E4624/2024 (E4624/2024-15) – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch Bestimmungen des ORF-G und des ORF-Beitrags-G 2024 betreffend die Anknüpfung der Beitragspflicht an das Bestehen eines Hauptwohnsitzes oder einer Betriebsstätte und nicht an die tatsächliche Nutzung des Angebots des ORF; gleichheitskonforme teilhabeorientierte Lastenverteilung wegen der realen objektiven Möglichkeit einer Nutzung sowie des geringen technischen Aufwands für eine Nutzungsherstellung; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Ausschluss von Mehrfachbelastungen bei Zweitwohnsitzen, die einmalige Entrichtung des nutzungsunabhängigen Finanzierungsbeitrages im Falle mehrerer an einer Adresse gemeldeter Beitragsschuldner sowie deren Haftung als Gesamtschuldner; keine Bedenken gegen die Festlegung von Gesamtbeitragseinnahmen idHv € 750 Mio und die – an die Zahl der Beitragspflichtigen gekoppelte – Festlegung einer bestimmten Beitragshöhe idHv € 15,30 für einen Übergangszeitraum; keine Bedenken gegen die Beleihung der ORF-Beitrags Service GmbH mit behördlichen Aufgaben und der Erlassung von Bescheiden zur Festsetzung der ORF-Beiträge angesichts der Weisungs- und Auskunftsrechte des Bundesministers für Finanzen; Verhältnismäßigkeit des Eingriffs von Bestimmungen des ORF Beitrags-Gesetz 2024 in das Grundrecht auf Datenschutz im Hinblick auf die zur Erhebung von Beiträgen sowie deren Eintreibung vorgesehenen Datenverarbeitungen; kein Verstoß gegen die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit durch die Verpflichtung zur Entrichtung des ORF-Beitrags angesichts der realen Möglichkeit zur Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie der Höhe der Beitragsleistung
Beantwortung der in B v 11.03.2025, E4624/2025, gemäß §86a VfGG kundgemacht in BGBl II 49/2025, gestellten Rechtsfrage:
I. §3 Abs1 ORF-Beitrags-Gesetz 2024, BGBl I 112/2023, der die Beitragspflicht im privaten Bereich für jede im Inland gelegene Adresse vorsieht, an der zumindest eine volljährige Person mit Hauptwohnsitz im Zentralen Melderegister eingetragen ist, verstößt weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.
II. §3 Abs2 ORF-Beitrags-Gesetz 2024, BGBl I 112/2023, der die an einer Adresse mit Hauptwohnsitz im Zentralen Melderegister eingetragenen volljährigen Personen zu Gesamtschuldnern iSd §6 BAO bestimmt und anordnet, dass von diesen der ORF-Beitrag nur einmal zu entrichten ist, verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.
III. Aus §31 Abs19 bis 22 ORF-Gesetz (ORF-G) idF BGBl I 112/2023 ergibt sich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Art18 Abs1 B‑VG, dass der ORF-Beitrag für den Übergangszeitraum von Gesetzes wegen festgelegt ist.
IV: Die in §10 Abs1 ORF-Beitrags-Gesetz 2024, BGBl I 112/2023, angeordnete Betrauung der ORF-Beitrags Service GmbH (OBS) mit der Erhebung des ORF‑Beitrags sowie sonstiger damit verbundener Abgaben, der Ermittlung aller Beitragsschuldner sowie der Entscheidung über die Befreiung von der Beitragspflicht entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art20 Abs1 B‑VG.
V. Die mit §31 ORF-G idF BGBl I 112/2023 und dem ORF-Beitrags-Gesetz 2024, BGBl I 112/2023, erfolgte Neuregelung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bewirkt keinen unzulässigen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung.
VI. §13 und §17 Abs7 und Abs8 ORF-Beitrags-Gesetz 2024, BGBl I 112/2023, verstoßen nicht gegen das Grundrecht auf Datenschutz.
Abweisung der Beschwerde: Keine Verletzung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm durch die bescheidmäßige Festsetzung des ORF-Beitrags.
