JudikaturOLG Linz

12Ra39/25d – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
08. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende sowie Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **, vertreten durch Dr. Alexander Burkowski und Dr. Maximilian Burkowski, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei B* GmbH Co KG , FN **, **, **-Straße **, vertreten durch die Aigner Nagl Rechtsanwälte OG in Linz, wegen EUR 3.324,19 brutto sA , über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Mai 2025, Cga* 14, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Rekurskosten selbst zu tragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Die Klägerin war in einem Lokal der Beklagten beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete am 21. Juli 2024.

Mit der am 15. Jänner 2025 eingebrachten Mahnklage begehrte die Klägerin EUR 3.324,19 brutto sA an Kündigungsentschädigung mit der Behauptung, ihr seit 19. Oktober 2023 bestehendes Dienstverhältnis sei auf die Beklagte übergegangen und fristwidrig seitens der Beklagten gekündigt worden.

Die Zustellung des Zahlungsbefehls wurde an der in der Klage angegebenen Adresse der Beklagten verfügt. Der RSb-Brief wurde als nicht behoben retourniert.

Am 19. März 2025 stellte die Beklagte einen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und auf Zustellung des Zahlungsbefehls . Von diesem Zahlungsbefehl habe sie erstmals in der (ein anderes Verfahren betreffenden) Tagsatzung vom 5. März 2025 Kenntnis erlangt. Die Beklagte habe keine Hinterlegungsbenachrichtigung erhalten, der Zahlungsbefehl sei ihr daher nie rechtswirksam zugestellt worden. Im Gebäude des C*-Center hätten mehrere Unternehmen ihren Sitz und der Postkasten der Beklagten sei etwas seitlich angebracht. Der Geschäftsführer der Beklagten entleere täglich die Post, habe aber keinen „gelben Zettel“ vorgefunden. Es sei davon auszugehen, dass die Benachrichtigung der Hinterlegung irrtümlich bei einem anderen Büro bzw Postkasten deponiert worden sei.

In eventu beantragte die Beklagte mit dem völlig identen Vorbringen, keine Benachrichtigung von der Hinterlegung erhalten zu haben, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Frist zur Erhebung eines Einspruchs. Die mangelnde Kenntnis von einer Hinterlegung mangels Auffindens einer Hinterlegungsverständigung stelle einen minderen Grad des Versehens dar; die Beklagte sei durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis gehindert worden, vom Zahlungsbefehl Kenntnis zu erlangen (ON 7).

Das Erstgericht befragte in der Tagsatzung vom 13. Mai 2025 den Geschäftsführer der Beklagten und den für die Zustellung verantwortlichen Zusteller (ON 11.4) und wies mit dem angefochtenen Beschluss sämtliche Anträge ab bzw den Einspruch als verspätet zurück. Diese Entscheidung gründet sich zusammengefasst auf folgenden als bescheinigt angenommenen Sachverhalt:

Die Beklagte betreibt unter der Adresse **-Straße ** in D* ein Lokal. Der Zahlungsbefehl wurde ihr unter dieser Adresse durch Hinterlegung zur Abholung ab 20. Jänner 2025 zugestellt. Der Zusteller warf die Hinterlegungsanzeige in den Briefkasten der Beklagten ein.

Dem Zusteller ist die Beklagte unter dieser Adresse bekannt und er kommt üblicherweise gegen 9.00 Uhr zum Gebäude. Der Briefkasten der Beklagten befindet sich außen am Gebäude im Erdgeschoß auf der Seite zur **gasse hin. Die Sendungen für das C*-Center gibt er im dortigen Büro ab.

Die Hinterlegungsanzeige konnte vom Geschäftsführer der Beklagten nicht vorgefunden werden. Er hebt die Post immer selber aus. Wenn sich derartige Gerichtsschreiben im Postkasten befinden, dann leitet er diese sofort an den Rechtsanwalt weiter.

