JudikaturVfGH

E2684/2017 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
24. September 2018

Dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) ist weder zu entnehmen, dass es grundsätzlich an der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin zweifelt, noch zeigt es Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Beschwerdeführerin auf. Vielmehr stützt es seine Beweiswürdigung darauf, dass die Angaben spekulativ seien, zumal kein Kontakt zum Onkel bestehe, der die Zwangsverheiratung mit der Antragstellerin fordere, und somit die (derzeitige) Situation in Somalia ihren Verfolgungsgrund betreffend (drohende Zwangsverheiratung bzw diesbezügliche Vergeltungsmaßnahmen) nicht bekannt sei.

Der angefochtenen Entscheidung ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass weitere Ermittlungstätigkeiten zum Wahrheitsgehalt der behaupteten Zwangsverheiratung und der Beschneidung gesetzt wurden. Das BVwG setzt sich auch nicht mit der Schutzfähigkeit bzw -willigkeit des Staates hinsichtlich einer Verfolgungsgefahr durch Dritte auseinander. Vielmehr geht das BVwG ebenfalls rein spekulativ davon aus, dass ihr Bruder eine Schutzfunktion gegenüber dem Onkel einnehmen könne; dies entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach ihr Bruder bei einem Bombenangriff beide Beine verloren habe und somit behindert sei.

Das BVwG setzt sich auch nicht mit der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden, in Somalia von einer Zwangsverheiratung bedrohten Frauen auseinander. Es entspricht aber der stRspr des VwGH, "[d]ass eine Verfolgung der Revisionswerberin aufgrund 'Zwangsverheiratung' unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein kann, [...]".

Dass das BVwG auf die aktenkundige (schwere Form der) Genitalverstümmelung der Beschwerdeführerin nicht eingeht bzw jegliche Ermittlungstätigkeit in dieser Hinsicht unterlässt, kann daher nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine bereits vorgenommene Genitalverstümmelung keinesfalls bzw in der individuellen Situation der Beschwerdeführerin von vornherein, insbesondere auch nicht allein durch ihre Zugehörigkeit zum Clan der Dir (Subclan Qubees), nicht asylrechtlich relevant wäre. Eine bereits vorgenommene Infibulation schützt die Beschwerdeführerin gerade nicht vor weiteren Formen der Genitalverstümmelung (vgl E v 09.06.2017, E2687/2016).

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