Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Doblinger sowie den Hofrat Mag. Feiel und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die außerordentliche Revision der Dr. A B in C, vertreten durch die Themmer, Toth Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 15, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 18. Februar 2025, VGW 172/108/2182/2025 4, betreffend Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Wien; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Österreichische Ärztekammer hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin ist Ärztin für Allgemeinmedizin und in einem Ärztezentrum in Wien 1. beschäftigt.
2 Mit Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Wien (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) vom 19. November 2024 wurde die Revisionswerberin schuldig erkannt, sie habe dadurch, dass sie am 7., 19. und 28. März 2024 an einer näher bezeichneten Adresse in 1010 Wien, im Bereich einer Kurzparkzone ihr Fahrzeug mit dem „Arzt im Dienst“ Schild (ohne gültiges Parkpickerl oder Entrichtung einer Abgabe) abgestellt habe, ohne dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 5 StVO vorgelegen seien, das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt und damit das Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 1 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) begangen. Über die Revisionswerberin wurde dafür gemäß § 139 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt und ihr nach § 163 Abs. 1 ÄrzteG 1998 der Ersatz der mit 1.100 Euro bestimmten Kosten des Verfahrens auferlegt.
3 Gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Verwaltungsgericht, in der sie zusammengefasst die subjektive und die objektive Tatseite, das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung und einer Beeinträchtigung des Standesansehens bestritt. Zum Beweis bot sie unter anderem ihre Einvernahme als Partei an.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Februar 2025 wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
5 Begründend stellte das Verwaltungsgericht über das eingangs Ausgeführte und die Ordinationszeiten des Ärztezentrums hinaus fest, dass der Revisionswerberin ein (nummernmäßig bestimmtes) „Arzt im Dienst“ Schild ausgegeben worden sei. Sie nutze für die Fahrten zum Arbeitsplatz zwei näher bezeichnete Autos, für die kein „Parkpickerl“ für den ersten Bezirk ausgestellt sei. Sie habe am 7. März 2024 von 10:40 Uhr bis 13:00 Uhr und am 19. März 2024 von 13:57 Uhr bis 14:17 Uhr ihr Kraftfahrzeug im Bereich eines näher adressierten Parkverbots abgestellt. Hinter der Windschutzscheibe habe sich ihr „Arzt im Dienst“ Schild befunden. Am 28. März 2024 habe sie von 13:57 Uhr bis 14:17 Uhr ihr weiteres Kraftfahrzeug an dieser Örtlichkeit auf gleiche Weise abgestellt. In allen drei Fällen habe sie keinen Parkschein gelöst gehabt.
6 Diese Feststellungen so führte das Verwaltungsgericht beweiswürdigend aus ergäben sich aus dem Disziplinarakt und seien „soweit ersichtlich“ zwischen den Parteien nicht strittig.
7 Rechtlich beurteilte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen und von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Sachverhalt im Wesentlichen dahingehend, dass das der Revisionswerberin zur Last gelegte unbefugte Verwenden des „Arzt im Dienst“ Schildes entgegen der Ausnahmebestimmung des § 24 Abs. 5 StVO geeignet gewesen sei, das Ansehen der Ärzteschaft gegenüber der Gemeinschaft zu beeinträchtigen, weil dieses Verhalten den Eindruck vermitteln könne, Ärzte stünden über dem Gesetz. Dass der Revisionswerberin bei der Verwendung des „Arzt im Dienst“ Schildes ein den erforderlichen objektiven Sorgfaltspflichten entsprechendes Verhalten nicht zumutbar gewesen wäre, sei nicht hervorgekommen. Es wäre ihr leicht möglich gewesen, sich Kenntnis über die einschlägigen Bestimmungen zu verschaffen. So würden auf der Homepage der Ärztekammer Wien sogar Informationen zur richtigen Verwendung der Tafel „Arzt im Dienst“ bereitgestellt. Es seien somit auch die subjektiven Voraussetzungen für die Strafbarkeit gegeben.
8 Das Verwaltungsgericht begründete ferner näher die Strafbemessung.
9 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe nach § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt hinreichend geklärt gewesen sei bzw. die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht habe erwarten lassen und in der Beschwerde kein neues Sachverhaltsvorbringen erstattet worden sei.
10 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht fallunspezifisch mit dem Fehlen grundsätzlicher Rechtsfragen.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Eine Revisionsbeantwortung wurde in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Die Revision erweist sich entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a VwGG nicht bindenden Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG bereits in Hinblick auf das zum Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung erstattete Vorbringen als zulässig. Sie ist auch begründet.
13 Mangels abweichender Regelungen im Ärztegesetz 1998 für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in einer disziplinarrechtlichen Angelegenheit, ist die Frage des Entfalls der mündlichen Verhandlung nach der allgemeinen Bestimmung des § 24 VwGVG zu beurteilen.
14 Nach dieser Bestimmung hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).
15 Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung im Sinne des § 24 Abs. 3 VwGVG kann auch im Weg von auf die Vernehmung von Zeugen durch das Verwaltungsgericht abzielende „Beweisanträge“ gestellt werden (vgl. VwGH 5.9.2024, Ra 2021/08/0128, mwN).
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits wiederholt ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von der Durchführung einer Verhandlung absehen kann, soweit durch Bundes oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/09/0156, mwN).
17 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei einem Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz um ein Verfahren über ein „civil right“ im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK (siehe VwGH 24.4.2025, Ra 2024/09/0079, mwN).
18 Bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen haben die Parteien grundsätzlich ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheit in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird, außer wenn weder eine Tatsachen- noch eine Rechtsfrage aufgeworfen wurde, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/09/0006; 21.4.2015, Ra 2015/09/0009, jeweils mwN).
19 Die Voraussetzungen für eine Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK lagen hier nicht vor.
20 Zunächst stellte die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde einen Beweisantrag u.a. auf ihre Einvernahme als Partei, worin im Sinn der oben zitierten Judikatur ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu sehen ist, und jedenfalls nicht von einem schlüssigen Verzicht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausgegangen werden konnte.
21 Ferner bestritt sie in der Beschwerde u.a. die Verwirklichung von Verwaltungsstrafdelikten und die dafür erforderliche subjektive Tatseite.
22 Davon ausgehend konnte das Verwaltungsgericht jedoch nicht das Vorliegen eines unstrittigen Sachverhalts annehmen. Vielmehr hätte es sowohl zur Ermittlung des objektiven Tatbestands wie auch zur Überprüfung des von der Revisionswerberin behaupteten fehlenden Verschuldens jedenfalls einer Beweisaufnahme in einer mündlichen Verhandlung bedurft.
23 Zudem fehlen in dem vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt konkrete Feststellungen, aus denen sich ein Verstoß gegen § 24 Abs. 5 StVO oder aber § 6 lit. d Parkometerverordnung ableiten ließe. Dazu kommt es nämlich bereits auf Tatsachenebene auf den Zweck des Abstellens des Fahrzeuges an. Auch zur inneren Tatseite und zur bestrittenen subjektiven Vorwerfbarkeit eines Verstoßes gegen Verwaltungsvorschriften oder allfällige Regeln für das Verwenden des „Arzt im Dienst“ Schildes hätte es bereits auf Sachverhaltsebene näherer Feststellungen bedurft.
24 Das Verwaltungsgericht hätte nach dem Gesagten nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen (siehe abermals VwGH 21.4.2015, Ra 2015/09/0009, zur Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Bewertung des Ausmaßes der Schuld und zur Höhe der Disziplinarstrafe).
25 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
26 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 16. Juni 2025