Rechtlich folgerte das Erstgericht daraus, dass durch das Einlegen der Hinterlegungsanzeige in den Postkasten der Beklagten die Zustellung rechtswirksam erfolgt sei. Der Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit sei daher abzuweisen und der Einspruch gegen den Zahlungsbefehl zurückzuweisen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die beklagte Partei von der Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt habe, könnten keine Feststellungen über das weitere Schicksal der Hinterlegungsanzeige getroffen werden. Aus dem Beweisverfahren habe sich nicht ergeben, was mit dieser passiert sei; insbesondere auch nicht, dass diese irrtümlich in der Post des Museums gelandet oder in anderen Büros oder Postkästen abgegeben worden sei. Daher könne nicht nachvollzogen werden, ob die Unkenntnis von der Hinterlegungsanzeige auf einem unabwendbaren oder unvorhergesehenen Ereignis beruhe. Alleine der Umstand, dass die Beklagte keine Kenntnis von der Hinterlegungsanzeige erlangt habe, sage nichts darüber aus, ob dies unverschuldet geschehen sei. Es sei daher der Beklagten nicht gelungen, die Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung zu bescheinigen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine Bewilligung des Antrags auf neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls, hilfsweise des Antrags auf Wiedereinsetzung.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1Wurde eine Vollstreckbarkeitsbestätigung irrtümlich erteilt, weil ihr ein der Wirklichkeit nicht entsprechender Sachverhalt zugrunde gelegt wurde, ist sie gemäß § 7 Abs 3 EO auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben. Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Exekutionstitel dem Titelschuldner nicht rechtswirksam zugestellt worden war und daher die formelle Vollstreckbarkeit des Titels tatsächlich nicht eingetreten ist (RIS-Justiz RS0001544).

Entscheidend ist daher, ob ein gesetzmäßiger Zustellvorgang vorliegt.

1.2Grundsätzlich ist ein Dokument gemäß § 13 Abs 1 ZustG dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Nach § 17 Abs 1 ZustG ist, wenn das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger […] regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Dokument zu hinterlegen. Das hinterlegte Dokument ist laut § 17 Abs 3 ZustG mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten und gilt mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt.

1.3 Nach den getroffenen Feststellungen ist, da der Zahlungsbefehl nicht persönlich zugestellt werden konnte, die Hinterlegungsanzeige korrekt in den an der Abgabestelle vorhandenen Postkasten der Beklagten eingelegt worden. Mit dem Beginn der Hinterlegungsfrist am 20. Jänner 2025 gilt daher der Zahlungsbefehl als zugestellt.

2.1 Dies erkennt die Beklagte und und bekämpft deswegen die Feststellungen zum Zustellvorgang, indem sie Fehler der Beweiswürdigung aufzuzeigen versucht. Der Zusteller habe sich an den konkreten Zustellvorgang nicht erinnern können. Dem gegenüber habe der Geschäftsführer der Beklagten angegeben, ab und zu einen Brief bekommen zu haben, auf dem vom Museum (gemein wohl:) „falsch zugestellt“ vermerkt worden sei. Das konkrete Schreiben habe er jedoch nicht über das Museum bekommen. Daher hätte das Erstgericht feststellen müssen, dass weder festgestellt werden könne, ob der Zahlungsbefehl durch Hinterlegung zugestellt worden sei, noch festgestellt werden könne, dass der Zusteller die Hinterlegungsanzeige in den Briefkasten eingeworfen habe.

2.2Basieren die Feststellungen auf einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch Befragung der Parteien und von Zeugen, kann die darauf gegründete Beweiswürdigung im Rekursverfahren, da keine mündliche Rekursverhandlung vorgesehen ist, nicht angefochten und vom Rekursgericht nicht überprüft werden (RIS-Justiz RS0044018, vgl RS0012391; Sloboda in Fasching/Konecny 3 § 514 Rz 82, 84; A. Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 526 Rz 5 ff; Ploier in Höllwerth/Ziehensack, ZPO - TaKom² § 526 Rz 10).

2.3 Die Überlegungen der Beklagten zur Beweiswürdigung sind daher, da die Feststellungen zum Zustellvorgang vom Erstgericht aufgrund der unmittelbaren Befragung des Zustellers und des Geschäftsführers der Beklagten getroffen wurden, unzulässig.

