6R94/25z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie den Richter Dr. Pscheidl und die Richterin Mag. Müller im Konkurs über das Vermögen der A* B* KG , FN C*, **, vertreten durch Mag. Matthäus Stimpfl-Abele, MSc, Rechtsanwalt in Wien, Insolvenzverwalter Dr. D*, Rechtsanwalt in Wien, über den Rekurs der Schuldnerin und des unbeschränkt haftenden Gesellschafters Dipl.- Ing. E* A*, **, gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 28.1.2025, ** 1, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er lautet:
„Der Antrag der Republik Österreich vom 20.9.2024, F*, über das Vermögen der A* B* KG, FN C*, das Insolvenzverfahren zu eröffnen, wird abgewiesen.“
Die durch diese Entscheidung erforderlichen Anordnungen werden dem Erstgericht übertragen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung
Die A* B* KG ( Antragsgegnerin , Schuldnerin ) ist seit 24.12.1996 zu FN C* im Firmenbuch eingetragen. Unbeschränkt haftender Gesellschafter (Komplementär) ist Dipl.-Ing. E* A*, geboren am **, Kommanditistin mit einer Haftungssumme von ATS 10.000 ist Mag. G* A*, geboren am **.
Am 20.9.2024 beantragte die Republik Österreich, ** ( FA , Antragstellerin ), zu F* des Erstgerichts die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin. Diese schulde ihr laut beiliegendem vollstreckbarem Rückstandsausweis vom 17.9.2024 EUR 57.032,40 an rückständigen und vollstreckbaren Abgaben. Der Betrag setze sich aus ausständiger Umsatzsteuer für 2020 in Höhe von EUR 27.495,32 (fällig per 15.2.2021) und 2021 in Höhe von EUR 28.000 (fällig per 15.2.2022) sowie Barauslagenersatz, Zuschlägen, Gebühren und Zinsen zusammen. Die Zahlungsunfähigkeit folge aus der Höhe der ausständigen Abgabenforderung und aus dem mehr als zweimonatigen Zeitraum, in dem diese Abgaben nicht bezahlt worden seien. Die Antragstellerin erklärte sich bereit, einen Kostenvorschuss von bis zu EUR 4.000 zu erlegen.
Die Erhebungen des Erstgerichts im Exekutionsregister ergaben kein aktuell aufscheinendes Exekutionsverfahren gegen die Antragsgegnerin (ON 6, 10). Abfragen wegen offenkundiger Zahlungsunfähigkeit (ON 2.6) sowie in der Liste der Vermögensverzeichnisse (ON 2.8) brachten kein Ergebnis.
Liegenschaftseigentum der Antragsgegnerin konnte nicht erhoben werden (ON 2.5), zum Komplementär ergaben sich 34 Einträge in Wien und Niederösterreich (ON 2.9).
Mit Beschluss vom 24.9.2024 lud das Erstgericht ua die Schuldnerin und den Komplementär zur Tagsatzung am 23.10.2024. Die Zustellung der Ladung erfolgte aufgrund der Ortsabwesenheit von Schuldnerin und Komplementär bis 1.12.2024 nicht (ON 3, 4 und 5).
Auf die Ladung für den auf den 9.12.2024 verlegten Termin konnte an die Schuldnerin und den Komplementär - wegen Ortsabwesenheit beider bis 15.1.2025 – nicht zugestellt werden (ON 9.1, 11 und 12).
Am 6.12.2024 gab die Antragstellerin bekannt, dass sich der Rückstand auf EUR 56.909,53 verringert habe. Eine Ratenvereinbarung sei nicht getroffen worden (ON 7).
Das Erstgericht forderte die Schuldnerin mit Beschluss vom 20.12.2024 auf, binnen 10 Tagen die Bezahlung oder den Abschluss einer Ratenvereinbarung mit der Antragstellerin nachzuweisen, widrigenfalls angenommen werde, dass die Konkursvoraussetzungen vorliegen. Es verfügte die Zustellung an die Schuldnerin mit Rückschein und per Edikt (ON 14).