In Folge des Erkenntnisses VfSlg 20.553/2022 ("Streaming-Lücke") hat der Gesetzgeber mit BGBl I 112/2023 die öffentlich-rechtliche Finanzierung des ORF in §31 ORF‑G neu geregelt und das ORF-Beitrags-Gesetz 2024 erlassen.
Der VfGH hegt keinen Zweifel, dass es sich beim ORF-Beitrag, der in den Gesetzesmaterialien als Geldleistungsverpflichtung bezeichnet wird, um keine Abgabe im finanzverfassungsrechtlichen Sinn handelt, da mit dem ORF-Beitrag dem ORF als mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteter Stiftung öffentlichen Rechts die Finanzierung seines Aufwandes aus dem öffentlich-rechtlichen Auftrag eröffnet wird, womit die Ertragssphäre einer Gebietskörperschaft von vornherein nicht berührt wird. Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Regelung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kann sohin aber verfassungsrechtlich zulässig auf die – Finanzierungsregelungen umfassende – Materienkompetenz des Art10 Abs1 Z9 B‑VG (Post- und Fernmeldewesen) gestützt werden.
Keine gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen die Ausgestaltung des ORF-Beitrags:
Die gesetzliche Ausgestaltung des ORF-Beitrags hat jenen Sachlichkeitsanforderungen zu entsprechen, die sich für die Materienregelung ergeben. Dies erfordert zum einen, dass der Beitrag in seiner Ausgestaltung die Finanzierung des ORF in einer Weise gewährleistet, die die im BVG Rundfunk verankerte Unabhängigkeit des ORF und die Wahrnehmung jener besonderen demokratischen und kulturellen Aufgaben (in der Terminologie des ORF-G: seines öffentlich-rechtlichen Auftrags) sichert. Zum anderen hat auch die Lastenverteilung auf die Beitragspflichtigen in einer sachgerechten, die Interessen der Beitragspflichtigen berücksichtigenden Weise zu erfolgen. Die Regelungen des ORF-G zum Finanzierungsbeitrag entsprechen diesen rundfunkverfassungsrechtlichen, die Unabhängigkeit des ORF sichernden Anforderungen:
Die Regelungen des §31 Abs1 und 2 ORF-G zum Finanzierungsbeitrag sind an den rundfunkverfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf die zu gewährleistende Unabhängigkeit, derart am Rundfunkbegriff des ArtI Abs1 BVG Rundfunk ausgerichtet, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommt und die Finanzierung der Aufgabenerfüllung gewährleistet ist.
Keine gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen die Verteilung der Finanzierungslast auf die Beitragspflichtigen durch die Regelungen des ORF-Beitrags-Gesetzes 2024:
Anders als nach der bis 31.12.2023 geltenden Rechtslage knüpft der Gesetzgeber die Beitragspflicht nicht an die Betriebsbereitschaft eines Empfangsgerätes, sondern an das Bestehen eines Hauptwohnsitzes und die Innehabung einer Betriebsstätte. Damit tritt die Beitragspflicht unabhängig davon ein, ob, in welchem Ausmaß und mit welcher Technologie der Beitragspflichtige ORF‑Programme konsumiert. Die Beitragspflicht trifft auch Personen, die über keine für den Empfang von Rundfunkprogrammen notwendigen Geräte verfügen. Die Beitragspflicht knüpft vielmehr an das Bestehen eines Hauptwohnsitzes an einer im Inland gelegenen Adresse oder an das Bestehen einer Betriebsstätte an, für die im vorangegangenen Kalenderjahr Kommunalsteuer zu entrichten war.
Das BVG Rundfunk und Art10 EMRK konstituieren eine Funktionsverantwortung des Gesetzgebers für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung. Diese soll umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten und zielt auf die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt und die Ausgewogenheit der Programme ab. Die Wahrnehmung seiner besonderen demokratischen und kulturellen Aufgabe liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Sie verschafft darüber hinaus aber potentiellen Nutzerinnen und Nutzern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Möglichkeit, jederzeit und ortsunabhängig auf die öffentlich zugänglichen Quellen der Information, des Wissens, an Unterhaltung und kulturellem Angebot des ORF zurückzugreifen.
