5R62/25m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Richter Mag. Guggenbichler als Vorsitzenden, den Richter Mag. Eberwein sowie die KR Eigner in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. **, Busfahrer, **, vertreten durch Braunsberger-Lechner-Loos Rechtsanwälte in Steyr, wider die beklagte Partei B* AG B* , FN **, **, vertreten durch die MUSEY rechtsanwalt gmbh in Salzburg, wegen EUR 45.391,68 sA, über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 1.675,34) gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 24.3.2025, GZ **-27, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 658,99 (darin EUR 109,83 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Zwischen den Parteien besteht eine Unfallversicherung, versichert sind Unfallinvalidität, Vollschutz mit Freizeit-Plus, Standard-Gliedertaxe, Unfallrente, Unfalltod, Unfallkosten, Hubschrauber- und Bergungskosten, Taggeld, Spitalgeld, Rückhol-Service, Unfall-Reha-Service, Sportpakete und Zeckenschutz.
Am 17.9.2022 rutschte der Kläger in einer Turnhalle beim Schwingen von einer Stange zur nächsten ab, fiel herunter, und verdrehte sich beim Zurückfallen das rechte Knie. Dies führte zu einer Teilruptur des degenerativen und vorgeschädigten Innenmeniskus-Hinterhorns, einem blutigen Erguss im Kniegelenk sowie einem Knochenmarködem bei vorbestehender Knorpelabscherung.
Der Kläger begehrte die Zahlung von EUR 45.391,68 sA und brachte (soweit für das Berufungsverfahren noch relevant) vor, durch den Unfall seien auch Heilbehandlungskosten angefallen.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, es sei aufgrund des Unfalls nicht zu einer Schädigung gekommen, die zu einer unfallkausal traumatisch entstandenen Funktionsminderung geführt habe. Allfällige Heilbehandlungskosten seien nicht unfallkausale Folge, sondern Behandlungsgegenstand unfallunabhängiger Schäden. Allfällige vor dem Ereignis nicht vorhandene Beschwerden oder Bewegungseinschränkungen hätten nur hervorgebracht werden können, weil sie degenerativ umfänglich bereits Kniegelenkschäden verursacht hätten. Es sei daher eine 100%ige Mitwirkung vorbestehender Krankheiten, Gebrechen und Degenerationen gegeben, sodass jegliche Leistungspflicht entfalle.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren im Umfang von EUR 60,- sA statt, wies das Mehrbegehren von EUR 45.331,68 sA ab und verpflichtet den Kläger zum Kostenersatz.
Dabei ging es von den oben zusammengefasst wiedergegebenen Außerstreitstellungen aus und traf die auf Seiten 4 bis 8 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird.
In rechtlicher Hinsicht führte es (soweit für das Berufungsverfahren noch relevant) aus, Unfallkosten, unter die auch ärztlich verordnete notwendige Heil- und Therapiekosten zur Behebung der Unfallfolgen fielen, seien gemäß § 15 AUVB bis zur Höhe der vereinbarten Versicherungssumme von EUR 1.700,- zu ersetzen. Jedoch komme die sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes zum Tragen, soweit diese Leistungen aufgrund der durch den Vorschaden hervorgerufenen Unfallfolgen (Einriss des Innenmeniskus-Hinterhorns und Knorpelabscherung) notwendig gewesen seien. Bezüglich der Honorarnote ./H sei dies nicht feststellbar, was zu Lasten des beweisbelasteten Klägers gehe. Die Kosten aus der Honorarnote ./I würden die Operation vom 13.10.2022 betreffen, die nur aufgrund der vorschadenbedingten Unfallverletzungen durchgeführt worden sei. Da der diesbezügliche Mitwirkungsanteil 100% betrage, stehe dafür kein Ersatz zu.
