21Bs120/25p – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat am 6. Juni 2025 durch den Senatspräsidenten Dr. Krenn als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Maruna und Mag. Frigo als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 84 Abs 4 StGB über die Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 9. Dezember 2024, GZ ** 43.3, in der in Gegenwart der Oberstaatsanwältin HR Mag. Riener, des Angeklagten A* und seines Verteidigers Dr. Christoph Naske durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Berufung wegen Nichtigkeit wird zurückgewiesen und jener wegen des Ausspruchs über die Schuld nicht Folge gegeben.
Hingegen wird der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe dahin Folge gegeben, dass ein Teil der Freiheitsstrafe gemäß § 43a Abs 3 StGB im Ausmaß von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Entscheidungsgründe:
Text
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt und hiefür nach dieser Gesetzesstelle unter aktenkonformer Vorhaftanrechnung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* am 30. Mai 2024 in ** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten B* den C* D* vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine an sich schwere Verletzung und länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung des Genannten herbeigeführt, indem B* mit Anlauf von hinten auf den Rücken des E* D* sprang, B* und A* ihm mehrere Faustschläge gegen dessen Kopf versetzten und B* ihm zudem zumindest einen Tritt versetzte, wodurch der Genannte einen Bruch des linken Augenhöhlenbogens, einen Bruch der linken Kieferhöhle mit geringer Verschiebung der Bruchstücke sowie einen Bruch des linken Jochbeins erlitt.
Zu den persönlichen Verhältnissen hielt das Erstgericht fest, dass der am ** in ** geborene und somit zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alte österreichische Staatsbürger als Tischler tätig sei und dadurch monatlich Nettoeinkünfte in Höhe von etwa 2.000 Euro erziele. Er habe weder Vermögen, noch Schulden oder Sorgepflichten.
Die Strafregisterauskunft des Angeklagten weist eine Verurteilung durch das Landesgericht Wiener Neustadt vom 11. Februar 2020, rechtskräftig seit 25. Mai 2020, AZ **, wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren auf, welche bis zur bedingten Entlassung des Angeklagten am 23. April 2021 vollzogen wurde.
Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht eine einschlägige Vorstrafe erschwerend, hingegen mildernd die Tatbegehung als junger Erwachsener und seine Alkoholisierung zur Tatzeit.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe angemeldete (ON 43.2, 10) in weiterer Folge aber lediglich fristgerecht wegen Schuld und Strafe ausgeführte Berufung des Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
Zunächst ist die Berufung wegen Nichtigkeit gemäß §§ 467 Abs 2, 489 Abs 1 StPO zurückzuweisen, weil der Angeklagte weder bei der Anmeldung der Berufung noch in der Berufungsschrift erklärt hat, durch welche Punkte des Erkenntnisses er sich beschwert findet und welche Nichtigkeitsgründe er geltend machen will. Auch gemäß den §§ 290 Abs 1, 489 Abs 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgründe haften dem Urteil nicht an.
Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld kommt keine Berechtigung zu.
Der Behandlung der Schuldberufung ist voranzustellen, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind (Sst 39/41; Mayerhofer StPO 6 § 258 E 30f; Kirchbacher , StPO 15 § 258 Rz 8). Die Frage der Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen sowie der Beweiskraft ihrer Aussage ist der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten, wobei das Gericht nur zu einer gedrängten Darlegung seiner Gründe, nicht jedoch dazu verhalten ist, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RIS Justiz RS0104976). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Selbst der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS Justiz RS0098336).
Bei der Würdigung von Angaben von Personen, die das Gericht selbst vernommen hat, ist zudem der persönliche Eindruck des erkennenden Richters entscheidend, der sich nicht immer erschöpfend in Worte kleiden lässt und darum sowie aufgrund des Gebots der gedrängten Darstellung im Urteil auch nicht in allen Einzelheiten dargelegt und wiedergegeben werden muss ( Lendl , WK StPO § 258 Rz 27; RIS Justiz RS0098413).
Ausgehend von diesen Überlegungen ist die Beweiswürdigung des Erstgerichts nicht zu beanstanden, weil es sich mit der Aussage und dem Aussageverhalten sowohl des Angeklagten als auch der zahlreichen vernommenen Zeugen unter eingehender Befassung mit den Widersprüchlichkeiten in sich und im Vergleich mit anderen Aussagen ausführlich auseinandergesetzt und detailliert dargelegt hat, warum es der leugnenden Verantwortung des Angeklagten und den Aussagen der diese Verantwortung stützenden Zeugen keinen Glauben schenkte und ausführlich begründete, wie es zu dem dem Schuldspruch zugrunde gelegten Geschehensablauf sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht gelangte.
