefähr 99 % dem Islam angehören. Etwa 90 % der Bevölkerung sind demnach Schiiten, ca. 9 % sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq (Yaresan) und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (STDOK 3.5.2018; vgl. USDOS 15.5.2023). Im Rahmen einer viel beachteten und breit diskutierten (NYMAG 21.10.2022) Onlinebefragung der Organisation Gamaan aus dem Jahr 2020, an der sich 40.000 innerhalb Irans lebende Iraner sowie rund 10.000 im Ausland lebende Iraner beteiligt haben, wurden folgende Einstellungen bzw. religiösen Ausrichtungen angegeben: nur rund 32 % der Bevölkerung bekennen sich zum Schiitentum, 5 % zum Sunnitentum und rund 8 % zum Zoroastrismus. 9 % identifizierten sich dagegen als Atheisten, 7 % als "spirituell" und 6 % als Agnostiker. Andere gaben an, dem Sufismus, Humanismus, Christentum, dem Baha'i-Glauben oder dem Judentum zu folgen (Anteile zwischen rd. 0,1 und 3 %) und rund 22 % der Befragten wollten sich mit keiner der genannten Gruppierungen identifizieren (GAMAAN 25.8.2020). Auch wenn nicht genau gesagt werden kann, inwiefern die von Gamaan vorgelegten Zahlen auf die Gesamtbevölkerung Irans umlegbar sind, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zum nationalen Zensus. Aus der Studie lässt sich eine erosionsartige Fragmentierung des religiösen Feldes zumindest bei den befragten Iranern ablesen. Interessant ist unter anderem die Vielfalt an verschiedenen Glaubensbekenntnissen von Konfessionslosigkeit und Atheismus, beides eigentlich Tabus in einer offiziell islamischen Gesellschaft wie der iranischen, über Zoroastrismus und Trends zu spirituellen und esoterischen Sekten, bis hin zum Agnostizismus, zu sufischen Bewegungen, den Bahai und zum Christentum. Letztere stellen laut der Studie lediglich eine relativ kleine Gruppe dar (BAMF 5.2022). In einer im Jänner 2024 geleakten (Amwaj 3.4.2024), vom Informationsministerium (MOIS) in Auftrag gegebenen, unter Verschluss gehaltenen Umfrage gaben 70 % der Befragten an, sich ein säkulares Regierungssystem zu wünschen. Eine Mehrheit lehnte die gesetzlich verordnete Hijab-Pflicht für Frauen ab (Standard 1.3.2024).
(...)
Laut Verfassung ist Iran eine islamische Republik und der schiitische Zwölfer- oder Ja'afari-Islam ist die offizielle Staatsreligion. Die Verfassung schreibt vor, dass alle Gesetze und Vorschriften auf "islamischen Kriterien" und einer offiziellen Auslegung der Scharia beruhen müssen. In der Verfassung heißt es, dass die Bürger alle menschlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte "in Übereinstimmung mit islamischen Kriterien" genießen sollen (USDOS 15.5.2023). Für Frauen bedeutet dies beispielsweise unter anderem eine allgemeine Kopftuchpflicht in der Öffentlichkeit, die [unter anderem] im Zuge der Proteste anlässlich des Todes von Mahsa Amini von vielen Protestierenden abgelehnt wurde und in den Fokus der Auseinandersetzung zwischen dem Regime und seinen Gegnern geriet (Tagesschau 6.10.2022). Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen': Christentum, Judentum und Zoroastrismus ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben (AA 30.11.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022). Die Freiheiten bei der Glaubensausübung sind allerdings von der Auslegung religiöser Gelehrter abhängig. Darüber hinaus lassen die Mehrdeutigkeit und die Auslegungsfähigkeit von Gesetzen den Richtern oft Raum für willkürliche Entscheidungen, was die Gefährdung von Minderheitengemeinschaften erhöht (IrWire 4.3.2024).
Die Lehrpläne aller öffentlichen und privaten Schulen müssen einen Kurs über die schiitischen Lehren enthalten. Sunnitische Schüler, sowie jene, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, müssen die Kurse über den schiitischen Islam belegen und bestehen, obwohl sie auch separate Kurse über ihre eigenen religiösen Überzeugungen belegen können. Anerkannte religiöse Minderheitengruppen, mit Ausnahme der sunnitischen Muslime, dürfen Privatschulen betreiben (USDOS 15.5.2023).
Anhänger religiöser Minderheiten unterliegen Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Lediglich schiitische Muslime dürfen in vollem Umfang am politischen Leben teilnehmen (AA 30.11.2022; vgl. MRG 24.11.2022). Sunniten werden v. a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 11.2021). Die Diskriminierung am Arbeitsplatz ist durch die Praxis des gozinesh institutionalisiert, ein obligatorisches Prüfverfahren, dem sich jeder unterziehen muss, der eine Beschäftigung im öffentlichen oder halbstaatlichen Sektor sucht. Dies beinhaltet eine Bewertung der Befolgung des Islam und der Loyalität gegenüber der Islamischen Republik durch die potenziellen Arbeitnehmer (MRG 24.11.2022; vgl. UNHRC 19.3.2024). Die Bewerber müssen dabei das Prinzip der Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat-e Faqih) anerkennen (UNHRC 19.3.2024), das es im sunnitischen Islam [sowie nichtislamischen Religionen] nicht gibt (USDOS 23.4.2024). Die gozinesh-Kriterien schließen nicht nur Anhänger nicht anerkannter Religionen von der Arbeitssuche aus, sondern benachteiligen auch Sunniten und alle, die Ansichten vertreten, die den offiziellen Werten der Islamischen Republik zuwiderlaufen (MRG 24.11.2022; vgl. UNHRC 19.3.2024).
Nichtmuslime sehen sich im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 30.11.2022; vgl. IrWire 4.3.2024). Verfassungsrechtlich anerkannte Minderheiten haben auch bei Mord oder Unfalltod nicht die gleichen Rechte wie Muslime. Nach dem islamischen Strafgesetzbuch (IStGB) haben die Hinterbliebenen eines Opfers das Recht, Vergeltung oder Entschädigung zu verlangen, wenn das Opfer Muslim ist. Wenn das Opfer einer anderen [anerkannten] Religion angehört, muss der Täter lediglich Lösegeld zahlen (IrWire 4.3.2024).
Anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) werden diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte (ÖB Teheran 11.2021). Im Parlament sind beispielsweise fünf der insgesamt 290 Sitze für ihre Vertreterinnen und Vertreter reserviert: zwei für armenische Christen, einer für Juden, einer für Zoroastrier und einer für assyrische Christen (Zeit Online 19.1.2023; vgl. FH 2024). Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär ernannt werden (USDOS 15.5.2023) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 2024).
Für nicht anerkannte religiöse Gruppen gibt es keine rechtlichen Schutzgarantien. Diese Gruppierungen - z. B. Baha'i, Sabäer-Mandäer, Yaresani [Anm.: auch Ahl-e Haqq] (MRG 24.11.2022; vgl. BAMF 5.2022), Anhänger fernöstlicher oder esoterischer Philosophien und Kulte (IRINTL 25.1.2022), konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. OpD 2024).
Das Ministerium für Kultur und islamische Führung und das MOIS überwachen religiöse Aktivitäten. Die Revolutionsgarden überwachen auch Kirchen (USDOS 15.5.2023) und Gottesdienste (OpD 2024). Die iranische Regierung verfolgt Angehörige religiöser Minderheiten bisweilen unter dem Vorwand, diese seien eine Gefahr für die nationale Sicherheit, und nicht, weil sie beispielsweise Christen sind (CNEN 4.2.2023). Führende Vertreter von Minderheitengruppen und Aktivisten werden oftmals unter dem allgemeinen Vorwurf der Bedrohung der "öffentlichen Moral" oder der nationalen Sicherheit zu langen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt (MRG 24.11.2022; vgl.OpD 2024).
Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Zur Sanktionierung von Vergehen wie "Irrlehre", "Abweichung" und "Propaganda" durch Geistliche besteht ein Sondergericht, das über eine eigene Polizei, Strafprozessordnung, Gefängnisse und einen eigenen Strafkatalog verfügt, zu dessen Strafen etwa Verbote, Seminare abzuhalten oder die Kleriker-Robe in der Öffentlichkeit zu tragen ebenso gehören wie Verbannung, Haftstrafen und Todesurteile (Qantara 16.5.2023). Das Sondergericht für Geistliche untersteht direkt dem Revolutionsführer und ist, wie auch die Revolutionsgerichte, in der Verfassung nicht vorgesehen (USDOS 15.5.2023).
Ethnische und religiöse Minderheiten, die jahrzehntelang unter systemischer und systematischer Diskriminierung und Verfolgung gelitten haben, waren von der Welle der Repression seit Beginn der Proteste im September 2022 unverhältnismäßig stark betroffen [Anm.: s. u. a. Unterkap. Sunniten für weitere Informationen]. Unter anderem verwehrten die iranischen Behörden Angehörigen von getöteten Protestteilnehmern Begräbnisse nach ihren religiösen Riten zu vollziehen (UNHRC 7.2.2023). Obwohl diese Vorkommnisse nicht völlig neu waren, kam es im Zuge der Proteste auch vermehrt zu Übergriffen auf schiitische Geistliche, die aufgrund der umfassenden Politisierung von Religion mit dem iranischen Regime gleichgesetzt werden und als Vollstrecker von dessen politischen Zielen fungieren (INSS 18.5.2023; vgl. Qantara 16.5.2023).
Muslimische Geistliche rufen manchmal zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten auf (OpD 2024). Dabei ist die iranische Gesellschaft weniger fanatisch als ihre Führung (OpD 2024; vgl. NLM 23.2.2023). Dies ist zum Teil auf den weitverbreiteten Einfluss des gemäßigteren Sufi-Islams zurückzuführen sowie auf den Stolz des iranischen Volkes auf seine vorislamische persische Kultur (OpD 2024). Dennoch wird mitunter von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet (ÖB Teheran 11.2021). Religiöse Familien üben Druck auf Familienmitglieder aus, die sich vom Islam abgewandt haben und Christen geworden sind (OpD 2024).
Nach Einschätzung des australischen Außenministeriums sind nicht praktizierende iranische Muslime einem geringen Risiko behördlicher oder gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, insbesondere in den Großstädten (DFAT 24.7.2023). Der Besuch von Moscheen ist in Iran beispielsweise nicht weit verbreitet, verglichen mit anderen muslimischen Ländern (Moaddel/FTJ 2022; vgl. MRAI 19.6.2023, Amwaj 3.4.2024), und Personen werden nicht per se als Atheisten betrachtet, weil sie keine Moscheen aufsuchen. Dies gilt auch im ländlichen Bereich. Auch halten sich viele Iraner im Privaten nicht strikt an die Fastenregeln des Ramadan. Solange die Fastenregeln nicht in der Öffentlichkeit gebrochen werden, führte dies bislang üblicherweise zu keinen Problemen (MRAI 19.6.2023). Der Konsum von Speisen und Getränken sowie Rauchen in der Öffentlichkeit während des Ramadan kann nach Art. 638 des iranischen Strafgesetzbuchs (IStGB) jedoch mit Strafen wie Peitschenhieben sowie Haft geahndet werden (IRINTL 13.3.2024a). Während des Ramadan im Frühling 2024 wurde eine Anzahl an Restaurants und Geschäften aufgrund von Fastenverstößen geschlossen (IrWire 8.4.2024). Nachdem das [vorislamische] persische Nowruz-Fest in diesem Jahr während des Fastenmonats Ramadan stattfand, wurden die Regeln für Restaurants gegenüber den Vorjahren allerdings gelockert, sodass diese ihre üblichen Öffnungszeiten beibehalten durften, wenn auch mit verhängten Fenstern (IRINTL 13.3.2024a). Der Nowruz-Freudentag "Sizdah-bedar", der üblicherweise mit Familienausflügen ins Grüne sowie Feiern mit Tanz und Musik begangen wird, fiel mit dem islamischen Trauertag anlässlich der Ermordung des ersten schiitischen Imams Ali Ibn-Abi-Talib zusammen. Regimenahe Medien verkündeten, dass Parks und Freizeitanlagen an diesem Tag geschlossen werden würden, für den Abend, nach dem Fastenbrechen dagegen Unterhaltungsprogramme vorgesehen seien. Von offiziellen Stellen wurde beides dementiert. In vielen Teilen Irans wurden an diesem Tag Sicherheitskräfte mobilisiert, um die Bürger an der Feier des "Sizdah-bedar" zu hindern. Nach Einschätzung einer Teheraner Gastautorin des Iran Journal waren sich die Verantwortlichen selbst nicht sicher, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten (IRJ 2.4.2024).