Gegen die Abweisung des Klagemehrbegehrens im Umfang von EUR 1.675,34 sA richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil insofern abzuändern, dass dem Kläger ein weiterer Betrag von EUR 1.675,34 zugesprochen werde; eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. Zur Mängelrüge :
1.1. Der Kläger moniert, das Erstgericht habe gegen die Erörterungspflicht gemäß §§ 182, 182a ZPO verstoßen, da es nicht erörtert habe, dass es hinsichtlich der Honorarnoten ./H und ./I davon ausgehe, dass nicht ersichtlich sei, welche der damit verrechneten Leistungen in welcher vergüteten Höhe auch ohne Vorschaden notwendig gewesen wären und welche der Kosten der Operation vom 13.10.2022 zuzuordnen wären, sodass mangels Beweisergebnissen eine Feststellung nicht möglich sei. Auf Basis des SV-Gutachtens habe das Erstgericht festgestellt, dass Behandlungen bis Ende Oktober 2022 als unfallkausal anzusehen seien; die Beilagen seien der Sachverständigen vorgelegen. Der Kläger sei daher davon ausgegangen, dass eine weitere Beweisführung zur Höhe der Kosten laut diesen Beilagen nicht erforderlich sei. Da dies weder seitens des Gerichtes noch seitens der Beklagten thematisiert worden sei, liege damit ein Verstoß gegen die Erörterungspflicht vor.
Wäre das Gericht dem Gesetz entsprechend vorgegangen, wäre auf Basis des Gutachtens vorgebracht worden, dass es sich um Kosten handle, die unfallkausal seien und aus rechtlicher Sicht der Versicherung unterliegen würden. Darüber hinaus wären detaillierte ergänzende Fragen an die Sachverständige gestellt worden, wofür die in den Beilagen angeführten Kosten anfallen und inwieweit diese für die Vorbereitungshandlungen für die nicht unfallkausale Operation verursacht und inwieweit diese unfallkausal seien.
1.2. Der Kläger zeigt hier keinen Verfahrensmangel auf. Die - grundsätzlich auch im Anwaltsprozess bestehende - Prozessleitungspflicht geht nicht soweit, dass das Gericht zu erkennen zu geben hätte, welchen Beweisaufnahmen es Glauben schenken werde und welchen nicht und dass es in diesem Zusammenhang zur Stellung neuer Beweisanträge anzuleiten hätte (RS0036869). Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, anwaltlich vertretene Parteien zur Stellung von Beweisanträgen anzuleiten [T1]. Die in § 182a Satz 2 ZPO statuierte Erörterungspflicht bezieht sich auf rechtliche Gesichtspunkte [T2]. Das Erstgericht musste daher seine Einschätzung der Urkunden nicht vorab mit den Parteien erörtern.
2. Zur Tatsachenrüge:
2.1. Der Kläger bekämpft die Feststellung
„ Nicht festgestellt werden kann, welche der damit verrechneten Leistungen in welcher vergüteten Höhe auch ohne den Vorschaden zur Behebung der nicht vorschadenbedingten Unfallfolge „Zerrung des Kniegelenks“ dem Stand der Schulmedizin entsprechend notwendig gewesen wären. “
und begehrte die Ersatzfeststellung
„Die Kosten waren notwendig, um die Unfallfolgen entsprechend dem Stand der Schulmedizin zu behandeln. “
Die begehrte Ersatzfeststellung ergebe sich daraus, dass die Sachverständige in ihrem Gutachten die Behandlungen bis Ende Oktober 2022 als unfallkausal angesehen habe. In den Beilagen ./H und ./J seien in den Diagnosen die festgestellten unfallskausalen Verletzungen, nämlich der Einriss des Hinterhorns des Innenmeniskus und die Entfernung einzelner Knorpelschuppen genannt. Auch sei in Beilage ./I die Diagnose S 83.5, Verstauchung und Zerrung des Kniegelenkes, angeführt, auch scheine Dr. C* als Operateur auf. Bei schlüssiger Beweiswürdigung sei daher die begehrte Ersatzfeststellung zu treffen.
Diese Ersatzfeststellung sei rechtlich relevant, da (unstrittig) unfallskausale Behandlungskosten in der Unfallversicherung versichert seien und die Beklagte dafür einzustehen hätte.
