Ra 2021/08/0006 7 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Die Rechtsprechung des EuGH steht der Verhängung kumulierter Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen hinsichtlich solcher Straftatbestimmungen, die eine zulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 56 AEUV darstellen, nicht grundsätzlich entgegen (vgl. EuGH, MT, C-231/20, insbesondere Rn. 46, 53; Maksimovic u.a., C-64/18, u.a, insbesondere Rn. 41; VwGH 10.12.2021, Ra 2020/17/0013). Gefordert ist jedoch, dass die Härte der verhängten Sanktionen - insbesondere auch vor dem Hintergrund des Art. 49 Abs. 3 GRC - der Schwere der mit ihnen geahndeten Taten entspricht, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. nochmals insbesondere EuGH 14.10.2021, MT, C-231/20, Rn. 45; vgl. auch die zu VwGH 6.5.2020, Ra 2020/17/0001, Rn. 40 ff, zitierte Judikatur; sowie zu Sanktionen gegen das Verbot des Verkaufs von Tabakerzeugnissen an Jugendliche EuGH 24.2.2022, PJ, C-452/20; zu Sanktionen für den Verstoß gegen Vorschriften im Bereich der gemeinsamen Fischereipolitik EuGH 11.1.2021, K.M., C-77/20). In Zusammenhang mit der Strafbestimmung des § 111 Abs. 1 und 2 ASVG ist zu beachten, dass ein Dienstgeber sich durch die Missachtung der Verpflichtung zur Anmeldung pflichtversicherter Personen nach § 33 Abs. 1 und 2 ASVG hinsichtlich jedes einzelnen Dienstnehmers abzuführende Beiträge zur Sozialversicherung in rechtswidriger Weise ersparen kann, wobei diese Ersparnis - abhängig von der Dauer der Beschäftigung und der Höhe des Arbeitsentgelts - durchaus auch hohe Summen erreichen kann. Die Höhe der vorgesehenen Sanktionen muss dazu in einem angemessenen Verhältnis stehen, um im Sinn der Rechtsprechung des EuGH eine wirklich abschreckende Wirkung zu gewährleisten und somit derartige Vorgehensweisen unattraktiv zu machen. Im Übrigen kann nicht unbeachtet bleiben, dass hinsichtlich jedes einzelnen Dienstnehmers bei Unterlassung der Anmeldung zur Pflichtversicherung Nachteile im Leistungsrecht zu befürchten sind. Vor diesem Hintergrund kann aber nicht zweifelhaft sein, dass im Sinn der Rechtsprechung des EuGH bzw. der daraus zu Tage tretenden Wertungen die für Verwaltungsübertretungen nach § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG iVm. § 33 Abs. 1 (bzw. § 33 Abs. 1 und 2) ASVG in § 111 Abs. 2 ASVG (iVm. § 9 VStG) vorgesehenen Sanktionen nicht bzw. jedenfalls nicht generell unverhältnismäßig sind.