Nach dem Gesetz dürfen Nicht-Muslime nicht missionieren oder versuchen, einen Muslim zu einem anderen Glauben zu bekehren. Das Gesetz betrachtet diese Aktivitäten als Bekehrungsversuche, die mit dem Tod bestraft werden können (USDOS 15.5.2023). Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das IStGB aufnahm, wonach die "Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen" sowie "abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können (AI 29.3.2022; vgl. HRW 4.2024). Die vage formulierten Straftatbestände in den Artikeln 499 bis und 500 bis IStGB ermöglichen es den Behörden, Angehörige von nicht anerkannten Religionsgruppen, wie z. B. den Baha'i, für ihre Religionsausübung zu verurteilen, wenn sie diese als den islamischen Prinzipien widersprechend ansehen (HRW 4.2024). Das Regime betrachtet auch fernöstliche oder esoterische Philosophien und Kulte kritisch (IRINTL 25.1.2022). Unter anderem wurde auch ein Yogalehrer wegen "Propaganda gegen die Heiligtümer des Islam" vor einem Revolutionsgericht angeklagt, wobei seine Rechtsanwältin angab, die Behörden hätten seine Tätigkeit als Meditations- und Yogalehrer fälschlicherweise als islamfeindlich interpretiert (RFE/RL 7.11.2023).
Menschen, deren Eltern von den Behörden als Muslime eingestuft wurden, laufen Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert oder wegen "Apostasie" mit der Todesstrafe belegt zu werden, wenn sie andere Religionen oder atheistische Überzeugungen annehmen [Anm.: s. Unterkapitel Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen für weitergehende Informationen] (AI 24.4.2024; vgl. ÖB Teheran 11.2021).
Christen (anerkannte Religionsgemeinschaften) (letzte Änderung 2024-06-20)
Nach Angaben des staatlichen iranischen Statistikzentrums aus dem Jahr 2016 gibt es 117.700 Christen in Iran. Einige Schätzungen deuten jedoch darauf hin, dass es deutlich mehr sind, als tatsächlich angegeben (USDOS 15.5.2023). Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran. Den größten Anteil [unter den anerkannten christlichen Gemeinschaften] stellen dabei armenische Christen (STDOK 3.5.2018), wobei Vertreter dieser Religionsgemeinschaft ihre Gesamtanzahl auf 40.000-50.000 schätzen. Die Anzahl der Assyrer und Chaldäer wird auf insgesamt rund 7.000 geschätzt (USDOS 15.5.2023). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021), wobei erstere auf rund 21.000 Personen geschätzt werden, während es zu letzteren keine belastbaren Daten gibt. Viele Protestanten praktizieren ihren Glauben im Geheimen (USDOS 15.5.2023). Schätzungen zufolge stellen Konvertiten aus dem Islam mit mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen [Anm.: s. Kap. Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen für Informationen zu den nicht anerkannten christlichen Gemeinden] (AA 30.11.2022). Armenische Christen leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (STDOK 3.5.2018).
Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, dies gilt allerdings nicht für evangelikale Freikirchen. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt (ÖB Teheran 11.2021). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur diese historisch ansässigen Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als solche bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen. Mit der Registrierung sind bestimmte Rechte verbunden, darunter die Verwendung von Alkohol zu religiösen Zwecken. Die Behörden können eine Kirche schließen und ihre Leiter verhaften, wenn die Kirchenbesucher sich nicht registrieren lassen oder wenn nicht registrierte Personen an den Gottesdiensten teilnehmen (USDOS 15.5.2023).
Historisch ansässige Christen genießen Kultusfreiheit innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 11.2021) und sind in familienrechtlichen Angelegenheiten weitgehend autonom (BAMF 5.2022). Anerkannte christliche Religionsgemeinschaften haben das Recht, Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (STDOK 3.5.2018), wobei Schüler und Schülerinnen, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, auch Kurse in schiitischem Islam belegen und bestehen müssen (USDOS 15.5.2023).
Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. BBC 1.4.2024), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu (AA 30.11.2022). Die iranischen Behörden gestatten Konvertiten nicht, die Kirchen der armenischen und assyrischen Gemeinschaften zu besuchen (ARTICLE18 o.D.).
Die Aktivitäten anerkannter christlicher Gemeinschaften sind streng geregelt, um Missionstätigkeit zu verhindern. Anerkannte christliche Gruppen lehnen Missionierungsarbeit daher ab, was von den Behörden regelmäßig auch überprüft wird (DFAT 24.7.2023). Alle Christen und christlichen Kirchen müssen bei den Behörden registriert sein, und nur anerkannte Christen dürfen die Kirche besuchen. Die Sicherheitsbehörden überwachen die registrierten Kirchen genau, um sicherzustellen, dass die Gottesdienste nicht auf Farsi abgehalten werden (sie müssen in der traditionellen Sprache der Kirche und nicht in der Volkssprache abgehalten werden), und führen regelmäßige Identitätskontrollen der Gläubigen durch, um zu überprüfen, dass keine Nichtchristen oder Konvertiten an den Gottesdiensten teilnehmen. Kirchen, die sich nicht daran halten, müssen mit der Schließung rechnen (DFAT 24.7.2023; vgl. ARTICLE18 o.D.).
Obwohl armenische und assyrische christliche Gemeinden formell anerkannt und gesetzlich geschützt sind, sind ihre Gemeindemitglieder dennoch rechtlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt [u. a. als Nichtmuslime, s. Überkapitel] (OpD 2024). Selbst wenn Räumlichkeiten für religiöse Zeremonien zur Verfügung stehen, kann es für Minderheitengruppen mitunter schwierig sein, wichtige Ritualgegenstände zu beschaffen. So wurde beispielsweise von einem Fall berichtet, bei dem gegen einen Angehörigen einer religiösen Minderheit ein Bußgeld wegen Alkoholbesitzes verhängt wurde, da diesem nach Ansicht des Richters zwar die Durchführung des Messrituals und der Konsum von Messwein erlaubt sei, nicht jedoch der Transport und Besitz von Alkohol (IrWire 4.3.2024).
Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind (STDOK 3.5.2018; vgl. Qantara o.D.).
Christliche Symbole und Dekorationen
Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren (BAMF 3.2019). Weihnachtsdekoration ist in vielen Städten Irans beliebt, man kann sie ohne Probleme finden (MRAI 19.6.2023; vgl. BAMF 3.2019). Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019). Die gestiegene Beliebtheit von christlichen Weihnachtsfeiern und Christbäumen (unter Nicht-Christen) wurde von konservativer Seite allerdings auch kritisiert (IRJ 30.12.2019).
Der Staat kann zwar Bedenken äußern oder Beschränkungen für Geschäfte, die diese Dekorationen verkaufen, auferlegen, aber er erhebt normalerweise keine Anklage wegen Besitzes oder Verwendung dieser Dekorationen (MRAI 19.6.2023). Unter anderem versucht er auch, das in Iran verbreitete Feiern des Valentinstages zu unterbinden, der zeitlich mit dem Jahrestag der Islamischen Revolution zusammenfällt. Seit über zwei Jahrzehnten ist die Herstellung von Postern, Broschüren, Schachteln und Karten mit Liebesherzsymbolen und roten Rosen, wie sie zum Valentinstag verschenkt werden, offiziell verboten. Dennoch werden derartige Waren von Ladenbesitzern angeboten und von Kunden gekauft, wobei Ladenbesitzer Sanktionen wie temporäre Geschäftsschließungen riskieren (NLM 14.2.2022). Das Tragen von christlichen Symbolen [wie z. B. Kreuzanhängern] kann nach Angaben einer iranischen Rechtsanwältin für Personen allerdings je nach Interpretation der Sittenpolizei zu Problemen führen. Die Behördenvertreter können dies beispielsweise als allgemeines und zweideutiges Vergehen im Zusammenhang mit Straftaten gegen die Keuschheit und die öffentliche Moral einstufen. Letztendlich ist es Sache des Richters oder der Polizei zu entscheiden, ob die Verwendung christlicher Symbole unter diese Straftatbestände fällt. Ein weiterer möglicher Ansatz besteht darin, Personen der "Störung der öffentlichen Werte" zu beschuldigen. Es gibt Fälle, in denen die Sittenpolizei Menschen wegen des Tragens christlicher Symbole verhaftet hat (MRAI 19.6.2023). Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge kann ein Richter sichtbare christliche Tätowierungen oder im Rahmen einer Verhaftung eines Konvertiten beschlagnahmten Schmuck oder Bilder mit christlicher Symbolik in die Beweislast im Zusammenhang mit einer Konversion einbeziehen. Dies kann jedoch von Fall zu Fall variieren (MBZ 9.2023).
Ausländische christliche Gemeinden
Ausländische christliche Gemeinden, v. a. von christlichen Arbeitsmigranten und anderen Christen aus Asien (Philippinen, Südkorea) und dem Westen, darunter viele Angehörige der katholischen, lutherischen oder presbyterianischen Kirche (OpD 2024), können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben. Sie werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch könnten die Gemeinden langfristig "aussterben" (AA 30.11.2022). Ausländischen Christen ist es streng verboten, mit iranischen christlichen Konvertiten aus dem Islam in Kontakt zu treten, geschweige denn, sie in ihre Gemeinden aufzunehmen (OpD 2024).
Bewegungsfreiheit (letzte Änderung 2024-06-26)
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen, Flüchtlinge und Gefangene (USDOS 23.4.2024).
Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Ehemänner ins Ausland reisen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024), während unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen [über 18 Jahre] keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds benötigen, um zu reisen (CEDOCA 30.3.2020). Ehefrauen können jedoch Ehevertragsklauseln mit ihrem Ehemann vereinbaren, um eine generelle Ausreisegenehmigung zu erhalten (BAMF 1.2023; vgl. IrWire 2.11.2019). Die Ausreisegenehmigung durch den Ehemann muss in Form einer beim Notariat eingetragenen Vollmacht erfolgen (Eli Gasht 14.3.2024). Ehemänner können die Genehmigung jederzeit zurückziehen (HRW 11.1.2024a; vgl. Eli Gasht 14.3.2024). Die Väter von unverheirateten Frauen sowie Ehemänner von verheirateten Frauen können ein Ausreiseverbot für Frauen beantragen, auch wenn diese einen Reisepass erhalten haben (MBZ 9.2023). Für die Ausstellung eines Reisepasses an Frauen mit einem iranischen Ehepartner oder Kindern unter 18 Jahren ist die schriftliche Zustimmung des Ehepartners oder Vaters erforderlich (IRIMFA o.D.; vgl. Eli Gasht 14.3.2024, BAMF 7.2020). Wenn der Ehemann oder Vater nicht anwesend ist, hat sich die Frau bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern keine schriftliche Erlaubnis vorliegt (BAMF 7.2020; vgl. IRIMFA o.D.). Geschiedene oder verwitwete Frauen benötigen keine Zustimmungserklärung, um einen Reisepass zu erhalten (Eli Gasht 14.3.2024).
Bestimmte Gruppen, wie Angestellte in sensiblen Bereichen, iranische Studenten im Ausland und alle Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren, die ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben, benötigen eine besondere Ausreisebewilligung (Landinfo 21.1.2021 vgl. CEDOCA 10.5.2023). Wehrpflichtige müssen eine Kaution hinterlegen, um ausreisen zu dürfen (Ekhtebar 22.4.2024). Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhielten, müssen entweder das Stipendium zurückzahlen oder erhalten eine befristete Ausreisegenehmigung. Die Regierung schränkt die Auslandsreisen einiger religiöser Führer, Angehöriger religiöser Minderheiten und Wissenschaftler in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen (USDOS 23.4.2024).
Laut einer vom niederländischen Außenministerium befragten vertraulichen Quelle kann ein vom Staatsanwalt bei Gericht eingebrachter Antrag auf ein Ausreiseverbot von der Person, gegen die das Ausreiseverbot verhängt worden ist, nicht im SANA-System eingesehen werden (MBZ 9.2023). Eine auf Rechtsfragen spezialisierte iranische Nachrichtenseite gibt an, dass Ermittler nach dem Strafprozessrecht ein Ausreiseverbot als gerichtliche Überwachungsanordnung in zwei Schritten erlassen können, einmal vor dem Kontakt zum Beschuldigten und zum anderen nach dem Kontakt zum Beschuldigten. Ausreiseverbote können laut dieser Quelle unter Umständen schon im SANA-System eingesehen werden. Ausreiseverbote (neben strafrechtlichen Gründen und o. g. Ausreiseverboten für Frauen z. B. wegen Bank- oder Steuerschulden sowie für Personen mit "schlechtem Ruf") können ggf. auf der Website der Staatlichen Organisation für die Registrierung von Urkunden und Grundstücken (SSAA), des Finanzamts, oder persönlich beim Passamt überprüft werden (Ekhtebar 22.4.2024).
Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (AA 30.11.2022). Die Reisepässe werden bei der Ein- und Ausreise am Grenzübergang gestempelt. Fehlt der Ausreisestempel bei der erneuten Einreise nach Iran, führt dies zu einer Befragung. Illegale Ausreisen werden, so weiter nichts vorliegt, üblicherweise mit Geldstrafen geahndet (MBZ 9.2023).
Iraner können innerhalb Irans grundsätzlich frei reisen (MBZ 9.2023). Zu den Gerichtsurteilen gehört jedoch manchmal die interne Verbannung nach der Haftentlassung. So werden Personen daran gehindert, in bestimmte Provinzen zu reisen. Flüchtlinge dürfen sich nur in bestimmten Provinzen bewegen oder ansiedeln [Anm.: s. Kap. Afghanen in Iran für weitere Informationen] (USDOS 23.4.2024).
Ausweichmöglichkeiten
Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Zivile und militärische Verwaltungsstrukturen arbeiten effektiv. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 30.11.2022).
Flüchtlinge
Grundversorgung und Wirtschaft (letzte Änderung 2024-06-26)
Die Wirtschaft zeichnet sich durch ihren Kohlenwasserstoff-, Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor sowie eine bemerkenswerte staatliche Präsenz in der verarbeitenden Industrie und den Finanzdienstleistungen aus. Iran steht weltweit an zweiter Stelle, was die Größe der Erdgasreserven betrifft, und bei den nachgewiesenen Rohölreserven an vierter Stelle (WB 20.10.2022). Obwohl die iranische Wirtschaft für ein erdölexportierendes Land relativ diversifiziert ist (WB 20.10.2022; vgl. BPB 15.5.2020) und über ein Reservoir gut ausgebildeter Arbeitskräfte verfügt (BPB 15.5.2020), hängen die Wirtschaftstätigkeit und die Staatseinnahmen von den Öleinnahmen ab und sind daher volatil (WB 20.10.2022; vgl. BPB 15.5.2020).
Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, für die restlichen 20 % ist der private und kooperative Sektor verantwortlich (BS 19.3.2024). Die iranische Wirtschaft steht allerdings nicht einfach unter der Kontrolle der iranischen Regierung. Institutionen, die mit Hoheitsorganen abseits der Regierung (den Revolutionsgarden und dem Haus des Obersten Führers) verbunden sind, kontrollieren große Teile der Wirtschaft des Landes (EPC 28.3.2023; vgl. BS 19.3.2024). Eine wichtige Säule im Machtapparat des Regimes sind die Bonyads (LMD 2020), wirtschaftlich mächtige religiöse, revolutionäre und militärische Stiftungen (BS 19.3.2024), die für sich beanspruchen, eine Vielzahl von Aktivitäten im Zusammenhang mit Sozialarbeit, Beratungs-, Sozial- und Rehabilitationsdiensten durchzuführen (MEI 29.1.2009). Die Bonyads werden direkt oder indirekt vom Obersten Führer kontrolliert. Dadurch sind sie strukturell vom Wettbewerb abgeschirmt und verzerren die Grundsätze des freien Marktes. Diese Einrichtungen genießen zahlreiche Privilegien, darunter Steuerbefreiungen und exklusiven Zugang zu lukrativen staatlichen Aufträgen (BS 19.3.2024). Die Revolutionsgarden sind mit einigen der Bonyads eng verbunden (MEI 3.5.2022). Sie sind wirtschaftlich ebenso aktiv und haben ihre eigenen finanziellen, wirtschaftlichen, industriellen und landwirtschaftlichen Zweige. Das Wirtschaftskonglomerat Khatam al-Anbiya, das sich im Besitz der Revolutionsgarden befindet, hat es geschafft, ein Monopol auf große Infrastrukturprojekte in Iran aufzubauen (MEI 7.6.2022). Die Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre hat eine staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik gefördert, die mit hoher Korruption einhergeht (BPB 31.1.2020a; vgl. MEI 7.6.2022).
Mit einem Pro-Kopf-BIP von 4.669,6 USD im Jahr 2022 [letztverfügbare Daten] zählt die Weltbank die Islamische Republik Iran zu den Ländern in der Kategorie "niedriges mittleres Einkommen" (WB o.D.). Laut dem Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) befindet sich Iran mit einem Indexwert von 0,780 für das Jahr 2022 unter den Ländern mit einem hohen Entwicklungsstand. Der HDI misst den Entwicklungsstand von Staaten anhand der Faktoren "langes und gesundes Leben", "Zugang zu Bildung" und "menschenwürdige Lebensstandards für die Bevölkerung". Während die Indexwerte für Iran im Zeitraum 1990-2017 gestiegen sind, nahmen sie danach wieder ab. 2022 stieg der Indexwert erstmals wieder im Vergleich zum Vorjahr und erreichte ungefähr das Niveau von 2020 (UNDP 13.3.2024).
Das iranische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist 2022/2023, d. h. im iranischen Kalenderjahr [1401], das im März 2023 endete, um 3 % gewachsen (Amwaj 23.2.2024) und auch 2024 wird ein reales BIP-Wachstum von 3 % erwartet (IMF 4.2024). In USD ausgedrückt ist der nominale Wert der Wirtschaft 2022/2023 jedoch gesunken (Amwaj 23.2.2024). Das BIP-Wachstum des Landes, gemessen in konstanten Dollar-Kursen, ist seit den frühen 2010er-Jahren weitgehend unverändert geblieben und das BIP pro Kopf liegt bei Kaufkraftparität etwa 10 % unter dem Niveau der späten 2000er-Jahre (FES 3.2024).
Der Rial (IRR) hat seit der Verhängung der US-Sanktionen im Jahr 2018 auf dem freien Markt von rund 42.000 zu 1 USD auf bis zu 580.000 zu 1 USD Anfang 2024 abgewertet (IRINTL 29.1.2024a; vgl. Bonbast 23.2.2024). Der niedrige IRR-Kurs verteuert vor allem Importe auf breiter Front (BAMF 13.2.2023). Aufgrund der Inflation profitieren gewöhnliche Iraner vom BIP-Wachstum in ihrem täglichen Leben nicht viel (FDD 30.11.2023). Die geschätzte Inflationsrate der durchschnittlichen Konsumentenpreise liegt 2024 bei 37,5 % (IMF 4.2024), wobei sie seit 2021 immer über 40 % ausmachte (IMF 4.2024; vgl. WB 24.8.2023). Die hohe Inflation trifft Haushalte mit geringem Einkommen unverhältnismäßig stark, da deren Ausgaben für Lebensmittel und Wohnen etwa 80 % ihres Budgets ausmachen, während ihre Reallöhne sinken (WB 24.8.2023). Gemäß dem Recherchedienst des iranischen Parlaments hat die Hälfte der iranischen Bevölkerung 2022/2023 den empfohlenen täglichen Kalorienbedarf (2.100 Kalorien) nicht erreicht, was unter anderem mit der hohen Inflation für Nahrungsmittelpreise in Verbindung gebracht wurde (IrWire 30.4.2024).
Entsprechend der von der Weltbank für Iran verwendeten Definition der Armutsgrenze (Verfügbarkeit von mindestens 6,85 USD tägl.) befanden sich im Jahr 2022 21,9 % der Iraner unter der Armutsgrenze. Die Armut hat damit seit 2020 abgenommen, als noch 29,3 % der Iraner weniger als 6,85 USD täglich zur Verfügung hatten (WB 4.2024). Nach Angaben des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt befanden sich im Jahr 2022 dagegen 35 % der iranischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze (Amwaj 8.2.2024), während ein bekannter iranischer Ökonom im Mai 2023 sogar von einem Anteil von 50 % sprach (IRINTL 20.5.2023; vgl. BNE 1.8.2023). Iran hat seit 1979 bemerkenswerte Fortschritte bei der Armutsbekämpfung gemacht, der Zeitraum zwischen 2010 und 2020 gilt jedoch als verlorenes Jahrzehnt hinsichtlich des Wirtschaftswachstums, als fast zehn Mio. Iraner in die Armut abgerutscht sind (WB 11.2023). Trotz eines allgemeinen Rückgangs der Armut zwischen 2020 und 2022 gibt es nach wie vor regionale Unterschiede, insbesondere gegenüber den ländlichen und südöstlichen Regionen. So galt 2022 mehr als ein Drittel der Bevölkerung in ländlichen Gebieten als arm. Die Ungleichheiten wurden durch anhaltende Dürre und Wasserknappheit noch verschärft. Die südöstlichen Provinzen, insbesondere Sistan und Belutschistan, sind von großer Armut betroffen, die deutlich über dem nationalen Durchschnitt liegt (WB 4.2024).
Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen ist im ganzen Land nahezu flächendeckend, mit Ausnahme des Zugangs zu modernen Abwassersystemen und zum Internet, wo es eine große Kluft zwischen ländlichen und städtischen Haushalten gibt (WB 11.2023). Die Grundversorgung ist gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch ein enger Familienzusammenhalt sowie das islamische Spendensystem beitragen (AA 30.11.2022).
Ein Grund für die schlechte wirtschaftliche Leistung Irans sind die europäischen und amerikanischen Wirtschaftssanktionen. Sie wurden Anfang der 2010er-Jahre verschärft, bis 2015 das Atomabkommen mit Iran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) ausgehandelt wurde, das teilweise Sanktionsentlastungen enthielt. Nach dem Rückzug der Regierung von US-Präsident Donald Trump aus dem Atomabkommen im Jahr 2018 wurden die Sanktionen von den USA einseitig wieder eingeführt und in den folgenden zwei Jahren weiter verschärft. Auch die EU und andere westliche Länder verschärften ihre Sanktionen im Zuge der "Frau-Leben-Freiheit"-Proteste im Jahr 2022 (FES 3.2024) und nach dem Hamas-Angriff vom 7.10.2023 wurden weitere Sanktionen gegen mit Iran verbundene Personen und Organisationen verhängt (Soufan 14.5.2024). Iranische Banken sind seit der Wiedereinführung der Sanktionen im Jahr 2018 vom SWIFT-System ausgenommen (MEE 30.1.2023; vgl. BS 19.3.2024). Damit wurden sie vom globalen Finanzsystem effektiv ausgeschlossen (BS 19.3.2024).
Sozialbeihilfen (letzte Änderung 2024-06-26)
Das sozialstaatliche System Irans besteht aus Subventionen für grundlegende Güter, Bargeldtransfers, Organisationen zur Armutsbekämpfung, die einen Teil der ärmeren Bevölkerung nach Bedürftigkeit versorgen, und Sozialversicherungsorganisationen, welche die mittleren und oberen Einkommensschichten des Landes abdecken (CERI 12.2021). Zu den Sicherungsmaßnahmen gehören Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosengeld, Krankenurlaub, Mutterschaftsgeld, Familienbeihilfen und Zuwendungen für Behinderte (WB 11.2023). Das Bildungs- und Gesundheitswesen ist für alle iranischen Staatsangehörigen, einschließlich der Rückkehrenden, über das Bildungsministerium und das Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung zugänglich (IOM 11.2023).
Sozialversicherungsleistungen
Das iranische Sozialversicherungssystem wird vom Ministerium für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt überwacht und v. a. von der "Organisation für Sozialversicherung" (Social Security Organization, SSO [Farsi: Sazman Tamin Ejtemaei]) (SSA o.D.) als größtem Sozialversicherungsträger verwaltet (Bimeh 20.12.2023). Gemäß der iranischen Arbeitsgesetzgebung müssen alle regulär Angestellten des privaten Sektors bei der SSO versichert sein (SAIS Rethinking Iran 2023; vgl. Bimeh 20.12.2023), wobei die Versicherungsprämien durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie staatliche Zuschüsse gedeckt werden. Öffentliche Bedienstete mit befristeten Verträgen sind ebenfalls bei der SSO versichert (Landinfo 12.8.2020), für [andere] Staatsbedienstete und Angehörige der Streitkräfte gibt es spezielle Versicherungssysteme (IOM 11.2023). Seit den 1990ern werden auch Angestellte in kleinen Firmen und informell tätige Selbstständige dazu ermutigt, sich bei der SSO zu versichern (Landinfo 12.8.2020). Unternehmer sind nicht dazu verpflichtet, sich zu versichern (Bimeh 20.12.2023). Es besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung bei der SSO, beispielsweise auch für Hausfrauen (IOM 11.2023). Hierbei müssen die Antragsteller bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie z. B. die Einzahlung der Versicherungsbeiträge für mindestens 30 Tage (IOM 11.2023; vgl. Bimeh 20.12.2023) und Männer müssen ihren Ausweis zur erfolgten Ableistung des Wehrdienstes vorlegen (Bimeh 20.12.2023). Personen aus den untersten Einkommensklassen fallen unter die Salamat-Versicherung, die mittels staatlicher Finanzierung eine medizinische Grundversorgung bietet (Amwaj 29.4.2024).
