JudikaturOLG Wien

4R203/24p – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
14. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Rendl als Vorsitzenden sowie die Richter Mag. Falmbigl und Mag. Viktorin in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch die Summer Schertler Kaufmann Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, gegen die beklagte Partei B* Limited , ** MALTA, vertreten durch die DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 22.557,16 samt Nebengebühren über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 18. November 2024, ***, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.482,62 (darin EUR 413,77 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Vorbemerkung: Zwar hat die Beklagte in ihrer Berufung mitgeteilt, dass sich ihr Name und ihr Sitz geändert hätten, jedoch hat keine der Parteien eine Berichtigung der Parteibezeichnung beantragt. Da keinerlei Urkunden zu den behaupteten Umständen vorliegen und die Änderung des Namens und des Sitzes der Beklagten auch aus dem Unternehmensregister des europäischen Justizportals nicht nachvollzogen werden kann, sieht sich das Berufungsgericht derzeit nicht zur amtswegigen Berichtigung der Bezeichnung der beklagten Partei veranlasst.

Zur Sache: Die Beklagte ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz auf Malta. Sie verfügt über eine Glücksspiellizenz, ausgestellt von der Malta Gaming Authority, jedoch über keine österreichische Glücksspielkonzession. Sie betreibt auf der in deutscher Sprache abrufbaren Website ** Online-Glücksspiele, bei denen die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängt. Beim Registrierungsprozess kann man das Land „Österreich“ in der Länderauswahl wählen. Der in Österreich wohnhafte Kläger registrierte sich auf der Website mit seiner Wohnadresse in **. Er klickte die Allgemeinen Geschäftsbedingungen als akzeptiert an. Im Zeitraum vom 24.11.2021 bis 1.8.2023 verlor der Kläger beim Online-Glücksspiel auf den obigen Websites der Beklagten EUR 22.557,16. Im Spielzeitraum wusste der Kläger nicht, dass die Beklagte in Österreich über keine Konzession verfügt und die Verluste deshalb rückforderbar sind. Er spielte ausschließlich zu Unterhaltungszwecken, auch bei anderen Anbietern.

Der Kläger begehrt die Rückzahlung seines Spielverlustes im Wesentlichen mit dem Vorbringen, mangels notwendiger Konzession der Beklagten in Österreich seien die angebotenen Glücksspiele unerlaubt und die geschlossenen Verträge nichtig. Der Spielverlust sei daher im Wege der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung zurückzuzahlen.

Die Beklagte entgegnete, soweit für das Berufungsverfahren von Relevanz, aufgrund wirksamer Rechtswahl der Parteien sei maltesisches Recht anwendbar. Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien jedenfalls nach der gültig zustande gekommenen Rechtswahl zu beurteilen. Die Beklagte sei Inhaberin einer aufrechten maltesischen Glücksspielkonzession und unterliege der Aufsicht der maltesischen Regulierungsbehörde. Ein unerlaubtes Glücksspiel liege daher nicht vor. Das österreichische Glücksspielgesetz sei unionsrechtswidrig und greife in nicht gerechtfertigter bzw unverhältnismäßiger Weise in die primärrechtliche Dienstleistungsfreiheit ein. Die von der Beklagten im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit angebotenen Dienstleistungen seien daher rechtmäßig. Nach Art 16 Punkt 1 der AGB seien Rückforderungen nach Ablauf einer sechsmonatigen Frist nicht mehr zu berücksichtigen.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es stellte den eingangs zusammengefassten, auf S 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Sachverhalt fest, auf den im Übrigen verwiesen wird.

Rechtlich folgerte es, die Beklagte richte ihre Tätigkeit auf Österreich aus, sodass nach Art 6 Rom I-VO österreichisches Recht anzuwenden sei. Die Beklagte verfüge über keine Konzession nach dem – unionsrechtskonformen – österreichischen Glücksspielrecht. Der Kläger könne die Verluste aus einem verbotenen Glücksspiel zurückfordern.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern, hilfsweise es aufzuheben.

Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Die Rechtsmittelgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung werden zum Teil inhaltlich miteinander vermengt. Daraus resultierende Unklarheiten gehen zu Lasten der Berufungswerberin (RS0041768, RS0041761).