Der Gesetzgeber verletzt daher den Gleichheitsgrundsatz nicht, wenn er die objektive Möglichkeit der Teilnahme am Angebot des ORF mit einem Finanzierungsbeitrag belastet, indem er im privaten Bereich an das Vorliegen einer im Inland gelegenen Adresse anknüpft und (auch) für den betrieblichen Bereich eine Beitragspflicht vorsieht. Hiebei bestehen dem Grunde nach gegen die Sachlichkeit einer Beitragspflicht im betrieblichen Bereich keine Bedenken, zumal Unternehmer ein betriebsspezifisches Interesse an Information haben können.
Es ist dem Gleichheitsgrundsatz somit aber kein Gebot zu entnehmen, die Belastung an die Kosten konsumierter Leistungen zu knüpfen. Auch besteht kein gleichheitsrechtliches Gebot, nach der Art des konsumierten Angebots oder der Höhe des Einkommens der Beitragspflichtigen differenzierende Beiträge vorzusehen. Entscheidend ist nach dem Gleichheitsgrundsatz, dass jene Personen der Beitragspflicht unterliegen, denen die reale objektive – von den subjektiven Präferenzen der Nutzer unabhängige – Möglichkeit zuzurechnen ist, die öffentliche Leistung der Einrichtung zu nutzen. Darauf, ob von der Möglichkeit im Einzelnen Gebrauch gemacht oder auf diese verzichtet wird, kommt es im Rahmen einer teilhabeorientierten gleichmäßigen Lastenverteilung nicht an.
Der Gleichheitsgrundsatz schließt auch nicht aus, dass eine Beitragspflicht für Personen besteht, die tatsächlich am Hauptwohnsitz bzw in der Betriebsstätte über keine Empfangseinrichtung verfügen, um Programme des ORF konsumieren zu können:
Auch ohne eine Empfangseinrichtung besteht für den Beitragspflichtigen eine reale Möglichkeit, die öffentliche Leistung zu nutzen, weil eine solche in der Regel auf Grund der Verbreitung im gesamten Bundesgebiet und des Entwicklungsstandes der Kommunikationstechnologie durch einen geringen Aufwand seitens des Beitragspflichtigen technisch hergestellt werden kann. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers gebietet der Gleichheitsgrundsatz somit nicht, die Beitragspflicht an die Innehabung einer technischen Möglichkeit zum Empfang von Rundfunkprogrammen zu knüpfen.
Dies gilt für die Beitragspflicht im privaten Bereich und im betrieblichen Bereich gleichermaßen.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Ausgestaltung der Beitragspflicht im privaten Bereich:
Der Gesetzgeber verletzt den Gleichheitsgrundsatz nicht, wenn er in §3 Abs1 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 die Beitragspflicht für jede im Inland gelegene Adresse vorsieht, an der zumindest eine volljährige Person mit Hauptwohnsitz im Zentralen Melderegister eingetragen ist. Mit dieser Anknüpfung berücksichtigt der Gesetzgeber, dass die reale Möglichkeit zur Nutzung der öffentlichen Leistung für den Beitragspflichtigen typischerweise in dessen Wohnung besteht, und schließt er zugleich – durch Anknüpfung an den Hauptwohnsitz – eine unsachliche mehrfache Belastung dieses Nutzens aus, die im Falle der Innehabung von weiteren Wohnsitzen wie etwa Zweitwohnsitzen oder Ferienwohnsitzen eintreten könnte.