Die Schuldnerin äußerte sich nicht zum Antrag.
Das Erstgericht lud die Schuldnerin und den Komplementär zu einem weiteren Termin am 27.1.2025. Auch die Zustellung dieser Ladungen konnte wegen der Ortsabwesenheit von Schuldnerin und Komplementär bis 30.3.2025 nicht vollzogen werden (ON 16, 17 und 18).
Zur Verhandlung am 27.1.2025 erschien niemand (ON 20).
Daraufhin eröffnete das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Konkurs über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte Dr. D* zum Insolvenzverwalter. Die Prüfungstagsatzung wurde für den 25.3.2025 anberaumt und das Ende der Anmeldefrist mit 11.3.2025 bestimmt. Das Erstgericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Forderung der Antragstellerin mit dem Betrag von EUR 56.909,53 glaubhaft gemacht worden sei. Die Schuldnerin entziehe sich der Ladung durch ständige Ortsabwesenheitsmeldungen sowohl zu ihrem Unternehmensstandort als auch zum Wohnsitz des Geschäftsführers. Kostendeckendes Vermögen habe das Verfahren nicht ergeben. Es seien offenbar anfechtbare Zahlungen geleistet worden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Schuldnerin und des Komplementärs mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Abweisung des Insolvenzeröffnungsantrags. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
Die Antragstellerin erstattete keine Rekursbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt .
1. Die Rekurswerber machen in ihrem Rekurs geltend, dass der Schuldnerin weder der Insolvenzantrag noch die im Anschluss ergangenen Ladungen – insbesondere jene für den Verhandlungstermin am 27.1.2025 – zugestellt worden seien.
Im Zeitpunkt der versuchten Zustellungen sei jeweils eine Ortsabwesenheitsmeldung aufrecht gewesen. Die Rekurswerber hätten nicht versucht, sich den Zustellungen zu entziehen. Der Komplementär befinde sich regelmäßig auf längeren Auslands- und Inlandsaufenthalten.
Hätten die Rekurswerber rechtzeitig Kenntnis vom Konkurseröffnungsantrag erlangt, hätten sie fristgerecht nachgewiesen, dass Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sowie des Komplementärs und Geschäftsführers der Schuldnerin nicht vorgelegen habe bzw. vorliege, weil Letztgenannter über ausreichend unbelastetes Immobilienvermögen habe, um die Forderung der Antragstellerin zu befriedigen. Außerdem habe der Komplementär per 31.1.2025 über Bankguthaben in Höhe von insgesamt 252.174,87 verfügt. Auch 2024 habe er auf einen vergleichbaren Saldo greifen können. Außerdem habe er ein Wertpapierdepot mit einem Wert zum Stichtag 31.1.2025 von EUR 28.614,58 und wertvolle Fahrnisse wie einen Porsche Macan, einen BMW-Mini und einen Ford Transit.
Hinsichtlich der dem Eröffnungsantrag zu Grunde liegenden Forderung habe der Steuerberater der Schuldnerin am 31.1.2025 einen Antrag auf Aufhebung nach § 299 BAO und auf Aussetzung der Einhebung eingebracht. Die Antragstellerin habe diesen Antrag und die dazu erstellten Steuererklärungen vollinhaltlich akzeptiert und am 7.2.2025 entsprechende Bescheide erlassen und zugestellt. Für die Jahre 2020 und 2021 sowie die zeitgleich veranlagten Jahre 2022 und 2023 habe sich nunmehr insgesamt ein Abgabenrückstand von EUR 11.190,16 ergeben, den der Zweitrekurswerber aus seinen Barmitteln umgehend am 10.2.2025 bezahlt habe.