2.2. Vorweg ist festzuhalten, dass sich das Erstgericht mit der bekämpften Feststellung eindeutig nur auf die in den Feststellungen unmittelbar zuvor genannten Leistungen (Beilage ./H) bezieht; dies wird durch die Formulierung „welche der damit verrechneten Leistungen“ klargestellt.
2.3. Um die Beweisrüge gesetzmäßig auszuführen, muss der Berufungswerber nach ständiger Rechtsprechung angeben, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (RS0041835; A. Kodek in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 471 Rz 15 mwN). Die Beweiswürdigung kann nur erfolgreich angefochten werden, indem dargetan wird, dass sie auf einem Denkfehler beruht, objektiv nachgewiesene Tatsachen außer Acht geblieben sind oder sonst stichhaltige Gründe gegen ihre Richtigkeit sprechen und der Verhandlungsrichter den ihm durch § 272 ZPO eingeräumten Bewertungsspielraum überschritten hat. Eine Beweisrüge muss eindeutig erkennen lassen, auf Grund welcher Umwürdigung bestimmter Beweismittel welche vom angefochtenen Urteil abweichenden Feststellungen angestrebt werden (RS0041835 [T2]). Dabei ist darzustellen, warum das Erstgericht bei richtiger Beweiswürdigung gerade die begehrte Feststellung (und nicht etwa aufgrund anderer vorliegender Beweismittel andere Feststellungen) hätte treffen müssen (6 Ob 177/21d).
Es genügt daher nicht, die Beweiswürdigung der ersten Instanz pauschal als unrichtig zu bezeichnen, einzelnen Feststellungen lediglich Gegenbehauptungen entgegenzusetzen (RS0041830) oder aufzuzeigen, dass auch Beweisergebnisse für andere Feststellungen vorliegen. Erforderlich ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit sämtlichen Beweisergebnissen und der Argumentation der erstgerichtlichen Beweiswürdigung. Dementsprechend hat das Berufungsgericht die Beweiswürdigung (nur) darauf zu untersuchen, ob die Grenzen der freien Beweiswürdigung eingehalten und die Beweisergebnisse nach der Aktenlage schlüssig gewürdigt wurden ( Klauser/Kodek , JN-ZPO 18 § 467 ZPO, E 40/4).
2.4. Diesen Voraussetzungen wird die Berufung nicht gerecht, sie erwähnt weder die – für das Berufungsgericht nachvollziehbaren - beweiswürdigenden Erwägungen der Erstrichterin, noch setzt sie sich mit diesen in irgendeiner Art und Weise überhaupt auseinander. Die Gesetzesrüge ist nicht gesetzesgemäß ausgeführt, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
2.5. Das Berufungsgericht übernimmt daher die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis einer unbedenklichen und schlüssigen Beweiswürdigung und legt sie der rechtlichen Beurteilung zu Grunde (§ 498 ZPO).
3. Zur Rechtsrüge :
3.1. Der Kläger bemängelt, das Erstgericht habe die Kosten laut Beilage ./H von EUR 127,71, Kosten laut Beilage ./I von EUR 1.447,63 und Kosten laut Beilage ./J von EUR 100,- zu Unrecht nicht zugesprochen. Das Erstgericht gehe offensichtlich davon aus, dass diese Kosten deshalb nicht zu ersetzen seien, weil die Operation vom 13.10.2022 ohne den Vorschaden nicht notwendig gewesen wäre, da der Kläger diesfalls durch den Vorfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur eine Zerrung erlitten hätte. Diese Rechtsansicht sei jedoch unrichtig, da bezüglich der Operation am 13.10.2022 eine den Versicherungsanspruch sehr wohl begründende Mitkausalität vorliege. Sei der Schaden sowohl Folge des Unfallereignisses als auch unfallfremder Umstände, führe dies nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten, eine Mitursache beseitige den Versicherungsschutz nicht. Nach den Feststellungen sei die Operation vom 13.10.2022 aufgrund des Unfalles notwendig gewesen; dass kumulativ ein Vorschaden als weitere kausale Voraussetzung vorliege oder, dass bei dieser Operation allenfalls zusätzlich Vorbereitungshandlungen für die weitere nicht unfallkausale Operation am 12.10.2023 miterledigt worden seien, ändere am Versicherungsschutz nichts. Gleiches gelte für die Kosten laut Beilage ./H, diese Honorarnote beziehe sich auf oben genannte unfallkausale Operation; gleiches gelte für die Beilage ./J.
