5R13/25f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Richter Mag. Guggenbichler als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Böhm und die Richterin Dr. Berka in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* , **, vertreten durch Mag. Lukas Bittighofer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch Dr. Ralph Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: EUR 20.000) über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 31.12.2024, **-6, in nichtöffentlicher Sitzung den
B E S C H L U S S
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.111,25 bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 5.000, nicht aber EUR 30.000.
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
B e g r ü n d u n g
Zwischen der Klägerin und der Beklagten wurde ein Netzzugangsvertrag abgeschlossen. Die Klägerin ist Netzzugangsberechtigte. Die Beklagte ist Netzbetreiberin.
Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass die Beklagte ihr für alle zukünftigen Schäden hafte, welche aus dem rechtswidrigen und vertragsbrüchigen Verhalten der Beklagten aus dem Netznutzungsvertrag resultieren. Die Beklagte als Netzbetreiberin sei gemäß dem Netznutzungsvertrag berechtigt, der Klägerin den durch deren Photovoltaikanlage produzierten Strom bis maximal 230 Volt einzuspeisen. Die Beklagte speise jedoch der Klägerin unzulässigerweise Strom mit einer zu hohen Spannung, nämlich 240 bis 258 Volt, ein. Es sei zu befürchten, dass die durch das vertragswidrige Handeln bestehende zu hohe Spannung die Elektrogeräte der Klägerin beschädigen werde. Die Klägerin habe demnach ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden aus dem vertragsbrüchigen Verhalten der Beklagten.
Die Beklagte beantragte,die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen, in eventu mangels inhaltlicher Berechtigung abzuweisen. Sie wandte ein, vor Klagseinbringung habe kein Streitschlichtungsverfahren vor der Regulierungsbehörde stattgefunden. Es liege somit Unzulässigkeit des Rechtswegs gemäß § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010 vor.
In einer aufgetragenen Stellungnahme brachte die Klägerin vor, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Feststellungsbegehren und ihrer Vertragsbeziehung zur Beklagten bestehe. Die Haftung für künftige Schäden sei im Kern sachenrechtlicher Natur, weil im Eigentum der Klägerin stehende Gegenstände geschädigt würden. Der ordentliche Rechtsweg sei daher ohne vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren zulässig.
Mit dem angefochtenen Beschlusswies das Erstgericht die Klage wegen Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs zurück (1.) und verpflichtete die Klägerin zum Kostenersatz (2.). Rechtlich kam die Erstrichterin zu dem Schluss, die Klage sei zweifelsfrei auf die Feststellung der Haftung der Beklagten als Netzbetreiberin für zukünftige Schäden von an das Netz angeschlossenen elektronischen Geräten gerichtet, die durch das Überschreiten der höchstzulässigen Spannung rechtswidrig und schuldhaft verursacht würden. Das bestehende Vertragsverhältnis zwischen den Parteien sei denknotwendige Voraussetzung für die Geltendmachung des Feststellungsbegehrens. Die Klage eines Netzzugangsberechtigten könne aber erst nach Zustellung des Bescheids der Regulierungsbehörde im Streitschlichtungsverfahren innerhalb der in § 12 Abs 4 E-ControlG vorgesehenen Frist eingebracht werden. Es handle sich dabei um eine sukzessive Zuständigkeit (vgl RS0119839). Werde das ordentliche Gericht vor Einleitung oder Abschluss des Verwaltungsverfahrens angerufen, sei die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (RS0122665).
Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Streitsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozessgericht erster Instanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Die Rekurswerberin argumentiert zusammengefasst und in erster Linie unter Verweis auf die Entscheidungen 4 Ob 111/14y und 4 Ob 131/09g, dass die Geltendmachung von Eingriffen in das Eigentumsrecht des Netzzugangsberechtigten durch Eigentumsfreiheitsklage vor den Gerichten ohne Vorschaltung des Streitschlichtungsverfahrens zulässig sei. Maßgeblich sei in diesen Fällen die sachenrechtliche Natur des geltend gemachten Anspruchs und, dass es sich sohin um absolute Rechte handle, die gegenüber jedermann wirken, und daher nicht der Vertragsbeziehung zwischen Netzzugangsberechtigten und -betreiber entspringen würden. Die Klägerin begehre die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, die durch das Überschreiten der höchstzulässigen Spannung rechtswidrig und schuldhaft an ihren elektronischen Haushaltsgegenständen verursacht würden. Die Schädigung betreffe Gegenstände in ihrem Eigentum und die Beklagte greife insofern in ihr Eigentumsrecht ein. Die Klägerin mache somit im Kern sachenrechtliche Ansprüche geltend. Die Ausnahmebestimmung gem § 22 Abs 1 Z 2 ElWOG sei für den vorliegenden Fall nicht erfüllt und daher liege kein Fall der sukzessiven Zuständigkeit vor.
Die Annahme der sukzessiven Zuständigkeit sorge außerdem im konkreten Fall dafür, dass die Klägerin einen sinnlosen Umweg zur Schlichtungsstelle gehen müsse, der von vornherein keine Abhilfe verschaffen könne, sondern vielmehr nur den Zweck verfolge, den vorgeschriebenen Instanzenzug durchzugehen, um die Sache vor die Gerichte zu bringen. Das laufe dem Zweck der unionsrechtlichen Vorschriften, welche die sukzessive Zuständigkeit vorsehen, diametral entgegen.
Diese Rechtsansicht der Rekurswerberin überzeugt nicht.
Das ElWOG 2010 unterscheidet im § 22 Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über einerseits "die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges" (Abs 1) und andererseits "allen übrigen Streitigkeiten über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen" (Abs 2 Z 1). Streitigkeiten über die Verweigerung des Netzzugangs entscheidet gemäß § 22 Abs 1 ElWOG die Regulierungsbehörde; in allen „übrigen Streitigkeiten“ zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern „über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“ entscheiden die ordentlichen Gerichte (§ 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010), wobei das Gesetz in diesem Umfang eine sukzessive Anrufungszuständigkeit vorsieht (RS0118326 [T1]; vgl auch RS0119839). Einer Klage des Netzzugangsberechtigten hat ein Streitbeilegungsverfahren vor der Regulierungskommission der E-Control vorauszugehen (§ 12 Abs 1 Z 2 E-ControlG).
Kernfrage ist also, ob es sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch um eine Streitigkeit iSd § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010 handelt. Der Oberste Gerichtshof hat sich im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs bereits mehrfach, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und der vorhandenen Literaturstimmen, mit der Auslegung der Bestimmung des § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG (bzw der Vorgängerregelung des § 21 Abs 2 ElWOG aF) auseinandergesetzt, wonach in „allen übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“ einer Klage des Netzzugangsberechtigten ein Streitbeilegungsverfahren vor der Regulierungskommission der E-Control (§ 12 Abs 1 Z 2 E-ControlG) vorauszugehen hat (6 Ob 163/21w mwN; vgl RS0125513; RS0119839).
Unter diese Regelung fallen demnach Streitigkeiten über sämtliche wechselseitigen Leistungen und Verpflichtungen zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern unabhängig davon, ob sie sich direkt aus dem Netzzugangsvertrag ableiten lassen, aus dem Gesetz oder anderen generellen Normen abgeleitet werden. Sie müssen aber mit der Netznutzung im Zusammenhang stehen (VwGH 2010/05/0121; vgl 4 Ob 287/04s [Bereicherungsanspruch]).
