JudikaturVfGH

E26/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
24. Februar 2025
Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz an einen türkischen (kurdischen) Staatsangehörigen; Außerachtlassen des Parteivorbringens, Abgehen vom Akteneinhalt sowie mangelhafte Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit der Wahlwerbung für einen Abgeordneten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Dem gemäß §63 Abs1 ZPO, §35 VfGG gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO wird stattgegeben.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und stellte am 30. April 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung gab er an, Mitglied der kurdischen "Demokratischen Partei der Völker" (HDP) gewesen zu sein. Er habe Postings zu Kurden auf Facebook verfasst. Ihm würden deshalb vier bis fünf Jahre Haft drohen. Zu den Gründen für seinen Antrag auf internationalen Schutz sagte der Beschwerdeführer in der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass er im Vorfeld der türkischen Wahlen im Jahr 2023 mit einem näher bezeichneten Abgeordneten der HDP mehrere Dörfer besucht habe. Ihm sei von den türkischen Behörden vorgeworfen worden, dass es verboten sei, für diesen Abgeordneten Wahlwerbung zu betreiben. Es sei ein Strafverfahren gegen ihn anhängig, weil ihm vorgeworfen werde, Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bzw der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zu sein.

2. Mit Bescheid vom 12. Juli 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in die Türkei fest und legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

3.1. Als erwiesen stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer in der Türkei politisch engagiert und Mitglied der HDP gewesen sei. Er habe gemeinsam mit einem türkischen Abgeordneten verschiedene Dörfer besucht und dort Wahlwerbung für die HDP betrieben. Weiters stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen Propagandaaktivitäten für eine terroristische Organisation bei einer Oberstaatsanwaltschaft anhängig sei. Der Tatzeitpunkt sei der 5. März 2023.

3.2. Die Abweisung des Asylantrages begründet das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht aus politischen Gründen eingeleitet worden sei. Der Beschwerdeführer habe im behördlichen Verfahren durchgehend angegeben, das Ermittlungsverfahren sei wegen politischer Postings auf Facebook eingeleitet worden. Wäre die Wahlwerbung in den Dörfern der wahre Grund für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gewesen, dann hätte dies der Beschwerdeführer bereits im behördlichen Verfahren schildern und seine asylrelevante Flucht mit diesem Vorbringen untermauern können. Dass das Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Wahlwerbung in Dörfern eingeleitet worden sei, habe der Beschwerdeführer aber erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht, weshalb es nicht glaubwürdig sei.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Ein derartiger Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Bei Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die staatliche Strafjustiz ist bei der Prüfung nach §3 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) zu klären, ob rechtsstaatlich legitime Strafverfolgung ("prosecution") vorliegt oder es sich um Verfolgung aus einem der Gründe des Art1 Abschnitt A Z2 GFK ("persecution") handelt. Dabei kommt es entscheidend auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung sowie die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an. Für die Beurteilung der Asylrelevanz einer staatlichen Strafverfolgung ist festzustellen, welches tatsächliche Verhalten vom Strafgericht als erwiesen angenommen wurde, welche Straftatbestände (einschließlich ihrer Strafdrohung) auf Grund dieses Verhaltens als erfüllt angesehen wurden und welche Sanktion dafür jeweils verhängt wurde. Erst diese Feststellungen bilden die Grundlage für die Beurteilung, ob die verhängten Sanktionen für die als erfüllt angesehenen Straftatbestände verhältnismäßig sind. Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es bereits aus, dass diese von den Verfolgern bloß unterstellt wird (s zu alledem VfGH 26.2.2024, E3982/2023, mwN).

3.2. Wie der Verfassungsgerichtshof zu laufenden Strafverfahren in der Türkei – insbesondere mit Blick auf den Vorwurf der Propaganda für eine terroristische Organisation – bereits mehrfach ausgesprochen hat, darf eine drohende Verfolgungsgefahr nicht allein mit dem Hinweis verneint werden, dass derzeit noch keine Verurteilung des Beschwerdeführers erfolgt sei, ohne zu prüfen, womit er bei einer Rückkehr in die Türkei voraussichtlich rechnen müsste (s etwa VfGH 17.9.2024, E624/2024, mwN).

3.3. Im vorliegenden Fall stellt das Bundesverwaltungsgericht zwar fest, dass in der Türkei gegen den Beschwerdeführer ein Strafverfahren wegen Propaganda für eine terroristische Organisation gemäß Art7 Abs2 des türkischen Anti-Terrorismus-Gesetzes anhängig sei; das Bundesverwaltungsgericht befindet es auch für glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer eine längere Haftstrafe befürchtet. Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung verneint das Bundesverwaltungsgericht aber, weil es nicht glaubwürdig sei, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Wahlwerbung eines Abgeordneten der HDP eingeleitet worden sei. Dies stützt das Bundesverwaltungsgericht tragend auf die Annahme, dass der Beschwerdeführer im gesamten behördlichen Verfahren nur politische Facebook Postings erwähnt und den Zusammenhang mit Wahlkampfaktivitäten erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht habe.

3.4. Diese Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes beruht jedoch auf einer unrichtigen Wiedergabe der Aktenlage, die den vom Gericht gezogenen Schluss nicht zu tragen vermag: Wie sich nämlich eindeutig aus der Niederschrift der Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ergibt, brachte der Beschwerdeführer bereits im behördlichen Verfahren deutlich vor, dass er Wahlwerbung für einen Abgeordneten betrieben habe und ihm von türkischen Behörden vorgehalten worden sei, dass

es verboten sei, für diesen Abgeordneten Wahlwerbung in den Dörfern zu betreiben.

3.5. Da das Bundesverwaltungsgericht somit in einem entscheidenden Punkt vom Akteninhalt abgegangen ist und es unterlassen hat, sich – unter Bezugnahme auf einschlägige Länderinformationen – mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, geht aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar hervor, woraus sich die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers im Hinblick auf die vorgebrachte politische Verfolgung ergibt. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht sein Erkenntnis mit Willkür belastet (vgl zB VfGH 27.11.2023, E2497/2023, mwN).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Dem unter einem gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist im beantragten Umfang (§64 Abs1 Z1 lita ZPO) stattzugeben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.