Offiziellen Statistiken zufolge erhält rund die Hälfte der iranischen Bevölkerung irgendeine Art von Leistung von der SSO (IRINTL 26.10.2023; vgl. Amwaj 29.4.2024), wobei dies auch unterhaltsberechtigte Angehörige von Versicherten mit einschließt (Landinfo 12.8.2020). Rund ein Drittel der Bevölkerung ist über Salamat versichert (Amwaj 29.4.2024). Zur Größe des informellen Sektors der iranischen Wirtschaft existieren unterschiedliche Daten. Demnach sind 25 bis rund 60 % der Arbeitskräfte informell beschäftigt (SAIS Rethinking Iran 2023). Rund 25 % der Beschäftigten, vor allem im informellen Sektor und unter Saisonarbeitern, sind nicht pensionsversichert (Landinfo 12.8.2020).
Die SSO bietet ihren Mitgliedern Krankenversicherungs-, Pensions- und Arbeitslosenversicherungsleistungen (IRINTL 26.10.2023; vgl. Landinfo 12.8.2020). Andere Leistungen werden möglicherweise von Arbeitgebern oder privaten Versicherungsgesellschaften angeboten (IOM 11.2023).
Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch (AA 30.11.2022; vgl. SSA o.D.). Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist (Landinfo 12.8.2020).
Arbeitnehmer, die mindestens sechs Monate hintereinander Sozialversicherungsbeiträge geleistet haben, und unfreiwillig arbeitslos werden, können mindestens sechs Monate lang Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen. Sie erhalten dabei 55 % ihres angegebenen Monatslohns. Dies gilt auch für Rückkehrer. Darüber hinaus existiert keine staatliche Arbeitslosenhilfe (IOM 11.2023). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).
Die Mittel für die Alterspension werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt (Landinfo 12.8.2020). Mit einem Gesetzesbeschluss vom Jänner 2024 wurde das gesetzliche Pensionsantrittsalter für Männer [von 60] auf 62 Jahre angehoben, während es für Frauen bei 55 Jahren verbleibt (IRINTL 14.1.2024; vgl. IRNA 13.2.2024). Um die volle Pension beziehen zu können, sind laut der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA mindestens 30 Sozialversicherungsbeitragsjahre notwendig (IRNA 13.2.2024). Andere Quellen berichten, dass die notwendigen Sozialversicherungsbeitragsjahre zum vollen Pensionsanspruch nun bei 35 (VOA 21.11.2023; vgl. Amwaj 22.11.2023) bzw. 42 Jahren für Berufseinsteiger liegen (IRINTL 14.1.2024; vgl. Amwaj 22.11.2023).
Andere Hilfsleistungen
Der Staat zahlt (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (Landinfo 12.8.2020). Diese Zahlung wurde ursprünglich 2010 eingeführt und hat über die Jahre deutlich an Wert verloren (IRINTL 5.10.2022; vgl. POMEPS 12.2017). Eine neue Zuschussleistung wird nach Einkommensklassen ausgezahlt. Personen in den niedrigsten drei Einkommensklassen erhalten demnach monatlich vier Mio. IRR (87,61 EUR), die zwei Einkommensklassen darüber erhalten drei Mio. IRR (65,71 EUR) (IOM 11.4.2024; vgl. Rade 15.1.2024).
Es gibt soziale Absicherungsmechanismen, wie z. B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z. B. Frauengruppen) (AA 30.11.2022; vgl. IOM 11.2023). Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die 'sadeqe', die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020a).
Es gibt zwei öffentliche Organisationen für gefährdete Gruppen. Je nach den Bedürfnissen der Kunden können diese Dienste in Form von Bargeld oder Zuschüssen erbracht werden. Sie dienen als ergänzendes Unterstützungssystem für gefährdete und einkommensschwache Menschen. Die bekannteste öffentliche Organisation, die allen älteren und behinderten Bürgern offen steht, heißt Behzisti [Anm.: auch State Welfare Organization, SWO]. Sie bietet eine breite Palette von Dienstleistungen für verschiedene gefährdete Gruppen wie Drogenabhängige, alleinerziehende Mütter, arbeitende Kinder, unbegleitete Minderjährige, geistig und körperlich Behinderte, Hochbetagte und so weiter. Zu den Dienstleistungen gehören sozialpsychologische Sitzungen, Beratungsdienste, vorübergehende Unterkünfte (Garm Khaneh) und Wohnheime, geistige und körperliche Rehabilitationsdienste, Suchtbehandlung und vieles mehr (IOM 11.2023). Die International Organization for Migration (IOM) berichtete allerdings beispielsweise bezüglich der Unterstützungszahlungen für Menschen mit Behinderungen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, dass diese zwar einen gesetzlichen Anspruch auf einen monatlichen Unterhaltszuschuss von Behzisti hätten, der allerdings aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht regelmäßig ausbezahlt wird (IOM 29.5.2024). Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet auch Dienstleistungen für von Frauen geführte Haushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um deren Lebensbedingungen zu verbessern. Öffentliche Zentren sind in der Regel überlaufen und weisen lange Warteschlangen auf. Die Leistungsempfänger, die weniger überfüllte Orte oder einen engen Kontakt zu Spezialisten/Dienstleistern bevorzugen, wenden sich an private Zentren, bei denen es sich in der Regel um kleinere spezialisierte Kliniken oder Zentren handelt (IOM 11.2023). Gemäß Angaben aus dem Jahr 2021 erhalten rund zwölf Mio. Personen Unterstützung von Behzisti oder der Iman Khomeini Relief Foundation (Kayhan 25.10.2023a).
Behzisti und die Imam Khomeini Relief Foundation helfen bedürftigen Menschen auch bei der Anmietung einer Wohnung. Anspruchsberechtigte Personen erhalten unter besonderen Bedingungen eine monatliche Beihilfe für Grundbedürfnisse wie Wohnraum. Aufgrund des Anstiegs der Wohnungspreise und des Rückgangs der Einkommen können diese Beträge die Wohnkosten in Iran nicht decken (IOM 11.2023).
Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt (AA 30.11.2022; vgl. IOM 11.2023). Für Rückkehrer im Rahmen des IOM-Projekts "Assisted Voluntary Return and Reintegration" (AVRR) können jedoch auf Anfrage Hotelzimmer für ein paar Tage gebucht werden. Vorübergehende Unterkünfte, auch bekannt als Garm Khaneh, nehmen nur extrem gefährdete Obdachlose und Drogenabhängige auf (IOM 11.2023).
Medizinische Versorgung (letzte Änderung 2024-06-25)
Grundsätzlich entspricht die medizinische Versorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht (west-)europäischen Standards. Das Land hat in den Jahrzehnten seit der Revolution 1979 allerdings viel in das nationale Gesundheitssystem investiert (AA 30.11.2022). Seit damals hat sich das Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen (ÖB Teheran 11.2021). Auf nationaler Ebene ist das Gesundheitsministerium für die Leitung, Politikgestaltung, Planung, Finanzierung und Steuerung der Programme zuständig (IOM 11.2023).
Fast die gesamte Landbevölkerung hat Zugang zu primären Gesundheitsdiensten, die in Gesundheitshäusern und ländlichen Gesundheitszentren erbracht werden. Auf Provinzebene sind die Universitäten für medizinische Wissenschaften und die Gesundheitsdienste die wichtigsten staatlichen Einrichtungen, die die Menschen mit Gesundheitsdiensten versorgen und ihre Bedürfnisse im Bereich der individuellen, kollektiven und ökologischen Gesundheit erfüllen. Auf städtischer und ländlicher Ebene ist ein Bezirksgesundheitsnetz, bestehend aus einem Bezirksgesundheitszentrum, städtischen und ländlichen Gesundheitszentren, Gesundheitsposten und Gesundheitshäusern, mit dieser Aufgabe betraut. Neben den Universitäten für medizinische Wissenschaften und den Gesundheitsdiensten wird ein Teil der Leistungen von Versicherungsgesellschaften und den Provinz- und Bezirkseinheiten der Social Welfare Organization [Anm.: State Welfare Organization (SWO), Behzisti] erbracht (IOM 11.2023). Staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser (Landinfo 12.8.2020). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z. B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021).
Selbst in ländlichen Gebieten haben 85 % der Bevölkerung Zugang zur primären Gesundheitsversorgung, 90 % werden mit sauberem Trinkwasser versorgt, 80 % sind an entsprechende Sanitäranlagen angeschlossen. Dennoch haben bei Weitem nicht alle Zugang zu komplexen, spezialisierten und damit auch teureren Diensten (AA 30.11.2022). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 31.5.2024). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Alle Krankenhäuser sind verpflichtet, Notfälle rund um die Uhr aufzunehmen (IOM 11.2023). Ein zuverlässig funktionierendes Rettungswesen besteht auch in den Städten nicht überall (AA 31.5.2024).
Alle iranischen Staatsbürger, einschließlich der Rückkehrenden, haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) und weitere Gesundheitsdienste. Die beiden am weitesten verbreiteten Arten von primären Krankenversicherungen sind Tamin Ejtemaei und Salamat [Anm.: auch Universal Public Health Insurance (UPHI)]. Die Erstversicherung deckt die Kosten für Medikamente, medizinische und Krankenhausleistungen, Impfungen usw. ab. Kosmetische Operationen fallen nicht unter den Versicherungsschutz und können vom Versicherer nicht unterstützt werden. Unternehmen müssen ihre Angestellten bei Tamin Ejtemaei versichern (IOM 11.2023), der "Krankenversicherung der Sozialversicherung" (bimeh-ye darmani-ye ta’min-e ejtema’i), die von der Social Security Organization (SSO) bereitgestellt wird [Anm.: s. zur Sozialversicherung Kap. Sozialbeihilfen] (Landinfo 12.8.2020). Darüber hinaus ist unter bestimmten Bedingungen auch eine freiwillige Versicherung über Tamin Ejtemaei möglich. Bei der Salamat-Versicherung wird die finanzielle Situation des Antragstellers geprüft und auf dieser Grundlage die Höhe der Versicherungsprämie berechnet. In einigen Fällen kann die Versicherungsgebühr entfallen. Salamat-Versicherte haben keinen Anspruch auf eine Versicherung bei Tamin Ejtemaei. Die Versicherung umfasst auch nur medizinische Leistungen in öffentlichen und universitären medizinischen Zentren. Es gibt eine spezielle Salamat-Versicherung für Dorf- und Kleinstadtbewohner (Orte unter 20.000 Einwohnern), die für die Versicherten kostenlos ist, da der Staat die Versicherungsgebühr übernimmt, und mit der sich die Versicherten in öffentlichen medizinischen Zentren versorgen lassen können. Weiters existiert auch ein Versicherungsschutz für seltene Krankheiten, mit der Personen, die an seltenen Krankheiten leiden, einen Teil der Behandlungskosten abdecken können (IOM 11.2023). Über Salamat, bzw. den Versicherungsträger Iran Health Insurance Organization (IHIO), sind auch öffentliche Bedienstete und Studenten versichert (Landinfo 12.8.2020). Die meisten Regierungsbehörden betreiben außerdem eigene Sozialleistungszentren, die unter anderem Gesundheitsdienste für ihre Bediensteten bereitstellen (SAIS Rethinking Iran 2023). Neben den öffentlichen Krankenversicherungen gibt es auch private mit unterschiedlichen Prämien je nach Versicherungsschutz (IOM 11.2023; vgl. Landinfo 12.8.2020). Wohltätigkeitsorganisationen, u. a. die "Imam Khomeini Stiftung", kümmern sich um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge [Anm.: s. Kap. Afghanen in Iran zur Gesundheitsversorgung für afghanische Staatsbürger in Iran] (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020).
Die peripheren Einheiten (Gesundheitshäuser/ländliche Gesundheitszentren) auf dem Gelände der medizinischen Universitäten bieten kostenlose Gesundheitsdienste an. In den anderen Einrichtungen nehmen die Patienten die von ihnen benötigten Leistungen in Anspruch, indem sie einen Teil des Betrags auf der Grundlage ihrer Krankenversicherung bezahlen (IOM 11.2023). Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer Selbstbehalte von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund des Budgetdefizits vieler Sozialversicherungsträger werden durchschnittlich nur rund 30 % der Gesundheitsausgaben von öffentlicher Hand gedeckt, für den Rest müssen die Patienten selbst aufkommen (Amwaj 29.4.2024). Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann (ÖB Teheran 11.2021).
Der private Sektor ist vor allem in den größeren Städten vertreten und bietet denjenigen, die private Krankenhäuser und Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen möchten, verschiedene Preiskategorien. In den öffentlichen Krankenhäusern sind fast alle Gesundheitsleistungen zu einem niedrigeren Preis erhältlich und können von der Krankenversicherung [z.T., s.o.] übernommen werden. Aufgrund der langen Aufnahmezeiten, der überfüllten öffentlichen Zentren und der besseren Leistungen in privaten Gesundheitszentren ziehen es die Menschen jedoch möglicherweise vor, mehr zu bezahlen und sich an private Gesundheitseinrichtungen zu wenden (IOM 11.2023).
Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).
Obwohl die US-Sanktionen gegen Iran den humanitären Handel ausnehmen, gibt es faktisch Transaktionshindernisse, die die Einfuhr bestimmter Arzneimittel verhindern (BNE 13.8.2023; vgl. IRINTL 29.1.2024b). Es kommt daher zu Engpässen bei der Einfuhr einiger spezieller Medikamentengruppen (IOM 11.2023; vgl. IRINTL 29.1.2024b), Anfang 2024 konnten bestimmte Medikamente aus Devisenmangel nicht importiert werden (IrWire 12.1.2024). Dennoch besteht im öffentlichen Gesundheitswesen Irans laut IOM kein ernsthafter Mangel an Medikamenten, Fachärzten oder Ausrüstung (IOM 11.2023). Nach Angaben eines iranischen Behördenvertreters beschränken sich die Einfuhren im pharmazeutischen Sektor auf Medikamente für seltene Krankheiten, während andere Medikamente zur Gänze lokal produziert werden oder auf Rohmaterialien aus dem Ausland angewiesen sind (BNE 13.8.2023). Iranische Ärzte waren mitunter auch gezwungen, auf lokal hergestellte Nachahmungen spezialisierter ausländischer Arzneimittel zurückzugreifen, von denen viele von minderer Qualität sind und zu lebensverändernden Komplikationen und sogar zum Tod von Patienten geführt haben (Intercept 12.6.2023). Der erhebliche Anstieg der Preise für pharmazeutische Rohstoffe in den letzten Jahren hat zudem zu einem exorbitanten Anstieg der Arzneimittelpreise und der Ausgaben der Bürger geführt (BNE 13.8.2023; vgl. IOM 11.2023, IRINTL 29.1.2024b). Der Rote Halbmond wurde als Anlaufstelle für die Einfuhr bestimmter Medikamente bestimmt und stellt diese für bestimmte Patienten über ausgewiesene Apotheken bereit. Im Allgemeinen sind die meisten Medikamente in Iran erhältlich. Einige Medikamente sind jedoch aufgrund der Sanktionen sehr teuer. Medikamente werden in der Regel nur in kleinen Mengen abgegeben, um einen Weiterverkauf auf dem Schwarzmarkt zu vermeiden (IOM 11.2023).
Das iranische Gesundheitssystem sieht sich mit einer erheblichen Abwanderung von medizinischen Fachkräften ins Ausland konfrontiert (IRINTL 19.3.2024; vgl. RFE/RL 26.8.2023), was unter anderem mit wirtschaftlichen Härten, beruflichen Zwängen und einem Mangel an sozialen und politischen Freiheiten in Verbindung gebracht wird. Nach Angaben eines Mitglieds des Zentralrats der iranischen Krankenpflegeorganisation verlassen jährlich zwischen 2.500 und 3.000 Krankenpfleger Iran, was die Belastung des ohnehin schon unter Druck stehenden Systems noch weiter erhöht (IRINTL 19.3.2024).
Rückkehr (letzte Änderung 2024-06-26)
Die iranische Regierung verfolgt seit langem die Politik, keine zwangsweisen Rückführungen zuzulassen. Freiwillige Rückführungen sind möglich und werden manchmal von den rückführenden Regierungen oder der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unterstützt. In Fällen, in denen eine iranische diplomatische Vertretung vorübergehende Reisedokumente ausgestellt hat, werden die Behörden über die bevorstehende Rückkehr der Person informiert (DFAT 24.7.2023).
Es gibt nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die [dauerhaft] nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen (CEDOCA 10.5.2023). Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde (ÖB Teheran 11.2021; vgl. CEDOCA 10.5.2023). In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und bei Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr (ÖB Teheran 11.2021).
Nach derzeitigem Kenntnisstand können Asylantragsteller bzw. anerkannte Flüchtlinge Kontakt mit iranischen Auslandsvertretungen aufnehmen, um beispielsweise einen neuen iranischen Pass zu beantragen. Fälle von daraus folgenden Repressalien gegen die Antragsteller oder ggf. gegen deren Familien in Iran sind bislang nicht bekannt (AA 30.11.2022). Im April 2022 kündigte das Amt für Personenstandswesen an, hinkünftig "smarte" Identitätsnachweise an im Ausland lebende Iraner auszustellen. Antragsteller können sich unter anderem im iranischen Konsulat in Wien registrieren lassen, um den Identitätsnachweis zu erhalten (TEHT 10.4.2022).
Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 30.11.2022). Eine von der belgischen Herkunftstländerrechercheeinheit CEDOCA im Jänner 2023 durchgeführte Recherche zu diesbezüglichen Fällen blieb ergebnislos (CEDOCA 10.5.2023). Im Allgemeinen schenken die Behörden abgelehnten Asylwerbern bei ihrer Rückkehr nach Iran wenig Beachtung. Das australische Außenministerium geht davon aus, dass ihre Aktivitäten (einschließlich Beiträgen in sozialen Medien über Aktivitäten vor Ort) von den Behörden nicht routinemäßig untersucht werden. Die Behörden können allerdings in den sozialen Medien einsehbare Aktivitäten von in Australien (oder anderswo) bekannten Iranern überprüfen (DFAT 24.7.2023) und laut einem von CEDOCA befragten Experten wird es immer üblicher, dass die Behörden Rückkehrer anweisen, ihre Konten in sozialen Netzwerken offenzulegen (CEDOCA 10.5.2023). Einer vom niederländischen Außenministerium konsultierten Quelle zufolge befragen die Behörden fast jede Person, von der sie wissen, dass sie einen Asylantrag gestellt hat, um herauszufinden, was der Grund für den Asylantrag war und ob sich die Person nicht politisch oder religiös betätigt hat. Ob Rückkehrer im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, können die Behörden beispielsweise durch Angehörige oder Freunde der Betroffenen erfahren, durch abgehörte Kommunikation oder aufgrund einer Durchsicht von Inhalten in den sozialen Medien (MBZ 9.2023).
Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022; vgl. MBZ 9.2023).
An Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, besteht ein Verfolgungsinteresse. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer aufgrund der Protestbewegung ab September 2022 verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich beispielsweise der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht (AA 30.11.2022). [Anm.: s. Unterkap. Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022 für Informationen zur Behandlung von Rückkehrern, die politisch aktiv waren oder als Aktivisten in Erscheinung getreten sind.]
Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). Wenn Personen mit einem Laissez-Passer anstelle eines regulären Reisedokuments ins Land zurückkehren, kann dies zu Befragungen führen, da dies bedeuten könnte, dass die betroffenen Personen illegal ausgereist sind und/oder im Ausland um internationalen Schutz angesucht haben (CEDOCA 10.5.2023; vgl. MBZ 9.2023). Ebenso kann es zu Befragungen führen, wenn bei einer erneuten Einreise kein Ausreisestempel im Reisepass vermerkt ist (MBZ 9.2023). Im Falle einer illegalen Ausreise ist die häufigste Strafe eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe auf Bewährung, es sei denn, die Person wird zusätzlich anderer Straftaten verdächtigt (CEDOCA 10.5.2023; vgl. MBZ 9.2023). Wenn die Person Iran illegal verlassen hat, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, oder in kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel und Menschenhandel sowie Aktivitäten militanter Gruppen an der Grenze verwickelt ist, ist die Reaktion wesentlich schärfer (CEDOCA 10.5.2023).
Einige Mitglieder der iranischen Diaspora kehren regelmäßig nach Iran zurück, zum Beispiel für einen Urlaub oder um Verwandte zu besuchen (MBZ 9.2023). Andere Auslandsiraner schrecken aus Angst, aufgrund ihrer politischen Aktivitäten oder regimekritischer Äußerungen inhaftiert oder an einer Ausreise gehindert zu werden, vor Reisen nach Iran zurück (IRINTL 9.1.2024). Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob jemand nach der Rückkehr befragt wird. Oft wird erst im Laufe der Zeit klar, ob eine echte Bedrohung vorliegt (MBZ 31.5.2022). Iranreisende - sowohl iranische als auch z. B. deutsche Staatsangehörige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, in Iran willkürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden. Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden (BMIH/BfV 20.6.2023; vgl. BMI/DSN 17.5.2024). Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informations- und Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl.MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022). Ebenso kommt es vor, dass es Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen erlaubt wird, nach Iran einzureisen, und sie dann zu einem späteren Zeitpunkt von den iranischen Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Einer Quelle zufolge nehmen die Behörden Rückkehrer in der Regel nicht gleich bei der Ankunft am Flughafen fest, weil sie dort sichtbar sind und von den vielen anwesenden Personen mit ihren Handys gefilmt werden könnten. Den Rückkehrern wird dann am Flughafen zum Beispiel gesagt, dass etwas mit ihrem Pass nicht stimmt oder dass ein Bußgeld aussteht, und dass sie sich später an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit melden sollen (MBZ 9.2023).
Iran erkennt Doppelstaatsbürgerschaften nicht an (USDOS 11.1.2024) und ist dafür bekannt, Doppelstaatsbürger als Geiseln zu nehmen, und sie in seinen Verhandlungen mit anderen Ländern, insbesondere westlichen Staaten, als Verhandlungsmasse einzusetzen (IRINTL 9.1.2024). Eine Reihe von Doppelstaatsbürgern, die nach Iran zurückkehrten, werden so im Land festgehalten (CHRI 22.1.2022; vgl. BBC 7.6.2022, IrWire 14.2.2024).
Das iranische Außenministerium hat im Dezember 2021 ein Webportal eingerichtet, auf dem Iraner, die sich im Ausland aufhalten und eine Rückkehr nach Iran erwägen, ihre Daten hochladen können, woraufhin ihnen mitgeteilt wird, ob sie sicher und ungehindert ein- und ausreisen können oder ob es offene Fälle gegen sie gibt. Allerdings ist nicht jeder in der iranischen Diaspora davon überzeugt, dass dieses System funktioniert und dass er oder sie ohne Bedenken nach Iran reisen kann. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle iranischen Nachrichtendienste koordiniert zusammenarbeiten und daher immer die Möglichkeit besteht, dass Rückkehrer dennoch aufgegriffen werden (IRINTL 7.1.2022; vgl. MBZ 9.2023).
Auszug aus der Anfragebeantwortung „Leistungen für Menschen mit Behinderungen“ vom 29.05.2024:
1. Gibt es, bzw. welche Unterstützung (Sozialleistungen, staatliche/nichtstaatliche Organisationen etc.) gibt es in Iran für Menschen, die einen hohen Grad der Behinderung (konkret 80 %) aufweisen und die aufgrund ihrer Behinderung allenfalls kein eigenes Einkommen erwirtschaften können?
IOM Iran teilt auf Anfrage mit, dass genaue Daten für die Zulagen, die Menschen mit Behinderungen in Iran gewährt werden, aufgrund ihrer Abhängigkeit vom schwankenden Jahresbudget unbestimmt bleiben. Darüber hinaus ist die Auszahlung dieser Zulagen uneinheitlich, sodass viele Menschen mit Behinderungen sie nicht regelmäßig erhalten. In den letzten Jahren wurden die für Menschen mit Behinderungen vorgesehenen Haushaltsmittel gekürzt. Obwohl das aktuelle Jahresbudget für Menschen mit Behinderungen um 30 % gestiegen ist, ist ihre Kaufkraft im Vergleich zur Inflationsrate gesunken.
Was die Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen mit einem höheren Behinderungsgrad betrifft, so sei darauf hingewiesen, dass die Bereitstellung von Dienstleistungen in erster Linie von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation (SWO) [Anm.: auch bekannt als Behzisti] in Iran verwaltet wird. Diese staatliche Organisation hält sich an internationale Standards für die Klassifizierung von Behinderungsgraden und -arten. Die SWO ist dem Ministerium für Genossenschaften, Arbeit und soziale Wohlfahrt unterstellt, das für die Bestimmung des Grades und der Art der Behinderung zuständig ist. Es ist wichtig anzumerken, dass die Gesetzgebung keine Erhöhung der Unterstützung in Abhängigkeit von der Schwere der Behinderung vorsieht.
Folgende Arten von staatlichen Leistungen gibt es für Menschen mit Behinderungen:
Zugang zur Krankenversicherung: Jeder, der eine Krankenversicherung abschließen möchte, muss die Standardprämie bei den zuständigen Stellen entrichten. Es ist zu beachten, dass Menschen mit Behinderungen nicht automatisch Zugang zu einer kostenlosen Krankenversicherung haben.
