15R101/25w – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Schaller als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Felbab und Mag. Schmied in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Mag. Clara Abpurg, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei B* Ltd. , **, Malta, vertreten durch Mag. Simon Wallner Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen EUR 23.700 s.A., über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 2.5.2025, **-33, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung :
Das erstinstanzliche Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11.2.2025, **-25, wurde der Beklagten zu Handen ihres Rechtsvertreters am 13.2.2025 im elektronischen Rechtsverkehr zugestellt. Am 20.3.2025 wurde die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit bestätigt.
Mit Eingabe vom 26.3.2025 (ON 27) begehrte die Beklagte, ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung gegen das Urteil zu bewilligen sowie die erteilte Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung aufzuheben. Unter einem erhob sie auch Berufung gegen das Urteil. Zum Wiedereinsetzungsantrag brachte sie im Wesentlichen vor, das im elektronischen Rechtsverkehr zugestellte erstinstanzliche Urteil sei von der bislang stets verlässlichen und durch langjährige Erfahrung bewährten Sekretärin C* wie üblich ausgedruckt und - zusammen mit den anderen an diesem Tag empfangenen Schriftstücken - in die hierfür vorgesehene Fristenmappe gelegt worden. Der Beklagtenvertreter habe im Rahmen der täglichen Kontrolle und Durchsicht der Fristenmappe auf dem Urteil die vierwöchige Berufungsfrist notiert. Danach sei die Fristenmappe wie immer C* zurückgegeben worden, damit diese die vom Beklagtenvertreter vermerkten Fristen in das Fristenbuch eintrage. Aus unerklärlichen Gründen habe C* die Eintragung der vermerkten vierwöchigen Berufungsfrist in das Fristenbuch unterlassen. Dennoch habe sie am nächsten Tag die Nachfrage des Beklagtenvertreters, ob alle von ihm vermerkten Fristen in das Fristenbuch eingetragen worden seien, bejaht. Mangels Eintragung im Fristenbuch sei die Frist in weiterer Folge durch den Beklagtenvertreter versäumt worden. Es handle sich um ein unabwendbares Ereignis für die rechtliche Vertretung der Beklagten. Zudem handle es sich um einen minderen Grad des Versehens. Ein derartiger Fehler sei C* in all ihren Jahren als verlässliche Rechtsanwaltssekretärin noch nie passiert. Mangels Vorliegen einer habituellen Untüchtigkeit von C* habe der Beklagtenvertreter grundsätzlich darauf vertrauen können, dass diese die von ihm auf dem erstinstanzlichen Urteil vermerkte vierwöchige Berufungsfrist auch tatsächlich in das Fristenbuch eintrage. Der Beklagtenvertreter kontrolliere zudem täglich die Fristenmappe und habe sich zusätzlich bei Frau C* vergewissert, ob alle Fristen in das Fristenbuch eingetragen worden seien. Demnach könne dem Beklagtenvertreter kein die Wiedereinsetzung ausschließender Sorgfaltsverstoß zum Vorwurf gemacht werden.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung sowie auf Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung ab. Es traf dazu die auf den Seiten 2 bis 4 der Beschlussausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird.
Rechtlich ging es davon aus, die Kontrolle des Beklagtenvertreters durch tägliche Einsicht in die Fristenmappe sowie Nachfrage bei C* am folgenden Tag, ob alle Fristen in das Fristenbuch eingetragen worden seien, stelle keinen ausreichenden Überwachungs- und Kontrollmechanismus dar, damit eine fristgerechte Vornahme von Prozesshandlungen zweckmäßig sichergestellt werden könne. Zur Einhaltung der zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht hätte der Beklagtenvertreter zumindest regelmäßige Kontrollen gegenüber seiner Angestellten durchführen müssen, indem er im Fristenbuch stichprobenartig kontrolliere, ob die Fristen richtig eingetragen worden seien oder zum Beispiel im von ihm verwendeten Programm D* die Funktion „Evidenzhaltung“ verwende. Ein bloß pauschales Nachfragen stelle keine Kontrollmaßnahme dar. Es liege daher kein Versehen minderen Grades mehr vor.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, ihren Wiedereinsetzungsantrag zu bewilligen und die am 20.3.2025 erteilte Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung des Urteils aufzuheben.