3 Auf Basis des festgestellten Sachverhalts wurde der Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung samt dem Antrag auf Zustellung des Zahlungsbefehls zu Recht abgewiesen.

4.1Sind die gesetzlichen Vorschriften über die Zustellung eingehalten wurden, hat die Partei aber dennoch von der Zustellung keine Kenntnis erhalten, ist der richtige Rechtsbehelf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (jüngst OGH 3 Ob 38/23v [Rz 6]; RIS-Justiz RS0107394; Gitschthaler in Rechberger/Klicka ZPO 5 Vor §§ 146 ff Rz 9; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack, ZPO - TaKom² § 146 Rz 7; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 3 § 146 Rz 29).

4.2Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 146 Abs 1 ZPO dann auf Antrag zu bewilligen, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung zu ihrem Nachteil verhindert wurde. Ein Verschulden an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

4.3Im Wiedereinsetzungsverfahren gilt nach herrschender Meinung die Eventualmaxime, sodass schon der Wiedereinsetzungsantrag alle den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Umstände und die Mittel zu ihrer Bescheinigung zu enthalten hat (OGH 1 Ob 157/14s [Pkt 6] mit umfassender Darstellung von Lehre und Rechtsprechung; OLG Linz 11 Rs 97/24z, 4 R 110/21f, 12 Ra 60/24s).

5.1 Die Beklagte erblickt in ihrer Rechtsrüge das unabwendbare Ereignis darin, dass nach dem festgestellten Sachverhalt ihr Geschäftsführer, obwohl er den Postkasten immer selbst ausgeleert habe, keine Kenntnis von der Hinterlegungsanzeige erlangt habe. Eine allenfalls leichte Fahrlässigkeit schließe die Wiedereinsetzung nicht aus. So sei sie von der Rechtsprechung bei Erinnerungsfehlern, einem schwachen Erinnerungsvermögen oder dem Verlegen und/oder Vergessen einer Postsendung bejaht worden.

5.2Indem das Vorbringen für den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ident ist mit demjenigen zum Wiedereinsetzungsantrag (keine Benachrichtigung im Postkasten) übergeht die Beklagte die vorstehend dargestellten unterschiedlichen Folgen, je nachdem ob ein gesetzmäßiger Zustellvorgang vorliegt oder ein nicht gesetzmäßiger. Eine nicht ordnungsgemäße Zustellung kann kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 146 Abs 1 ZPO sein. Ausschlagebend für die Berechtigung eines Antrags auf Wiedereinsetzung ist, was mit der Hinterlegungsanzeige nach dem korrekten Einlegen in den Postkasten geschehen ist.

5.3 Mit der Behauptung, keine Hinterlegungsanzeige erhalten zu haben, wird nicht dargetan, welches unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis die Beklagte bzw deren Geschäftsführer daran hinderte, von einer gesetzeskonform in das Postfach eingelegten Hinterlegungsanzeige Kenntnis zu erlangen. Die Argumentation mit Erinnerungslücken und dem Verlegen der Post entfernt sich vom Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag. Dort ist keine Rede davon, der Geschäftsführer der Beklagten habe etwa die Hinterlegungsanzeige – aus welchen Gründen immer – im Postkasten übersehen, sie danach vergessen oder verloren.

6 Zu Recht hat das Erstgericht daher auch den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen und den Einspruch als verspätet zurückgewiesen.

7Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet auf §§ 50,40 ZPO.

8Der Revisionsrekurs ist aufgrund der Bestätigung des angefochtenen Beschlusses gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO sowohl hinsichtlich des Antrags auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung (OGH 9 ObA 151/15v = RIS-Justiz RS0112314 [T 19]; 4 Ob 90/11f = RS0105321 [T 15]) als auch des Wiedereinsetzungsantrags (OGH 10 ObS 75/15z unter Hinweis auf RS0105605, RS0044536 [T 1], RS0044087 [T 10]; 9 ObA 137/08z = RS0112314 [T 13]) jedenfalls unzulässig.