Unterhaltszuschuss zur Rehabilitationsunterstützung (Rente)
Unterhaltsbeihilfe für Menschen mit mittleren oder schweren Behinderungen, die keine Arbeit und kein Einkommen haben, gemäß Artikel 27 des Gesetzes zum Schutz der Rechte von Behinderten: „Die Regierung ist verpflichtet, finanzielle Unterstützung für den Lebensunterhalt von Menschen mit schweren und sehr schweren Behinderungen ohne Arbeit oder Einkommen in Höhe des jährlichen Mindestlohns zu gewähren und die erforderlichen Mittel für diesen Zweck im nationalen jährlichen Steuerhaushalt bereitzustellen“. Gemäß dem Gesetz ist die Regierung verpflichtet, Menschen mit Behinderungen eine Beihilfe für den Lebensunterhalt zu gewähren. Allerdings wird die Beihilfe nicht regelmäßig gezahlt. Nach dem derzeitigen Budget für Menschen mit Behinderungen erhalten Familien mit einem Mitglied 10.000.000 IRR (etwa 25 USD – Währungsumrechnung von IOM Iran vom 20.5.2024), Familien mit zwei Mitgliedern erhalten 14.500.000 IRR (rund 36 USD), Familien mit drei Mitgliedern erhalten 20.000.000 IRR (rund 50 USD), Familien mit vier Mitgliedern erhalten 25.500.000 IRR (rund 63 USD), Familien mit fünf und mehr Mitgliedern erhalten 31.500.000 IRR (rund 79 USD). Es ist zu beachten, dass diese Zulage nach dem Gesetz regelmäßig monatlich gezahlt werden sollte. In der Realität ist dies jedoch nicht der Fall. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Iran kommt die Regierung ihren Verpflichtungen gegenüber Menschen mit Behinderungen nicht ordnungsgemäß nach. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Zulage im Durchschnitt fünfmal oder weniger pro Jahr gezahlt wird; einige Menschen mit Behinderungen berichten, dass sie die Zulage überhaupt nicht erhalten haben.
Pflege- und Betreuungsgeld für Menschen mit Behinderungen: Nach dem derzeitigen Präzedenzfall wird diese Leistung nicht an Angehörige gezahlt, die die behinderte Person zu Hause pflegen, sondern an spezialisierte Pflegeheime.
Unterstützung bei den Kosten für die Pflege von Menschen mit Rückenmarksverletzungen.
Staatliche Sporteinrichtungen sind für Menschen mit Behinderung kostenlos.
Kreditleistungen an Werkstätten und Gewerkschaften zur Unterstützung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in dem Umfang, wie er in den jährlichen Haushaltsvorschriften festgelegt wird.
Die Bereitstellung von Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen wird in Iran hauptsächlich von der SWO verwaltet. Der rechtliche Rahmen für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen ist theoretisch umfassend und schließt Ausländer, einschließlich afghanischer Staatsangehöriger, nicht ausdrücklich vom Zugang zu diesen Dienstleistungen aus. In der Praxis profitieren Afghanen jedoch oft nicht in vollem Umfang von den verfügbaren Diensten, insbesondere von denen der SWO. Obwohl das Gesetz keinen Unterschied zwischen iranischen und afghanischen Menschen mit Behinderungen macht, ist es in der Realität so, dass selbst iranische Menschen mit Behinderungen aufgrund von Haushaltszwängen und Ressourcenbeschränkungen nicht immer die vollen Leistungen erhalten und in vielen Fällen nicht die ihnen zustehenden Dienste in Anspruch nehmen. Außerdem sind die von den verschiedenen SWO-Zweigstellen angebotenen Leistungen nicht einheitlich. Beobachtungen in der Praxis zeigen, dass afghanische Menschen mit Behinderungen häufig nicht die Leistungen erhalten, auf die sie einen gesetzlichen Anspruch haben.
Menschen mit Behinderungen haben Zugang zu einer Versicherung bei einem Sozialversicherungsträger, aber die Versicherung muss von den Betroffenen selbst abgeschlossen werden. Wenn eine Versicherung besteht, sind Gesundheits- und Rehabilitationsdienste verfügbar. Die Kosten und der Umfang der Leistungen hängen jedoch von der Art der Versicherung ab. Menschen mit Behinderungen, die nicht sozialversichert sind, haben Zugang zu Gesundheits- und Rehabilitationsdiensten, müssen jedoch die Kosten dafür selbst tragen.
Die SWO zahlt vier Arten von Leistungen, darunter Rehabilitationsbeihilfe (Rente), Unterhaltsbeihilfe für Menschen mit mittleren oder schweren Behinderungen, die keine Arbeit und kein Einkommen haben (Unterhaltsbeihilfe in Artikel 27), Beihilfe für das Recht auf Pflege und Assistenz für Menschen mit Behinderungen sowie Beihilfe zu den Pflegekosten für Menschen mit Rückenmarksverletzungen. Hierbei ist zu beachten, dass es einen Selbstbehalt für die aufgeführten Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen gibt: Ein Teil der Kosten wird von der Sozialversicherung oder der SWO bezahlt und der Rest wird von der Person mit Behinderung bzw. der Familie der Person getragen. Der Selbstbehalt wird jedes Jahr im iranischen Jahreshaushalt festgelegt.
Nachstehend wird eine Tabelle mit einer Übersicht über Wohltätigkeitsorganisationen bereitgestellt, die in den Bereichen Unterstützung, Interessenvertretung, Bildung, Rehabilitation und andere Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen tätig sind. Die aufgeführten Organisationen sind in verschiedenen Regionen Irans tätig. Die meisten von ihnen sind auf Spenden und Wohltätigkeit angewiesen [Anm.: s. Anhang].
II.2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Person des BF, seinen beiden bisherigen Verfahren auf internationalen Schutz beruhen auf dem unstrittigen Akteninhalt des gegenständlichen Verfahrens und jenem zu Zl. W259 2211543-1, -2 und -3. Weiters basieren die Feststellungen auf aktuellen Auszügen aus dem GVS und dem Strafregister.
Die Feststellungen zur Einreise des BF und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet konnten aufgrund des unstrittigen Akteninhaltes getroffen werden. Die Feststellungen zum Vorverfahren auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem diesbezüglichen Akt des Verwaltungsgerichts zum ersten Verfahren.
Dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkam und einen Folgeantrag auf internationalen Schutz stellte, ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.
Die ehrenamtliche Betätigung des BF folgt aus der vorgelegten Bestätigung (OZ 16).
Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes und der Medikation sowie seiner 80%-Behinderung liegen sind ein Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 24.09.2020, ein Psychiatrischer Befund des sozialpsychiatrischen Ambulatoriums Ottakring vom 25.05.2023, sowie weitere Befunde und ärztliche Bestätigungen, vorgelegt mit OZ 15, OZ 16 und OZ 24 aktenkundig.
Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des BF:
Die Feststellung, dass der BF nicht glaubhaft machen konnte, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Im vorliegenden Fall stellte der BF bereits im Jahr 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, dass er im Iran Personen unterrichtet habe, die aus dem Islam ausgetreten seien und ihre Religion gewechselt hätten, weshalb er von zivilen Personen bedroht worden sei. Er habe sich auch auf der Universität kritisch gegenüber der Regierung bzw. dem System geäußert. Sein Unterricht sei als politisch motiviert angesehen worden.
Bereits der erste Antrag auf internationalen Schutz des BF wurde abgewiesen und das gesamte Vorbringen als nicht glaubhaft gewertet. Es wurde festgestellt, dass der BF im Iran nie einer individuellen konkreten Verfolgung oder Bedrohung, insbesondere aufgrund seiner Lehrtätigkeit in der Universität bzw. seiner Tätigkeit, ausgesetzt war. Zudem wurde festgestellt, dass der BF dem islamischen Glauben angehört. Der BF vermochte insgesamt kein nachvollziehbares Vorbringen zu seinem Fluchtgrund darzustellen, was ausführlich im Rahmen der Beweiswürdigung gewürdigt wurde.
Seinen gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz begründete der BF anlässlich der Antragstellung damit, dass er im Bundesgebiet nun zum Christentum konvertiert sei. Zu Ostern 2022 werde er voraussichtlich getauft werden. Ihm drohe im Iran die Todesstrafe. Aus einer Stellungnahme zum Folgeantrag geht hervor, dass der BF der katholischen Glaubensgemeinschaft angehört. In der Einvernahme führte er diesen (Nach)Fluchtgrund näher aus.
II.2.1. Zum Fluchtvorbringen im Zusammenhang mit der Konversion des BF zum Christentum:
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung prüfte das erkennende Gericht eingehend die vom BF im Folgeantrag nunmehr vorgebrachte Konversion und befragte den BF zu seiner Motivation für den Glaubenswechsel, seinem Wissen in Bezug auf das Christentum, seinen Gottesdienstbesuchen und sonstigen religiösen Aktivitäten und einer allfälligen Verhaltens- und Einstellungsänderung. Die Befragung widmete sich der Glaubensüberzeugung des BF sowohl im Hinblick auf eine öffentliche Ausübung des Glaubens als auch auf die persönliche, innere Beziehung zum Christentum.
Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens kann nicht festgestellt werden, dass der BF aus innerer Überzeugung heraus zum Christentum konvertiert ist und eine christliche Glaubensüberzeugung verinnerlicht hat.
Zunächst konnte der BF seine Motivation für einen Glaubenswechsel nicht überzeugend darlegen: Es fällt auf, dass der BF einen Wunsch, zum Christentum zu konvertieren, im ersten Verfahren nicht vorgebracht hat. Nach Durchsicht all seiner Angaben in diesem ersten Verfahren, insbesondere jene anlässlich der Einvernahme am 09.08.2018 vor dem BF, jene in der mündlichen Verhandlung am 18.09.2019 und in seiner Beschwerde vom 19.12.2018 kann festgehalten werden, dass der BF dort lediglich eine Verfolgung durch die Religionspolizei vorgebracht hat, weil er im Iran Personen unterrichtet habe, die aus dem Islam ausgetreten seien und ihre Religion gewechselt hätten. Dass der BF selbst ein Interesse für das Christentum entwickelt hätte, kann seinen Angaben im gesamten ersten Verfahren nicht ansatzweise entnommen werden.
So gab er anlässlich der Einvernahme ohne jegliche Einschränkung an, Moslem (Schiit) zu sein, und an anderer Stelle: „Ich bin nicht wie andere Personen, die von Anfang an einen Asylantrag stellen wollen. Ich habe nicht angegeben, fälschlicherweise meine Religion gewechselt zu haben.“ Ähnlich gestalten sich die Aussagen des BF in der mündlichen Verhandlung: „RI: Welcher ethnischen Gruppen bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an? Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher? BF: Ich bin ein Gilani und Moslem.“ Ebenso ging der BF in seiner Beschwerde vom 19.12.2018 uneingeschränkt davon aus, schiitischer Moslem zu sein.
Vor diesem Hintergrund sind die in Einvernahmen und Stellungnahmen im gegenständlichen Verfahren aufgestellten weitwendigen Behauptungen des BF, er sei wegen des Wunsches, sich hier taufen zu lassen, nach Europa ausgereist, und habe schon im Iran ein tiefes Interesse für das Christentum entwickelt, zB. durch den Besuch einer christlichen Schule und dem Lesen der Bibel seines Vaters, und er habe „im Christentum gelebt“ (zB Einvernahme 20.12.2021, müVH, 10) schlicht unglaubwürdig. Der BF versuchte in der mündlichen Verhandlung in nicht plausibler Weise den Eindruck zu vermitteln, dass er im Geheimen schon bei seiner Einreise den Wunsch gehegt habe, sich taufen zu lassen („R: Welchen Bedeutung hatte Ihr Interesse/Hinwendung zum Christentum beim Verlassen des Iran im Jahr 2016? BF: Ich habe im Christentum gelebt. Ich muss leider jetzt wieder zurück zu meinem Vorbringen im ersten Verfahren. Ich habe ja damals im Bereich Recht auf der Universität unterrichtet und mein Assistent ist derzeit im Gefängnis. Einer dieser Grund geht zurück zu der Tatsache, dass im Islam ein Mann sich mehrere Frauen nehmen kann, aber in der Bibel steht, dass der Mann sich von seiner Frau nicht scheiden lassen kann und das betrifft auch die Frau.“).
Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, dass der BF in seinem ersten Verfahren uneingeschränkt bestätigt, Moslem zu sein, wie etwa in der mündlichen Verhandlung am 18.09.2019, ohne diese Angaben in irgendeiner Weise zu relativieren, dass er sich aber für das Christentum interessiert und sich taufen lassen möchte, wenn er tatsächlich ein Interesse für das Christentum gehabt hätte oder dies in irgendeiner Weise mit ein Grund für seine Ausreise gewesen wäre.
Wenn der BF in der mündlichen Verhandlung dazu aussagt, dass er erst eine katholische Kirche und dann noch dazu eine farsi-sprechende Gemeinde habe suchen müssen (müVH, 12), erklärt dies nicht, weshalb der BF nicht einmal ansatzweise von einem Interesse für das Christentum berichtet hat.
