JudikaturVfGH

E2497/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. November 2023

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, sunnitischer Muslim und stammt aus dem Gouvernement Quneitra. Am 5. April 2021 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab er an, er habe den wesentlichen Kern seines Fluchtvorbringens in der Erstbefragung nicht vorbringen können, weil er verwirrt, hungrig und müde gewesen sei. Sodann führte er aus, er sei geflüchtet, weil das syrische Regime glaube, dass er seinen ältesten Sohn und drei seiner Schwiegersöhne überredet habe, den Militärdienst zu verweigern. Er sei vom Bürgermeister benachrichtigt worden, dass er sich bei der Militärbehörde melden müsse. Er habe Angst gehabt, inhaftiert zu werden, und sei daher ausgereist.

2. Mit Bescheid vom 4. Februar 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

3. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtete sich die in weiterer Folge erhobene Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer aus, der Ortsvorsteher habe ihm vorgehalten, dass er und seine Familie eine oppositionelle Haltung hätten, weil er bewaffnete Gruppen unterstützt und seinen Kindern geholfen habe, das Land zu verlassen und sich der Wehrpflicht zu entziehen. Nach seiner Ausreise sei seine Ehefrau von Sicherheitskräften befragt worden, wo er sich aufhalte. Am 10. Dezember 2022 seien seine Frau und zwei seiner Söhne in einer Zweigstelle der Sicherheitsabteilung des syrischen Geheimdienstes verhört worden.

4. Mit Erkenntnis vom 11. Juli 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass keine konkrete auf den Beschwerdeführer bezogene Verfolgung in seiner Herkunftsregion in Syrien festgestellt habe werden können. Erst in der niederschriftlichen Einvernahme habe der Beschwerdeführer Probleme wegen der Wehrdienstverweigerung von Familienangehörigen ins Treffen geführt. Der Beschwerdeführer sei mit diesem Umstand in der mündlichen Verhandlung konfrontiert worden und habe diese Steigerung nicht schlüssig erklären können. Dass seine ganze Familie eine oppositionelle Haltung gegenüber der Regierung habe, sei ebenfalls nicht glaubhaft. So sei nicht nachvollziehbar, dass die Familie in Syrien leben könne, obwohl ihnen ebenso eine oppositionelle Haltung unterstellt werde.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe die oppositionelle Haltung des Beschwerdeführers ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass er einem Teil seiner Kinder und Schwiegersöhne geholfen habe, sich der Wehrpflicht zu entziehen. Dass

es sich beim Beschwerdeführer um einen sunnitischen Araber handle, der aus einem ehemals regierungsfeindlichen Gebiet stamme, sei in keiner Weise gewürdigt worden.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Ein derartiger Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Auf Grundlage aktueller Länderberichte stellt das Bundesverwaltungsgericht zunächst fest, dass aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara'a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen berichtet werde. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, bestehe für alle, die sich in der Vergangenheit (system )kritisch geäußert oder betätigt oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen hätten. Aus den Länderinformationen geht zudem hervor, dass Personen, die unter dem Verdacht stünden, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, einem besonders hohen Folterrisiko unterlägen. Die vom Bundesverwaltungsgericht nicht herangezogenen Leitlinien der Asylagentur der Europäischen Union (European Union Asylum Agency – EUAA) zu Syrien vom Februar 2023 (Country Guidance: Syria, February 2023) gehen weiters davon aus, dass insbesondere Personen aus ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten unter näher genannten Umständen einem erhöhten Verfolgungsrisiko aus Gründen einer ihnen unterstellten politischen Gesinnung ausgesetzt sind (vgl aaO, S 66 f.).

3.2. In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht zur Begründung der Unglaubwürdigkeit lediglich aus, der Beschwerdeführer habe sein Fluchtvorbringen gesteigert, weil er nicht schon vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angegeben habe, dass ihm vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Aus der im Akt befindlichen Niederschrift geht jedoch hervor, dass der Beschwerdeführer bereits vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aussagte, Syrien verlassen zu haben, weil das Regime glaube, er habe seinen Sohn und seine Schwiegersöhne überredet, den Militärdienst zu verweigern. Auf die Frage, was der ausschlaggebende Grund für seine Flucht gewesen sei, antwortete der Beschwerdeführer in der Einvernahme: "Weil mein ältester Sohn […] seinen Militärdienst nicht geleistet hat und die Männer von 3 verheirateten Töchter[n] auch den Militärdienst nicht geleistet haben, war das eine Gefahr für mich, weil das Regime glaubt, dass ich meinen Sohn und meine Schwiegersöhne überredet habe, den Militärdienst nicht leisten zu sollen." Auf Grund des Akteninhaltes ist daher nicht nachvollziehbar, worin das Bundesverwaltungsgericht eine Steigerung des Fluchtvorbringens in diesem Punkt (der behaupteten Verfolgung auf Grund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung) erblickt. Das Bundesverwaltungsgericht trifft auch keine Feststellungen zur vorgebrachten Wehrdienstverweigerung der Söhne und Schwiegersöhne.

3.3. Soweit das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer überdies vorhält, er habe sein Fluchtvorbringen nicht schon in der Erstbefragung erstattet, verkennt es außerdem, dass die Erstbefragung gemäß §19 Abs1 AsylG 2005 insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich (von Folgeanträgen abgesehen) nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (s zB VfGH 19.9.2022, E2406/2021, mwN; vgl auch VwGH 16.7.2020, Ra 2019/19/0419, mwN).

3.4. Auf Grund des Akteninhaltes ist es weiters nicht tragfähig, wenn das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen auch deshalb in Zweifel zieht, weil die Familie des Beschwerdeführers in Syrien leben könne, obwohl ihr eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Dass seine Familie in Syrien unbehelligt leben könne, geht aus den Aussagen des Beschwerdeführers nicht hervor. So sagte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zum einen aus, dass seine erwachsenen Kinder Syrien ebenfalls verlassen hätten, was das Bundesverwaltungsgericht auch als erwiesen feststellt. Zum anderen gab der Beschwerdeführer an, dass seine in Syrien verbliebene Frau und zwei seiner minderjährigen Söhne vom syrischen Geheimdienst vorgeladen und verhört worden seien, wozu er auch eine Fotografie der Ladungen vorlegte, mit der sich das Bundesverwaltungsgericht gleichfalls nicht näher auseinandersetzte.

3.5. Da das Bundesverwaltungsgericht somit mehrfach vom Akteninhalt abgegangen ist und es unterlassen hat, sich – unter Bezugnahme auf einschlägige Länderinformationen – mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, geht aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar hervor, woraus sich die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers im Hinblick auf die vorgebrachte Verfolgung aus Gründen einer unterstellten oppositionellen Gesinnung ergibt. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht sein Erkenntnis mit Willkür belastet (vgl VfGH 29.11.2022, E1395/2022 ua).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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