11R51/25p – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien erkennt als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Primus als Vorsitzende sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Fidler und Mag. Aigner in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG, FN ** , **, vertreten durch die Rechtsanwälte Gerngross Köck in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. B* GmbH , FN **, **, vertreten durch die Grama Schwaighofer Vondrak Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. C* OG , FN **, **, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 20.000 samt Nebengebühren, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Februar 2025, GZ: ** 34, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.220,42 bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung (darin EUR 370,07 USt) zu ersetzen.
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat als Versicherer der im Gebrauchtwagenhandel tätigen D* GmbH („D*“) einen Ersatzbetrag von EUR 20.000 für Schäden geleistet, die der D* am 20.5.2020 an sechs ihrer auf einer Freifläche abgestellten Kraftfahrzeuge dadurch entstanden, dass von der Außenwand einer Lagerhalle am Nachbargrundstück zwei Wandplatten herabstürzten.
Die D* ist Untermieterin der Liegenschaft **, mit der von ihr als Abstellplatz für Kraftfahrzeuge verwendeten Freifläche. Die Zweitbeklagte ist seit 4.12.2014 Mieterin der angrenzenden Liegenschaft **, und Eigentümerin der von einer früheren Mieterin (E* GmbH, "E*") errichteten Lagerhalle (Superädifikat). Sie hat ihrerseits die Liegenschaft ** mitsamt der darauf befindlichen Lagerhalle seit 1.12.2014 an die F* GmbH ("F*") (unter)vermietet.
Die Klägerinbegehrte von den Beklagten Ersatz für die von ihr an die D* geleistete Zahlung in Höhe von EUR 20.000. Die Fahrzeugschäden der D* hätten sich auf insgesamt EUR 93.239,35 belaufen. Mit ihrer Entschädigungsleistung von pauschal EUR 20.000 seien sämtliche Schäden an allen sechs Fahrzeugen abgegolten und die Schadenersatzansprüche der D* gegen die Beklagten auf sie übergegangen. Die Zweitbeklagte hafte als Gebäudeeigentümerin für den Eintritt der Schäden der D* verschuldensunabhängig nach den Bestimmungen der §§ 364 und 364a ABGB. Die Lagerhalle sei eine von der Zweitbeklagten genutzte Betriebsanlage, die das Gebäude per se samt der abgestürzten Fassade umfasse. Unabhängig von einer behördlichen Genehmigung bestehe ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB analog, wenn der geschädigte Nachbar faktisch nicht auf Unterlassung klagen habe können, so etwa bei Störfällen als Einmalereignis oder mangels Vorhersehbarkeit der Schädigung. Beides sei hier der Fall gewesen. Durch die Baubewilligung der Lagerhalle sei eine Gefahrlosigkeit dem Anschein nach nachgewiesen. Das verwirklichte Risiko habe sich zudem faktisch nicht oder nur sehr schwer abwehren lassen. D* sei im Zeitpunkt des Schadenseintritts Nachbar im Sinn der genannten Bestimmungen gewesen. Die Zweitbeklagte hafte aber auch nach § 1319 ABGB, weil die Ursache für die Schäden in der mangelhaften Beschaffenheit des ihr gehörigen Bauwerks, und zwar der Fassade oder der Betonelemente samt deren Bewehrung, gelegen sei.
Die Zweitbeklagtebestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und beantragte dessen Abweisung. Sie führe auf der Liegenschaft keinen behördlich bewilligten Betrieb und habe auch kein behördliches Verfahren einzuleiten gehabt. Ein Unternehmen betreibe nur ihre (Unter-)Mieterin F*. Unterlassungsansprüche hätten sich daher gegen diese zu richten. Sie habe auch keine Baugenehmigung erwirkt. Die Baugenehmigung aus dem Jahr 2003 sei von der seinerzeitigen Eigentümerin, der E*, deren Rechtsnachfolgerin sie nicht sei, erwirkt worden. Es sei auch kein Planungsfehler, sondern ein Ausführungsfehler der Erstbeklagten vorgelegen, der durch die Baubewilligung nicht hätte verhindert werden können. Für von genehmigten Anlagen ausgehende Emissionen werde überdies nur dann gehaftet, wenn sie für den Betrieb typisch seien und der Eintritt des Schadens ein kalkuliertes Risiko darstelle. Das treffe hier nicht zu. Die eingetretene Schadensfolge sei atypisch und überdies nicht erkennbar gewesen. Die D* sei als Unterbestandnehmerin nicht vom dinglichen Schutzbereich erfasst. Für ein bestehendes Gebäude gebe es keine verschuldensunabhängige Haftung, weil sonst für § 1319 ABGB kaum ein Anwendungsbereich bliebe. Eine Haftung der Zweitbeklagten nach dieser Bestimmung scheitere auch daran, dass ihre Mieterin, F*, Halterin der Lagerhalle gewesen sei. Überdies sei die notwendige Sorgfalt nach dieser Bestimmung eingehalten worden. Das Gebäude und der Betrieb seien zuletzt am 5.3.2020 überprüft worden, ohne dass es Beanstandungen gegeben hätte. Es sei überdies eine wöchentliche Begehung des Gebäudes eingerichtet gewesen. Selbst bei weitergehenden Untersuchungen und Dokumentationen wäre der seinerzeitige Baumangel nicht aufgefallen, weil die fehlende Bewehrung an der Außenseite des Streifenfundamentriegels nicht zerstörungsfrei feststellbar gewesen wäre. Ein Anspruch nach § 1319 ABGB wäre zudem verjährt, weil sich die Klägerin zunächst nur auf die verschuldensunabhängige Haftung gestützt habe.