Dem Gesetzgeber kann auch nicht entgegengetreten werden, wenn der Beitrag im Falle mehrerer an einer Adresse eingetragener Beitragsschuldner gemäß §3 Abs2 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 nur einmal zu entrichten ist, zumal der Beitrag – gleichheitsrechtlich unbedenklich – nicht als nutzungsabhängige, individuelle Gebühr, sondern als ein – unabhängig von einem konkreten Nutzerverhalten anfallender – Finanzierungsbeitrag ausgestaltet ist. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit der Teilhabe in einem Haushalt vielfach auch gemeinschaftlich organisiert werden kann. Es steht daher dem Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes frei, die Beitragspflicht unter Vernachlässigung potentieller Mehrfachnutzungen abstrakt auf Einheiten zu beziehen, in denen Rundfunkprogramme typischerweise angeboten und konsumiert werden können. Dass hiebei die Beitragslast je Person je nach Haushaltsgröße variiert, vermag die Sachlichkeit der Regelung schon in Anbetracht der Höhe des ORF-Beitrags nicht in Frage zu stellen.
Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die an einer Adresse mit Hauptwohnsitz im Zentralen Melderegister eingetragenen volljährigen Personen vom Gesetzgeber zu Gesamtschuldnern iSd §6 BAO erklärt werden: Da der Beitrag von jeder dieser Personen geschuldet wird, von diesen Gesamtschuldnern haushaltsbezogen aber nur einmal zu entrichten ist, kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er das dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Institut des abgabenrechtlichen Gesamtschuldverhältnisses in das Beitragsrecht nach dem ORF-G überträgt. In diesem Zusammenhang kann der Gesetzgeber von einem zwischen den Personen bestehenden wirtschaftlichen und tatsächlichen Band und daher davon ausgehen, dass die betroffene Haushaltsgemeinschaft Vorkehrungen für die Entrichtung des Beitrags trifft, widrigenfalls es der Behörde im Rahmen des von ihr zu übenden Auswahlermessens freisteht, den Beitrag gegenüber einem der Gesamtschuldner geltend zu machen. Ein im Wege des zivilrechtlichen Regresses allenfalls anschließender Ausgleich zwischen den Gesamtschuldnern spricht für die Sachlichkeit der Regelung.
Kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebots durch die Festlegung der Beitragshöhe für den Übergangszeitraum:
Ein auf Antrag des Generaldirektors gefasster Beschluss des Stiftungsrates, mit dem die Höhe des ORF-Beitrags festgesetzt wird, bedarf der Genehmigung des Publikumsrates.
Für die Jahre 2024 bis 2026 treffen die Abs19 bis 22 des §31 ORF-G Sonderregelungen: Nach §31 Abs19 ORF-G darf die Gesamtsumme der dem ORF zur Verfügung stehenden Mittel aus ORF-Beiträgen gemäß Z1 den Betrag von € 710 Mio und die Höhe des ORF-Beitrags gemäß Z2 den Betrag von monatlich € 15,30 nicht übersteigen.
Es ist offenkundig, dass sich im Zuge des Übergangs von einem "alten" gerätebezogenen Programmentgelt auf eine geräteunabhängige Finanzierung, die im privaten Bereich an den Hauptwohnsitz und im betrieblichen Bereich an das Vorliegen einer Betriebsstätte anknüpft, die finanziellen Auswirkungen der Reform nur näherungsweise schätzen lassen. Die Festlegung eines Beitrags für die erste Phase nach Inkrafttreten des Gesetzes birgt zum einen die Gefahr, dass die eingenommenen Beiträge zu einer für den öffentlich-rechtlichen Auftrag nicht hinreichenden finanziellen Ausstattung der Rundfunkanstalt führen, zum anderen, dass mehr als für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags notwendig geleistet und damit auch die Beitragspflichtigen übermäßig belastet werden.