1.1. Mit der Verfahrensrüge wird (wie auch in der Rechtsrüge) die fehlende Eruierung und Anwendung des maltesischen Rechts moniert. Die zulässige Rechtswahlklausel falle nicht zur Gänze weg.

Die Rückabwicklung eines Vertrages richtet sich stets nach dem Vertragsstatut ( Musger in KBB 7 Art 12 Rom I VO Rz 2). Da ein Verbrauchervertrag vorliegt, ist Art 6 Rom I VO anzuwenden, was gemäß Abs 1 zur Anwendbarkeit österreichischen Rechts führt.

Der Kläger ist Verbraucher mit Wohnsitz im Sprengel des Erstgerichts. Er hat als natürliche Person ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit als Verbraucher einen Vertrag mit der Beklagten geschlossen, wobei letztere mit dem Anbieten von Online Glücksspielen in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit handelte (Unternehmer) und diese auch im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers (Österreich) ausübte (Art 6 Abs 1 lit a Rom I VO).

Zwar erklärt Abs 2 leg cit eine Rechtswahl auch bei solchen Verträgen grundsätzlich für zulässig, die Rechtswahl darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Abs 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.

Das Oberlandesgericht Wien hat bereits in mehreren Entscheidungen (11 R 154/21d, 16 R 141/21d, 12 R 84/21t, 14 R 150/23s, 13 R 216/23i uva) die Regelung in allgemeinen Geschäftsbedingungen von Glücksspielbetreibern, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kunden und der Beklagten maltesischem Recht unterliegen, als unwirksam erachtet, weil diese keinen Hinweis darauf enthalten, dass der Kunde als Verbraucher den Schutz der zwingenden Vorschriften seines Heimatstaats nicht verlieren kann (RS0131887; EuGH NRW 2016, 2726 Rn 68 ff). Eine wirksame abweichende Rechtswahl im Sinne von Art 6 Abs 2 Rom I VO liegt daher nicht vor. Damit gilt das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers, also österreichisches Recht.

Im Übrigen ist das Verbot nicht konzessionierter Glücksspiele als Eingriffsnorm nach Art 9 Abs 2 Rom I VO zu qualifizieren, die unabhängig von dem auf das Vertragsverhältnis anzuwendenden Recht Geltung beansprucht ( Martiny , Spiel und Wette im Internationalen Privat und Verfahrensrecht, FS Lorenz [2001] 375, 388; Mankowski , Internationales Privatrecht 2 Rn 936; Magnus in Staudinger Art 9 RomI VO Rn 178; Thorn in Rauscher , EuZPR/EuIPR 4 III Art 9 RomI VO Rn 42).

Somit ist die Frage, ob die Beklagte einen Verstoß gegen das Glücksspielmonopol verantwortet, nach österreichischem Recht zu beurteilen. Eine Auseinandersetzung mit maltesischem Recht (ob aus diesem ein Rückforderungsanspruch des Klägers für die getätigten Spieleinsätze ableitbar wäre) ist nicht erforderlich.

1.2. Die Berufungswerberin rügt, das Erstgericht hätte die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols autonom beurteilen müssen. Das Erstgericht komme dieser amtswegig vorzunehmenden Prüfpflicht faktisch jedoch nicht nach, sodass eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens vorliege. Das Erstgericht verweise zwar auf bisherige Rechtsprechung der Höchstgerichte, führe jedoch im gegenständlichen Fall keine Prüfung durch. Das von der Beklagten beantragte Sachverständigengutachten aus dem Bereich des Werbewesens zum Beweis dafür, dass das extensive Werbeverhalten des Konzessionärs nicht mit dem Spielerschutz im Einklang stehen könne, sei nicht eingeholt worden.