Hinsichtlich der Zeugen F* und G*, auf deren Aussagen sich das Erstgericht insbesondere stützte, ist festzuhalten, dass beide als unmittelbare Augenzeugen angaben, Schläge des Angeklagten gegen C* D* gesehen zu haben und der Zeuge H* G* dies auch bereits vor der Kriminalpolizei so aussagte.
Wenngleich dem Angeklagten zuzustimmen ist, dass der Zeuge F* auf die nicht offene Frage des Erstrichters „Nein, aber er hat Schläge ausgeteilt oder?“ mit der nicht sehr überzeugenden Antwort „glaube schon“ antwortete, so ist zu beachten, dass er in weiterer Folge mehrfach bestätigte, dass es zwei Leute gewesen seien, die auf C* D* eingeschlagen hätten und die Aggressionshandlungen auch vom Angeklagten und nicht nur von B* ausgegangen seien (ON 26.2, 17ff).
I* F* war auch in der Lage, Details des Vorfalls zu schildern, wie zB, dass er gesehen habe, dass B* und der Angeklagte auf C* D* „draufgehängt“ gewesen seien, B* das Opfer dann noch getreten habe und es dann auch noch am Boden „weitergegangen“ sei. Wenngleich der Erstrichter tatsächlich sehr viele geschlossene Fragen gestellt hat, so kam in der Aussage des I* F* zusammengefasst deutlich zutage, dass er gesehen habe, dass beide - somit auch der Angeklagte - C* D* mit der Faust geschlagen hätten.
Auch sind die Überlegungen des Erstgerichts, dass eine Motivlage für eine Falschbelastung des Angeklagten oder ein abgesprochenes Aussageverhalten nicht erkennbar gewesen sei, wenn nicht einmal das mit diesen beiden Zeugen befreundete Opfer den Angeklagten belastet und sich dem gegenständlichen Verfahren nicht als Privatbeteiligter angeschlossen hat, schlüssig und beruhen zudem auf dem nicht zu widerlegenden persönlichen Eindruck des Erstgerichts, das sich von sämtlichen Zeugen und dem Angeklagten ein unmittelbares Bild machen konnte. Es ist dem Erstgericht somit zuzustimmen, dass die Verantwortung des Angeklagten, nie an eine körperliche Auseinandersetzung gedacht zu haben und von der Reaktion des Zeugen D* völlig überrascht worden zu sein, nicht glaubhaft ist, sondern vielmehr davon auszugehen ist, dass der Angeklagte eine Auseinandersetzung mit der Gruppe aufgrund eines vorangegangenen verbalen Schlagabtauschs im Sinn hatte und gerade deshalb den Zeugen B* als Verstärkung hinzugeholt habe.
In Verbindung damit, dass I* F* glaubwürdig angab, an diesem Abend nicht alkoholisiert gewesen zu sein, weil er den PKW gelenkt habe, mit der die Freundesgruppe zu der Feier gefahren ist, H* G* sich von Beginn an sicher gewesen sei und auch in der Ambulanzkarte bereits vermerkt ist, dass C* D* seine Verletzungen durch zwei Personen zugefügt worden seien (ON 2.11), konnte sich das Erstgericht für seine Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen zutreffend auf die Angaben der genannten Zeugen stützen.
Ebenso zutreffend sind die Erwägungen des Erstgerichts zur mangelnden Glaubwürdigkeit der Verantwortung des Zeugen B*, der aufgrund seines erheblichen Alkoholkonsums am Abend des Vorfalls (aufgrund dessen er nach § 287 Abs 1 StGB verurteilt wurde) bloß noch sehr getrübte Erinnerungen an den Vorfall gehabt habe und sich an den konkreten Ablauf der Auseinandersetzung nicht mehr habe erinnern können, jedoch dennoch darauf bestand, zu wissen, dass der Angeklagte nicht zugeschlagen habe.
Entgegen den Berufungsausführungen war aus der Aussage der Zeugin J* weder Be- noch Entlastendes für den Angeklagten zu gewinnen. Diese Zeugin gab wie in vorangegangenen Vernehmungen an, zwar noch den initialen Angriff des B* auf den Zeugen D* gesehen zu haben, dann aber schnell um die Ecke gegangen zu sein und die Polizei angerufen zu haben (ON 26.2, 33), weshalb sie zu den nachfolgenden Ereignissen keine Beobachtungen habe machen können.
