JudikaturOLG Wien

4R158/24w – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
21. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Rechtssache der klagenden Partei A* Gesellschaft m.b.H . Co. KG. , FN **, **, vertreten durch Gheneff – Rami - Sommer Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wider die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 10.000 samt Nebengebühren, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 27.8.2024, F**-24, in nicht öffentlicher Sitzung

Spruch

I. durch den Senatspräsidenten Mag. Rendl als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, und Mag. Viktorin den

Beschluss

gefasst:

Die mit der Berufungsbeantwortung vorgelegte Urkunde sowie die Urkundenvorlagen der klagenden Partei vom 10.10.2024, 8.11.2024, 9.12.2024 und 16.1.2025, jeweils samt den damit vorgelegten Urkunden, werden zurückgewiesen .

II. durch den Senatspräsidenten Mag. Rendl als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, und den Kommerzialrat Mag. Veyder-Malberg zu Recht erkannt:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.458,67 (darin EUR 243,11 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Begründung und

Entscheidungsgründe :

Die Klägerin ist Medieninhaberin und Herausgeberin des periodischen elektronischen Mediums bzw Rundfunkprogramms „**“, das linear (terrestrisch, Kabel, Satellit) und über einen Internet-Stream (C*) ausgestrahlt wird. Die Klägerin ist Medieninhaberin unter anderem der unter C* erreichbaren Website, dem reichweitenstarken Internetauftritt der „D*“. Dr. E* ist über die ** KG an der Klägerin beteiligt.

Die ** Gesellschaft mbH Co. KG ist Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „D*“, deren Herausgeber Dr. E* ist.

Die Beklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitungen "F*" (Kaufzeitung) und "G*" (Gratiszeitung). Beide Streitteile stehen in einem Wettbewerbsverhältnis. Geschäftsführer der Beklagten sowie Herausgeber der Tageszeitungen "F*" und "G*" ist H*.

Am 13.8.2021 veröffentlichte die Beklagte in ihren Tageszeitungen "F*" und "G*" den folgenden Artikel:

[Bild entfernt]

Die Klägerin begehrte den Zuspruch von EUR 10.000 samt Zinsen und brachte zusammengefasst vor, die Beklagte habe in dem Artikel die falsche Behauptung verbreitet, die Klägerin sei daran beteiligt, dass eine „Rufmordkampagne“ gegen H* in Sachen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen veranstaltet werde. Die Behauptung sei objektiv geeignet, das Unternehmen und den Geschäftsbetrieb der Klägerin zu schädigen, weil ihr damit vorgeworfen werde, sie würde bewusst und absichtlich falsche Behauptungen schwerwiegenden Inhaltes verbreiten. Diese Vorwürfe und Behauptungen würden die wichtigste Grundlage eines Mediums, nämlich deren Seriosität und journalistische Sorgfalt betreffen. Es liege daher eine besonders schwere Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Klägerin vor, sodass die schwer bezifferbare materielle sowie die immaterielle Schädigung der Klägerin als Medieninhaberin eines reichweitenstarken Mediums auf der Hand liege. Ihr stehe daher Schadenersatz gemäß § 16 Abs 2 UWG idF vor BGBl I 2022/110 von mindestens EUR 10.000 zu. Es könnten insbesondere dann von einem Artikel mehrere Personen betroffen sein, wenn in der Äußerung eine Bezeichnung wie „I*“ gebraucht werde, die einen Teil des Namens (der Firma) mehrerer Gesellschaften bilde.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und brachte vor, der Artikel verbreite aufgrund seines Gesamteindruckes nicht die Behauptung, die Klägerin sei an einer gegen H* veranstalteten „Rufmordkampagne“ beteiligt. Er berichte vielmehr über einen an sich unstrittigen Sachverhalt (Gerichtsverfahren H* gegen J*; Rechtsvertretung von J* und „D*“ identisch) und dass Dr. E* klargestellt habe, „dass er persönlich nicht hinter der Rufmordkampagne der I*“ stecke.

Es sei mit der Meinungsäußerungsfreiheit des Art 10 EMRK unvereinbar, der Beklagten die Verbreitung des im Unterlassungsbegehren unterstellten Vorwurfes zu untersagen.