Ein primärer Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO könnte im Zusammenhang mit der Übergehung von Beweisanträgen nur vorliegen, wenn das Erstgericht andere als die vom Beweisführer behaupteten Tatsachen festgestellt hätte ( Pimmer in Fasching/Konecny 3§ 496 ZPO Rz 57). Hat das Erstgericht aber wie hier zu „aktuellen regulatorischen und politischen Entwicklungen, neuen Werbekampagnen der de facto Monopolisten, in den Medien kolportierten Verfehlungen innerhalb der de facto Monopolunternehmen sowie relevanten Änderungen der Beteiligungsverhältnisse“keine Feststellungen getroffen, weil es diese als nicht entscheidungswesentlich erachtete, könnte in der unterlassenen Beweisaufnahme, vorausgesetzt diese wäre rechtlich relevant, nur eine sekundäre Mangelhaftigkeit nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vorliegen, die mit der Rechtsrüge aufzugreifen ist ( Pimmer , aaO Rz 55, 58). Die entsprechenden Berufungsausführungen sind daher der Rechtsrüge zuzuordnen.

2.1. Der in der Rechtsrüge neuerlich dargelegten Berufungsauffassung, das Erstgericht hätte die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols autonom beurteilen müssen, zumal nach den Vorgaben des EuGH, die Kohärenz der Regelungen dynamisch zu interpretieren, die Vereinbarkeit des Monopols mit Unionsrecht laufend zu überprüfen, also das nachfolgende Verhalten zu berücksichtigen sei, ist zu erwidern:

Der Oberste Gerichtshof hat im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte auf Basis der einschlägigen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union in mehreren aktuellen Entscheidungen auch jüngst festgehalten, dass das österreichische System der GlücksspielKonzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (7 Ob 44/23f; 1 Ob 81/23b; 3 Ob 69/23b; 5 Ob 90/23f; 5 Ob 90/23f, jeweils mwN). Die Beurteilung des Erstgerichts entspricht dieser Rechtsprechung. Aus Gründen der Förderung von Rechtssicherheit und Rechtseinheit haben die Untergerichte einer ständigen Rechtsprechung des Höchstgerichts zu folgen, und nur aus guten Gründen von einer ständigen Rechtsprechung des OGH abzuweichen. Eine gefestigte Rechtsprechung des OGH ist somit eine „starke Empfehlung“, der, solange die Rechtsprechung einheitlich bleibt, auch zu folgen ist (vgl Lovrek/Musger in Fasching/Konecny 3vor §§ 502ff ZPO Rz 39).

Auch unter Bedachtnahme auf die im Rahmen der Rechtsrüge vorgetragenen Argumente besteht kein Anlass, von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abzugehen. Die Berufungswerberin nennt keine konkreten Umstände, die sich seit der Beurteilung der tatsächlichen Kohärenz durch die höchstgerichtliche Rechtsprechung geändert hätten. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis für das extensive Werbeverhalten des Konzessionärs war daher nicht erforderlich.

2.2.Die Verjährungsfrist für Bereicherungsansprüche nach § 1431 ABGB beträgt nach der allgemeinen Regel des § 1479 ABGB grundsätzlich 30 Jahre (RS0033819; RS0020167; vgl 2 Ob 90/08m). Die laut Punkt 16.1 der AGB getroffene Vereinbarung einer Verkürzung der Verjährung auf sechs Monate unterliegt der Geltungskontrolle des § 879 Abs 3 ABGB (vgl 7 Ob 22/12d). Verfallsklauseln sind dann sittenwidrig, wenn sie die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschweren (RS0016688). Je kürzer die Verfallsfrist sein soll, desto triftiger muss der Rechtfertigungsgrund sein (7 Ob 75/11x mwN). Generell ist darauf abzustellen, ob die Verkürzung zu einer weitgehenden Verhinderung oder erheblichen Behinderung der Durchsetzung berechtigter Ansprüche führt, was immer dann der Fall ist, wenn die Zeit zur Prüfung der Sachund Rechtslage unangemessen verkürzt wird (7 Ob 22/12d mwN). Nach diesen Grundsätzen ist eine sachliche Rechtfertigung der den Kläger gröblich benachteiligenden Klausel nicht ersichtlich; sie ist daher nach § 879 Abs 3 ABGB nichtig. Der Klagsanspruch ist nicht verjährt oder verfallen.

Der unberechtigten Berufung war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen war. Das Berufungsgericht konnte sich an der

dargelegten gefestigten Judikatur orientieren.