In den Abs19 bis 22 des §31 ORF-G trifft der Gesetzgeber sachlich begründete Regelungen, um diesen Gefahren zu begegnen und zugleich für den Übergangszeitraum einen Ausgleich zwischen den Erfordernissen einer angemessenen Finanzausstattung des ORF für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und einer angemessenen Belastung der Beitragspflichtigen zu schaffen: Für den Fall, dass die Gesamteinnahmen aus den eingenommenen Beiträgen die festgelegte Obergrenze von € 710 Mio übersteigen, ist nach Abs20 ein Verfahren zur Neufestlegung des ORF-Beitrags nach den Regelungen des §31 Abs1 bis 6, 8 und 9 ORF-G und somit im regulären Verfahren mit einem Antrag des Generaldirektors einzuleiten, wenn die Prüfungskommission zum Ergebnis gelangt, dass der ORF-Beitrag nicht dem tatsächlichen Finanzbedarf entspricht. In einem solchen Fall wäre somit im Zuge eines Verfahrens nach den Abs1 bis 6, 8 und 9 leg cit zu prüfen, ob ein niedrigerer Beitrag festzulegen ist. Ergibt sich hingegen unter Einbeziehung von Widmungsrücklage und Sperrkonto, dass die Einnahmen aus dem ORF-Beitrag nicht ausreichen, um die voraussichtlichen Nettokosten bis 2026 abzudecken, sieht Abs22 ein Verfahren zur Neufestlegung eines (höheren) ORF-Beitrags nach den Regelungen der Abs1 bis 6, 8 und 9 vor.
Mit der Regelung des §31 Abs19 Z1 ORF‑G hat der Gesetzgeber somit aber nicht nur angeordnet, dass die Gesamtsumme der Beitragseinnahmen den Betrag von € 710 Mio vorbehaltlich der Abs20 bis 22 nicht übersteigen darf, sondern – unter Berücksichtigung der Vorschriften der Abs20 bis 22, deren Zweck in der Schaffung einer Möglichkeit zur Anpassung der Einnahmen an die tatsächlichen Aufwendungen für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags liegt – zugleich den Betrag iHv € 710 Mio für den Übergangszeitraum als Richtgröße für eine allfällige Neufestsetzung des Finanzierungsbeitrags festgelegt. Aus den Vorschriften der Abs20 bis 22 ergibt sich somit, dass der Gesetzgeber in §31 Abs19 Z1 ORF-G nicht nur eine Obergrenze der Gesamtbeitragseinnahmen, sondern für den Übergangszeitraum zugleich jenen für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags zur Verfügung stehenden Betrag festgelegt hat, an dem die Angemessenheit der Höhe des ORF-Beitrags auszumessen ist.
Dieser systematische Zusammenhang mit den Regelungen der Abs20 bis 22 des §31 ORF-G ist auch für die Anordnung des §31 Abs19 Z2 ORF-G zu beachten, wonach die Höhe des ORF-Beitrags den Betrag von monatlich € 15,30 nicht übersteigen darf. Auch diese Anordnung gilt vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen der Abs20 bis 22, die bei Übersteigen des Betrags von € 710 Mio ein Verfahren zur Neufestlegung vorsehen, wobei Abs20 die Voraussetzungen für eine Verringerung des ORF-Beitrags, Abs22 die Voraussetzungen für die Festlegung eines höheren Betrags regelt.
Damit hat der Gesetzgeber aber die Höhe des ORF-Beitrags für den Übergangszeitraum an die Richtgröße der Gesamtbeitragseinnahmen iHv € 710 Mio gekoppelt und zugleich die Höhe des Beitrags festgelegt: Da sich die Höhe des Beitrags aus der Verteilung der Gesamteinnahmen auf die zu erwartende Zahl an Beitragspflichtigen ergibt, hat der Gesetzgeber durch die Festlegung des für die Prüfung der Angemessenheit des Beitrags heranzuziehenden Betrages iHv € 710 Mio jährlich zugleich die im Übergangszeitraum zu vollziehende Höhe des Beitrags mit € 15,30 festgelegt.