Abgesehen davon wurde der BF sowohl von der Behörde als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nach seiner Motivation für den Glaubenswechsel befragt; er BF konnte dazu keine überzeugenden Angaben machen und berief sich lediglich auf seinen formalen Austritt aus dem Islamischen Glaubensgemeinschaft (Einvernahme 20.12.2021, 7). Die Frage nach den inneren Gründen, die den BF dazu bewogen haben, sich dem Christentum hinzuwenden, blieben stets unbeantwortet, bzw. beantwortete der BF diese oberflächlich mit der „Suche nach Liebe“.
Bezeichnend ist auch, dass der BF die Frage, warum er sein Interesse für den christlichen Glauben nicht im ersten Asylverfahren bereits angegeben hat, damit beantwortete, dass er nicht gewusst habe, dass sein christlicher Glaube ein Asylgrund sei. Diese Aussagen stehen noch dazu im gravierenden Widerspruch zu seinen Angaben im ersten Verfahren, „Ich bin nicht wie andere Personen, die von Anfang an einen Asylantrag stellen wollen. Ich habe nicht angegeben, fälschlicherweise meine Religion gewechselt zu haben.“, die nahe legen, dass dem BF wohl bewusst war, dass ein Wechsel der Religion Auswirkungen auf das Ergebnis eines Asylverfahrens haben kann.
Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der BF seine Abwendung vom Islam und Hinwendung zum Christentum primär als formale Akte betrachtet (Austritt aus der IGÖ, Taufe) und er Fragen nach einer inneren Motivation nicht hinreichend beantworten kann (R: Wann haben Sie sich nun dem Christentum zugewendet? Bzw. sich vom Islam abgewendet? BF: Hier in Österreich hat man es mir gesagt, wie ich es gemacht habe, weiß ich nicht mehr, entweder über das Magistrat oder das Rathaus. R: Sie sprechen jetzt vom offiziellen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft? BF: Ja. R: Ich möchte aber wissen, seit wann Sie sich vom Herzen als Christ fühlen. BF: Um ein Christ zu werden, muss man zuerst getauft werden. Auch wenn man die Bibel auswendig kann, reicht das nicht, dass man sich als Christ bezeichnen kann. Die Voraussetzung dafür ist, dass man getauft wird. Dem zu Folge kann man sagen, dass ich seit ich hier getauft worden bin, ein Christ bin. Aber diese Informationen habe schon vor ungefähr 42 Jahre erhalten.“).
So bleibt festzuhalten, dass ein Interesse des BF für das Christentum mit dem negativen Ausgang seines ersten Asyl-verfahrens zusammenfällt bzw. sich erst dann entwickelt hat, als sein erstes Verfahren negativ abgeschlossen wurde, was ein erstes Indiz für Hinwendung zum Christentum aus asyltaktischen Gründen ist.
Auch das Wissen des BF in Bezug auf das Christentum, bzw. was das Christentum vom Islam unterscheidet oder welche Gemeinsamkeiten bestehen, ist äußerst lückenhaft: So konnte der BF keine substanziellen Angaben zu wesentlichen Unterschieden Islam/Christentum machen (Einvernahme 20.12.2021, 11). In der mündlichen Verhandlung konzentrierte der BF seine Angaben dazu auf rechtliche Unterschiede in der Behandlung von Männern und Frauen in Bezug auf zB. Eheschließungen, Teilnahme an Sportveranstaltungen, Schadenersatz und konnte auch damit kein überzeugendes Bild einer inneren Ablehnung des Islam zeichnen (müVH, 12). Befragt zu Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Islam und Christentum antwortete der BF oberflächlich: „BF: Beide glauben an einen Gott, aber Unterschiede gibt es jede Menge. Im Islam gibt es keine Dreifaltigkeit, im Islam gibt es die 7 Sakramente auch nicht, es gibt zwar welche, aber nicht auf die gleiche Weise wie im Christentum.“. Die Frage nach allfälligen Sakramenten wurde vom BF auch nur sehr rudimentär beantwortet, ebenso jene zur Bedeutung von Abraham für diese Religionen (müVH, 12f).
Nur unzureichend konnte der BF weiter etwas zur Entstehung der Katholischen Kirche und zu Unterschieden zwischen den Katholiken und den evangelischen Christen sagen (müVH 13: R: Was können Sie mir über die Entstehung der katholischen Kirche sagen? Warum haben Sie sich gerade für diese Kirche entschieden? BF: Wie gesagt, ich habe schon in meiner Kindheit eine armenische Schule besucht und habe auch diesen Weg weiter verfolgt. Meine Bibel habe ich von einem Protestanten erhalten und leider wird bei den Protestanten die Maria nicht als heilig betrachtet. Die Protestanten stellen zwar Fragen, aber erwarten keine Antwort.“ „R: Kennen Sie die Unterschiede zwischen den Katholiken und den evangelischen Christen? BF: Sie erkennen die Maria nicht als Heilige an, dass ist der größte Unterschied. Sie haben auch ein anderes Bild über Christus und ich habe mich nie wirklich für den Protestantismus interessiert und habe nicht viele Informationen darüber. Ich habe mich schon von Anfang an für den Katholizismus interessiert.).
Der BF konnte auch Fragen nach der persönlichen Bedeutung des Christentums nur sehr oberflächlich beantworten, wenn der BF etwa meint, dass es im Christentum um Liebe und Freundlichkeit, im Islam dagegen um Gewalt gehe und das Christentum seine Bedürfnisse viel mehr anspreche und dass die Bedeutung des Christentums für ihn sei, sich als Mensch besser kennen zu lernen (Einvernahme 20.12.2021, 8f). Auch Fragen zu Inhalten des Alten Testaments oder für den BF wesentlichen Bibelstellen daraus blieben weitgehend unbeantwortet („R: Was sind die Inhalte der 5 Bücher Moses? BF: Die 10 Gebote sind beinhaltet. R: Welche wesentlichen Bibelstellen aus dem AT können Sie mir nennen? BF: Wie gesagt, die Psalmen, Baruch und Ezechil, ich erinnere mich nicht mehr genau an die Details.“). Andere Bibelstellen, insbesondere jene zum Verhältnis von Gott zu seinem Volk, konnte der BF nur oberflächlich wiedergeben (müVH, 14).
Der BF konnte auch den Aufbau einer christlichen Messe in seiner Kirche nur ansatzweise beschreiben (müVH, 14) und der BF war nicht in der Lage, über die wesentlichen Glaubensinhalte der katholisch/christlichen Religion sinnvoll Auskunft zu geben (R: Wenn Sie das Landsleuten erklären müssten: Was sind die Eckpfeiler, die wesentlichen Glaubensinhalte der katholisch/christlichen Religion? BF: Die Frage kommt mir bekannt vor. Ich habe schon vorher das Gleichnis vom Bauern erzählt und das besagt ja, wie unterschiedlich die Überzeugungen sind. Das schönste Beispiel ist ja das Gleichnis, wo es unterschiedliche Herzen mit unterschiedlichen Bedingungen gibt. Jeder Mensch trägt einen gewissen Judas in seinem Herzen. Jesus hatte ihn ausgesucht und er hatte ihn verraten. Dieses leugnen und verraten basiert auf etwas Teuflischem.“).
Insgesamt konnte die erkennende Richterin keinen Eindruck erhalten, warum sich der BF für das Christentum katholischer Richtung entschieden hat und was diese neue Religion für den BF ausmacht.
Was die Gottesdienstbesuche und sonstigen religiösen Aktivitäten des BF anlagt ist zu sagen, dass er zwar regelmäßig Glaubenskurse und den Gottesdienst besucht. Das hat auch der Zeuge, ein Seelsorger der persisch/afghanisches Gemeinde für die Erzdiözese Wien (katholische Kirche) bestätigt. Zu seinen Aussagen ist allerdings vorweg festzuhalten, dass angesichts der Umstände, dass die Kommunikation zwischen dem BF und dem Zeugen vorwiegend mit Unterstützung eines Dolmetschers oder auf Deutsch (wobei der BF ein Niveau von etwa B1 aufweist) funktioniert, nicht davon ausgegangen werden kann, dass tiefergehende Gespräche über verschiedenste religiöse Themen einwandfrei möglich sind. Dem entsprechend beantwortete der Zeuge die Fragen der Richterin nach seinem Eindruck über die innere Glaubenseinstellung des BF primär damit, dass der BF viele Fragen stellt, die Bibel verstehen möchte, mit seinem grundsätzlich zufriedenen und innerlich gestärkten Wesen (der BF beklage sich nie, obwohl er in einer schwierigen Situation sei), seine ständigen Anwesenheiten, seine Bereitschaft, in der Kirche Dienste zu übernehmen, und sein klares Bekenntnis zum Christentum. Letztlich beschränken sich die Angaben des Zeugen damit auf äußerlich sichtbare Hinweise eines Engagements, das nicht unbedingt von einer inneren Glaubensüberzeugung getragen sein muss und die in Zusammenschau mit den übrigen Indizien für eine echte Hinwendung zum Christentum gesehen werden müssen.
Zu diesem weiteren Indizien zählen auch allfälligen Verhaltens- und Einstellungsänderung nach Konversion zum Christentum. Der BF konnte auch dazu insgesamt keine überzeugenden Angaben machen, was seine Aussagen in der müVH zeigen: „R: Wie zeigen Sie durch Ihre Lebensführung, dass Sie Christ sind? Wie hat der Glaubenswechsel Sie als Mensch geprägt oder verändert? BF: Schauen Sie, ich mag nicht lügen und ich habe auch schon am ersten Tag dem Pfarrer gesagt, dass ich weder eine Tätowierung haben, eine Kette oder Ring besitze. Ich versuche es durch meine Lebensweise und mein Verhalten gegenüber Mitmenschen, das Richtige zu tun.“ Näher befragt zu dieser Verhaltensweise erläuterte der BF im Wesentlichen, dass er aggressives Verhalten ihm gegenüber ohne Aggression beantworte und gelassen reagiere. Das passt zwar in das Bild, das auch der Zeuge vom BF gezeichnet hat, wonach der BF in der Kirchengemeinde grundsätzlich als gelassener Mensch auftritt. Zum einen sagt das aber wenig über die tatsächliche Glaubensüberzeugung aus, und zum anderen berichten andere Quellen (so zB der mit Stellungnahme vom 10.10.2024 vorgelegte Sozialbericht zum BF) über die teilweise durchaus schwierige Betreuungssituation, und dass der BF wegen seiner Erkrankungen und Einschränkungen in seinem Auftreten manchmal misstrauisch, überheblich und herablassend wirke.
Letztlich ergibt sich aus einer Zusammenschau der relevanten Kriterien (Motivation für den Glaubenswechsel, Wissen in Bezug auf das Christentum, Gottesdienstbesuche und sonstige religiöse Aktivitäten, allfällige Verhaltens- und Einstellungsänderung) im konkreten Fall nicht, dass beim BF von einer echten Konversion zum Christentum auszugehen wäre, die von einer inneren Überzeugung getragen ist.
Festzuhalten ist auch, dass sich aus den zahlreichen Stellungnahmen, die der BF nach der mündlichen Verhandlung eingebracht hat, keine substantiierten Hinweise auf eine weiter fortgeschrittene Konversion ergeben haben, die allenfalls eine fortgesetzte mündliche Verhandlung notwendig gemacht hätten. Er berief sich immer auf seine erfolgte Taufe und den Besuch von Gottesdiensten, was ohnehin nicht angezweifelt wird, was aber für sich aber nicht ausriechend für eine echte Konversion ist. Auch dass der BF, wie in einigen Stellungnahmen betont wird, in der Kirchengemeinschaft Halt findet, sagt letztlich nichts über eine innere Glaubensüberzeugung aus.
II.2.2. Zum Fluchtvorbringen im Zusammenhang mit der exilpolitischen Tätigkeit:
In der Beschwerde behauptet der BF, in Österreich an Demonstrationen und Kundgebungen nach dem Tod von Mahsa AMINI teilgenommen zu haben.
Aber auch dieses Vorbringen macht eine Verfolgung im Iran nicht wahrscheinlich:
Zunächst ist im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Teilnahme an Demonstrationen auszuführen, dass der BF erstmals in der Beschwerde vorbrachte, dass er an mehreren Solidaritätskundgebungen in Wien gegen die Niederschlagung der Protestbewegung im Iran nach dem Tod von Mahsa Amini und den massiven Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Unterdrückung der Protestbewegung teilgenommen habe (S. 5 der Beschwerde). Zuvor erwähnte der BF keinerlei politisches Interesse oder politische Aktivität, bzw. vereinte im ersten Verfahren überhaupt, ein politischer Mensch zu sein.
