JudikaturVfGH

E3443/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
25. Februar 2025
Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten an eine Staatsangehörige von Somalia; mangelnde Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen und dem Akteninhalt sowie den Länderberichten zur Situation alleinstehender Frauen im Hinblick auf drohende (weitere) geschlechtsspezifische Gewalt

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin – eine 2003 geborene somalische Staatsangehörige aus der Region Middle Shabelle – stellte am 2. April 2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen wie folgt begründete: Die Beschwerdeführerin sei Angehörige der Minderheit der Madhibaan und habe nach dem Tod ihres Vaters zunächst mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester zusammengelebt, bevor ihre Mutter zwangsverheiratet worden sei. Der Stiefvater der Beschwerdeführerin, der dem Clan der Abgaal angehöre, habe sie mehrmals verletzt und zwangsverheiraten wollen.

2. Mit Bescheid vom 3. Juli 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Zugleich erkannte es ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

3. Die ausschließlich gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 23. Juli 2024 als unbegründet ab. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer versuchten Zwangsverheiratung sei – angesichts mehrerer Ungereimtheiten – nicht glaubhaft. Ebenso wenig glaubhaft seien die Ausführungen der Beschwerdeführerin betreffend eine Diskriminierung auf Grund einer zumindest behaupteten Zugehörigkeit zur Minderheit der Madhibaan, zumal eine derart schwere Diskriminierung, wie sie die Beschwerdeführerin beschrieben habe, nicht aus den Länderberichten hervorgehe. Auf Grund des gesamthaft unglaubhaften Vorbringens lasse sich zudem nicht sagen, dass es sich bei der Beschwerdeführerin in Somalia um eine alleinstehende Frau handeln würde. Schließlich seien im Verfahren auch keine sonstigen Gründe einer aktuellen, asylrelevanten Bedrohung hervorgekommen.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Die Beschwerdeführerin brachte in ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht insbesondere vor, im Falle einer Rückkehr nach Somalia geschlechtsspezifischer Verfolgung ausgesetzt zu sein: Einerseits drohe ihr von Seiten ihres Stiefvaters, dessen Familie und dessen Clan die Zwangsverheiratung und bei Nichtbefolgung weitere Misshandlung, weshalb sie nicht mehr zu ihrer Mutter zurückkehren könne. Andererseits bestehe für die Beschwerdeführerin die Gefahr, als alleinstehende Frau erneut geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein; sie sei ohne männlichen Schutz und Anknüpfungspunkte, verfüge über keine Berufsausbildung und gehöre einer Minderheit an.

Trotz dieses Vorbringens trifft das Bundesverwaltungsgericht weder Feststellungen zu einer allfälligen Clanzugehörigkeit der Beschwerdeführerin noch zu etwaigen Familienangehörigen in Somalia. Es stellt lediglich fest, dass die Beschwerdeführerin "nicht aufgrund ihrer behaupteten Zugehörigkeit zur berufsständischen Minderheit der Madhibaan von ihrem Stiefvater und seinen Söhnen misshandelt und von der Dorfgemeinschaft entrechtet" worden und in Somalia keine alleinstehende Frau sei. Letzteres ergebe sich auf Grund ihres "gesamthaft unglaubhaften Vorbringens". Eine nachvollziehbare und nachprüfbare Beurteilung der asylrelevanten Frage, ob die Beschwerdeführerin in Somalia als "alleinstehend" gälte und hinreichenden Schutz etwa vor geschlechtsspezifischer Gewalt fände, ist jedoch – wie die Beschwerde zutreffend geltend macht – auf dieser Grundlage nicht möglich (vgl VfGH 17.9.2024, E2516/2024; 12.12.2024, E2499/2024).

3.2. Des Weiteren hat die Beschwerdeführerin – bereits vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – mehrere Befundberichte vorgelegt, die im Verwaltungsakt einliegen; aus ihnen ergibt sich, dass bei ihr eine Genitalverstümmelung diagnostiziert wurde. Eine dementsprechende Feststellung hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf Grundlage dieser Befundberichte getroffen. Mit dieser aktenkundigen Genitalverstümmelung der Beschwerdeführerin setzt sich das Bundesverwaltungsgericht aber in keiner Weise auseinander.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen festgehalten, dass es Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes gibt, nach der eine drohende Reinfibulation in Somalia nach dortigen Geburten als ein berücksichtigungswürdiger Umstand in einer Gesamtbetrachtung der individuellen Situation einer Asylsuchenden anerkannt wird, wenn auch das Bundesverwaltungsgericht zugleich betont, dass es sich dabei um eine Zusatzbegründung für eine Asylzuerkennung handelt; in dieser Rechtsprechung wird auch angemerkt, dass Reinfibulationen in Somalia insbesondere für alleinstehende Frauen asylrelevant sein können auf Grund der Notwendigkeit der Beschneidung, um in Somalia einen Ehemann finden zu können (vgl – jeweils mwN zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes – VfGH 9.6.2017, E2687/2016; 24.9.2018, E2684/2017; 23.9.2019, E1948/2018).

Wie der Verfassungsgerichtshof in diesen Entscheidungen ebenso festgehalten hat, kann – nach Einschätzung des UNHCR (vgl Guidance Note on Refugee Claims relating to Female Genital Mutilation, Mai 2009, 8 f.) – auch eine bereits vorgenommene weibliche Genitalverstümmelung eine asylrelevante Verfolgung begründen, sei es wegen schweren, oft lebenslang schädigenden Konsequenzen physischer und psychischer Art des ursprünglichen Eingriffes oder der Gefahr einer Vornahme weiterer Genitalverstümmelungen (anderer Form), etwa anlässlich einer Eheschließung oder Geburt eines Kindes.

Eine bereits vorgenommene Genitalverstümmelung rechtfertigt daher keinesfalls ohne weitere Ermittlungen die Annahme, dass die individuelle Situation der Beschwerdeführerin von vornherein nicht asylrechtlich relevant wäre und keine Beschneidung drohe (vgl erneut – jeweils mwN – VfGH 9.6.2017, E2687/2016; 24.9.2018, E2684/2017; 23.9.2019, E1948/2018). Das Bundesverwaltungsgericht wäre insofern gehalten gewesen – wie die Beschwerde zutreffend geltend macht , sich mit der – auf Grund der vorgelegten Befundberichte aktenkundigen – (schweren Form der) Genitalverstümmelung der Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher in potentiell asylrelevanten und damit entscheidenden Punkten jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.