21Bs74/25y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat am 23. Mai 2025 durch den Senatspräsidenten Dr. Krenn als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Sanda und Mag. Maruna als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* und einen weiteren Angeklagten wegen § 84 Abs 4 StGB über die Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit, Schuld, Strafe und des Ausspruchs über privatrechtliche Ansprüche gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 12. November 2024, GZ ** 17.5, sowie dessen gleichzeitig erhobene Beschwerde gegen einen Beschluss nach § 50, 51 StGB, in der in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Gretzmacher, MAS, LL.M., und der Vertreterin des Privatbeteiligten, Mag. Lisa-Maria Tschoner, in Anwesenheit des Angeklagten A* sowie seiner Verteidigerin Mag. Andrea Nobis durchgeführten Berufungsverhandlung
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II. den
B e s c h l u s s
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Text
Mit dem angefochtenen Urteil, das eine rechtskräftige Verurteilung des Mitangeklagten enthält, wurde der am ** geborene A* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt und nach diesem Strafsatz unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollzug unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Gemäß §§ 366 Abs 2, 369 Abs 1 StPO wurde A* zur ungeteilten Hand mit dem rechtskräftig verurteilten B* schuldig erkannt, dem Privatbeteiligten C* binnen 14 Tagen 2.000 Euro zu bezahlen. Mit seinen darüber hinausgehenden Ansprüchen wurde der Privatbeteiligte gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Mit gleichzeitigem Beschluss wurde für den Angeklagten A* gemäß §§ 50 Abs 1 StGB, 494 Abs 1 StPO für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet und ihm gemäß § 51 Abs 1 und 3 StGB die Weisung erteilt, ein Antigewalttraining zu absolvieren und dessen Beginn und den erfolgreichen Abschluss dem Gericht unaufgefordert nachzuweisen (ON 20).
Danach haben A* und der rechtskräftig Verurteilte B* am 30.6.2024 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) während des ** in ** C* am Körper verletzt und dadurch eine schwere Körperverletzung des anderen herbeigeführt, indem B* dem Genannten zwei wuchtige Faustschläge und A* dem Genannten einen wuchtigen Faustschlag ins Gesicht versetzten, wodurch der Genannte zumindest einen Bruch des Oberkiefers und des linken Jochbeins mit Einblutung, einen Bruch des linken großen Keilbeinflügels sowie ein Hämatom im Bereich der linken Augenhöhle, mithin eine an sich schwere Körperverletzung, erlitt.
Zu den persönlichen Verhältnissen des zur Tatzeit 17-jährigen A* stellte das Erstgericht fest, dass er jeweils vier Jahre Volks- und Mittelschule absolviert und sich im Urteilszeitpunkt in der vierten Klasse der HTL befunden habe. Daneben habe er samstags als Verkaufsberater im Baumarkt gearbeitet und daraus ein Nettoeinkommen von 480 Euro (14 mal im Jahr) bezogen. Er habe weder Vermögen noch finanzielle Pflichten oder Sorgepflichten. A* sei gerichtlich unbescholten.
Ein diversionelles Vorgehen sei mangels Verantwortungsübernahme aus spezialpräventiven Gründen und aufgrund Vorliegens schwerer Schuld nicht in Betracht gekommen.
Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht den bisherigen ordentlichen Lebenswandel mildernd, erschwerend wurde kein Umstand berücksichtigt.
Die Anwendung des § 37 Abs 1 StGB schloss das Erstgericht mit Blick auf die Persönlichkeit des Angeklagten und angesichts des durch dessen Tathandlungen verwirklichten beträchtlichen Verletzungswertes aus.
Mit Blick auf spezialpräventive Erwägungen sei es jedoch nicht geboten, die verhängte Freiheitsstrafe in Vollzug zu setzen.
Den Ausspruch über dem Privatbeteiligtenanspruch stützte die Einzelrichterin auf § 1295 Abs 1 ABGB iVm § 1325 (gemeint:) ABGB, wobei in Anbetracht der Schwere der Tat, insbesondere im Hinblick auf das objektivierte Verletzungsbild und die festgestellten Schmerzperioden ein Schmerzengeldbetrag im Ausmaß von 2.000 Euro unter analoger Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO als angemessen zu bestimmen gewesen sei, um das von C* erlittene Ungemach global abzugelten.
Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte A* rechtzeitig Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld sowie des Ausspruchs über die Strafe und des Privatbeteiligtenzuspruchs an (ON 18) und führte diese, sowie die Beschwerde gegen den Beschluss, mit dem Bewährungshilfe angeordnet und A* eine Weisung zu einem Antigewalttraining erteilt wurde, fristgerecht aus (ON 23).
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung und die Beschwerde sind nicht berechtigt.
Die vom Berufungswerber in seiner Rechtsrüge (§§ 281 Abs 1 Z 9 lit a iVm 489 Abs 1 StPO) vermissten Feststellungen zum inneren Tatbestand finden sich auf US 5 (… erkannten und billigten ...), im Sinn einer vorsätzlichen Tatbegehung (§ 5 Abs 1 StGB).
Der Schuldberufung des Angeklagten ist voranzustellen, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind. Die freie Beweiswürdigung ist Verstandes-, nicht Gefühlstätigkeit. Nicht nur zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse berechtigen das Gericht zu Tatsachenfeststellungen ( Kirchbacher StPO 15 § 258 Rz 8).
Festzuhalten ist, dass bei Würdigung von Angaben von Personen, die das Gericht selbst vernommen hat, der persönliche Eindruck der erkennenden Richterin entscheidend ist, der sich nicht immer erschöpfend in Worte kleiden lässt und darum, sowie aufgrund des Gebots gedrängter Darstellung, im Urteil auch nicht in allen Einzelheiten dargelegt und wiedergegeben werden muss (RIS-Justiz RS0098413).
In einem ausführlichen Beweisverfahren verschaffte sich die Einzelrichterin einen umfassenden persönlichen Eindruck von allen Beteiligten und dem Geschehensablauf und begründete nachvollziehbar und den Gesetzen logischen Denkens folgend, worauf sie ihre Feststellungen stützte. Insbesondere ging das Erstgericht ausführlich darauf ein, weshalb es den Feststellungen die - in sich konsistente - Aussage des Opfers und zumindest ansatzweise die Einlassung des Verurteilten C* D* zugrundelegte, demgegenüber jedoch der bestreitenden Verantwortung des Berufungswerbers und der mit ihm befreundeten Zeugen, die vor Gericht überwiegend widersprüchlich zu ihren Vernehmungen vor der Polizei aussagten und deren Aussagen überwiegend auch zueinander im Widerspruch standen, keinen Glauben schenkte. Indem der Berufungswerber lediglich vermeint, dass das Opfer widersprüchlich zu seinen eigenen Angaben im Ermittlungsverfahren ausgesagt habe, weshalb ihm keine uneingeschränkte Glaubwürdigkeit zugesprochen werden könne, während er die widersprüchlichen Angaben der Zeugen als Beleg für ihre Glaubwürdigkeit darzustellen versucht, gelingt es ihm jedoch nicht, die schlüssigen beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts zu erschüttern.
Auch wenn die Tat aus einer Konfliktsituation bzw. aufgrund der konkreten Situation sehr spontan und durch das aufbrausende und provozierende Verhalten des Opfers begünstigt entstanden wäre, wie der Berufungswerber im Rahmen seiner Berufung wegen des Strafausspruchs vermeint, könnte dennoch nicht von einem geringen Handlungsunwert und angesichts der Verletzungen schon gar nicht von einem geringen Erfolgsunwert gesprochen werden.
Von einer Provokation durch das Opfer vor dem allerersten Schlag kann keinesfalls gesprochen werden, zumal dieses nach den erstgerichtlichen Feststellungen lediglich unaufgefordert das Gespräch des Angeklagten mit dem rechtskräftig verurteilten B* kommentiert hatte. Danach erfolgten die Tritte durch A* und B* gegen die Toilettenkabine, die C* betreten hatte, wodurch dieser - nachvollziehbar - aufgebracht war und A* sowie B* zur Rede stellte. Erst dann entwickelte sich ein intensives Streitgespräch mit wechselseitigen Beleidigungen und Beschimpfungen der beteiligten Personen. Eine sich auf die verhängte Freiheitsstrafe mildernd auswirkende Provokation durch das Opfer ergibt sich daraus nicht.