Hinzu kommt, dass der BF auf konkrete Nachfrage im Rahmen der Beschwerdeverhandlung angab, dass er – wie bereits im Erstverfahren angegeben – nach wie vor nicht politisch sei (VH S. 23) und erwähnte dabei mehrfach, dass er keiner Partei angehöre (VH S. 23f).
Generell konnte der BF nur wenig Details über seine Demonstrationsteilnahme wiedergeben und war sein Vorbringen nur vage und wenig konkret, wodurch Zweifel an der Glaubhaftigkeit und insbesondere auch an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der politischen Aktivitäten des BF entstanden. So konnte er nicht angeben, wann er an den Demonstrationen teilgenommen habe (VH S. 24) und wer der Veranstalter dieser Demonstrationen war (VH S. 25). Der BF gab selbst an, die Informationen zu den Demonstrationen lediglich von einem Freund erhalten zu haben (VH S. 25). Selbst hatte der BF offenkundig keine genauen Informationen zu den Veranstaltungen und zeigte diesbezüglich auch kein besonderes Interesse. Dies ergibt sich unter anderem aus dem Vorbringen des BF, wonach er im Anschluss an die Veranstaltungen im Museumsquartier seinen Freund gefragt habe, wer überhaupt dafür zuständig war (VH S. 25). Offenkundig ging der BF ohne besonderes Hintergrundwissen auf die Demonstrationen, von denen ihm sein Freund berichtete und erhielt teilweise erst danach weitere Informationen darüber.
Zudem gab der BF an, an lediglich fünf Demonstrationen teilgenommen zu haben (VH S. 24), woraus sich ebenso keine Ernsthaftigkeit der politischen Aktivität des BF ergibt. Abgesehen von einem Freund, dem früheren Nachbarn des BF, konnte der BF auch keinerlei Zeugen für seine Demonstrationsteilnahme nennen (VH S. 25).
Aus den Länderberichten (vgl. LIB, Rückkehr, Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022) ergibt sich generell, dass die Behörden abgelehnten Asylwerbern bei ihrer Rückkehr nach Iran im Allgemeinen wenig Beachtung schenken. Weiters wird davon ausgegangen, dass ihre Aktivitäten von den iranischen Behörden nicht routinemäßig untersucht werden. Ein Verfolgungsinteresse besteht an Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, was primär von der Art der Aktivität im Ausland abhängt, und ob damit dem Regime tatsächlich geschadet werden kann. Überhaupt gibt es nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen. In Einzelfällen war feststellbar, dass Rückkehrer bei niederschwelligem Verhalten und beim Abstandnehmen von politischen Aktivitäten keine ernsthaften Repressalien zu gewärtigen hatten. Ein von CEDOCA befragter Experte geht davon aus, dass die iranischen Behörden Bildmaterial von Teilnehmern an Demonstrationen im Ausland sammeln, betont aber, dass er bislang [Stand 18.11.2022] keine Beweise gesehen hat, wonach sie dann die abgebildeten Personen tatsächlich verfolgen. Laut dieser Quelle ist es unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele betrachten. Derselbe Experte gibt jedoch an, dass er sich hinsichtlich Personen, die an den Protesten teilgenommen haben und nach Iran zurückkehren, Sorgen machen würde, wobei dies nicht bedeutet, dass diese Personen bei der Rückkehr sofort verhaftet werden. Dies hänge eben vom Profil der Personen ab. Exponierte Personen, wie Organisatoren von Protesten oder Anführer von Demonstrationen, würden bei einer Rückkehr „auf Probleme stoßen“, so würden etwa ihre Konsularangelegenheiten nicht mehr bearbeitet. Dem LIB zufolge sind jedoch im Zusammenhang mit den Mitte September 2022 ausgebrochenen Protesten bislang keine derartigen Fälle von Repressalien bekannt. Die Behörden überwachen Aktivisten im Exil, haben aber nicht die Kapazitäten, alle von ihnen zu überwachen. Das Regime setzt auf Grundlage seiner Interessen Prioritäten. Bestimmend ist der Einfluss, den eine Person hat, wobei hierbei insbesondere zwei Faktoren ausschlaggebend sind: Zugang zu öffentlicher Aufmerksamkeit und Verbindungen zum Heimatland. Im Allgemeinen sind vor allem Führungspersönlichkeiten und Organisatoren im Focus, dh. Personen, die eine Gruppe oder Partei anführen oder Personen, die von einer Gruppe von Menschen gehört werden. Ebenso können die Familienangehörigen von politischer Aktivisten ins Visier genommen werden.
Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich vereinzelt an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele betrachten und verfolgen.
Der BF brachte im Verfahren zu keinem Zeitpunkt vor, bei den Demonstrationen eine leitende Funktion übernommen zu haben und ergab sich jedenfalls keine besonders exponierte Stellung des BF, die die Aufmerksamkeit iranischer Behörden auf sich ziehen würde.
Aus der Teilnahme des BF an Demonstrationen gegen das iranische Regime im Bundesgebiet ergibt sich daher insgesamt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr.
Weitere Fluchtgründe wurden vom BF im Verfahren nicht vorgebracht und sind auch amtswegig nicht erkennbar.
II.2.3. Zu einer Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Der Gesundheitszustand und die Medikation des BF sowie besonders das Vorliegen einer 80%-Behinderung ergeben sich – wie oben erwähnt – aus einem Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 24.09.2020, sowie einem Psychiatrischer Befund des sozialpsychiatrischen Ambulatoriums Ottakring vom 25.05.2023, und weiteren Befunden und ärztlichen Bestätigungen, vorgelegt mit OZ 15, OZ 16 und OZ 24.
Hinsichtlich seiner 80% Behinderung liegt eine ärztliche Bestätigung vor, dass der BF in täglich in vielen Belangen auf Hilfe angewiesen ist.
Der fallbezogen eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation lässt sich zwar entnehmen, dass im Herkunftsland des BF Zulagen für Menschen mit Behinderungen gewährt werden sollen, doch ergibt sich daraus auch, dass iranischen iranische Menschen mit Behinderungen aufgrund von Haushaltszwängen und Ressourcenbeschränkungen nicht immer die vollen Leistungen erhalten und dass Budgets für Unterstützungsleistungen gekürzt werden.
Was sich aus den Einvernahmen und Stellungnahmen des BF ergibt, verfügt der BF im Herkunftsland über keine Angehörigen, die ihn bei einer Rückkehr zumindest anfänglich unterstützen könnten, zumal seine Onkel und Tanten nicht mehr erwerbstätig, sondern in Pension sind und der BF keinen Kontakt zu ihnen hat. Sein Bruder ist mittlerweile in der Türkei aufhältig. Der BF und sein Bruder verfügen zwar über eine geerbte Eigentumswohnung, die Miete in Höhe von ca. 75 EUR/monatlich fließt allerdings dem Bruder in der Türkei zu.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
II.3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen keine gegenteiligen Bestimmungen enthalten sind, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
II.3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
Mit Beschluss vom 16.03.2022, Zl. EU 2022/0001-1 (Ro 2020/01/0023) hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorzulegen, ob Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung), ABl. L 337 vom 20.12.2011. S. 9-26, dahin anzulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaates, wonach einem Fremden, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind, entgegensteht.
Der EuGH hat am 29.02.2024, C-222/22, entschieden, dass Art 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (QualifikationsRL) dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eines Folgeantrags im Sinne von Art 2 Buchst q der Richtlinie 2013/32/EU AsylverfahrensRL der auf eine Verfolgungsgefahr gestützt wird, die auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat, von der Voraussetzung abhängig macht, dass diese Umstände Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung des Antragstellers sind.“ (Pressemitteilung vom 01.03.2024). § 3 Abs. 2 AsylG 2005 hat insofern unangewendet zu bleiben.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0370). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. 23.09.1998, Zl. 98/01/0224).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.
Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233, mwN).
Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen ergibt sich für den konkreten Fall Folgendes:
II.3.2.1. Konversion zum Christentum:
Eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention kann gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Ein in der Praxis häufiges Beispiel für sogenannte subjektive Nachfluchtgründe ist die (meist im Zufluchtsstaat erfolgende) Konversion zum Christentum insbesondere bei Asylwerbern aus islamischen Staaten. Auch wenn in einem solchen Fall der Nachweis einer (religiösen) Überzeugung, die bereits im Heimatstaat bestanden hat, nicht erbracht werden kann, drohen dem Antragsteller bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat gegebenenfalls Sanktionen, die von ihrer Intensität und ihrem Grund her an sich asylrelevant sind. Die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt in diesen Fällen nicht darauf ab, ob die entsprechende Überzeugung bereits im Heimatland bestanden hat (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675). Vielmehr ist bei der Frage der asylrechtlichen Relevanz einer Konversion zum Christentum wesentlich, ob der vom Islam zum Christentum Übergetretene bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230; 07.05.2018, Ra 2018/20/0186).
Bei einer Konversion ist zu prüfen, ob diese allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (ua VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0426; VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0117 mwN; in diesem Sinne auch VfGH 12.12.2013, U 2272/2012). Mangelndes religiöses Grundwissen kann für das Vorliegen einer Scheinkonversion sprechen, ist aber alleine nicht ausreichend (VwGH 14.11.2007, 2004/20/0215; 14.11.2007, 2004/20/0485). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (VwGH 21.04.2021, Ra 2021/18/0155).
Im gegenständlichen Fall wurde im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, dass beim BF nicht davon ausgegangen werden kann, dass er aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist.
II.3.2.2. Zur Verfolgung aufgrund der exilpolitischen Tätigkeit
Wie bereits beweiswürdigend eingehend ausgeführt, ergibt sich auch aufgrund der vereinzelten Demonstrationsteilnahme des BF in Österreich keine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat.
Der BF hatte bei den Demonstrationen keine besonders exponierte Stellung inne und ist daher nicht davon auszugehen, dass die vereinzelte Teilnahme an Demonstrationen ohne tatsächliches politisches Interesse zu einer Gefährdung des BF führt.
II.3.2.3. Abschließend ist festzuhalten, dass aus den amtswegigen Ermittlungen des Bundesverwaltungsgerichtes in Form von Einsichtnahmen in die relevanten Länderberichte und dem am Bundesverwaltungsgericht vorhandenen Fachwissen eine asylrelevante Verfolgung auch aus anderen, nicht vom BF vorgebrachten Gründen nicht maßgeblich wahrscheinlich ist.
II.3.2.4. Insgesamt war somit das Vorbringen des BF nicht geeignet, eine mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen darzutun, weshalb es dem BF insgesamt nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.
II.3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zahl 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zahl 95/21/0294; 25.01.2001, Zahl 2000/20/0438; 30.05.2001, Zahl 97/21/0560). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk“, wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 4.6.2021, Ra 2021/01/0008, mwN).
Des Weiteren hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 1.9.2021, Ra 2020/19/0439, mwN).
Fallbezogen war festzustellen, dass der BF an einer hochgradigen Parese und Entwicklungsrückstand der rechten oberen Extremität im oberen Rahmensatz bei verkürztem rechtem Arm mit Funktionslosigkeit leidet, weshalb ein Grad der Behinderung von 80% festgestellt wurde. Der BF verfügt über einen entsprechenden Behindertenpass, ausgestellt von der zuständigen österreichischen Behörde. Der BF ist aufgrund seines hohen Grades der Behinderung – 80% - täglich in vielen Belangen auf Hilfe angewiesen. Der BF leidet weiter an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, zudem ist er an Diabetes Mellitus Typ II, Arterielle Hypertonie und Dyslipidämie erkrankt. Weiters war festzustellen, dass der BF über keine Angehörigen im Herkunftsland mehr verfügt, die ihn bei einer Rückkehr zumindest anfänglich unterstützen könnten, das Ausmaß der Unterstützung durch den Herkunftsstaat unklar bzw. die tatsächliche Unterstützung nicht gesichert ist und die Suche nach einer Erwerbsarbeit bzw. auch die Aufnahme einer Erwerbsarbeit aufgrund seiner medizinischen Einschränkungen, insbesondere seiner 80% Behinderung, für den BF deutlich erschwert ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr in den Iran seine grundlegende Existenz sichern könnte. Es besteht daher die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG sind im konkreten Fall gegeben.
Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG liegen nicht vor; der BF ist nicht straffällig geworden ist (Z 3 leg.cit.).
Daher war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran zuzuerkennen.
5.2.2.3. Zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung:
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom BVwG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom BFA für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Im gegenständlichen Fall ist dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran zuzuerkennen.
Daher ist dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres zu erteilen.
Da dem BF damit der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zukommt, verlieren die auf einer Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes rechtlich aufbauenden Aussprüche der belangten Behörde, die mittels Beschwerde bekämpft wurden (Spruchpunkte III. bis VI.), ihre rechtliche Grundlage, weshalb diese ersatzlos aufzuheben sind.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der
Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; zudem fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in dieser auch nicht uneinheitlich beantwortet. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde im Rahmen der Erwägungen wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.