Gestützt auf eine systematische und teleologische Auslegung der Vorschrift des §31 Abs19 ORF-G iVm Abs20 bis 22 ist somit davon auszugehen, dass der ORF-Beitrag für den Übergangszeitraum von Gesetzes wegen € 15,30 beträgt. Dieser Satz ist im Rahmen der Erhebung durch die ORF-Beitrags Service GmbH anzuwenden, solange keine Neufestsetzung des Beitrags nach den Vorschriften der Abs1 bis 6, 8 und 9 erfolgt. Eine solche Neufestsetzung ist im Übergangszeitraum nur unter den Voraussetzungen der Abs20 und 22 zulässig. Abweichungen, die sich auf Grund der nicht unsachlich erscheinenden Annahme von Schätzgrößen ex post ergeben können, vermögen die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen nicht zu beeinträchtigen, zumal der Gesetzgeber wie oben im Einzelnen dargestellt hinreichend Bestimmungen zur Anpassung der Finanzierung vorgesehen hat.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Beleihung der ORF-Beitrags Service GmbH mit behördlichen Aufgaben und der Erlassung von Bescheiden zur Festsetzung der ORF-Beiträge:
Gemäß §10 Abs1 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 obliegt der ORF-Beitrags Service GmbH als mit behördlichen Aufgaben beliehenem Unternehmen die Erhebung des ORF-Beitrags sowie sonstiger damit verbundener Abgaben, die Ermittlung aller Beitragsschuldner sowie die Entscheidung über die Befreiung von der Beitragspflicht. Der Unternehmensgegenstand der ORF-Beitrags Service GmbH gliedert sich in zwei Bereiche: Sie erfüllt einerseits die ihr durch Gesetz oder Verordnung übertragenen Aufgaben gegen angemessene Vergütung und andererseits andere Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Information der Öffentlichkeit in Belangen des Rundfunks gegen Entgelt. Die Tätigkeit der ORF-Beitrags Service GmbH unterliegt der Aufsicht des Bundesministers für Finanzen (BMF). Dazu sind Weisungs- und Auskunftsrechte des BMF gegenüber der Geschäftsführung der ORF-Beitrags Service GmbH vorgesehen. Zudem kann der BMF die Bestellung zum Geschäftsführer widerrufen, wenn ein Geschäftsführer eine Weisung nicht befolgt oder eine Auskunft nicht erteilt.
Das ORF-Beitrags-Gesetz 2024 ermächtigt die ORF-Beitrags Service GmbH zur Erlassung von Bescheiden. §12 Abs2 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 normiert ausdrücklich, in welchen Fällen ein Bescheid über die Festsetzung der Beiträge zu erlassen ist: Gemäß §12 Abs2 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 ist von der ORF-Beitrags Service GmbH im Falle einer Zahlungsaufforderung bei nicht zur Gänze fristgerechter Entrichtung oder auf Verlangen des jeweiligen Beitragsschuldners ein Bescheid über die Festsetzung der Beiträge zu erlassen. In §12 Abs3 ORF‑Beitrags-Gesetz 2024 ist vorgesehen, dass gegen die Bescheide Beschwerde an das BVwG erhoben werden kann.
Die in §10 Abs1 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 angeordnete Übertragung der Erhebung des ORF-Beitrags genügt den Anforderungen der Art20 Abs1, Art76 Abs1 und Art142 B-VG sowie sonstiger damit verbundener Abgaben auf die ORF‑Beitrags Service GmbH als mit behördlichen Aufgaben beliehenes Unternehmen, deren Anteilsrechte neben dem ORF dem Bund, vertreten durch den BMF, vorbehalten sind. Der VfGH hegt weder Zweifel an der Sachlichkeit und Effizienz der Ausgliederung noch daran, dass der ORF-Beitrags Service GmbH nicht mehr als bloß vereinzelte Aufgaben zur hoheitlichen Besorgung übertragen wurden, zumal sich ihre Aufgaben ausschließlich auf die Erhebung des ORF-Beitrags und sonstiger damit verbundener Abgaben, die Ermittlung aller Beitragsschuldner sowie die Entscheidung über die Befreiung von der Beitragspflicht beschränken. Der erforderliche Leitungs- und Verantwortungszusammenhang ist gewährleistet, zumal die Geschäftsführer bei der Besorgung der ihnen nach dem Gesetz zukommenden Aufgaben an die Weisungen des BMF gebunden sind, die Geschäftsführung dem BMF alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die entsprechenden Unterlagen zu übermitteln hat und der BMF die Bestellung zum Geschäftsführer widerrufen kann, wenn ein Geschäftsführer eine Weisung nicht befolgt oder eine Auskunft nicht erteilt.
Kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz durch §13 und §17 Abs7 und 8 ORF-Beitrags-Gesetz 2024:
Der Gesetzgeber muss nach den Vorgaben des §1 Abs2 DSG eine materienspezifische Regelung in dem Sinn vorsehen, dass die Fälle zulässiger Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz konkretisiert und begrenzt werden. Eine solche ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten liegt hier vor. Der VfGH hegt keine Zweifel, dass diese auch den in §1 Abs2 DSG geregelten qualifizierten Anforderungen an die Determinierung des Grundrechtseingriffs genügt.
§13 Abs1 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 sieht eine Verpflichtung des Bundesministers für Inneres vor, der ORF-Beitrags Service GmbH auf Verlangen monatlich gegen angemessenes Entgelt aus dem Zentralen Melderegister gemäß §16 MeldeG, zum Zwecke der Erhebung des ORF-Beitrags und der Ermittlung der Beitragsschuldner Daten zu übermitteln. Die übermittelten Daten umfassen Adressdaten (sämtliche Adressen, an denen zumindest eine volljährige Person mit Hauptwohnsitz angemeldet ist), die Stammdaten der dort mit Hauptwohnsitz gemeldeten volljährigen Personen und den vom Adressregister gemäß §1 Abs1 Z10 Adressregisterverordnung 2016 vergebenen Adresscode. Ferner ist für die Verarbeitung in der Transparenzdatenbank das verschlüsselte bereichsspezifische Personenkennzeichen (vbPK-ZP-TD) und das verschlüsselte bereichsspezifische Personenkennzeichen Amtliche Statistik (vbPK-AS) der mit Hauptwohnsitz gemeldeten volljährigen Personen zu übermitteln.
§13 Abs2 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 ermächtigt die ORF-Beitrags Service GmbH zum Zweck der Erhebung des ORF-Beitrags, der Prüfung, ob eine Befreiung vorliegt, und der Erfassung aller Beitragsschuldner zu einzelfallbezogenen automationsunterstützten Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister, in das automationsunterstützt geführte Firmenbuch, in das Gewerbeinformationssystem Austria – GISA, in das Zentrale Vereinsregister, in das Unternehmensregister gemäß §25 Bundesstatistikgesetz 2000 sowie in die Transparenzdatenbank gemäß §32 Abs5 TDBG 2012 im dort jeweils näher genannten Umfang. Unter anderem ist die ORF-Beitrags Service GmbH demnach berechtigt, in das Zentrale Melderegister im Umfang des Gesamtdatensatzes iSd §16a Abs2 und 4 MeldeG einzelfallbezogen auf automationsunterstütztem Weg Einsicht zu nehmen; davon sind auch Verknüpfungsanfragen iSd §16a Abs3 MeldeG umfasst.
§13 Abs3 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 ordnet an, dass die Steuererklärungen gemäß §11 Abs4 KommStG 1993 sowie der Inhalt von Prüfberichten über die Kommunalsteuer zum Zweck der Erhebung des ORF-Beitrags, der Prüfung, ob eine Befreiung vorliegt, und der Erfassung aller Beitragsschuldner von näher bestimmten Behörden an die ORF-Beitrags Service GmbH zu übermitteln sind. Gemäß §13 Abs4 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 haben die Gemeinden im Anlassfall der ORF-Beitrags Service GmbH über etwaige Befreiungen nach §8 Z2 KommStG 1993 Auskunft zu geben. Die ORF-Beitrags Service GmbH ist Verantwortliche für die nach Abs1 bis 4 verarbeiteten personenbezogenen Daten, die längstens 15 Jahre aufzubewahren und nach Ablauf dieser Frist zu löschen sind.