Die Klägerin sei von dem Artikel nicht betroffen, weil sie darin nicht erwähnt und dadurch nicht beeinträchtigt werde.

§ 16 Abs 2 UWG sei mit dem 2. ModernisierungsRL-UmsetzungsG (BGBl I 2022/110) als Norm für den Ersatz ideellen Schadens ersatzlos gestrichen worden. Seit dem 20.7.2022 hätten daher Unternehmen aus § 16 Abs 2 UWG keinen Anspruch auf Entschädigung für erlittene ideelle Nachteile (mehr). Zudem scheide ein Schadenersatzanspruch aus, weil durch den Artikel keine besonders schwere Beeinträchtigung der sozialen Wertstellung der Klägerin erfolgt sei. Der Klägerin sei durch die Äußerung weder ein materieller noch ein immaterieller Nachteil entstanden, was sich auch darin zeige, dass sie mit der Einbringung der Klage über eineinhalb Jahre zugewartet habe. Darüber hinaus seien die Äußerungen als Retorsionskritik rechtlich nicht zu beanstanden.

Schließlich sei die begehrte Entschädigung zu hoch bemessen.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und verhielt die Beklagten zum Kostenersatz. Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt gelangte es rechtlich zum Ergebnis, der Anspruch sei gemäß § 44 Abs 3 UWG nach der Rechtslage vor dem 2. Modernisierungs-RL-UmsetzungsG (MoRUG II, BGBl I 2022/11) zu beurteilen.

Bei dem vorliegenden Artikel handle es sich um kein bloßes Werturteil. Im Gesamtzusammenhang gesehen werde in dem der Beklagten zuzurechnenden Artikel – gemessen an der Verkehrsauffassung – eine Rufmordkampagne gegenüber H* bewusst und gezielt behauptet. Dieser Vorwurf werde, auch wenn in weiterer Folge von E* die Rede sei, der sich distanzieren möchte, undifferenziert der „I*“ zugeschrieben. Die Klägerin sei Medieninhaberin „des Internetauftritts“ des Druckwerks „D*“, weshalb die undifferenzierte Zuschreibung „I*“ – nach der Verkehrsauffassung - jedenfalls auch die Klägerin umfasse.

Dass die Behauptung, der gegenüber H* erhobene Vorwurf der sexuellen Belästigung unwahr sei, habe die Beklagte nicht behauptet. Es liege daher ein der Beklagten zurechenbarer Verstoß gegen § 7 UWG vor, der die Beklagte gegenüber der Klägerin gemäß § 16 Abs 2 UWG aF schadenersatzpflichtig mache. Da die Verbreitung unwahrer Tatsachen selbst unter dem Deckmantel der „Retorsionskritik“ rechtswidrig sei, müsse auf das diesbezügliche Argument der Beklagten nicht weiter eingegangen werden. Das österreichische Recht kenne auch keine allgemeine Verwirkung von Ansprüchen.

Der von der Klägerin geforderte Ersatzbetrag von EUR 10.000 erscheine in einer Gesamtabwägung aller Umstände angemessen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Zu Punkt I

Die mit der Berufungsbeantwortung vorgelegte Urkunde war aufgrund des im Berufungsverfahrens geltenden Neuerungsverbots zurückzuweisen. Nach der Einbringung der Berufung am 25.9.2024 brachte die Berufungswerberin beim Berufungsgericht zudem insgesamt vier Urkundenvorlagen ein. Ein zusätzlicher Schriftsatz zur Berufung verstößt jedoch gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels und ist als unzulässig zurückzuweisen (RS0100170 [T2]).

Zu Punkt II

1.1 Das in der Berufung zunächst erstattete Vorbringen im Zusammenhang mit der „Retorsionskritik“ ist in sich widersprüchlich, zumal die Berufungswerberin zunächst behauptet, das von ihr im erstinstanzlichen Verfahren erstattete Vorbringen („**“) sei unstrittig gemäß § 267 ZPO; in weiterer Folge erblickt sie diesbezüglich mangels erfolgter Feststellungen jedoch einen sekundären Verfahrensmangel. Bei Vorliegen eines schlüssigen Geständnisses ist das Erstgericht jedoch nicht gehalten, diesbezügliche Feststellungen zu treffen.