Sie legten dem Rekurs folgende Urkunden bei:
2. Der Insolvenzverwalter äußerte sich in seinem ersten Bericht vom 4.3.2025 dahingehend, dass die Schuldnerin über eine Gewerberechtigung für die Organisation von Veranstaltungen, Märkten und Messen (Eventmanagement) verfüge, keine Arbeitnehmer beschäftige und zuletzt geschäftlich offenbar nicht mehr aktiv gewesen sei. Sofern das Vorbringen im Rekurs beachtlich sei, spreche alles dafür, dass die Schuldnerin aufgrund des Vermögens ihres Komplementärs materiell nicht zahlungsunfähig sei (ON 8).
3. Die Schuldnerin teilte am 24.3.2025 mit, dass keine Abgabenrückstände bestehen. Hinsichtlich des Feststellungsbescheids 2022 liege eine positive Beschwerdevorentscheidung vor. Sie habe sämtliche dem Insolvenzeröffnungsantrag zugrundeliegenden Forderungen erfolgreich bekämpfen können und die verbliebenen Rückstände zur Gänze bezahlt. Sie stelle für den Fall, dass dem Rekurs nicht Folge gegeben werde, den Antrag auf Aufhebung des Insolvenzverfahrens (ON 11).
4. Das Erstgericht teilte am 25.3.2025 mit, dass es in der Prüftungstagsatzung zu keiner Forderungsanmeldung gekommen sei und übermittelte den Steuerkontoauszug der Schuldnerin vom 24.3.2025, aus dem sich zum 24.3.2025 ein Guthaben von EUR 1.194,28 ergibt (ON 12).
Folgendes wurde erwogen:
5.Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich die dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald beschaffen kann (RS0065106, RS0064528).
6. Die Antragstellerin hat mit der Vorlage des vollstreckbaren Rückstandsausweises sowohl den Bestand ihrer Forderung als auch aufgrund der Dauer des Rückstandes (teilweise fällig seit 02/2021) die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ausreichend bescheinigt. Die Nichtzahlung von rückständigen Abgaben ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen um Betriebsführungskosten handelt. Diese werden von den zuständigen Behörden bekanntlich so rasch in Exekution gezogen, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftigem wirtschaftlichem Vorgehen verbietet und im Allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 66 KO Rz 69; Mohr, IO 11 § 70 E 70, E 74).
7. Wird – wie hier – vom Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit fürs Erste bescheinigt, liegt es am Schuldner, die Gegenbescheinigung zu erbringen, dass er zahlungsfähig ist. Um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften, ist der Nachweis erforderlich, dass die Forderungen sämtlicher Gläubiger – einschließlich der Antragstellerin – bezahlt werden konnten oder zumindest mit allen Gläubigern Zahlungsvereinbarungen getroffen wurden, die der Schuldner auch einzuhalten im Stande ist.
8.Bei der Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzvoraussetzungen vorliegen, ist im Rechtsmittelverfahren wegen der Neuerungserlaubnis des § 260 Abs 2 IO die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz - hier der 28.1.2025– und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (RS0065013 [T1]; 8 Ob 19/17b ua).
8.1.Grundsätzlich gilt im Insolvenzverfahren für die Rekursausführungen kein Neuerungsverbot (RS0043943; Erlerin KLS², § 260 Rz 33). Diese Neuerungserlaubnis findet ihre Grenze allerdings in § 259 Abs 2 IO. Danach können Anträge, Erklärungen und Einwendungen dann nicht mehr vorgebracht werden, wenn zu deren Erstattung eine Tagsatzung vorgesehen war, zu der eine Verfahrenspartei trotz Ladung nicht erschienen ist (8 Ob 36/04h ua). Die Zulässigkeit des Rekursvorbringens ist daher davon abhängig, ob der Schuldner bereits im erstinstanzlichen Verfahren Gelegenheit hatte, dieses im Rahmen einer Tagsatzung zu erstatten.