Damit ist evident, dass ein Feststellungsbegehren, dass die Beklagte (als Netzbetreiberin) der Klägerin (als Netzzugangsberechtigte) für alle zukünftigen Schäden hafte, welche aus dem rechtswidrigen und vertragsbrüchigen Verhalten aus dem Netznutzungsvertrag der Klägerin resultieren, eine solche Streitigkeit ist. Das Klagebegehren ist inhaltlich darauf gerichtet, einen Anspruch im Zusammenhang mit der Netznutzung (Einspeisung aus der Photovoltaikanlage) durch die Netzzugangsberechtigte (Klägerin) festzustellen, der seine Anspruchsgrundlage im Vertrag zwischen Netzbetreiber und Netzzugangsberechtigte hat (vgl 6 Ob 163/21w). Diesen - für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs maßgeblichen (RS0045584) - Wortlaut des Entscheidungsbegehrens samt Vorbringen hat die Klägerin im Verfahren nicht verändert.
Daran ändert sich auch nichts, wenn die Klägerin ihren Anspruch in ihrer Stellungnahme auch auf deliktische Schadenersatzansprüche und damit verbunden einen rechtswidrigen Eingriff in ihr Eigentum stützt. Die Unzulässigkeit des Rechtswegs kann nicht durch die Behauptung umgangen werden, die Klägerin mache „somit im Kern sachenrechtliche Ansprüche“ geltend, wenn sich der Klagegrund und das Klagebegehren eindeutig auf Rechte und Pflichten aus dem Vertragsverhältnis zwischen Netzzugangsberechtigtem und Netzbetreiberin stützt. Die begehrte Feststellung der Haftung „resultierend aus vertragsbrüchigem Verhalten aus dem Netznutzungsvertrag“ lässt aus einer deliktischen Haftung auch gar nicht ableiten.
Aber auch inhaltlich überzeugt die Argumentation der Rekurswerberin nicht. Anders als in den von ihr zitierten Entscheidungen (insbesondere 4 Ob 111/14y und 4 Ob 131/09g), wo jeweils eine Eigentumsfreiheitsklage gegenständlich war, macht sie mit dem Vorbringen zur deliktischen Haftung bzw. zum Schadenersatz kein absolutes Recht geltend. Ihr Anspruch richtet sich eben nicht gegen jeden beliebigen Dritten, sondern nur gegen die Beklagte in ihrer Rolle als Netzbetreiberin im Zusammenhang mit der Netznutzung (vgl. etwa 9 Ob 104/24w).
Die Rechtsrüge hat in diesem Punkt daher keinen Erfolg. Auch die weiteren Ausführungen in der Rechtsrüge überzeugen nicht. Wieso der Gang zur Regulierungsbehörde ein "sinnloser Umweg" sein soll, der "von vornherein keine Abhilfe" verschaffen könne und daher dem unionsrechtlichen Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz widerspreche, erläutert die Klägerin auch nicht näher. Die Regulierungskommission der E-Control verfügt über einschlägige fachliche Kompetenz, entscheidet mit einer flexibleren Verfahrensordnung und mit geringerem Zeit- und Kostenaufwand als die ordentlichen Gerichte ( Markus Schifferl, Sukzessive Kompetenz und Schiedsvereinbarung, ecolex 2018, 327). Gerade dadurch wird eine effektive Rechtsdurchsetzung gewährt. Auch der VwGH sah die E-Control bereits ausdrücklich als in unionsrechtskonformer Weise unabhängig eingerichtet (VwGH 23.11.2016, Ro 2016/04/0013). Die Ansicht, dass die Vorschaltung der Schlichtungsstelle als unionsrechtswidrig zu werten wäre, teilt das Rekursgericht daher nicht.
Die Beurteilung des Erstgerichts, der Rechtsweg sei - für die vor Befassung der Regulierungskommission der E-Control und damit verfrüht eingebrachte Klage - unzulässig, ist somit zutreffend. Dem Rekurs war ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.
Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands folgt der unbedenklichen Bewertung durch die Klägerin. Die Rechtsmittelbeschränkung für den Fall einer Konformatsentscheidung (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO) gilt nicht, wenn die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist.
Das Rekursgericht konnte sich zur Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls auf die zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung stützen. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der in § 528 Abs 1 ZPO genannten Qualität war der Revisionsrekurs daher nicht zuzulassen.