Der Kläger beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1.1 Die Rekurswerberin tritt zusammengefasst der Auffassung des Erstgerichts entgegen, der Beklagtenvertreter habe es verabsäumt, einen ausreichenden Überwachungs- und Kontrollmechanismus einzurichten, um eine fristgerechte Vornahme von Prozesshandlungen sicherzustellen. Es habe die konkrete Organisation des Kanzleibetriebs und die bisherigen Erfahrungen mit der Zuverlässigkeit der Kanzleikraft nicht hinreichend berücksichtigt. Der Beklagtenvertreter habe sehr wohl ein Kontrollsystem eingerichtet, das den Anforderungen der Judikatur entspreche. Die tägliche Kontrolle der Fristenmappe und die Nachfrage bei der bislang zuverlässigen Sekretärin würden Maßnahmen darstellen, die geeignet seien, menschliches Versagen weitgehend auszuschließen und Fristversäumnisse zu vermeiden. Dem Beklagtenvertreter könne daher – entgegen der Ansicht des Erstgerichts - kein die Wiedereinsetzung ausschließender Sorgfaltsverstoß zum Vorwurf gemacht werden.
1.2Einleitend ist festzuhalten, dass die rechtlichen Ausführungen in der Beschlussbegründung des Erstgerichts zutreffen, weshalb auf diese verwiesen wird (§ 526 Abs 3 ZPO iVm § 500a ZPO). Ergänzend ist in Erwiderung der Rekursausführungen Folgendes auszuführen:
1.3Wie das Erstgericht zutreffend festhält, ist nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (RS0036784). Rechtsanwälte sind am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB zu messen, ihr Maßstab ist die Sorgfalt eines gewissenhaften umsichtigen Rechtsanwalts (RS0036784 [T1 und T4]). Ein Verschulden eines Kanzleiangestellten steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn es sich um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der bisherigen Verlässlichkeit und Bewährung nicht zu erwarten war und dem Rechtsvertreter nicht die Verletzung der von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss (RS0036813 [T5]).
Ein Rechtsanwalt muss die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Vornahme von Prozesshandlungen sichergestellt wird, und der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht - zumindest durch regelmäßige stichprobenartige Kontrollen - gegenüber seinen Angestellten hinreichend nachkommen (RS0036813 [T3]). Unterlässt ein Rechtsanwalt die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems zur Überwachung von Fristen, insbesondere auch der ordnungsgemäßen Einbringung fristgebundener Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr, liegt ein Versehen minderen Grades nicht mehr vor (RS0036813 [T8, T10], RS0111777 [T5]).
1.4 Im Lichte dieser Rechtsprechung ist die Rechtsansicht des Erstgerichts, das Verschulden des Beklagtenvertreters überschreite das Maß des minderen Grades des Versehens, zutreffend.
Bei C* handelt es sich zwar – wie auch vom Erstgericht festgestellt - um eine verlässliche Kanzleikraft, welche ihre Aufgaben bislang fehlerlos erledigte. Dies befreit den Beklagtenvertreter jedoch nicht von der Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems zur Überwachung von Fristen. Die Kontrolle des Beklagtenvertreters besteht seinen eigenen Angaben zufolge darin, täglich Einsicht in die Fristenmappe zu nehmen und die darin enthaltenen Schriftstücke mit den jeweiligen Fristen zu versehen. Das Fristenbuch, in das die Fristen in weiterer Folge durch C* übertragen werden, kontrolliert er hingegen nicht - auch nicht stichprobenartig. Er fragt nur täglich bei C* nach, ob sie alle Fristen vom Vortag korrekt eingetragen habe (BA S 3).
Ein solch pauschales Nachfragen ist indes nicht geeignet, mögliche Fehler bei der Übertragung der Fristen aufzudecken: Da der zuständigen Kanzleikraft im Normalfall nicht bewusst sein wird, dass sie auf eine Frist vergessen hat, wird sie eine solche Frage naturgemäß bejahen (vgl OLG Wien 13 R 231/22v). Die Anwendung anderer Kontrollmaßnahmen wurde von der Rekurswerberin nicht behauptet.
1.5Zur Einhaltung der zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht hätte der Beklagtenvertreter zumindest regelmäßige stichprobenartige Kontrollen gegenüber seiner Angestellten durchführen müssen (vgl OLG Wien 8 Rs 26/25i). Dies wäre etwa – wie das Erstgericht richtig ausführt – durch stichprobenartige Kontrolle des Fristenbuchs oder durch die Funktion „Evidenzhaltung“ in dem von ihm verwendeten Programm D* möglich gewesen. Mangels solcher Maßnahmen ist dem Beklagtenvertreter ein Organisationsverschulden und somit eine über ein leichtes Versehen hinausgehende Fahrlässigkeit vorzuwerfen.
2. Dem Rekurs war sohin ein Erfolg zu versagen.
3.Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 ZPO. Demnach hat der Wiedereinsetzungswerber sämtliche eigene Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens – unabhängig vom Erfolg - selbst zu tragen ( Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.303).
4.Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses folgt aus § 528 Abs 2 Z 2 ZPO. Die Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags ist einer Klagszurückweisung nicht gleichzuhalten (RS0044536 [T1, T4]).