Mit dem angefochtenen Endurteilhat das Erstgericht das Klagebegehren gegenüber der Zweitbeklagten abgewiesen. Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es die Feststellungen der Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung, auf die verwiesen wird. Rechtlich hielt es fest, dass zwar Ersatzansprüche des Geschädigten auf die Klägerin nach § 67 Abs 1 VersVG übergegangen wären, soweit diese den Schaden ersetzt habe, dass solche Ersatzansprüche aber weder nach § 364 oder § 364a ABGB noch nach § 1319 ABGB bestünden. Nach § 364 Abs 2 ABGB seien zwar auch obligatorisch berechtigte Bestandnehmer wie Mieter oder Pächter anspruchsberechtigt, allerdings normiere diese Bestimmung nur einen Unterlassungsanspruch. Sie biete hingegen, entgegen älterer Auffassung, keine Grundlage für einen verschuldensunabhängigen (nachbarrechtlichen) Ausgleichsoder Ersatzanspruch. Eine unmittelbare Anwendung des § 364a ABGB scheide aus, weil Baubewilligungen per se nicht als Genehmigung im Sinn dieser Bestimmung anzusehen seien. Bei der Lagerhalle handle es sich daher nicht um eine behördlich genehmigte Anlage. Eine analoge Anwendung des § 364a ABGB käme nur in Betracht, wenn die (hier:) grob körperliche Einwirkung nicht nur von der schadensverursachenden Anlage ausgegangen, sondern auch für deren Betrieb typisch gewesen wäre. Mit betriebstypischen Schäden seien adäquat verursachte Folgen gemeint. Dabei komme es auf die Umstände des Einzelfalls an. Maßgebend sei, ob für den Haftpflichtigen der Eintritt des Schadens ein kalkulierbares oder gar kalkuliertes Risiko gebildet habe, das er zu seinem Nutzen eingegangen sei. Die Rechtsprechung habe hier insbesondere eine Haftung für Schadensereignisse während der Bauphase bejaht. Die mangelnde Befestigung der Fassadenplatten sei aber, wie festgestellt, weder für Mitarbeiter der Zweitbeklagten noch für die TÜV Prüfer im Rahmen einer ÖNORMkonformen Objektsicherheitsprüfung erkennbar gewesen. Das Herabfallen der Fassadenplatten habe daher für die Zweitbeklagte kein kalkulierbares oder gar kalkuliertes Risiko dargestellt. Das Ablösen der Platten sei nicht als eine betriebstypische Einwirkung anzusehen. Sie stehe in keinem Konnex zur betriebstypischen Nutzung des Objekts, nämlich der Lagerung von Gegenständen. Ein Anspruch nach § 364a ABGB analog bestehe daher nicht. Überdies bestehe eine Haftung für Schäden, die durch das Herabfallen von Fassadenplatten verursacht würden, grundsätzlich nach § 1319 ABGB. Diese Norm sehe gerade keine Gefährdungs- oder Erfolgshaftung vor, sondern eine wegen Mangelhaftigkeit des Werks verschärfte Haftung. Mit ihr seien sachgerechte Ergebnisse zu erzielen, sodass keine Regelungslücke bestehe. Der "Besitzer" eines Gebäudes oder anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werks hafte nur, wenn er nicht beweisen könne, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Diesen Beweis habe die Zweitbeklagte deswegen erbracht, weil der Mangel nach den Feststellungen weder von ihren Mitarbeitern noch von TÜVPrüfern im Rahmen der gesetzeskonform durchgeführten Objektsicherheitsprüfung hätte erkannt werden können. Überdies wäre ein Ersatzanspruch nach § 1319 ABGB verjährt, weil sich die Klägerin auf ein Verschulden der Zweitbeklagten erst außerhalb der Verjährungsfrist berufen habe.