Selbst eine unwirksame Zustellung des Insolvenzeröffnungsantrages und der Ladung zur Einvernahmetagsatzung begründet keine Nichtigkeit im Sinne des § 252 IO iVm § 477 Abs 1 Z 4 ZPO. Der Zustellmangel könnte allenfalls als Verfahrensmangel berücksichtigt werden, wobei sich bereits aus dem Rekurs die Relevanz für die Entscheidung über den Insolvenzeröffnungsantrag ergeben müsste (OLG Wien 6 R 83/19y, 28 R 137/10p, 28 R 118/11w uva).
8.2.Ob die vom Geschäftsführer der Schuldnerin vorgenommene Aneinanderreihung von Ortsabwesenheitsmeldungen zulässig war und eine wirksame postalische Zustellung verhindern konnte, kann dahingestellt bleiben, weil der Eröffnungsantrag und die Ladung nicht hinterlegt wurden und eine Ediktalzustellung gemäß § 258 Abs 1 IO nicht vorgenommen wurde. Die Schuldnerin hatte sohin im Verfahren erster Instanz keine Gelegenheit, sich zum Insolvenzeröffnungsantrag zu äußern.
8.3. Da hier die im Rekurs vorgebrachten Neuerungen geeignet sind, die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz zu bescheinigen, ist der Zustellmangel relevant:
Nach der Bescheinigungslage im Rekursverfahren ergibt sich, dass der Komplementär zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung ua über umfangreiches – auch unbelastetes – Liegenschaftsvermögen (./1 bis ./3) verfügte und seine privaten und betrieblichen Girokonten per 31.1.2025 – also unmittelbar nach Konkurseröffnung – ein Guthaben von rund EUR 170.000 aufwiesen. Hinzu kommen Guthaben auf Sparbüchern in Höhe von rund EUR 81.000 und ein Wertpapierdepotstand in Höhe von rund EUR 28.600 (./6). Es liegen keine Anhaltspunkte vor und ist bei lebensnaher Betrachtung auch nicht anzunehmen, dass die Vermögenslage des Komplementärs wenige Tage zuvor, sohin zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung, wesentlich schlechter war.
Auch der Masseverwalter geht aufgrund des im Rekurs bescheinigten Vermögens des Komplementärs davon aus, dass die Schuldnerin nicht zahlungsunfähig ist.
Weiters ist bescheinigt, dass die Antragstellerin die der Forderung zu Grunde liegenden Umsatzsteuerbescheide vom 11.3.2024 für das Jahr 2020 und vom 12.3.2024 für das Jahr 2021 gem § 299 BAO aufhob (./7) und die Schuldnerin zum 24.3.2025 ein Steuerguthaben in Höhe von EUR 1.194,28 hatte (zu ON 12).
Es wurden im Verfahren auch keine anderen Forderungen angemeldet (ON 12).
9. Aus dieser erst im Rekursverfahren bestehenden Aktenlage ergibt sich, dass die Schulnderin bereits im Zeitpunkt der Fassung des angefochtenen Beschlusses über ausreichende Mittel verfügte, um sämtliche fälligen Forderungen zu bezahlen, sodass die Konkurseröffnungsveraussetzung der Zahlungsunfähigkeit nicht gegeben war.
Der angefochtene Beschluss war daher im Sinne einer Abweisung des Insolvenzeröffnungsantrages abzuändern.
10.Die durch diese Entscheidung notwendigen Anordnungen, insbesondere die Löschung der Eintragung in der Insolvenzdatei gemäß § 79 IO, waren dem Erstgericht zu übertragen (§ 252 IO iVm § 527 Abs 1 ZPO).
Die Aussprüche über die Bewertung des Entscheidungsgegenstandes sowie über die Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses beruhen auf § 252 IO iVm § 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 1 lit b und 3 und § 528 Abs 1 ZPO. Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn der zuletzt zitierten Bestimmung waren nicht zu lösen.