Auch die Überlegungen des Erstgerichts, wonach den Aussagen der Zeuginnen K*, L* und M* nicht zu folgen sei, weil sich aus ihren Aussagen ergebe, dass diese tatsächlich keine den Angeklagten entlastenden Wahrnehmungen gemacht haben, bzw, weil sie zum Ablauf der Auseinandersetzung gar nichts beitragen konnten bzw bloß ausweichend antworten bzw lediglich für den Angeklagten sprechende Angaben tätigen wollten (M* [ON 26.2, 12ff], K* [ON 41.2, 11ff] und L* [ON 41.2, 18ff]), sind lebensnah und begegnen keinen Bedenken. Wenngleich dem Berufungswerber zuzustimmen ist, dass eine körperliche Auseinandersetzung eher in Erinnerung bleibt und die Aufmerksamkeit eher bindet als Nebenumstände, so ist dennoch auffällig, dass sowohl die Zeugin K* als auch die Zeugin L* trotz ihres angeblich nahen Standpunkts zum Vorfall kaum etwas gesehen haben wollen, jedoch mit Bestimmtheit sagen konnten, dass der Angeklagte lediglich schlichtend in die Auseinandersetzung zwischen B* und C* D* eingegriffen habe.
Letztlich spricht auch der Umstand, dass der Angeklagte zunächst in seiner schriftlichen Stellungnahme angegeben hatte, bloß in der Nähe gestanden zu sein, später seine Verantwortung aber derart veränderte, dass er vielmehr versucht habe, B* von C* D* wegzuziehen und dies bis dahin unerwähnt gelassen hatte, gegen die Richtigkeit dieser zuletzt gewählten Verantwortung des Angeklagten.
Indem der Berufungswerber den vom Erstrichter in vertretbarer Weise aus dem Beweisergebnissen abgeleiteten Urteilsannahmen bloß andere, für den Angeklagten positive Schlüsse entgegenhält, verkennt er, dass selbst dann, wenn ein Verfahrensresultat mehrere Auslegungen oder Schlussfolgerungen zuließe, das Gericht keinesfalls gehalten ist, sich eine bestimmte der sich anbietenden Varianten zu eigen zu machen, vielmehr kann sich dieses jede Meinung bilden, die den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung nicht widerspricht, was vorliegend zu bejahen ist (vgl RIS Justiz RS0098336).
Da es der Berufung somit nicht gelingt, einen Verstoß gegen die Grenzen der freien Beweiswürdigung aufzuzeigen und das Berufungsgericht bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung in Erledigung der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der Richtigkeit der erstrichterlichen Lösung der Schuldfrage hat, ist der Berufung wegen des Aus-spruchs über die Schuld der Erfolg zu versagen.
Der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe kommt zum Teil Berechtigung zu.
Der Behandlung der Strafberufung ist voranzustellen, dass Grundlage für die Bemessung der Strafe die Schuld des Täters ist. Dabei hat das Gericht die Erschwerungs und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen und auch auf die Auswirkungen der Strafe und anderer zu erwartender Folgen der Tat auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft Bedacht zu nehmen. Zu berücksichtigen ist vor allem, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einen mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte (§ 32 Abs 2 StGB).
Vor diesem Hintergrund ist zunächst zum Nachteil des Angeklagten zusätzlich die hinsichtlich der verursachten Verletzungen erfüllte zweifache Qualifikation des § 84 Abs 1 StGB den Erfolgsunwert erhöhend zu werten, zumal die an sich (insgesamt) schwere Verletzung auch mit einer länger als 24 Tage, nämlich beinahe fünf Wochen dauernden Gesundheitsschädigung verbunden war (vgl Mayrhofer , StGB 6 §§ 32e, 22i, 22j mwN; Riffl, in WK 2 StGB § 32 Rz 76ff; RIS Justiz RS0091058[insbes T1, T3], RS0132896).
Ausgehend von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (§ 84 Abs 4 iVm § 19 Abs 4 JGG) und unter objektiver Abwägung der lediglich geringfügig zu Lasten des Angeklagten veränderten Strafzumessungslage sowie unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Ausmaß der verhängten Strafe in einer realistischen Relation zum Unrechts und Schuldgehalt der konkreten Tat stehen muss (RIS Justiz RS0090854), erweist sich die vom Erstgericht verhängte Sanktion jedoch nicht korrekturbedürftig, zumal angesichts seiner einschlägigen Vorstrafe eine Freiheitsstrafe, die lediglich ein Drittel der Strafrahmenobergrenze erreicht, bereits als milde anzusehen ist.
Dem Angeklagten ist jedoch zuzustimmen, dass die dem Vor Urteil zugrunde liegende Tathandlung, bei der der Beschuldigte kurz nach seinem 14. Geburtstag seine Mutter getötet hatte, einer extremen Ausnahmesituation und dem Umstand des Aufwachsens in einer vernachlässigenden und missbräuchlichen Umgebung sowie seiner zunehmenden Isolation geschuldet war und ihr nicht eine kriminelle Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten zu Grunde lag. Ungeachtet der einschlägigen Vorverurteilung des Angeklagten kann daher ein Teil der Strafe bedingt nachgesehen werden, zumal davon auszugehen ist, dass dies ausreicht, den Angeklagten in Verbindung mit der Anordnung von Bewährungshilfe von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten.
Somit kann in teilweiser Stattgebung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten bedingt nachgesehen werden.