3.2. § 20.2. AUVB 2018 enthält eine Regelung zur Leistungskürzung bei mitwirkenden Ursachen. Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung - insbesondere solche Verletzungen, die durch krankhafte, anlagebedingte oder abnützungsbedingte Einflüsse verursacht oder mitverursacht worden sind - oder deren Folgen mitgewirkt, ist die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu vermindern.
3.3. Abgestellt wird allein auf die Mitwirkung der Krankheiten oder Gebrechen auf die Unfallfolgen, nicht darauf, ob beim Unfallereignis selbst Vorerkrankungen mitgewirkt haben (7 Ob 103/15w [zu Art 18.3. AUVB 2005]).
3.4. § 20.2. AUVB 2018 sieht daher eine sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes insofern vor, als eine Versicherungsleistung nur für die durch den eingetretenen Unfall hervorgerufenen Folgen zu erbringen ist, der Versicherer also nur für die Folgen einzutreten hat, für die der Unfall (allein) kausal ist (RS0119520 [T1]). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer versteht diese Regelung so, dass unfallfremde Krankheiten oder Gebrechen grundsätzlich zu seinen Lasten gehen, nämlich zu einer Kürzung des Anspruchs oder einem Abzug von der Gesamtinvalidität führen (7 Ob 103/15w mwN [zu Art 18.3. AUVB 2005]). Aus der Klausel folgt für den Versicherungsnehmer klar, dass der Unfallversicherer keinen Versicherungsschutz für unfallfremde Ursachen von Gesundheitsschädigungen wie Krankheiten oder konstitutionell oder schicksalshaft bedingte gesundheitliche Anomalien bietet (7 Ob 3/24b).
3.5. Die Einschränkung der Deckungspflicht (nur) auf unmittelbar durch den Unfall herbeigeführte Folgen ist vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer zu erwarten, sodass keine Sittenwidrigkeit im Sinn des § 879 ABGB vorliegt (7 Ob 192/11b).
3.6. Bei der Quantifizierung des Mitwirkungsanteils ist vom konkreten Versicherungsnehmer und seiner individuellen Körpergestaltung auszugehen, wobei der Mitwirkungsanteil eines Gebrechens oder einer Krankheit an den Unfallfolgen eine nicht reversible Tatfrage ist (7 Ob 178/21h).
3.7. Den Feststellungen des Erstgerichts ist zu entnehmen, dass eine Mitwirkung des Vorschadens des Klägers an den Unfallfolgen „Einriss des Hinterhorns des Innenmeniskus“ sowie „Knorpelabscherung“ von 100 % gegeben ist. Wenn das Erstgericht daher die geltend gemachten Leistungen entsprechend diesem Anteil auf Null minderte, ist dies nicht zu beanstanden.
3.8. Sofern der Kläger einen sekundären Feststellungsmangel darin sehen will, dass das Erstgericht die Feststellung zu treffen gehabt hätte, dass die mit Beilage ./J geltend gemachten EUR 100,- weitere durch den Unfall verursachte Behandlungskosten im Zusammenhang mit der Operation am 13.10.2022 seien, ist er auf darauf zu verweisen, dass sekundäre Feststellungsmängel nur dann vorliegen, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen nicht festgestellt wurden (RS0053317 [T5]). Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]; RS0043480 [T15]). Das Erstgericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass Behandlungen bis Ende Oktober 2022 als unfallkausal anzusehen sind. Da die Honorarnote ./J eine Behandlung am 12.1.2023 betrifft, ist über deren (mangelnde) Unfallkausalität mit der genannten Feststellung abgesprochen worden.
4. Der unbegründeten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten der Berufungsbeantwortung korrekt verzeichnet.
6. Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.