Gegen dieses Endurteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Zweitbeklagte beantragte, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Die Berufungswerberin kommt in ihrer Rechtsrüge, wie in der Berufungsbeantwortung aufgezeigt, nur mehr auf die geltend gemachte verschuldensunabhängige Haftung der Zweitbeklagten zurück und streitet insoweit für eine analoge Anwendung des § 364a ABGB. Darauf hatte sich daher die Prüfung der Berechtigung des Klagsanspruchs zu beschränken (RIS-Justiz RS0041570).
Ein Ersatzanspruch nach § 364a ABGB (analog) erfasst nach ständiger Rechtsprechung zwar auch unmittelbare Zuleitungen und grobkörperliche Einwirkungen (4 Ob 89/10a mwN; 5 Ob 3/99i). Wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat (§ 500a ZPO), stellt allerdings ein baubewilligtes Gebäude als solches keine behördlich genehmigte Anlage im Sinn des § 364a ABGB dar (RS0010503, RS0010685; Riss in KBB 7 § 364a Rz 2 mwN). Die unmittelbare Anwendung dieser Bestimmung scheidet daher aus.
Soweit der Oberste Gerichtshof § 364a ABGB wegen des durch eine baubehördliche Genehmigung geschaffenen Anscheins einer Gefahrlosigkeit analog angewandt hat (RS0010668), ist der Schadenseintritt, wie schon vom Erstgericht erwähnt, in aller Regel im Zuge oder (unmittelbar) infolge von baubehördlich bewilligten Baumaßnahmen (Errichtung oder Abbruch eines Gebäudes oder Bauwerks), also im Zusammenhang mit dem Baubetrieb erfolgt (RS0106324; RS0010668 [T2] [T21]; 1 Ob 1/86: Tunnelbau; 1 Ob 675/88: Bau[meister]arbeiten/Rammpfahlung/Einsatz von Baumaschinen; 8 Ob 523/92, 3 Ob 114/18p: Lärm- und/oder Staubimmissionen durch Bau- oder Abbrucharbeiten; 1 Ob 135/97b: Bau einer Tiefgarage; 5 Ob 444/97y und 5 Ob 160/21x: Dachbodenausbau; 4 Ob 89/10g: Abbrucharbeiten; 5 Ob 190/11v, 7 Ob 113/16t: Einsinken/Sturz eines Baukrans auf Nachbarhaus; 5 Ob 164/15a: Schädigung durch Bauführung). Zur Rechtfertigung der verschuldensunabhängigen Haftung wird in diesen Fällen auf das (vom Eigentümer und Bauauftraggeber) zum eigenen Nutzen eingegangene "kalkulierbare" oder gar "kalkulierte" (erhöhte) Risiko verwiesen, dem die Nachbarn durch den Bau- oder Anlagenbetrieb ausgesetzt waren (1 Ob 123/24f mwN).
Dem Gefährdungspotenzial eines bereits (ob mit oder ohne Baubewilligung) errichteten mangelhaften Gebäudes oder Bauwerks, das, anders als eine Anlage oder ein Bauvorhaben, nicht "betrieben" wird, trägt indessen schadenersatzrechtlich die Sonderbestimmung des § 1319 ABGB Rechnung. Sie statuiert, so schon zutreffend die Erstrichterin (§ 500a ZPO), eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr, unterscheidet dabei aber nicht, ob der - tatbildlich vorausgesetzte - Mangel in der Beschaffenheit durch fehlerhafte (etwa auch konsenswidrige) Errichtung oder unzureichende Instandhaltung hervorgerufen wurde ( Danzl/Karner in KBB 7§ 1319 ABGB Rz 2 und 4 mwN).
Daher bedarf es bei einer Schädigung, die unter das Regime des § 1319 ABGB fällt, auch keiner Substitution von Abwehrrechten durch einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch, wie ihn § 364a ABGB bei Immissionen von behördlich bewilligten Anlagen zufolge Entfalls der Rechtswidrigkeit vorsieht ( Eccher / Riss in KBB 7§ 364a ABGB Rz 1 mwN).
Die Erstrichterin hat daher zu Recht die Voraussetzungen einer Gesetzesanalogie verneint. Auf weitere Rechtsfragen (etwa die Aktiv- und Passivlegitimation bei nachbarrechtlichen [Entschädigungs-]Ansprüchen) musste daher nicht mehr eingegangen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.
Die Revision ist wegen der klaren Rechtslage nicht zulässig (§ 502 Abs 1 ZPO; vgl auch 1 Ob 196/06i).