Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Abweisung eines Asylantrags einer somalischen Staatsangehörigen; mangelnde Auseinandersetzung mit dem Vorbringen (soziale Gruppe der alleinstehenden Frauen; Minderheitenclan) und Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist eine zweiundzwanzigjährige somalische Staatsangehörige und Zugehörige des Clans der Gabooye. Die Beschwerdeführerin stellte am 7. August 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zu ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin an, aus Angst vor einer Zwangsverheiratung und vor Misshandlungen durch ihren künftigen Ehemann geflohen zu sein.
2. Mit Bescheid vom 6. Februar 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte der Beschwerdeführerin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres (Spruchpunkt III.).
3. In ihrer gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei nicht auf ihr Vorbringen einer erneut drohenden Genitalverstümmelung eingegangen. Bei einer Rückkehr nach Somalia sei die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau, die einem Minderheitenclan angehöre, schutzlos der dort weit verbreiteten geschlechtsspezifischen Gewalt ausgesetzt. Die Beschwerdeführerin habe keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie und wisse nicht, wo sich diese aufhalte.
4. Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht lediglich aus, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin unglaubwürdig sei. Die Beschwerdeführerin sei nicht von einer Zwangsverheiratung bedroht und werde nicht auf Grund ihrer Clanzugehörigkeit von der Möglichkeit der Bildung, der Teilnahme am Erwerbsleben oder der Gesellschaft an sich ausgeschlossen. Aus diesem Grund bestehe keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung der Beschwerdeführerin.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), auf Leben (Art2 EMRK und 6. ZPEMRK) und keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden (Art3 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, ihr sei wegen ihrer Zugehörigkeit zu der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen der Asylstatus zuzuerkennen. Das Bundesverwaltungsgericht habe die getroffenen Länderfeststellungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsehen und Diskriminierung von Frauen in seiner Beweiswürdigung nicht berücksichtigt. Das Bundesverwaltungsgericht habe seine Entscheidung alleine auf die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin gestützt. Die Bedrohung der Beschwerdeführerin leite sich jedoch bereits – wie aus den Länderberichten hervorgehe – aus objektiven Kriterien ab.
6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm ebenfalls von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Die Beschwerdeführerin brachte in ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vor, dass sie im Fall einer Rückkehr nach Somalia als alleinstehende Frau geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sei. Sie könne weder auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen noch werde sie durch die bestehenden Clanstrukturen geschützt, weil sie einem Minderheitenclan angehöre. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab die Beschwerdeführerin an, seit ihrer Flucht keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie zu haben und nicht zu wissen, wo sich diese aufhalte.
2.2. Trotz dieses Vorbringens setzt sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit der Frage der besonderen Gefährdung von alleinstehenden Frauen durch geschlechtsspezifische Gewalt in Somalia auseinander. Dies steht im Widerspruch zu den Länderberichten, in denen auf die besondere Vulnerabilität alleinstehender Frauen, insbesondere bei Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan, hingewiesen wird (vgl Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia, Version 6 vom 8. Jänner 2024: "Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das i. d. R. enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. […] Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar."). Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt jegliche Feststellungen und Auseinandersetzungen zur Frage, ob die Beschwerdeführerin den Schutz von Familienangehörigen in Somalia in Anspruch nehmen und ob sie zu diesen zurückkehren kann, ohne geschlechtsspezifischer Gewalt oder einer erneuten Genitalverstümmelung ausgesetzt zu sein (vgl VfGH 24.9.2018, E2684/2017, zur besonderen Bedeutung des familiären Schutzes; VfGH 23.9.2019, E1948/2018, zur Zugehörigkeit einer alleinstehenden Frau zu einem Minderheitenclan). Das Bundesverwaltungsgericht stellt auch nicht fest, dass das – vom Fluchtvorbringen der Zwangsverheiratung unabhängige – Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie keine Möglichkeit habe, Kontakt zu ihren Familienangehörigen aufzunehmen, und nicht wisse, wo sie sich aufhielten, unglaubwürdig ist. Eine nachvollziehbare und nachprüfbare Beurteilung der asylrelevanten Frage, ob die Beschwerdeführerin in Somalia als "alleinstehend" gilt und hinreichenden Schutz, etwa vor geschlechtsspezifischer Gewalt, finden kann, ist auf dieser Grundlage nicht möglich.
2.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der – besonders vulnerablen – alleinstehenden somalischen Frauen nicht beachtet und jegliche Ermittlungstätigkeit in diesem entscheidenden Punkt unterlässt, belastet es das angefochtene Erkenntnis mit Willkür.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.