1.2 Dass der Artikel in seinem Gesamtzusammenhang gesehen – unwahr - eine Rufmordkampagne gegenüber H* bewusst und gezielt behauptet, zieht die Berufungswerberin jedoch in der Berufung gar nicht in Zweifel. Darüber hinaus schließt sich das Berufungsgericht der zutreffenden Rechtsansicht des Erstgerichts an (§ 500a ZPO), wonach in dem Artikel die unwahre Tatsache behauptet wird, die „I*“ habe eine Rufmordkampagne gegen H* angezettelt, im Zuge dieser die unwahre Behauptung von sexuellen Belästigungen durch H* aufgestellt worden sei.

1.3 Eine „Retorsionskritik“ ist zwar nach der Rechtsprechung milder zu beurteilen, sofern sachliche Informationen über das Fehlverhalten eines Mitbewerbers in einem angemessenen Rahmen erteilt werden; die Verbreitung unwahrer Tatsachen ist jedoch auch unter dem Deckmantel der „Retorsionskritik“ rechtswidrig (RS0122468; RS0077957; vgl 4 Ob 74/18p; OLG Wien 1 R 177/23s, 33 R 14/24g, 3 R 158/24p).

2.1 Zur Frage, ob ein Zuwarten mit der Erhebung einer Klage für einen sehr langen Zeitraum einen Anspruch auf Zahlung wegen angeblich immaterieller Schäden ausschließen kann, hat das Berufungsgericht bereits in zahlreichen Verfahren (mit identen Parteienvertretern) auch unter Bezugnahme auf die von der Berufungswerberin zitierten Fundstellen Stellung genommen. Der dritte Senat hat dazu jüngst in 3 R 158/24p wie folgt ausgeführt:

„4.1. Das österreichische Recht kennt keine allgemeine Verwirkung (RS0014221). Dem durch eine wettbewerbswidrige Handlung Verletzten, der sich mit der Klage auf Schadenersatz Zeit lässt, kann nicht schon deshalb unterstellt werden, dass er keine besonders schwere Beeinträchtigung der sozialen Wertstellung erlitten hat. Es besteht nämlich keine Rechtspflicht, innerhalb der Verjährungsfrist besonders rasch aktiv zu werden.

4.2. Richtig ist, dass aus den in der Berufung genannten Entscheidungen 4 Ob 93/32 (veröffentlicht in Rsp 1932/186), 3 Ob 417/53 und 4 Ob 334/60 in der Literatur abgeleitet wurde, nach der Rechtsprechung bestehe insbesondere dann kein Anspruch nach § 16 Abs 2 UWG idF vor dem BGBl I 2022/110, wenn der Verletzte mit der Einbringung der Klage grundlos sehr lange oder sogar bis nahe an den Verjährungseintritt zuwartet (vgl zB Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG 2 § 16 Rz 79). Ein allgemeiner Grundsatz, wonach das Zuwarten mit der Klagseinbringung einem Anspruch nach § 16 Abs 2 UWG idF vor dem BGBl I 2022/110 entgegensteht, kann den zitierten Entscheidungen jedoch nicht entnommen werden:

4.3. In 4 Ob 93/32 sprach der Oberste Gerichtshof zwar aus, es könne nicht angenommen werden, dass der dortige Kläger mit der Einbringung der Klage bis zu einem Zeitpunkt gewartet hätte, in dem sein Klagsanspruch von der Einrede der Verjährung bedroht gewesen sei, wenn er sich durch die behaupteten Handlungen der Beklagten (Anstreichen einer Benzinpumpe der Beklagten in roter Farbe wie die des Klägers) in seinem Betrieb wirklich ernstlich beeinträchtigt gefühlt hätte. Gleichzeitig verneinte der Oberste Gerichtshof eine Beeinträchtigung des Klägers auf Grundlage seines Vorbringen aber ohnedies, sodass die Abweisung der begehrte Buße nach § 16 Abs 2 UWG nicht wegen der späten Klagseinbringung erfolgte.