Wiewohl das Erstgericht feststellte, dass der Angeklagte A* zur Tatzeit angetrunken gewesen sei (US 3), kann von einer sich mildernd auswirkenden Enthemmung durch Alkohol nicht die Rede sein, zumal A* vermeinte, „einen Spritzer getrunken“ zu haben (AS 15 in ON 17.4).
Das „junge Alter“ des Angeklagten A* wurde zutreffend nicht berücksichtigt, da aufgrund seines Alters zur Tatzeit § 5 Z 4 JGG zur Anwendung gelangte.
Voraussetzung des § 37 Abs 1 StGB ist, dass eine Geldstrafe genügt, den Täter von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Mangels auch nur ansatzweiser Verantwortungsübernahme durch den Angeklagten A* und aufgrund des Umstandes, dass er, nachdem der rechtskräftig Verurteilte B* dem Opfer - in zwei kurz aufeinanderfolgenden Situationen - bereits zwei Faustschläge versetzt hatte und sich zu diesem Zeitpunkt die - ausschließlich verbalen - Aggressionen des Opfers vorwiegend gegen B* richteten (US 4f), diesem einen gezielten und wuchtigen Faustschlag ins Gesicht versetzte, kann der Verhängung einer Geldstrafe gegenüber einer Freiheitsstrafe keine ausreichend spezialpräventive Wirkung zuerkannt werden.
Ausgehend von den Kriterien des § 32 StGB und zutreffender Heranziehung und Gewichtung des Milderungsgrundes des bisherigen ordentlichen Lebenswandel fand die Einzelrichterin, ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe (§ 84 Abs 4 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG) eine angemessene Sanktion, die einer Herabsetzung nicht zugänglich ist.
Zum Berufungsargument, dass das Erstgericht zu den Schmerzen keine ausreichenden Feststellungen getroffen hätte, daher nicht erkennbar sei, welche Schmerzperioden, gerafft auf den 24-Stunden-Tag, dies ergebe und ebenso wenig, in welchem Ausmaß diese Schmerzen vorgelegen seien, sodass die Höhe des zugesprochenen Betrages von 2.000 Euro aus den Feststellungen nicht ableitbar sei, ist der Berufungswerber darauf zu verweisen, dass bei der Berechnung von Schmerzengeld einerseits Art, Dauer und Stärke der Schmerzen und andererseits die Schwere der Verletzung und der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes sowie die damit verbundenen Unlustgefühle zu beachten sind. Wenn auch für die Bemessung des Schmerzengeldes unter anderem die Dauer der Schmerzen von Bedeutung ist, so ist es doch nicht nach Tagessätzen oder anderen auf Zeitperioden aufbauenden Sätzen zu bemessen, da diese viel zu schematisch sind (vgl Reischauer in Rummel ABGB³ § 1325 Rz 45). Nach der herrschenden Rechtsprechung kann daher im Strafverfahren zur Beurteilung von Schmerzengeldansprüchen auf § 273 ZPO zurückgegriffen werden (vgl RIS-Justiz RS0031614). Angesichts dessen ist schon allein unter Zugrundelegung des Umstandes, dass C*, wie festgestellt, rund sechs Wochen Schmerzen verspürte, auch der Zuspruch an den Privatbeteiligten in Ansehung der durch die Tathandlungen erlittenen festgestellten Verletzungen und des erlittenen Unbills keinesfalls unangemessen oder überhöht, wobei auch weitergehende Feststellungen durch das Erstgericht nicht erforderlich waren.
Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.
Auch der Beschwerde, die sich dezidiert ausschließlich gegen die Weisung zu einem Antigewalttraining, zu dem der Angeklagte zustimmte (AS 47 in ON 17.4), richtet, ist angesichts des Tatablaufs im Zusammenhalt mit den Erhebungen der Familien- und Jugendgerichtshilfe D* (ON 16), in denen unter anderem die Deliktbearbeitung als sinnvoll erachtet wird, kein Erfolg beschieden.
Ebenso wenig war der - implizierten - Beschwerde gegen die Anordnung von Bewährungshilfe Folge zu geben, zumal die Familien- und Jugendgerichtshilfe D* nachvollziehbar eine außerfamiliäre Ansprechperson zur Möglichkeit der Reflexion von Selbstansprüchen und Fremderwartungen als sinnvoll erachtet.