JudikaturOLG Wien

1R98/25a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
06. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Vorsitzenden Mag. Weixelbraun, die Richterin Mag. a Klenk und den Richter Mag. Einberger in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren **, Pensionistin, **, vertreten durch Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B* Limited , **, Malta, vertreten durch Mag. Patrick Bugelnig, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 37.700 sA, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5.6.2025, **-11, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.667,62 (darin EUR 611,27 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig .

Text

Entscheidungsgründe

Die Beklagte hat ihren Sitz in Malta und bietet auf der deutschsprachigen Website ** Internet-Glücksspiele an. Die Beklagte leitet Nutzer aus Österreich von der Seite ** auf die deutschsprachige Seite um. Bei der Länderauswahl ist unter anderem Österreich auswählbar. Die Beklagte verfügt über eine Lizenz der maltesischen Glücksspielbehörde. Über eine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz verfügt sie nicht. Bei den von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspielen hängt die Entscheidung vorwiegend vom Zufall ab.

Die in Österreich wohnhafte Klägerin hat bei der Beklagten zur Teilnahme am Online-Glücksspiel einen Account eingerichtet. Sie spielte auf der Website ** im Zeitraum 16.5.2020 bis 23.5.2022 Online-Glücksspiele und verlor dabei unter Berücksichtigung ihrer Ein- und Auszahlungen EUR 37.700.

Die Klägerinbegehrt die Rückzahlung ihrer Spielverluste samt 4 % Zinsen seit 24.5.2022 wegen der Nichtigkeit der Glücksspielverträge, weil die Beklagte nicht über die notwendige Konzession nach dem österreichischem Glücksspielgesetz (GSpG) verfüge. Sie schulde daher den saldierten Verlustbetrag im Weg der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung.

Die Beklagtewandte im Wesentlichen ein, dass kein unerlaubtes Glücksspiel vorliege. Sie biete ihr Online-Glücksspiele auf Basis einer aufrechten Lizenz der Malta Gaming Authority an. Das österreichische GSpG sei unionsrechtswidrig, weil es in nicht gerechtfertigter bzw unverhältnismäßiger Weise in die Dienstleistungsfreiheit eingreife. Zudem seien die österreichischen Glücksspielregelungen in ihrer Gesamtheit inkohärent und entsprächen nicht den vom EuGH vorgegebenen Anforderungen, um einen Eingriff in eine primärrechtlich gewährleistete Grundfreiheit zu rechtfertigen. Die Glücksspielverträge seien daher wirksam.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Dazu traf es die eingangs dieser Entscheidung zusammengefasst wiedergegebenen und auf den Seiten 1 und 3 der Urteilsausfertigung (ON 11) ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird.

Rechtlich führte das Erstgericht - stark zusammengefasst - aus, gemäß Art 6 Abs 1 und Art 9 Abs 2 Rom-I-VO sei österreichisches Recht anzuwenden. Da die Beklagte über keine Konzession für Glücksspiele in Österreich verfüge, seien die angebotenen Glücksspiele verboten iSd § 1174 Abs 2 ABGB. Folglich seien die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge nichtig und die Verluste gemäß § 877 ABGB rückforderbar. Das österreichische Glücksspielrecht sei unionsrechtskonform, sodass sich die Beklagte nicht auf den Anwendungsvorrang der Dienstleistungsfreiheit nach Art 57ff AEUV berufen könne. Zinsen seien ab der letzten Einzahlung zuzusprechen. Nach ständiger Rechtsprechung habe auch der redliche Bereicherungsschuldner – außer bei einer Gegenleistung – die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines vom ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben („Vergütungszinsen“). Auch bei Redlichkeit des Bereicherten sei nämlich die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals inter partes dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte; § 1000 ABGB sei in diesem Zusammenhang ganz generell als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld („Zinsen“) zu verstehen (mHa 7 Ob 10/20a).

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem auf Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag (in eventu nach Verfahrensergänzung); in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt; weiters in eventu wird der auf das Zinsenbegehren gerichtete Abänderungsantrag gestellt, Zinsen aus dem Klagsbetrag seit 31.12.2024 zuzusprechen.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Voranzustellen ist, dass die Beklagte in der Berufung – zu Recht – die Anwendung maltesischen Rechts nicht mehr releviert.

2.1 Die Beklagte behauptet, die einschlägige österreichische Rechtsprechung in den Glücksspielverfahren sei überholt. Es hätten sich die relevanten Tatsachen im verfahrensgegenständlichen Zeitraum radikal geändert, weshalb ein Rückgriff auf frühere Entscheidungen des OGH nicht mehr möglich sei. Aufgrund des Erfordernisses der dynamischen Überprüfung und der Interpretation der Kohärenzkriterien nach der Rechtsprechung des EuGH sei eine neuerliche Prüfung dieses Sachverhalts notwendig. Das Erstgericht hätte Feststellungen treffen müssen zur Ausrichtung, Ausgestaltung und Verhältnismäßigkeit der Werbemaßnahmen, Geschäftspolitik und Geschäftsstrategie der Monopolistin, zur Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Monopolistin, zu Werbepraktiken etwaiger anderer privater Glücksspielanbieter, zum Abzielen staatlicher Politik auf die Ermunterung zur Teilnahme an dem Monopol unterliegenden Glücksspielen und dazu, dass herkömmliche Glücksspielautomaten, bei denen das Ergebnis im Gerät selbst ermittelt werde und VLT, bei denen das Ergebnis zentralseitig ermittelt werde, sowie Online-Sportwetten und Online-Glücksspiel dasselbe Gefährdungspotential bergen würden.