4.4. In 3 Ob 417/53 führte der Oberste Gerichtshof zum geltend gemachten Anspruch nach § 16 Abs 2 UWG aus, es bestehe Grund zur Annahme, dass sich der Kläger durch die Handlung der Beklagten (Verletzung des Namensrechtes) durchaus nicht ernstlich beeinträchtigt gefühlt und sie auch nicht als schwer kränkend empfunden habe, weil er sich mit der Einbringung der Klage trotz der Bestimmung des § 20 UWG rund drei Jahre Zeit gelassen habe. Auch in dieser Entscheidung wurde der Anspruch des Klägers aber schon deshalb verneint, weil er keine Umstände dargetan habe, die erkennen ließen, dass er durch das Vorgehen der Beklagten im geschäftlichen Betrieb wirklich ernstlich beeinträchtigt worden wäre. Für die Annahme, dass die Beklagte mit der Verwendung des Verlagsnamens des Klägers die Absicht verfolgt habe, den Kläger in seinem Erwerb zu schädigen, ihn zu kränken oder ihm sonst persönliche Nachteile zuzufügen, habe das Beweisverfahren keine konkreten Anhaltspunkte geliefert.

4.5. In 4 Ob 334/60 führte der Oberste Gerichtshof aus, der Kläger habe in seiner Parteienvernehmung angegeben, mit der Einbringung der Klage zugewartet zu haben, weil die Angelegenheit (unrechtmäßige Verwendung von Bestellscheinen des Klägers durch den Beklagten) für ihn, wenn auch wichtig, so doch nebensächlich gewesen sei. Die Vorinstanzen hätten mit Recht daraus geschlossen, dass dem Kläger durch das Vorgehen des Beklagten keine besonderen Kränkungen widerfahren seien. Der Kläger habe (somit) weder behauptet noch bewiesen, dass er Ärger, Kränkungen oder persönlichen Nachteil erlitten habe, der den mit jeder unlauteren Wettbewerbshandlung üblicherweise verbundenen Ärger übersteige.

4.6. In den zitierten Entscheidungen wurde das Zuwarten mit der Klagseinbringung daher zwar jeweils als Hilfsargument herangezogen, die Abweisung der Begehren erfolgte aber deswegen, weil der jeweilige Kläger die erlittene Kränkung oder andere persönliche Nachteile nicht ausreichend behauptet und bewiesen hatte. Solch ein Nachweis ist der Klägerin im vorliegenden Fall aber gelungen. Das bloße Zuwarten mit der Klagsführung lässt somit nicht den Schluss zu, dass keine Beeinträchtigung und keine erhebliche Kränkung erfolgt ist.“

2.2 Die Beklagte vermag kein zusätzliches Argument ins Treffen zu führen, warum der erkennende Senat von dieser Rechtsansicht abgehen sollte. Das Zuwarten der Klägerin vermag daher keinen Ausschluss des gegenständlichen Anspruchs zu begründen.

3. Soweit die Berufungswerberin argumentiert, die Klägerin sei vom Artikel nicht betroffen, setzt sie sich mit dem Argument des Erstgerichts, wonach im Artikel der Vorwurf der Rufmordkampagne undifferenziert der „I*“ zugeschrieben wird und die Klägerin Medieninhaberin „des Internetauftritts“ des Druckwerks „D*“ sei, mit keinem Wort auseinander und bringt auch keine neuen Argumente vor, sodass gemäß § 500a ZPO auf die Ausführungen des Erstgerichts verwiesen wird (so bereits auch 3 R 158/24p zu den gleichen Parteien[vertretern]).

4. Die Höhe des zugesprochenen Betrages entspricht der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Berufungsgerichts zu von der Beklagten erfolgten Veröffentlichungen im Zusammenhang mit den gegenüber H* erhobenen Vorwürfen der sexuellen Belästigung (vgl OLG Wien 1 R 49/24v, 5 R 136/24t, 1 R 180/24h, 3 R 158/24p, 33 R 14/24g, 1 R 177/23s) und ist auch im Einklang mit Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu ähnlichen Sachverhalten (vgl 4 Ob 25/13z). Warum im gegenständlichen Fall davon abzugehen wäre, trägt die Berufungswerberin nicht hinreichend vor.

5. Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

7. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil das Berufungsgericht höchstgerichtlicher Rechtsprechung gefolgt ist und keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zu lösen war.