JudikaturVfGH

E1948/2018 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
23. September 2019

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616, bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Im Jahr 2015 reiste die Beschwerdeführerin, eine zum damaligen Zeitpunkt minderjährige somalische Staatsangehörige, in das Bundesgebiet ein und beantrage internationalen Schutz. Die Beschwerdeführerin begründete ihren Antrag auf internationalen Schutz mit ihrer prekären Situation im Jemen. Die Familie der Beschwerdeführerin sei in den Jemen geflohen, als die Beschwerdeführerin vier Jahre alt gewesen sei, weil sie auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit (zum Minderheitenclan der Madhibaan) in Somalia diskriminiert worden sei und der Vater sowie der Bruder der Beschwerdeführerin umgebracht worden seien. Aus einem im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Gutachten aus 2016 ergab sich ein Mindestalter der Beschwerdeführerin im Untersuchungszeitpunkt von ungefähr siebzehn Jahren.

2. Mit Stellungnahme vom 17. August 2017 äußerte sich die Beschwerdeführerin dahingehend, dass die Volksgruppe der Madhibaan eine Minderheit sei und Frauen, die Minderheitenclans angehörten, besonders häufig Opfer von sexueller Gewalt seien. Im konkreten Fall trete noch hinzu, dass die Beschwerdeführerin seit ihrem vierten Lebensjahr nicht mehr in Somalia gewesen sei und dort über kein familiäres Netzwerk verfüge. Weiters wurde die Gefahr einer Beschneidung thematisiert und mit Verweis auf den UNHCR-Bericht zur weiblichen Genitalverstümmelung (UNHCR, Guidance Note on Refugee Claims relation to Female Genital Mutilation, Mai 2009) festgehalten, dass der Beschwerdeführerin als alleinstehender Frau die Defibulation sowie die Reinfibulation drohe.

3. Mit Bescheid vom 13. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) den Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Die Abweisung des Asylantrages ist im Wesentlichen damit begründet, dass die Beschwerdeführerin kein relevantes Vorbringen bezüglich einer Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat vorgebracht habe. Eine geschlechtsspezifische Verfolgung liege nicht vor, weil die Beschwerdeführerin bereits beschnitten sei. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes stützt das BFA auf die schwierige Versorgungslage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin.

4. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde macht im Kern eine geschlechtsspezifische Verfolgung der Beschwerdeführerin infolge Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen geltend. Das BFA habe jegliche Ermittlungen bezüglich einer erneuten Beschneidung der Beschwerdeführerin unterlassen. Dabei wendet die Beschwerde ein, dass der Beschwerdeführerin als alleinstehender Frau, welche über kein familiäres oder clanbezogenes Netzwerk verfüge, Verschleppung, gewalttätige Übergriffe und Zwangsverheiratung drohe und dieser Umstand nicht berücksichtigt worden sei.

5. Mit Erkenntnis vom 16. Februar 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht diese Beschwerde ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass es der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Darüber hinaus schließe sich das Bundesverwaltungsgericht den Ausführungen des BFA an, wonach auch dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer an das BFA gerichteten Stellungnahme in Bezug auf ihre Zugehörigkeit zu einer Minderheit sowie die Gefahr geschlechtsspezifischer Verfolgung keinerlei Asylrelevanz zukomme. Auf Grund der bereits im Kindesalter erfolgten Genitalverstümmelung könne eine asylrelevante Gefahr einer Verfolgung aus diesem Grund bei der Beschwerdeführerin ausgeschlossen werden. Der Umstand, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine junge und alleinstehende Frau ohne Clanschutz und familiäres Netzwerk handle, sei bereits im Rahmen der Gewährung subsidiären Schutzes berücksichtigt worden.