In diesem Zusammenhang wäre auch das beantragte Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Marktforschung und Werbepsychologie relevant gewesen. Damit hätte das Erstgericht zum Ergebnis kommen müssen, dass das System des österreichischen Glücksspielmonopols inkohärent sei und daher aufgrund des unbedingten Vorrangs des Unionsrechts im vorliegenden Fall unangewendet bleiben müsse.

2.2Der Oberste Gerichtshof hielt auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH und im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte in aktuellen Entscheidungen ausführlich fest, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom Europäischen Gerichtshofs aufgezeigten Vorgaben entspricht und daher nicht gegen Unionsrecht verstößt (vgl zB ua 9 Ob 20/21p mit Übersicht zur Rechtsprechung des EuGH, VfGH und VwGH; 4 Ob 223/21d; 6 Ob 59/22d uvm; zuletzt etwa 9 Ob 66/24g; 1 Ob 91/24z; 3 Ob 147/24z; 5 Ob 177/24a; 6 Ob 33/25h).

Bereits mehrfach hat der Oberste Gerichtshof unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der anderen österreichischen Höchstgerichte und des Europäischen Gerichtshofs die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols – nach Auseinandersetzung mit den von der Beklagten auch hier vorgebrachten Argumenten - für abschließend beantwortet erachtet (1 Ob 229/20p; 5 Ob 30/21d; 3 Ob 72/21s).

2.3Selbst unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass sich der diesen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt in relevanter Weise von jener Sach- und Rechtslage unterschiede, die in dem für das gegenständliche Verfahren maßgeblichen Zeitraum bestand. Die Beklagte führt auch inhaltlich nicht aus, inwiefern sich die faktischen Gegebenheiten seit den letzten höchstgerichtlichen Entscheidungen grundlegend geändert haben sollen. Der erkennende Senat folgt deshalb (wie auch bereits das Erstgericht) der gefestigten höchstgerichtlichen Judikatur zur Unionsrechtskonformität der österreichischen Rechtslage, ohne dass von der Beklagten vermisste weitere Feststellungen notwendig wären (vgl RS0053317). So wurden auch außerordentliche Revisionen maltesischer Online-Glücksspielanbieter zurückgewiesen und sekundäre Feststellungsmängel zum Thema Unionsrechtswidrigkeit verneint (vgl 6 Ob 59/22b; 9 Ob 25/22z; 3 Ob 200/21i; 1 Ob 174/21a ua).

2.4 In diesem Zusammenhang haben sich die Gerichte auch mit den Werbeaktivitäten der Konzessionäre bereits umfassend beschäftigt. Die Rechtsprechung des EuGH, wonach die tatsächlichen Auswirkungen des Monopols von den nationalen Gerichten „dynamisch“ zu beurteilen sind, erfordert keine gleichsam ständige Neubeurteilung der Auswirkungen in jedem einzelnen Fall und zu jeder einzelnen Werbekampagne. Vielmehr wird damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass nicht bloß statisch auf den Zeitpunkt der Erlassung der Regelung abgestellt werden darf (vgl EuGH C-464/15, Admiral, Rn 32 ff; OLG Wien 16 R 58/22z). Zudem sprach der OGH erst jüngst zu 1 Ob 25/23t aus, dass sich aus der Entscheidung des EuGH C-920/19, Fluctus , kein Verbot für ein nationales Gericht ergibt, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des OGH) zu berufen.

2.5Eine Verpflichtung der Notifizierung des § 14 GSpG hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach verneint (4 Ob 223/21d, 7 Ob 213/21f, 6 Ob 203/21b, 6 Ob 226/21k).

2.6Dass die Spieleinsätze aus einem verbotenen Glücksspiel zurückgefordert werden können, entspricht ebenso der ständigen Rechtsprechung (RS0025607 [T1].

2.7 Unter diesen Gesichtspunkten ist die Einholung eines von der Beklagten beantragten Sachverständigengutachtens zu Werbe- und Marketingmaßnahmen zutreffend unterblieben.

Außerdem liegt ein primärer Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO schon deshalb nicht vor, weil das Erstgericht gerade keine von den Behauptungen der Beklagten abweichenden Feststellungen getroffen hat, sodass im Fall der – hier jedoch nicht gegebenen - rechtlichen Relevanz der von der Beklagten vermissten Feststellungen nur ein sekundärer Feststellungsmangel iSd § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vorliegen könnte (vgl Pimmer in Fasching/Konecny³ § 496 ZPO Rz 55 ff).

2.8Der Einwand der Beklagten zum Beginn des Zinsenlaufs ist nicht berechtigt. Vergütungszinsen stehen bereits ab dem Eintritt der Bereicherung, also ab der letzten Einzahlung, zu, weil nicht zu rechtfertigen wäre, wenn die Bereicherungsschuldnerin den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte. Die in vereinzelt gebliebenen Entscheidungen vertretene gegenteilige Ansicht, auf die sich die Beklagte stützt (16 R 205/22t des OLG Wien und 5 R 70/22s des OLG Innsbruck, wobei der Senat zu letzterer selbst ausgesprochen hat, diese stütze sich auf den veralteten Rechtssatz RS0016332, vgl OLG Innsbruck, 5 R 27/23v) wird nicht geteilt. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung zu 8 Ob 107/17v ist mangels vergleichbarer Sachverhaltsgrundlage nicht einschlägig.

Da es nur auf die Nutzungsmöglichkeit durch die Beklagte ankommt, die schon angesichts ihrer unternehmerischen Tätigkeit zu bejahen ist, und die Klägerin nur den gesetzlichen Mindestzinssatz nach § 1000 ABGB begehrt, musste sie kein näheres Vorbringen zu einer gewinnbringenden Veranlagung erstatten.

3.Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

4.Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war nicht zu lösen, sodass die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.