Gemäß §17 Abs7 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 kann sich die ORF-Beitrags Service GmbH zur Durchführung des Inkassos Leistungen Dritter bedienen. Dazu ist sie berechtigt, die in Z1 bis 3 genannten für die Betreibung des Inkassos erforderlichen personenbezogenen Daten des Beitragsschuldners an den mit dem Inkasso beauftragten Dritten zu übermitteln.
§13 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 bestimmt somit im Einzelnen die vom Bundesminister für Inneres der ORF-Beitrags Service GmbH zu übermittelnden Daten. Der VfGH hegt keine Zweifel, dass diese für die Erhebung des ORF-Beitrags geeignet sind. Dies gilt gleichermaßen für die Daten, die die Erhebung im privaten Bereich betreffen, wie auch für jene, die sich auf den betrieblichen Bereich beziehen. Es ist nicht zu erkennen, dass diese Daten über jenes Maß hinausgingen, die für die Zwecke der Erhebung des ORF-Beitrags erforderlich sind. Unter Berücksichtigung ihrer Ausgestaltung sind sie auch verhältnismäßig.
Auch hinsichtlich der in §13 Abs2 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 geregelten einzelfallbezogenen automationsunterstützten Einsichtsrechte bestehen keine Bedenken: Diese Ermächtigung ist auf den für die Erhebung des Beitrags notwendigen Umfang beschränkt und räumt keine Befugnisse ein, die über den Zweck der Erhebung hinausgehen würden.
Schließlich entsprechen auch die in §17 Abs7 und 8 ORF-Beitrags-Gesetz 2024 vorgesehenen Regelungen zur Inanspruchnahme eines Inkassodienstleisters den qualifizierten Anforderungen des §1 Abs2 DSG: Das Gesetz bestimmt diesen in unbedenklicher Weise als Auftragsverarbeiter, der durch die ORF-Beitrags Service GmbH als datenschutzrechtlich Verantwortliche mit dem Inkasso beauftragt wird. Abs7 leg cit bestimmt näher den Umfang und den Zweck der zur Eintreibung übermittelten Daten und ordnet eine unverzügliche Verpflichtung zur Löschung nach Einstellung der Eintreibung und Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten an.
Insgesamt ist somit nicht zu erkennen, dass durch die Regelungen des §13 bzw §17 Abs7 und 8 ORF‑Beitrags-Gesetz 2024 eine Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz bewirkt würde. Die gesetzlich verankerte Erhebung und Verarbeitung der Daten dient der Erhebung von Beiträgen zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie ist zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich und – unter Berücksichtigung ihrer Ausgestaltung – auch verhältnismäßig.
Kein Verstoß der Verpflichtung zur Entrichtung des ORF-Beitrags gegen die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit:
Art10 EMRK gewährleistet auch die Freiheit, Nachrichten und Ideen ohne staatliche Eingriffe zu empfangen. Dazu zählt auch das Recht auf ungestörte Beschaffung von der Öffentlichkeit prinzipiell zugänglichen Informationen zum Zweck der Meinungsbildung und -verbreitung. Dass der Staat verpflichtet wäre, eine kostenlose Informationserlangung zu gewährleisten, kann aus Art10 EMRK aber nicht abgeleitet werden. Vor diesem Hintergrund wird mit der Erhebung des ORF-Beitrags das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art10 EMRK nicht verletzt. Die durch Art10 Abs1 EMRK garantierte Freiheit zum Empfang von Informationen wird nämlich nicht in einer grundrechtlich relevanten Art und Weise berührt, wenn die reale Möglichkeit zur Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einer Beitragsleistung der hier in Rede stehenden Höhe unterworfen wird.
Insgesamt ist daher nicht zu erkennen, dass die Verpflichtung zur Entrichtung des ORF-Beitrags den Einzelnen in seinen durch Art10 EMRK gewährleisteten Rechten verletzte, ohne Zwang selbstbestimmt zu entscheiden, welche Medien er unterstütze.