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) sowie auf einen effektiven Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art47 GRC) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht mit der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden, in Somalia einem Minderheitenclan angehörigen Frauen und der dadurch bedingten überproportionalen Risiken für Vergewaltigungen, Folter und Tötungen auseinander gesetzt. Auch habe das Bundesverwaltungsgericht jegliche Ermittlungstätigkeit hinsichtlich der drohenden wiederholten Genitalverstümmelung für alleinstehende somalische Frauen unterlassen und das entsprechende Vorbringen dahingehend ignoriert.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und – ebenso wie das BFA – von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr keine geschlechtsspezifische Verfolgung drohe, eine erneute Beschneidung könne auf Grund der bereits vorgenommenen Beschneidung ausgeschlossen werden. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

"Ebenso ist der belangten Behörde in der Verneinung einer asylrelevanten Gefahr von Beschneidung zu folgen, zumal die Beschwerdeführerin bereits als Baby entsprechend den im Herkunftsstaat bestehenden Traditionen beschnitten worden ist. Allgemeine Berichte zu dieser Thematik in der Beschwerde spiegeln diese Tradition wieder und wird die Richtigkeit deren Inhalts nicht bestritten. Allgemeine (nachteilige) Geschehnisse im Herkunftsstaat sind jedoch nicht geeignet, einen asylrelevanten Sachverhalt zu begründen. Dass für die Beschwerdeführerin konkret eine Gefahr der Beschneidung in Somalia anzunehmen ist, muss aufgrund des bereits erfolgten Eingriffs ausgeschlossen werden. Auch darauf hat die belangte Behörde bereits in der angefochtenen Entscheidung hingewiesen."

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat wiederholt entschieden, dass eine drohende Reinfibulation in Somalia nach dortigen Geburten als ein berücksichtigungswürdiger Umstand in einer Gesamtbetrachtung der individuellen Situation einer Asylsuchenden anerkannt wird, wenn auch das Bundesverwaltungsgericht zugleich betont, dass es sich dabei um eine Zusatzbegründung für eine Asylzuerkennung handelt (vgl zB BVwG 27.6.2016, W211 1428843-1/23E; 19.8.2016 W211 1434000-2/22E ua; 26.8.2016, W211 2116722-1/10E). In dieser Rechtsprechung wird auch angemerkt, dass Reinfibulationen in Somalia insbesondere für alleinstehende Frauen asylrelevant sein können auf Grund der Notwendigkeit der Beschneidung, um in Somalia einen Ehemann finden zu können (siehe BVwG 27.6.2016, W211 1428843-1/23E).

Nach Einschätzung von UNHCR (vgl die – auch in der Stellungnahme an das BFA abgedruckten Passagen der – Guidance Note on Refugee Claims relating to Female Genital Mutilation, Mai 2009, S. 8 f) kann auch eine bereits vorgenommene weibliche Genitalverstümmelung eine asylrelevante Verfolgung begründen, sei es wegen schwerer, oft lebenslang schädigender Konsequenzen physischer und psychischer Art des ursprünglichen Eingriffes oder der Gefahr einer Vornahme weiterer Genitalverstümmelungen (anderer Form), etwa anlässlich einer Eheschließung oder Geburt eines Kindes.

2.3. Eine bereits vorgenommene Genitalverstümmelung rechtfertigt danach aber keinesfalls ohne weitere Ermittlungen die Annahme, dass die individuelle Situation der Beschwerdeführerin von vornherein nicht asylrechtlich relevant wäre und keine Beschneidung drohe (zur Ermittlungs- und Auseinandersetzungspflicht hinsichtlich einer drohenden Genitalverstümmelung vgl zB VfSlg 18.590/2008, 19.273/2010 und – betreffend Somalia – zur von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Asylrelevanz zB VwGH 24.6.2010, 2007/01/1199; 27.6.2016, Ra 2016/18/0045).

2.4. Hinzu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht in einer die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Beschwerdeführerin verletzenden Weise eine Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin unterlässt. Die Begründung erschöpft sich in der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördlichen Erhebungen, ohne dass sich das Bundesverwaltungsgericht eigenständig mit der Frage der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden, in Somalia von einer Zwangsverheiratung bedrohten Frauen, insbesondere von Angehörigen eines Minderheitenclans, auseinandersetzt (VfGH 24.9.2018, E2684/2017; vgl BVwG 18.8.2014, W211 1404874-1 zur alleinstehenden Frau, die einem Minderheitenclan angehörte).

2.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher in möglicherweise asylrelevanten und somit entscheidenden Punkten jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, weshalb das Erkenntnis aufzuheben ist.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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